Taxi Driver

Am Ende ein Blutbad, wie es das Kino der damaligen Jahre, den Jahren des cineastischen Realismus, mit all seinem Schmuddel und Dreck, seinen Blutspritzereien und seinen ästhetischen Tötungsdarstellungen, seit The Wild Bunch liebte. Der Anti-Held des Streifens urplötzlich ein Heroe des Molochs, der sich New York nennt; ein Rächer der Gerechten und gefeierter Ex-Marine und Vietnam-Veteran, der beinahe somnambul durch die geschlossenen Reihen des Abschaums marschierte und diesen von der Welt beförderte. Travis Bickle, Mitzwanziger mit imposanter Kriegerkarriere, heuert bei einem Taxiunternehmen an. Die Nachtschicht hat es ihm angetan, denn er leidet unter akuten Schlafstörungen, die er sich vermutlich irgendwo zwischen Saigon und Da Nang eingefangen hat. Der junge Mann scheint überdies an einer sozialen Phobie zu nagen. Angst kennt er indes keine, man könne ihn überall hin schicken mit seinem Yellow Cab, teilt er seinem Boss in spe mit. Prompt hat er den Job und kariolt fortan durchs nächtliche New York. Karrt krude Gestalten über nassen Asphalt und durch spärlich illuminierte Straßenschluchten.

Nach einer Weile lernt er eine süßlich-freundliche Wahlkampfhelferin aus der upper class kennen. Die erbarmt sich, mit der traurigen Gestalt auszugehen. Bickle führt sie in ein Pornokino aus, in dem betriebsam gewichst und unterdrückt gestöhnt wird. Wenig verwunderlich, dass aus diesem Date ein Speed-Date wird – die Blondine eilt geschockt in ihre Hochglanzwelt zurück. Travis' Hass wächst indes mit jeder Nachtschicht; er wütet verbal gegen den Abschaum auf New Yorks Straßen, der endlich fort gespült werden müsse.

Als Betrachter teilt man unweigerlich Bickles Abneigungen, denn das New York, das Regisseur Martin Scorsese darstellt, es fasziniert durch Dreck, Ekel, Gosse, dampfende Straßen und sonderbare, abscheuliche Gestalten. Scorsese ist neben Woody Allen der andere große Big Apple-Karikaturist – aber wie unterschiedlich beide diese Stadt doch sehen! Oder ist Allens New York nur eine Vorstufe zu Scorseses? Allens New Yorker sind Neurotiker, die wirr im Großstadtdschungel irrlichtern – Scorseses New Yorker sind pathologische Kreaturen, Irre und Verbrecher, die den Dschungel gebändigt haben und dessen eigene Raubtiere wurden. Woody Allens Protagonisten gleichen dem Stereotyp des Anti-Helden. Sie sind liebenswerte Schusseligkeit, indes Scorseses Exemplar schusselig wirkt, aber nichts Liebenswertes mehr verströmt.

Bickles Wut schwillt an. Sein Leben vorgeprägt durch Vietnam, dazu die Abfuhr der Wahlkampfhelferin und dieser Dreck, überall dieser menschliche Dreck, auf den sein Hass immer größer wird – Bickle tickt als Zeitbombe. Er rüstet sich mit Waffen auf, sein Zorn will nun Blut schmecken. Das Pulverfass, das er selbst ist, es muss explodieren. Sein Opfer soll Präsidentschaftskandidat Palantine sein – der Brotgeber seines Speed-Dates, den er für schuldig hält, dass das Stelldichein so grandios gescheitert ist. Er rasiert sich einen Irokesen, stattet sich unter seiner Jacke mit einem Waffenarsenal aus und besucht eine öffentliche Rede Palantines, die zu dessen blutigen Ende geraten soll. Hier gleicht Bickle einem allenschen Schussel, denn er benimmt sich so auffällig und fabelhaft dumm, dass ihn die Sicherheitsleute ins Visier nehmen. Bickle flüchtet, sein Vorhaben ist gescheitert – sein Hass gärt weiter.

Man hat viel darüber gelesen, dass Scorseses Taxi Driver eine One-Man-Show Robert De Niros ist – mit ihm steht und fällt die Qualität des Films, liest man in Kritiken. Das ist aber nicht wahr – oder nur zur Hälfte wahr. De Niro spielt einen Charakter am Abgrund – und das mit einer Intensität, die wie Hellmuth Karasek mal schrieb, viel über De Niros wirkliches Inneres, über sein Unbewusstes aussagt. Aber De Niros Darstellung wäre ohne den heimlichen Star, diesem speckigen und trostlosen New York, fast schon lausig und wenig nachvollziehbar, es wirkte zu dramatisch, zu überspitzt, wie die Dramatisierung eines Seelenkranken. Erst in dieser tristen, mit Leuchtreklamen durchwebten Kulisse kann man begreifen, wie sich ein Gemüt so schnell in Schieflage stellen kann. Bickles Zorn wird nun heilig. Er will die Mädchenhure Iris befreien, die er vor einiger Zeit kennenlernte und mit der er frühstückte. Er sucht bis an die Zähne bewaffnet Iris' Zuhälter auf und erschießt ihn nach einem kurzen Disput – ihn und noch andere Zombies, die nach Drogen und Sexsucht aussahen und deren Tod wahrlich keine Tränen der Trauer herauskitzeln. Bickle selbst erleidet schwere Verletzungen und wird in ein Krankenhaus eingeliefert.

Der Film beschließt mit einem Dankesschreiben von Iris' Eltern. Iris selbst wird nicht dankbar gewesen sein, sie erkannte in ihren Ausbeuter einen Freund – syndromische Grüße aus Stockholm! Der Zuschauer bekommt abschließend eine Wand gezeigt, auf der Pressetexte angebracht sind. Bickle wird darin als Held gelobt, als heiliger Rächer, als Mann der Tat. Man ahnt, er wird für seine Morde nicht ins Gefängnis gehen, man wird auf Notwehr anerkennen. Seine psychische Befindlichkeit wird keinem Arzt auf den Tisch kommen und er wird in Freiheit entlassen werden. Bis er erneut zu einem bersten wollenden Pulverfass wird?

Scorsese unterstreicht mit diesem Finale die öffentliche Doppelmoral, macht klar, dass Mord nicht immer Mord ist. Denn dass er diesem Pack die Lebenslichter ausblies, das ist eine Heldentat – hätte er seinen zunächst geplanten Anschlag allerdings durchgesetzt, er wäre nie der Held des Augenblicks geworden, man hätte ihn zum menschlichen Monstrum umgeschrieben. Ein zufälliger Held! Scorsese entlässt diese schrecklich traurige, schrecklich kranke Figur in ein Leben in Freiheit, er mischt sich wieder unter uns – der Kriegsveteran als unerkannter Fall für die geschlossene Psychiatrie. Travis Bickle kann nur in einer Welt von Ignoranten als freier Mann durchgehen – man ignorierte ihn vormals, als er ein unscheinbarer Taxifahrer war, man ignoriert seine Persönlichkeit und seinen krankhaften Antrieb, den Wahn eines gescheiterten Lebens, auch jetzt noch, da er das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Scorseses Bickle, der ja eigentlich des Drehbuchautors Paul Schraders Bickle ist, erweist sich final als derjenige, der in diesem Film am wenigsten ignorant ist...

by roberto j. de lapuente