Metin Kaplan, der »Kalif von Köln« Dann gibt es erfundene politische Vokabeln, die zwar meist nur eine sehr kurze mediale Überlebensdauer haben, da sie einen konkreten, gegenwärtigen Sachverhalt beschreiben, aber dennoch sehr bedenklich sind. Man denke nur mal an den Begriff des Hasspredigers. Damit wurden ausschließlich islamisch – fundamentalistische Prediger gemeint, die den deutschen Rechtsstaat ablehnen, ggf. zu terroristischen Anschlägen aufriefen und einen islamischen Staat forderten. Dem sogenannten »Kalifen von Köln« wurde dieser Titel zugesprochen. Keine Frage, dass solche Leute rechtsstaatlich zu verfolgen sind, der Begriff des »Hasspredigers« kommt jedoch einer Stigmatisierung gleich. Er ist eine sehr übertriebene Verallgemeinerung, welche das gesamtgesellschaftliche Problem des islamischen Fundamentalismus, auf den Begriff »Hass« reduziert und für eine Hexenjagd auf islamischgläubige Menschen in Deutschland Stimmung macht.
Demonstration gegen das Kopftuchverbot
Ein politischer Begriff, der in den Medien und unter deutschen Politkern ebenfalls sehr beliebt ist, ist die deutsche Leitkultur. Kaum eine zweite politische Vokabel wurde so überladen wie diese. Sie soll die deutsche Identifikation darstellen und verdeutlichen was als »typisch deutsch« gilt. Sie schließt unsere kulturelle Vergangenheit und Gegenwart, mit Kunst, Literatur und Sport ein. Sie beinhaltet unsere Sprache, unsere Wertegemeinschaft und das deutsche Grundgesetz sowie unsere Mentalität und unser alltägliches Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen. Im Laufe der politischen Integrationsdebatte wurde sie wieder mehrfach benutzt. Es wurde von Ausländern, die in Deutschland leben, erwartet, dass sie sich die »deutsche Leitkultur« zueigen machen sollen. Das klang jedenfalls mehr wie Assimilation als Integration. Das makabere daran ist, dass der Begriff der »deutschen Leitkultur« doch geschaffen worden ist, um eine deutsche Selbstfindung erst zu beginnen. Die »deutsche Leitkultur« (wenn man sie so nennen will) steckt, nach dem zweiten Weltkrieg und jahrzehntelanger Orientierung an der amerikanischen Kultur, wohl noch eher in den Kinderschuhen. Die deutsche Identifikation mit dem Begriff, »Das Land der Dichter und Denker« ist nach Hitler jedenfalls vorbei. Wie kann man dann von unseren ausländischen Mitbürgern verlangen, dass sie sich die »deutsche Leitkultur« zueigen machen sollen, wenn wir selbst nicht einmal genau wissen, wer wir eigentlich sind? »Typisch deutsch« ist zumindest unsere weltweit einmalige Bürokratie, unser Steuersystem und vielleicht noch Mallorca. Dementsprechend plädiere ich dafür, dass deutsche Politiker fortan den Arbeitstitel »deutsche Lei(d)kultur« benutzen sollten.
Proteste gegen Agenda 2010
In der Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder am 14. März 2003, nahm die sog. Agenda 2010 ihren Anfang und wurde zum politischen Leitmotiv der damaligen rot – grünen Regierung. Bis zum Jahre 2010 sollte Deutschland eine Reihe von Reformen durchlaufen, welche die Arbeitslosigkeit senken, das Wirtschaftswachstum erhöhen und die sozialpolitischen Ausgaben senken sollte. Die Reformpolitik setzte sich zum Ziel, durch wirtschaftsfreundliche Reformen, die Investitionen der Unternehmen zu erhöhen und damit die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu senken. Die steuerlichen Entlastungen der Unternehmen wurden mit senkenden Sozialausgaben kompensiert. Dies bedeutete eine faktische Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben, einseitig zu Lasten der Armen und Geringverdiener. Um diesen Prozess so gut wie möglich zu verschleiern und um ihn als einzig mögliche politische Alternative zu verkaufenGerhard Schröder am 05.07.2004 in der ARD Sendung Bericht aus Berlin: »es gibt keine Alternative zu meiner Reformpolitik«, war die Neu- und Umdefinierung von politischen Vokabeln ein wichtiger Schritt der Schröder Regierung.
Protestplakat von Attac
Als dann die Agenda 2010 Reformen vom Großteil der Bevölkerung mit großem Unmut aufgenommen wurden, da sie erkannt haben, dass diese Reformen gegen den Großteil der Bevölkerung, jedoch zugunsten einer wirtschaftlichen Oberschicht im Land durchgeführt wurden, sprach die rot – grüne Regierung sofort von einem Vermittlungsproblem. Wenn man Politik gegen den Großteil der Bevölkerung, jedoch zugunsten einer kleinen vermögenden Schicht im Lande macht, dann hat die Regierung kein Vermittlungsproblem, sondern ein Legitimationsproblem. Denn in erster Linie sind Abgeordnete und Minister, Volksvertreter und keine Klientel – oder Lobbyvertreter. Wenn die Regierung diesbezüglich von einem Vermittlungsproblem spricht, drängt sich unweigerlich der Verdacht auf, dass sie ein Großteil des Volkes für absolut dämlich halten muss. Zugleich gibt man mit dieser Formulierung offen zu, die Politik des Sozialabbaus in Deutschland nicht genug verschleiert bzw. getarnt zu haben. BILD Kampagne gegen Henrico F. im Dezember 2006
Das Wort sozial bezeichnet im ursprünglichen Sinne das Wohl anderer im Auge zu behalten (Im Gegensatz zum Egoismus) und fürsorglich auch an die Allgemeinheit zu denken. Rechtlich sozial ist auch die Bundesrepublik, denn nach dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 1) ist die BRD ein sozialer Bundesstaat. Dem zu Folge hat jeder Mensch in Deutschland einen Grundanspruch darauf, dass sich der Staat, wenn man in Not ist um einen kümmert. Von der Schröder Regierung und insbesondere mit der Agenda 2010 wurde massiver Sozialabbau betrieben und infolge dessen, wurde der Begriff des sozialen neu interpretiert und definiert. Der Grundanspruch jedes Bürgers auf Sozialhilfe wurde in Frage gestellt und sogar verunglimpft. Es wurde von der sozialen Hängematte sowie im Zusammenhang mit dem sog. »Florida Rolf«, welcher mithilfe von deutscher Sozialhilfe ein vermeintlich bequemes Leben in Miami Beach führte, von Sozialschmarotzern und Sozialschnorrern gesprochen. Zudem wurde der Begriff des sozial Schwachen häufig dazu missbraucht, einem Geringverdiener, d.h. einem im eigentlichen Sinne finanziell schwachen Menschen, mangelnde soziale Kompetenzen zuzuschreiben. Stereotype Ressentiments, Vorurteile und Verunglimpfungen von Arbeitslosen – und Sozialhilfeempfängern sollten den Weg für eine glaubwürdigere Politik des Sozialabbaus ebnen. »Reformfreudige« Massenmedien, wie z.B. die Springer Presse, halfen dabei.
Märchenerzähler Gerhard Schröder Der jahrzehntelange Grundwert der SPD, die Soziale Gerechtigkeit oder auch die »Verteilungsgerechtigkeit«, wurde seit der Schröder Regierung immer weiter relativiert und entwertet. Zum einen, um sich dem selbstgesetzten Maßstab für die eigene Politik zu entledigen und zum anderen, um ökonomische, liberale Politik betreiben zu können, die ansonsten eher vom bürgerlichen Lager erwartet wird. Um sich den Begriff der »Gerechtigkeit« aber weiter auf die Fahnen schreiben zu können, wurden Begriffe wie »Zukunftsgerechtigkeit«, »Generationengerechtigkeit« und »Chancengerechtigkeit« geschaffen und medial geprägt. Mit der »Generationen – bzw. Zukunftsgerechtigkeit« wurden Haushaltseinsparungen gerechtfertigt, da man der nächsten Generation, d.h. unseren Kindern keine Schulden überlassen wollte. Nur waren diese Einsparungen bei den Kindergärten, bei der Kinderbetreuung, bei den Schulen und Hochschulen besonders hoch. Wer die soziale Ungleichheit in der Gegenwart erhöht, verwirklicht ganz sicher keine Gerechtigkeit in der Zukunft. Die Gerechtigkeit lässt sich nicht von der Gegenwart abkoppeln und beliebig in die Zukunft verschieben. Die »Chancengerechtigkeit« betont die »Eigenverantwortung« und teilt die Menschen, nach einer Rede von Finanzminister Peer Steinbrück bei der IHK Frankfurt am 10.01.2006, in produktive und unproduktive Gruppen. Die Aufgabe des Staates sei es fortan, »Chancengerechtigkeit« herzustellen, indem man sich nur noch um die »Leistungsträger« kümmert. Viele Begriffe der Schröder (und auch der Merkel) Regierung dienen heute dazu, den Sozialabbau zu verschleiern, die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben zu legitimieren und einen immer repressiveren Umgang mit Erwerbslosen voranzutreiben. |