Neusprech: Unrechtsstaat

»Die DDR verweigerte ihren Bürgern die grundlegenden demokratischen Rechte, sie machte Oppositionelle mundtot, und schreckte in Einzelfällen nicht einmal vor Mord und Verschleppung zurück. Sie war ein Unrechtsstaat!«

- Alt-Bundespräsident Roman Herzog am 26. März 1996

Als ein »Unrechtsstaat« wird deskriptiv zunächst ein Staat bezeichnet, der kein Rechtsstaat ist. Während der Terminus Rechtsstaat klar definiert ist (Gewaltenteilung, unabhängige Gerichte, Grundrechte usw.), ist der Begriff des Unrechtsstaates ein schwammiger abwertender und nicht juristischer Begriff. Er wird politisch und medial instrumentalisiert, um einem Staat bzw. Regime einen negativen Stempel aufzudrücken. Weiterlesen

Neusprech: Leistungsträger

»Der Parteichef kündigte an, die FDP werde sich im Fall von Regierungsbeteiligungen stärker um die Leistungsträger in der Gesellschaft kümmern«

- Meldung des Abendblatt vom 7. Januar 2009

Der »Leistungsträger« wird heute als quasi anzustrebendes Idealbild eines Menschen präsentiert und beschworen. Ein solches Individuum zeichnet sich vor allem durch seinen sozialen Status und sein Eigentum aus, häufig sind es sog »Eliten«. Arbeitsplätze zu schaffen, Vermögen anzuhäufen und in der sozialen Gesellschaftsskala zu den oberen Reihen zu gehören, wird in der politischen und ökonomischen Debatte als »Leistung« angesehen. Weiterlesen

Neusprech: Terrorismus

»Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich angesichts der wachsenden Terrorgefahr für eine Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inneren ausgesprochen«

- Meldung von SpiegelOnline vom 2. Juli 2007

Der Slogan »Kampf gegen den Terror« wird in der heutigen politischen Praxis als allgemeine Legitimationsfigur benutzt, um kontroverse politische Entscheidungen zu rechtfertigen: zunehmende staatliche Gewalt, Einschränkung von Bürgerrechten, der Ausbau des Überwachungsstaates sowie die Repression gegen Oppositionelle. Dabei liegt es im Interesse derer, die diese Legitimationsfigur heranziehen, diesen Terminus möglichst schwammig zu halten. Sei es der Paragraph 129a des deutschen Strafgesetzbuches, George W. Bushs »Anti-Terror-Politik«, Russlands Kampf gegen den Terrorismus in Teschetschenien oder Israels Kampf gegen »palästinensische Terroristen« — der Begriff dient als flexible Rechtfertigungsformel ohne ihn exakt definieren zu wollen. Weiterlesen

Neusprech: Freiheit

»Individuelle Freiheit kann es nur in einer Marktwirtschaft ohne Sozialstaat geben«

- Milton Friedman, Vordenker des Neoliberalismus, in seinem Buch »Kapitalismus und Freiheit« von 1984

Die Wissenschaft definiert den Freiheitsbegriff häufig in zwei Unterkategorien: die negative Freiheit als die Freiheit von etwas und die positive Freiheit, als die Freiheit zu etwas. Freiheit von Zwang (negative Freiheit) bzw. die Freiheit zur Entscheidung und ungehemmten Entfaltung der eigenen Person (positive Freiheit) sind die gängigen Definitionen. Untersucht man jedoch den Freiheitsbegriff in der politischen Debatte so wird er fast ausschließlich als rein ökonomische Freiheit definiert. Weiterlesen

Neusprech: Staatsverschuldung

»In verbindlichen Absprachen müssen auf allen Ebenen, Bund, Ländern und Kommunen, ausgeglichene Haushalte erreicht werden, damit die Staatsverschuldung über die Jahre dauerhaft und deutlich gesenkt werden kann«.

- Andre Stolz, stellvertretender Vorsitzender der jungen Union am 29. März 2006 in einer Pressemitteilung

Der gute Roger vom Blog »nebenbei bemerkt« hat schon öfters auf das diskursive Spiel mit der »Staatsverschuldung« hingewiesen. Bei wem der Staat wirklich verschuldet ist (zurzeit ca. 1500 Mrd. Euro) und wie viel die Gläubiger daran verdienen (Im Jahre 2007 ganze 613 Millionen Euro Zinsen), wird öffentlich gern verschwiegen. Was genau ist also Staatsverschuldung und wie wird diese öffentlich instrumentalisiert? Weiterlesen

Neusprech: »sozial«

Sozial ist, was Arbeit schafft — diese Maxime ist oberste Richtschnur unseres Handelns«

- Gemeinsamer Beschluss der Präsidien von CDU und CSU vom 4. Mai 2003

Sozial bedeutet im eigentlichen Sinne des Wortes das Wohl anderer im Auge zu behalten und steht im Gegensatz zum Egoismus. Fürsorglichkeit, Altruismus und Hilfsbereitschaft kennzeichnen eine soziale Einstellung. Das kleine Adjektiv »sozial« wird im heutigen politischen Sprachgebrauch in vielerlei Hinsicht sprachlich normiert, um eigene Ziele und Interessen durchzusetzen. Die vielseitige Sprachmanipulation des Begriffes offenbart eine mehrdimensionale Zielsetzung. Weiterlesen

Neusprech: Unterschicht

»Es gibt in Deutschland keine Unterschicht, sondern nur Menschen die es schwerer haben«

- Franz Müntefering, im Oktober 2006

Als Unterschicht wird eine Gruppe von Menschen bezeichnet, welche nach Bildung, Einkommen, politischen Partizipationsmöglichkeiten und Sozialprestige, soziologisch definiert, den Sockel einer Gesellschaft bilden. Da diese Definition auf eine Kasten‑, Stände oder Klassengesellschaft im Sinne eines modernen Feudalismus aufbaut, wehren sich politische Akteure gegen diesen Begriff und sprechen lieber von »sozial schwachen Menschen« oder vom sog. Prekariat. Weiterlesen

Neusprech: »sozial verträglich«

»HypoVereinsbank will weitere 1.500 Stellen sozialverträglich abbauen«

- Meldung aus der FAZ.net vom 6. Februar 2009

Die Begriffe der »Sozialverträglichkeit« bzw. der Formulierung vom »sozial verträglichen Stellenabbau« sollen suggerieren, dass im Sinne der ethischen und sozialstaatlichen Normen Menschen gekündigt, gefeuert bzw. aus der Firma geworfen werden. »Sozial verträglich« vermittelt eine Metapher des »weichen Fallens« aus der Firma bzw. dem Arbeitsplatz. Insofern ist es in erster Linie ein Euphemismus, welcher die individuelle Situation des soeben Gekündigten ausblendet. Weiterlesen

Der Euphemismus

Der Euphemismus bezeichnet ein Wort oder eine Formulierung, welcher einen Sachverhalt verschleiernd und beschönigend darzustellen versucht. Wie z.B. »heimkehren« für »sterben« oder »Umbau« statt »Abbau«. In George Orwells Dystopie Roman »1984« wurde diese Technik der Sprachmanipulation  bis zur Spitze getrieben. So wurde das öffentliche »Folterzentrum« als »Liebesministerium« und das »Kriegsministerium« als »Friedensministerium« bezeichnet. Euphemismen gehören im politischen Sprachgebrauch auch heute noch zum Alltag. Weiterlesen

Neusprech: Flexibilität

»Bundespräsident Köhler forderte die Bürger Ostdeutschlands zu mehr Flexibilität bei der Suche nach einem Arbeitsplatz auf — Gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West nicht machbar«

- aus der Wirtschaftswoche vom 11.9.2004

Das aus dem lateinischen kommende Wort »flexibel« bedeutet übersetzt zunächst so etwas wie biegsam, elastisch und anpassungsfähig. Flexible Arbeitszeiten können Wochenendarbeit, Nachtarbeit, Teilzeitarbeit, Feiertagsarbeit usw. sein.  Unternehmer fordern heute von ihren Arbeitskräften eine hohe Anpassungsfähigkeit — bei der Bezahlung, dem Arbeitsplatz sowie den Arbeitszeiten. Flexibel im Sinne, wie der Unternehmer es gerade braucht, um den größtmöglichen Profit daraus zu schlagen. Nicht euphemistisch ausgesprochen bedeutet demnach eine hohe Flexibilität eine hohe Ausbeutbarkeit des Arbeiters. Weiterlesen