Zaubersprech

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»Zahlungsziele mit Herz und Verstand!« Plakatwerbung für Mitarbeiter im telefonischen Forderungsmanagement. (gesehen am 10.01.2018 in Berlin)

Die Fixierung auf Schlagwörter, Bullshit-Bingo-Begriffen, Platitüden, Euphemismen, Fachwörter und positiv aufgeladenen Plastik-Vokabeln ist im Jahr 2018 so stark wie nie zuvor. Im politischen Diskurs gibt es unendlich viele neoliberal aufgeladene Kampfbegriffe sowie eine ganze Reihe von Diffamierungsvokabeln, um die Meinungs- und Deutungshoheit aufrecht zu erhalten. Die Marketing- und PR-Branche ist voll mit Bullshit-Begriffen, welche die Realität vertriebsgerecht verbiegen sollen. Ebenso die Ökonomie, die Wissenschaft, die Medizin, die Naturwissenschaften, die Psychologie und alle anderen Bereiche. Selbst in der Pädagogik muss jeder ‑der ernst genommen werden will- mindestens einmal die Wörter Inklusion, Selbstwirksamkeit und Partizipation erwähnt haben.

Es geht häufig kaum noch um Inhalte, sondern primär um den Schein von Argumenten. Um Begriffs-Dropping. Um eine Fassade von Diskurs. Heute kann man problemlos lange wissenschaftliche Texte veröffentlichen oder große Reden halten, bei denen man den gesamten Beitrag nur noch um die Zauberwörter herum baut. Sie fungieren als Wiedererkennungsmerkmal, um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu signalisieren. Sie triggern Narrative, ohne sie direkt zu thematisieren. Zauberwörter funktionieren auch ganz ohne Inhalt. Denn sie sind bereits die Botschaft.


Beispiele für Zauberwörter:
» Neusprech-Begriffe
» Begrifflichkeiten
» Alltagsmarktsprache
» Kriegssprache
» Siegersprache
» Marketing-Deutsch

»Betriebsratsverseuchte Mitarbeiter«

Ein starker Anwärter für das Unwort des Jahres 2009 ist der Begriff »betriebsratsverseuchte Mitarbeiter«. Am 19. Januar 2010 wird das Unwort des Jahres 2009 gekürt werden. Dieser Begriff zeigt wieder einmal, wie die derzeitige Sprache in Deutschland durch herrschende Interessen korrumpiert wird. Menschen, die sich für Arbeitnehmer-Interessen einsetzen, sind schlicht krank, verseucht — müssen geheilt oder entsorgt werden. Im Jahr 2008 wurde der Begriff »notleidende Banken« zum Unwort des Jahres gekürt. In einer Zeit, in der Lohnarbeiter wegen 1,30€ Pfandbons oder wegen Frikadellen entlassen werden und in der die Repressalien gegenüber Lohnarbeitern ständig zunehmen, in der Banken verantwortlich für eine Wirtschaftskrise sind, die tausende Existenzen an den finanziellen Ruin bringen wird — versuchen Begriffe wie »notleidende Banken« und »betriebsratsverseuchte Mitarbeiter« eine Monopolisierung der Wirklichkeitsdeutung voranzutreiben, jenseits der Realität.

Unwort 2008: notleidende Banken

Seit 1991 prämiert eine Jury aus Sprachwissenschaftlern das »Unwort des Jahres« um auf besondere Euphemismen, Sprachverschleierungsstrategien oder menschenverachtende Formulierungen aufmerksam zu machen. Das Unwort des Jahres 2008 ist »notleidende Banken«. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise  mit diesem Begriff auf den Kopf gestellt werde. Während die Volkswirtschaften in ärgste Bedrängnis geraten und die Steuerzahler Milliardenkredite mittragen müssen, werden die Banken mit ihrer Finanzpolitik, durch die die Krise verursacht wurde, zu Opfern stilisiert, so die Jury. Wie die TAZ richtig festgestellt hat, erwecke der Terminus doppeltes Mitleid: die Banken seien nicht nur in »Not«, sie »leiden« auch.