Seit vielen Jahren habe ich die Blätter für deutsche und internationale Politik sowie die Le Monde Diplomatique abonniert. Ich fühle mich stets mit vielen interessanten und alternativen Blickwinkeln, Analysen, Interpretationen und Bewertungen versorgt. Doch in letzter Zeit lese ich immer wieder Beiträge in beiden Publikationen, die unverhohlen im NATO-Mainstream-Meer fischen. Zwar gibt es immer wieder sehr gute, linke und kritische Berichte, Artikel und Reportagen, aber sobald es beispielsweise um Themen wie Trump oder Putin geht, wird- ähnlich wie auf Spiegel Online, Zeit, Welt oder sueddeutsche.de– nicht selten der Populismus- und Verschwörungstheorie-Hammer geschwungen und/oder häufig sehr einseitig analysiert. Dafür habe ich diese linken Monatszeitungen aber nicht abonniert. Weiterlesen
Schlagwort-Archive: Sprache
Werbesprech
Sprache lenkt Denken, Meinung und Wertung. Häufig subtil, indirekt und schleichend. Assoziationen und Konnotationen werden konstruiert und/oder ausgebeutet. Politik, Wirtschaft und Medien instrumentalisieren stets die Sprache im Sinne ihrer Interessen. Im Medienzeitalter sind Neusprech, Euphemismen, Bullshit-Bingo-Phrasen, Diffamierungsbegriffe und Umdeutungen ganz reale Alltagsphänomene. Insbesondere die kommerzielle Propaganda mit ihren Werbe‑, PR- und Marketing-Soldaten tauchen die Wahrnehmung unserer Lebenswelten in zwangsoptimistische Blendlichter:
- Gratis, umsonst und kostenlos statt: Sie zahlen mit ihren Daten, ihrer Zeit und ihrer Aufmerksamkeit
- Hype statt Übertreibung, Lüge und einseitige Berichterstattung
- Sponsored Story/Advertorial statt gekaufter Beitrag
- Hardware-News statt versteckte Produkt-Reklame
- Messe/Pressekonferenz statt Dauerwerbeveranstaltung
- Leak statt PR-Meldung
» Marketing-Deutsch
» Der Gratis-Schwindel
» Neusprech: Authentisches Marketing
Die Einzelfalltheorie
Wann immer ein Skandal, eine Affäre oder eine Vertuschungsaktion ans Licht kommt, wird jegliche Form von strukturellen Gegebenheiten komplett negiert.
- Doktor-Plagiate von Politikern waren »Einzelfälle«.
- Der VW-Abgasskandal war eine »unglückliche Verkettung von Ereignissen«.
- Die Vernichtung von NSU-Akten beim Verfassungsschutz war eine »Panne«.
- Die konformistische Massenmedien-NATO-Gleichschaltung ist nicht nur »Zufall«, sondern auch eine »verschwörungstheoretische Sichtweise«.
- Die Zunahme von Allergien und Krankheiten haben nichts mit Umweltgiften oder gesundheitlich fragwürdigen Zusatzstoffen in Lebensmitteln und Kosmetikprodukten zu tun, sondern sind traurige, aber eben auch »individuelle Schicksale«.
- Lobbyisten, die in Ministerien an Gesetzen mitschreiben, Wissenschaftler, die Studien im Industrie-Interesse veröffentlichen oder Politiker, die von Unternehmen großzügig bezahlte Vortragshonorare erhalten, sind keine systematische Korruption, sondern »einmalige Vorfälle«.
Merke: es gibt keine negativen flächendeckenden, strukturellen Zustände und Rahmenbedingungen in Deutschland und in der Welt, sondern nur die »Eigenverantwortung«. Mit diesem Narrativ versteckt der Neoliberalismus seit Jahrzehnten sehr erfolgreich die gezielt geschaffenen Strukturen, die den Interessen der Superreichen dienen.
Euphemistische Vorwurfsprache
In der zwischenmenschlichen Kommunikation gibt man sich selbst gerne Blankoschecks, um anschließend vermeintlich verletzende und/oder kritische Dinge sagen zu dürfen. Vorwürfe will man so relativieren, abschwächen oder legitimieren, weil man nicht auf sie verzichten will. Dabei sollten klare Ansagen und Aussagen nicht generell im Widerspruch mit Höflichkeit und Rücksichtnahme stehen. Und auch komplett ohne Vorwurfssprache auskommen können. Beliebte Phrasen sind:
„Bitte nicht falsch verstehen!“
„Ist nicht persönlich gemeint!“
„Nichts gegen Dich, aber…“
„Das ist jetzt nicht böse gemeint!“
„Nimm‘s mir nicht übel, aber...“
Neusprech: Kaufkraftarmut
„Demnach beträgt der Anteil der Kaufkraftarmen in Berlin 21,3 Prozent, nur in Bremen gibt es mit 24,6 Prozent noch mehr Kaufkraftarmut.“
tagesspiegel.de vom 2. März 2017
Der Begriff „Kaufkraftarmut“ setzt sich aus den Wörtern Kaufkraft und Armut zusammen. Das Institut für Wirtschaft in Köln definiert das Schlagwort so: „Die Kaufkraftarmut ist der Anteil an Personen mit einem Einkommen von weniger als 60 Prozent des regional preisbereinigten deutschen Medianeinkommens; in Prozent der Bevölkerung.“ Um den Begriff der Armut werden regelrechte Diskurs- und Statistik-Kriege geführt. Immer mit dem Ziel, Massenarmut weg zu rechnen und finanzielle Existenznot von Millionen von Menschen in Deutschland nicht anzuerkennen, weil sie nach Statistikberechnung X oder Methode Y nicht mehr als arm gelten (sollen). Weiterlesen
Sprache der Liebe (Update)
Nach rund sieben Jahren zum ZG-Artikel »Sprache der Liebe« gibt es heute ein paar Ergänzungen (weitere Beispiele gerne in den Kommentaren!). Für mich ist es mittlerweile offensichtlich, wie sehr unsere zwischenmenschlichen Beziehungen sowie unsere Sprache von marktwirtschaftlichem Denken geprägt sind (Erich Fromm hat dies in der »Kunst des Liebens« bereits vor über 50 Jahren prognostiziert). Angebot und Nachfrage, Besitz‑, Konsum‑, Haben- und Profitdenken, Wettbewerb, Konkurrenz, Egoismus und Eigennutz bestimmen unsere tatsächlichen Vorstellungen von der Liebe. Auch wenn sie in der Unterhaltungsindustrie häufig romantisch-esoterisch verklärt wird.
- »Du bist mir echt zu billig!«
- »Das Vertrauen hat sich ausgezahlt, wird sich sicher auszahlen.«
- »Eine Bilanz von der Beziehung ziehen. Die Beziehungsbilanz.«
- »Davon profitieren wir beide!«
- »Diese Beziehung hat sich nicht mehr gelohnt.«
- »Das hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.«
- »Deine Aussage nehme ich für bare Münze.«
- »Das kommt mir teuer zu stehen.«
- »Ich will ihn/sie haben.«
- »Die Zeit mit ihm/ihr war unbezahlbar!«
- »Aussehen und Sozial Status bestimmen meinen Marktwert.«
- »Kaufst Du ihm das ab?«
- »Es war eine kostbare Zeit. Und hat mein Leben bereichert. Es war ein Gewinn für mich.«
Bullshit-Bingo-Begründungen
Gibt es einen Skandal, eine Affäre oder irgendeinen anderen politischen Missstand, so werden typische Argumentationsmuster aus der PR-Mottenkiste für die Steigbügelhalter des Kapitals geholt. Sofern überhaupt auf die entsprechenden Fragen geantwortet, ihnen nicht ständig ausgewichen oder sie sogar komplett ignoriert werden. Dabei müssen entsprechende Lego-Gummibegriffs-Hülsen nicht zwingend selbst erwähnt werden, es wird jedoch jegliche Verantwortung abgestritten. Politik beschließt Gesetze, für dessen Folgen sie dann aber nicht mehr haftbar gemacht werden will. Schuld ist dann:
Die Eigenverantwortung.
Das Vermittlungsproblem.
Der Markt.
Der Russe.
Der Einzelfall.
Der Sachzwang.
Die Alternativlosigkeit.
Die Globalisierung.
Der Terrorismus.
Die andere Partei.
Ökonomische Herrschaftssprache
Wachstum
Wachstumsprognosen
Märkte
Zinsen
Finanzsektor
Wettbewerb
Haushaltskonsolidierung
Investoren
Geldpolitik
Staatsanleihen
Konjunkturerholung
Austeritätspolitik
Kapitalrendite
Freihandel
Kreditausfälle
Alle Begriffe stammen aus dem Artikel »Im Labyrinth des Kapitals« von Cedric Durand aus der linken Monatszeitung »Le Monde Diplomatique«, Ausgabe Februar 2017. Ist Denken, Handeln und Analysieren in nicht-ökonomischen Maßstäben und Kriterien eigentlich noch möglich? Wenn Linke die Sprache der Neoliberalen sprechen, welche echten Alternativen sind dann überhaupt noch denkbar? Oder um es mit Marcuse zu sagen: „Der Bruch mit dem herrschenden Konformismus lässt sich nicht in einer konformistischen Sprache formulieren.« (Herbert Marcuse. »Spuren der Befreiung«. Hermann Luchterhand Verlag. 1981. S. 14)
Kriegssprache
Wir leben in medialen Vorkriegszeiten. Immer mehr Menschen wird das bewusst, auch wenn es leider noch viel zu viele gibt, die sich in ihre Biedermeier-Weltverleugnungs-Glasbunker einigeln und glauben, verschont zu werden. Das erste Opfer zur Vorbereitung eines Krieges ist nicht die Wahrheit, sondern die Sprache. Ein Feind und Gegner muss aufgebaut, die Emotionen müssen gelenkt werden. Begriffe werden erfunden und neu besetzt. Assoziationen und Konnotationen eigennützig ausgenutzt. Bedeutungen verdreht und ins Gegenteil gekehrt. In Syrien tobt bereits ein Stellvertreter-Krieg und Russland wird als Staatsfeind Nummer Eins erklärt. Unsere NATO-Kriegspropaganda-Presse leistet hierbei ganze Arbeit.
- Putin und Assad sind Machthaber, Diktatoren und Autokraten statt gewählte Präsidenten.
- Erklärte NATO-Gegner sind nicht an der Spitze einer Regierung, sondern eines Regimes.
- Es gibt auf NATO-Seite keine Terroristen, Milizen, Söldner und Mörder, sondern gemäßigte Rebellen und Freiheitskämpfer.
- Ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg wird zu: Offensive, eine präventive/kollektive Selbstverteidigung oder zu einer humanitären Intervention.
- Aleppo wurde zerstört. Mossul wird befreit.
- Souveräne Staaten werden nicht angegriffen oder völkerrechtswidrig bombardiert, sondern ihnen wird Freiheit und Demokratie gebracht.
Die AfD, Pegida, Le Pen und Trump sind schlimme Rechtspopulisten, aber die rechtsradikalen Minister in der ukrainischen Regierung, die Steinzeit-Diktatur Saudi-Arabiens und auch die Autokratie in der Türkei, sind kein demokratisches Problem.
Presseblick (58)
Soll das (Real-)Satire sein? NSA-Total-Überwachung, politische Massenverarmungs-Programme (Rente, Hartz4, Niedriglohnsektor etc.), völkerrechtswidrige Angriffskriege (Serbien, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen), mehr als 5.000 willkürliche Drohnenmorde, Waffenexporte in Steinzeit-Diktaturen, eine gleichgeschaltete Lücken‑, Kauf‑, System‑, Vertriebs- und (Kriegs-)Propagandapresse, Steuerhinterziehungs-Skandale, rechtloses Guantánamo-Bay-Gefängnis, Abu-Ghraib-Folter, dutzende illegale Regime Change seit über 50 Jahren, weltweite CIA-Foltergefängnisse, Landgrabbing, finanzielle Unterstützung von Terrorgruppen, alltäglicher imperialer, neokolonialer Wirtschaftsterror und und und. Von welcher »freien Welt« spricht Herr Gathmann? Weiterlesen