Neusprech: Verschwörungstheorie

»Verschwörungstheorien sind abstrus, sie vermischen Fakten mit erfundenen Behauptungen, und was allen gemeinsam ist:  sie bauen auf stereotypen Feindbildern auf.«

- planet-wissen.de

Der Begriff Verschwörungstheorie ist meist negativ konnotiert und soll Ansätze und Erklärungsversuche zu bestimmten Sachverhalten diskreditieren oder sogar lächerlich machen. Die Behauptung ist, dass jemand mit seiner Erklärung, eine »Verschwörung« zu sehen scheint und damit nicht ernst genommen werden müsse. Ob der Erklärungsansatz der Wahrheit entspricht oder nicht, spielt hierbei primär keine Rolle, es geht um die Verunglimpfung eines Erklärungsversuchs. Außerdem soll dem vermeintlichen »Verschwörungstheoretiker« einen mangelnden Realitätsbezug, Paranoia und Unsachlichkeit vorgeworfen werden. Dabei funktioniert das Schlagwort auf mehreren Ebenen. Weiterlesen

»Verdacht auf versuchte Vergewaltigung«

»Von der Luxussuite in die Einzelzelle. IWF-Chef Strauss-Kahn ist auf die Gefängnisinsel Rikers Island gebracht worden. Der wegen des Verdachts auf versuchte Vergewaltigung festgenommene Franzose soll dort mindestens bis Freitag bleiben.«

- SpiegelOnline vom 17. Mai 2011

Anmerkung: Es liegt ein Verdacht vor und die Vergewaltigung war »versucht«. Das ist doppelt unklar und schwammig. Beim Spiegelfechter gibt es dazu einen guten Beitrag und die These, dass Strauss-Kahn, ähnlich wie Julian Assange, den Neoliberalen ein Dorn im Auge war und ausgeschaltet werden sollte. Der Vergewaltigungsvorwurf klappt da immer. Denn selbst, wenn der »Versuch« und der »Verdacht« ausgeräumt werden können, es wird ihm immer nachhängen. Bevor die Untersuchungen nicht abgeschlossen sind, will ich hier aber auch nichts behaupten. Die Formulierung »Verdacht auf einen Versuch« klingt indessen für mich sehr verdächtig.

Neusprech-Abteilung der Bundesregierung

Die Bundesregierung unterhält seit Mai 2009 einen sog. »Redaktionsstab Rechtssprache«. Das Bundesministerium der Justiz gönnt sich somit eine Sprachberatung der Gesellschaft für deutsche Sprache. Nach eigenen Angaben hilft der Redationsstab bei der sprachlichen Feinarbeit von Gesetzestexten. Er arbeite adressatengerecht, frühzeitig, kontinuierlich, fachübergreifend und unabhängig.

Gleichzeitig sind verständliche Gesetze ein wichtiger Beitrag zu Bürgernähe und Bürokratieabbau.

- Redaktionsstab Rechtssprache

In der Praxis geht es um Verschleierung und die Schaffung von wohlklingenden Euphemismen. Im neuen ALG2-Gesetz fehlt demnach der Begriff »Hartz4« völlig. Stattdessen überlege man Begriffe wie »Chancenförderungsgesetz«, »ChaföG« –  in Anlehnung an BAföG – oder »Chancenförderungsgeld« zu verwenden.

Niemand soll mehr daran erinnert werden, wie menschenfeindlich das Gesetz ist und dass es nach einem korrupten VW-Mann benannt wurde. Ich werde auch in Zukunft bei »Hartz4« bleiben. Wir machen uns durch Sprachnormierung die Welt so, wie sie uns gefällt.

Neusprech: unpolitisch

Angepasst, gleichgültig, konzeptlos, beliebig, unpolitisch, unsolidarisch – so sind die Studenten von heute. Dieses düstere Bild zeichnet die Studie der Arbeitsgruppe Hochschulforschung der Universität Konstanz, die im Auftrag des Bundesforschungsministeriums knapp 9000 Studenten befragte.

- der Westen vom 20. Februar 2009

Das Adjektiv unpolitisch bezeichnet eine vermeintliche Haltung und Einstellung, nach der man wenig bis gar nicht, an politischen Vorgängen, Geschichte, Parteien und Politikern interessiert sei. Der Unpolitische gibt sich undogmatisch, objektiv, hedonistisch, politikverdrossen, meinungs- und ideologiefrei. Er geht dem Thema Politik am liebsten aus dem Weg und glaubt, es könne ein Leben ohne Politik geben. Da das Wesen der Politik allumfassend ist und Bereiche wie Macht, Gesellschaftsordnung, Ökonomie, Gesetz, Ethik, Weltanschauung und vieles mehr betrifft, ist die Behauptung, man sei unpolitisch, Illusion und Selbstlüge. Weiterlesen

Gesetzlich festgelegte Individualität

Die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts aller in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bemisst sich nach der individuellen Bedürftigkeit. Die individuelle Bedürftigkeit ergibt sich aus dem gesetzlich festgelegten Bedarf, gekürzt um Einkommen und Vermögen.

- Jobcenter Berlin Spandau

Anmerkung: Das Bürokratensprech pervertiert den Begriff der Individualität in ein Oxymoron. Eine Individualität, die anhand von vorher festgelegten Kriterien bestimmt wurde, ist keine mehr. Das Individuum bestimmt  nicht mehr, was für es gut ist, sondern der Staat definiert die Bedürfnisse des Einzelnen. Die »individuelle Bedürftigkeit« wird nicht berechnet, sondern verrechnet. Wer zu individuell (und zu bedürftig) ist, dem schlagen die vollen Härten des SGB2 und SGB3 entgegen. Unterordnen, anpassen, gehorchen, mitmachen — kurz: der ALG2-Empfänger hat seiner »Mitwirkungspflicht« nachzukommen und nicht seiner Bedürfnisse.

Neusprech: Islamismus

»Es bestehe der Verdacht, dass es sich um eine islamistisch motivierte Tat handele, erklärte die Behörde am Donnerstag in Karlsruhe.«

- Meldung in faz.net vom 3. März 2011

Wann immer es in Deutschland um den Islam geht, sind zwei Methoden erkennbar. Erstens gibt es eine große (gewollte) Unschärfe und Schwammigkeit bei der Verwendung der Begriffe »Islam«, »Islamismus«, »Islamisten«, »Islamisierung« usw. Der »Islamismus« bezeichnet einen Sammelbegriff für allemöglichen religiösen und politischen Strömungen innerhalb des Islam. Es gibt also nicht den Islamisten, genauso wenig wie es den Christen gibt. Es gibt Sunniten, Wahabiten, Salafisten, Schiiten, Fundamentalisten usw. Hinzu kommen etliche Strömungen, die sich nur schwer einordnen lassen oder nur an andere Ideologien  angelehnt sind, wie z.B. die Baath-Partei des damaligen irakischen Ex-Diktators Saddam Husseins. Zweitens fällt der Begriff »Islamismus« häufig in Verbindung mit dem Schlagwort »Terrorismus«, so wird suggeriert, als sei jeder Muslim zugleich auch ein fanatischer Fundamentalist.

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Neusprech: Gehaltsvorstellung

»Unter Angabe Ihrer Gehaltsvorstellung«

- eine häufige Formulierung in Stellenanzeigen

Die Formulierung im Zitat stellt die Frage nach der eigenen finanziellen Wertigkeit. Die Phrase unterstützt die Vorstellung, nach einer vermeintlich leistungsgerechten Bezahlung. Dazu müsste man aber Leistung seriös messen können. Leistet ein Manager mehr, als eine Putzfrau? Eine Krankenschwester weniger, als ein Banker? Wie misst man Leistung? An der Bezahlung? Dann dreht man sich im Kreis: Leistung ist gleich Bezahlung und Bezahlung ist gleich Leistung. Weiterlesen

Ein Skalpell zum Schmusen

Gerade im Web entdeckt. Das muss man nicht mehr kommentieren, oder? Obwohl, vielleicht ein Zitat von SpiegelOnline vom 13. Juni 2006, gefällig?

Die Opfer der Fettklempner landen mit inneren Blutungen, Gefäßverschlüssen oder durchsiebten Organen auf den Intensivstationen, wo Mediziner tage- und wochenlang mit gewaltigem Aufwand um ihr Leben ringen.

Gleich anrufen und einen Termin vereinbaren! :bulle:

Neusprech: Ausbildungsunfähigkeit

»Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass jeder junge Mensch, der ausbildungswillig und ausbildungsfähig ist, ein Qualifizierungsangebot erhält, das zu einem Berufsabschluss führt.«

- Berufsbildungsbericht 2010, herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Seite 3

Seit Jahren beklagen Unternehmen, dass viele Jugendliche nicht mehr ausbildungsfähig seien. Gemeint sind damit mangelnde schulische Leistungen, vor allem in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik. Angeblich seien jedes Jahr 25–50% aller Schulabgänger nicht ausbildungsreif. Die Zahlen schwanken, je nachdem ob die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder sich die Bundesregierung zu diesem Thema äußern. Weiterlesen

Der Datenmensch

Wir sehen keine Patienten, wir sehen Daten.

- Aussage eines anonymen Managers eines Unternehmens, dass klinische Studien in Osteuropa betreibt. Zitiert aus »Arme Schlucker«, Dezember-Ausgabe der le monde diplomatique, von Carl Elliot, Seite 12

In der Dezember-Ausgabe der le monde diplomatique gibt es einen interessanten Artikel über das Millionen-Geschäft der klinischen Studien. Menschen als Versuchskaninchen für neue Medikamente. Die Pharmaindustrie nennt sie euphemistisch Probanden. Nachdem es in den USA einige spektakuläre Skandale im Rahmen von klinischen Studien gab (Probanden an denen Psychopharmaka und Antidepressiva getestet wurden begannen Suizid), starteten große Pharmakonzerne, wie z.B. Eli Lilly, eine PR-Kampagne. Demnach sind Versuchskaninchen auch keine Probanden mehr, sondern Medical Heroes: Helden der Medizin.