Ab dem 1. Juli 2011 startet der neue Reichsarbeitsdienst Bundesfreiwilligendienst (BFD). Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) kann man sich für mindestens 6 und maximal 24 Monaten freiwillig verpflichten, im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich tätig zu werden. Hintergrund ist die Aufhebung der Wehrpflicht und dem damit verbundenen Ausfall von ca. 90.000 Zivildienstleistenden. Nach Wunsch des BMFSFJ sollen zukünftig 35.000 Männer und Frauen den Dienst absolvieren. Der Dienst ist Vollzeit und unterliegt dem Arbeitsschutzgesetz. Bezahlt wird ein Taschengeld bis maximal 330 Euro pro Monat. Es werden alle Leistungen zwischen Freiwilligen und Einsatzstelle vereinbart. ALG 2 Empfänger dürfen maximal 60 Euro vom Taschengeld behalten, können aber zusätzlich eine Versorgungspauschale von 30 Euro sowie Fahrtkosten beantragen. Laut einer Broschüre des BMFSFJ soll der Bundesfreiwilligendienst arbeitsmarktneutral ausgestaltet sein, d.h. die Freiwilligen verrichten unterstützende, zusätzliche Tätigkeiten und ersetzen keine hauptamtlichen Kräfte.
Das Interesse vom BMFSFJ und der Bundesregierung liegt demnach eindeutig darin, die Zivis mit billigen und unqualifizierten Arbeitskräften zu ersetzen. Denn:
Alle Bürgerinnen und Bürger, die ihre Pflichtschulzeit absolviert haben, können Bundesfreiwilligendienst machen: Junge Menschen nach der Schule, Menschen in mittleren Jahren und Seniorinnen und Senioren. Alter, Geschlecht, Nationalität oder die Art des Schulabschlusses spielen dabei keine Rolle. [...] Für Ihre Tätigkeit benötigen Sie keine fachliche Ausbildung.
- BMFSFJ
Salopp formuliert: wir nehmen Jeden. Hauptsache, er kostet uns nichts und macht keinen Ärger. Der soziale, kulturelle, und ökologische Bereich ist der Bundesregierung keinen Pfifferling wert. Da werden, wie bei den 1 Euro-Jobbern, Erwerbslose und oft Fachfremde, zumeist nicht immer freiwillig, auf ältere Menschen, Behinderte und Kinder losgelassen. Man könnte auch erwerbslose Fachkräfte anständig bezahlen und ggf. aus- und weiterbilden. Aber dafür gibt es bei den sozialen Trägern und bei der Bundesregierung wenig Interesse. Ganz Im Gegenteil wird auch weiterhin im öffentlichen Sektor, in Kultur, Gesundheitswesen, Pflege und Bildungssystem massiv gespart und privatisiert. Das Argument der Arbeitsmarktneutralität indessen wurde schon beim Zivilidenst, den 1‑Euro-Jobs und beim FSJ beschworen und stellte sich als große Lüge heraus. Denn wenn die Zivis wirklich arbeitsmarktneutral gewesen wären, weshalb braucht man dann einen Ersatz?
Der Slogan der BFD-Kampagne »Nichts erfüllt mehr als gebraucht zu werden« ist bei genauerer Betrachtung an Neusprech-Zynismus kaum zu überbieten. Er soll Millionen erwerbslose und ausgegrenzte Menschen in Deutschland ansprechen, denen man ständig ihre Wertlosigkeit und Überflüssigkeit in Ämtern, Behörden und Bewerbungsabsagen klar gemacht hat. Nun will man der selbst geschaffenen »prekären Masse« weismachen, sie würden gebraucht. Das Festhalten von Politik und Wirtschaft an menschenverachtender neoliberaler Ideologie, grenzt auch weiterhin Millionen Menschen in Deutschland aus. Der Bundesfreiwilligendienst ändert nichts an herrschender Macht und Ungerechtigkeit, er verfestigt die Zustände. Denn nun wird den Ausgegrenzten gesagt: »Seht her, ihr Schmarotzer, ihr Überflüssigen, ihr Nichtsnutzer, ihr Ballast-Existenzen — wir haben etwas für euch! Ihr dürft euch gebraucht fühlen, ihr seid wichtig, wir geben euch einen Sinn im Leben!« (und wir, die Bundesregierung, spart Geld.)
Bleibt abzuwarten, wann der erste Vorschlag kommt, im Sinne einer gemeinwohlorientierten Erziehung am Volkskörper Deutschland, die Freiwilligkeit zur Pflicht zu machen. Ungefähr in der Art z.B.:
Der Reichsarbeitsdienst ist Ehrendienst am deutschen Volke. Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volke im Reichsarbeitsdienst zu dienen. Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen. Der Reichsarbeitsdienst ist zur Durchführung gemeinnütziger Arbeiten bestimmt.
- Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935
Fügt sich doch ganz wunderbar in die bisherige Linie des Arbeitsfetischismus ein. Über Anerkennung oder sogar so etwas wie Würdigung muss die Regierung hier gar nicht tätig werden. Arbeit selbst verleiht doch gemäß dieser Ideologie dem Menschen Würde.
Zuletzt hat in Deutschland der Nazismus Menschen wie bloße wirtschaftliche Verfügungsmasse behandelt. Wen man nicht verjagen oder töten konnte, der musste sich eben nützlich machen, damit man immerhin noch einen Vorteil aus seinem würdelosen Dasein ziehen konnte.
Vielleicht ist es noch menschenverachtender, wenn man den gebeutelten und unerwünschten von Hoffnung ins Gesicht lügt, um sich selbst als Samariter preisen zu können, als wenn man offen hetzt und hasst.
Ich habe das mit der Zusätzlichkeit nie verstanden. Alle Aufgaben in einer Gesellschaft müssen verrichtet und anständig bezahlt werden.
Ich denke der BFD wird ein ziemlicher Flop, aber warten wir es ab. ALG II Bezieher die BFD machen, fallen mit Sicherheit aus der Statistik. Hast du da Infos zu?
@Bluntman
Sicherlich werden die Freiwilligen aus der Statistik fallen. Sie sind ja »beschäftigt« (siehe auch hier). Ich denke aber auch, dass der BFD ein Flop wird. In Zeiten von Niedriglohnjobs, de faktische Rentenkürzungen, Altersarmut, Praktikas, Hartz4 und Leiharbeit ist der BFD zynisch.
Nagut denn. Editiert sieht es ungefähr so aus:
Der Bundesfreiwilligendienst ist ein Ehrendienst an Deutschland. Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Land im Bundesfreiwilligendienst zu dienen. Der Bundesfreiwilligendienst soll die Bürger des Landes im Geiste der Demokratie zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen. Der Bundesfreiwilligendienst ist zur Durchführung gemeinnütziger Arbeiten bestimmt.
Schwierigkeiten hatte ich bei der Formulierung »Volksgemeinschaft« aber bei der Sarazzinisierung der Volksgenossen fällt das vielleicht gar nicht auf.
Die wichtige Frage lautet jetzt: wer hat genug kowhow um den Text auf der Bundesfreiwilligendienst- Seite auszutauschen? Und denn machen wir ne schöne Wette, wie lange es braucht bis die das spitz kriegen. Ich setze auf X (als Mutmaßung von einem von Euch) plus min. 20 Minuten. Und bitte: Champagner, keinen Fusel...:-)
@bucca_t close enough?
Klick: BFD neu
Also der Webauftritt vom BFD ist ja mal grottenschlecht. Diese blöde Karte mit ihren sinnlosen Punkten braucht ewig bis sie geladen ist.
Habe mal für meine Stadt geguckt und das Universitätsklinikum Münster sucht 50 Leute für den BFD »nach Absprache«
Gesucht werden die hauptsächlich für
— Pflege
— Versorgungsbereich
— Fahrdienst, Patiententransporte
— Hol- und Bringedienst
Was für eine Farce. Das sind natürlich alles »arbeitsmarktneutrale« Tätigkeiten.
@jtheripper
jep. und sach mal, tauch das jetzt auch so auf tatsächlich? ich meine, ich habe vom gesichtsbuch keinen schimmer. tolle sache. und wer macht jetzt bei der wette mit?
Ein Arbeitsdienst in notleidenden EU-Ländern und inarabischen Ländern könnte zur Verbesserung der Infra-Struktur durchaus positiv wirken.
Natürlich sollte dies im demokratischen Geiste freiwillig geschehen.
Dies wäre doch besser als phlegmatisch auf Hilfe von oben d.h. vom Staat
zu warten und die Zeit demonstrierend oder im Cafehaus sitzend zu verebringen. Nun wird ein solcher Vorschlag in Erinnerung an den Reichsarbeitsdienst ansonsten nicht gemacht oder gar beachtet. Also, macht
man lieber nichts. Die Hauptsache man kann über die Politiker, auch die die
wirklich den notleidenden Ländern helfen wollen, schimpfen. Glückauf!
@Pantlen
Beim BFD steckt kein humanistischer Gedanke dahinter, der die Gesellschaft altruistisch und menschenwürdig verbessern möchte. Es geht um billige Arbeitskräfte, um Geld sparen, um Geiz und Gier. Während für Banken hunderte Milliarden rausgeworfen werden, ist der soziale, kulturelle und ökologische Sektor der Bundesregierung nichts wert. Ernsthafte Veränderungen kosten eben auch und sind nicht billig zu haben!
Davon abgesehen würde ich mich freuen, wenn in Deutschland mehr Menschen auf die Straße gehen würden.