Am 20.Oktober 2010 führte ich ein Gespräch mit Helena (Name geändert), einer Erzieherin, die an einer Grundschule in Berlin seit 3 Jahren arbeitet. Dort betreut sie mit anderen Erziehern insgesamt 250 Kinder im Alter von 6–12 Jahren. Ich stellte ihr Fragen zum Thema Mobbing, Handykultur, Pubertät, Elternarbeit und Erziehung.
Epikur: Was kennzeichnet, Deiner Meinung nach, die heutige Pubertät von Jugendlichen?
Helena: Jugendliche beginnen Normen und Werte in Frage zu stellen d.h. sie beginnen zu rebellieren. Sie testen ihre Grenzen aus und wollen eigene Normen aufbauen. Viele Jugendliche finden sich dann in sog. »Peergroups« (Gruppe von Gleichaltrigen) zusammen, die sich vor allem gegen elterliche Normen und Regeln behaupten wollen. Außerdem verändert sich der Körper von Jugendlichen und damit einher geht die Geschlechteridentifikation. Das Erstaunliche ist aber, dass Kinder und Jugendliche nach ihrer Rebellionsphase, die Normen und Werte ihrer Eltern übernehmen.
Epikur: Inwiefern beeinflusst die Handykultur die heutige Jugend?
Helena: Das Handy ist schon bei den Kleinsten ein Statussymbol, jedes zweite Kind bei uns hat ein Touchscreen-Handy. Wir haben es beobachtet und mittlerweile festgestellt, dass sie nicht sachgemäß verwendet werden. Als wir Handys eingezogen haben, fanden sich auf ihnen pornographisches und gewaltverherrlichendes Material. Wir haben mit den Eltern gesprochen und ihnen gesagt, dass Kinder bis zur 3. Klasse einfach kein Handy brauchen, denn es gibt genug Telefonnummern innerhalb der Schule, wo wir erreichbar sind.
Epikur: Wie zeigt sich Mobbing bei Kindern bzw. welche Arten des Mobbings gibt es bei Kindern und Jugendlichen?
Helena: Wegen Fettleibigkeit und der Nationalität werden Kinder am meisten diskriminiert und gehänselt. Die Ausgrenzung durch Markenklamotten geht vermutlich erst mit 16 Jahren los. Da fallen wegen der Hautfarbe, z.B. Sprüche wie »deine Mutter schmeckt nach Schokolade«. In den letzten Jahren hat sich diese Tendenz noch verstärkt. Ich bin auch der Meinung, dass die Kinder das von den Eltern und dem Fernseher lernen.
Epikur: Welche Auswirkungen bzw. Folgen kann es haben, wenn Kinder ständig im Mittelpunkt stehen, d.h. emotional und materiell verwöhnt werden?
Helena: Es kann große Folgen haben, da sie gewisse Dinge nicht mehr wertschätzen können, weil sie vieles als Selbstverständlichkeit ansehen. Kinder, die überliebt werden, lernen keine Grenzen kennen und haben es später schwer, die Bedürfnisse anderer zu respektieren. Wobei grundsätzlich gesagt werden muss, dass es »too good mothering« (Kinder überlieben) deutlich weniger gibt, als die Vernachlässigung von Kindern. Kinder werden zu dem gemacht, was sie sind.
Epikur: Wie sollten Eltern mit Spielekonsolen umgehen?
Helena: Sie sollten den Umgang regeln und genau darauf achten, was und wie viel ihre Kinder spielen. Wichtig ist ein kontrolliertes Spielen, d.h. begleitet durch den Erwachsenen. Sie sollten sich mit den Kindern auf Zeiten einigen und die Kinder selbst die Konsolen ausmachen lassen.
Epikur: Was sind für Dich Indikatoren und Hinweise dafür, dass Eltern mit ihren Kindern überfordert sind?
Helena: Zunächst einmal ist jede Familie individuell verschieden. Eine Überforderung der Eltern kann man aber z.B. daran festmachen, dass Eltern sich für ihr Kind nicht interessieren. Manche Eltern wissen nicht, mit wem ihre eigenen Kinder gerne spielen oder was ihre Kinder gerne mögen. Die berufliche Karriere kommt bei vielen Eltern an erster Stelle. Manche Eltern suchen aber auch das gezielte Gespräch mit uns Erziehern und bitten um Hilfe. Die Vernachlässigung von Kindern ist auch ein typisches Beispiel für die Überforderung der Eltern. Gerade wenn Kinder in der Pubertät sind, denken viele Eltern, das eigene Kind ist ja jetzt groß und bräuchte weniger Hilfe und Aufmerksamkeit. Das ist aber ein Irrtum, denn die Pubertät ist für Kinder und Jugendliche eine schwierige Phase und sie brauchen elterliche Unterstützung.
Epikur: Im sozialen Bereich arbeiten überwiegend Frauen. Welchen Stellenwert, für die Persönlichkeitsbildung von Kindern und Jugendlichen, haben für Dich männliche Erzieher?
Helena: Gerade für die Jungen sind männliche Erzieher wichtig. Bei alleinerziehenden Müttern fehlt den Jungen die Identifikationsfigur des Vaters. In der Pubertät, also so ab ca. 9 Jahren, wenden sich Jungen ganz gezielt an männliche Erzieher, während sich die Mädchen an weibliche Erzieher orientieren. In dem Alter entwickeln die Kinder und Jugendlichen beim Thema Sexualität ein Schamgefühl und richten sich entsprechend ans gleiche Geschlecht.
Epikur: Was war für Dich ein prägendes Erlebnis im Erzieher-Alltag?
Helena: Zwei Eltern, die sich in der Erziehung ihres Kindes nicht einig waren, hatten viel Streit. Das Kind war hin und hergerissen. Wir Erzieher versuchten mit den Eltern zusammen eine Lösung zu finden. Das ging schief, da sich die Eltern bekriegten. Der Vater beschimpfte und bedrohte mich. Er meinte wortwörtlich, ich solle, wenn ich nachhause gehe, mich nach links und rechts um schauen, damit ich auch sicher nachhause kommen könne.
Epikur: Helena, vielen Dank für das Gespräch
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Der typische Frauenberuf. Erzieherin. Wirklich schade, dass sich hier nicht mehr Männer vor trauen. Ein wenig mehr Erbsensuppe mit Knackwurst und Jungsfeeling, wäre wircklich langsam mehr als angebracht. Da hast du aber mal eine ausgesprochen ausgewogene Erzieherin erwischt. Die Erkenntniss, dass jede Familie individuell ist, ist nicht unbedingt Standart. Meine Erfahrungen sind diesbezüglich eher von Gender-Mainstream, einem leichten Gesundheitsfanatismus und pädagogisch akademisierter Übersystematik geprägt.
@antiferengi
Da kann ich Dich beruhigen. Soweit ich das mitbekommen habe ist die Helena kaum ideologisch verbohrt ;)