- Wertschätzung -
Während ich in der letzten Folge, eine Schattenseite der pädagogischen Arbeit thematisiert habe, will ich heute über positive Aspekte in der pädagogischen (Grundschul-)Arbeit berichten. Denn bei aller Kritik und bei allen bildungspolitischen Mißständen: die pädagogische Arbeit mit Kindern kann sehr erfüllend und sinnstiftend sein.
Ganz vorn dabei ist: »die Wertschätzung«. Wer Kinder altersentsprechend begleitet und unterstützt, für sie da ist, wenn sie Hilfe brauchen, gute Bindungsarbeit leistet, sie selbstbestimmt agieren lässt und sie bei vermeintlichen »Fehlern« und »Schwächen« nicht sofort verurteilt, sondern sie so akzeptiert, wie sie sind — der wird von Kindern auch respektiert und geschätzt werden. Kinder haben hier ein sehr feines Gespür und ihre Wertschätzung ist weniger berechnend als die von vielen Erwachsenen. Sie ist ehrlich und authentisch.
Bei den (Schul-)Eltern ist es ähnlich. Neben vielen dankbaren Eltern, die einem (zu besonderen Anlässen) kleine Geschenke zukommen lassen — gibt es auch solche, die nach Jahren von konfliktreichen und schwierigen Gesprächen, leise zugeben, dass man seine pädagogische Arbeit richtig gemacht hat. Ich hatte auch schon Eltern, die im Gespräch vor Freude geweint haben, weil wir ihre Kinder nicht aufgegeben haben, obwohl sie das womöglich selbst schon getan hatten.
Es ist eben etwas völlig anderes, wenn ein Bürochef behauptet, man habe »gute Arbeit« geleistet und man evtl. sogar eine finanzielle Prämie erhält, als wenn Dir ein Kind in der 6. Klasse zu verstehen gibt, dass es Dir sehr dankbar ist, dass Du es auf den »richtigen Weg« gebracht hast. Das ist echte Dankbarkeit und Wertschätzung, die motiviert und Kraft gibt. Man weiß, dass man eine sinnvolle Arbeit verrichtet hat und kann zufrieden einschlafen.
Gerade für frühkindlich traumatisierte Kinder können sekundäre Bezugspersonen als »warmer Ofen« das Schlimmste verhindern. Das Leben wird nicht einfach für sie (die Kinder) bleiben, aber wenn man nur in eine einzige Person das Vertrauen nicht verloren hat, verliert man nicht das Vertrauen in die Welt. Solche »warmen Öfen« können einerseits psychisch sehr »normale«, neurotypische, aber sehr empathische Menschen sein, andererseits selbst frühkindlich traumatisierte, die auch die Erfahrung eines »warmen Ofens« machen durften und so ihr Leben zumindest einigermaßen in den Griff bekamen.
Hab gerade die Autobiographie von Elmar Hörig gelesen, der höchstwahrscheinlich auch frühkindlich traumatisiert ist (verlor seine Mutter im »sitting duck«-Alter), aber auch von einem sozialen Netz aufgefangen wurde, das das Schlimmste verhinderte, aber seine psychischen und sozialen Probleme natürlich nicht vollkommen beseitigen konnte. Er wurde dann selbst Lehrer und als erstes auf eine Stelle mit schwersterziehbaren Schülern geschickt mit denen er als ebenfalls, wenn auch nicht ganz so verkrachte Existenz sich solidarisierte statt zu konfrontisieren. Am Schluß als Hörig nach einer durchgemachten Nacht und drei Stunden Schule völlig übermüdet zu seinen Schülern sinngemäß sagte: »Macht was ihr wollt, aber ich muss jetzt mal eine Stunde schlafen«, da saßen da 15 Schwersterziehbare, die sich am Anfang in der Stunde prügelten oder selbst auf dem Boden schliefen, mucksmäuschenstill auf ihren Plätzen und weckten den schlafenden Lehrer sanft nach einer Stunde: »Herr Hörig, die Stunde ist um und mir müsset jetzt zum Essen«. Einen dieser Schüler traf Hörig im hohen Alter später zufällig wieder, der Krankenpfleger und so schon pensioniert geworden war.
»auf den »richtigen Weg« gebracht«
Da steckt leider eine Menge Unsicherheit drin. Angenommen Du hilfst mit, ein Kind trotz schlechter Startbedingungen auf einen akademischen Weg, z.B. Jura, zu bringen, aber kaum hat es seine letzte Prüfung geschafft¹, bricht fast alles² weitestgehend zusammen und es stellt sich heraus: Juristen werden überhaupt nicht mehr gebraucht, sind extrem überflüssig und viele versuchen ihren alten Beruf zu verbergen, so wie früher eine Vorstrafe; Andererseits bringt praktisch jede handwerkliche Ausbildung (oder Erfahrung in der Landwirtschaft, Fahrrad-Reparatur...) mehr — Mehr im Sinne besserer Überlebenschancen.
Ein Teil ›meiner‹ Lehrer hat mich und meine Mitschüler zu kritischen Menschen erzogen³, gegen Mitläufertum und Duckmäuserei, aber das war im Nachhinein mglw. falsch. Wir nähern uns einer Zukunft, z.B. Krieg, in der man als ›aufrechter Mensch‹ viel schneller sterben wird als ein cleverer Duckmäuser (Schwejk ?) oder ›Feldwebels Liebling‹.
¹Vielleicht mit ein bisschen Dankbarkeit für all seine ›Helfer‹
²Sollte dir nicht ganz unvorstellbar sein, nach einem früheren Artikel ›preppst‹ Du doch
³Mehr oder weniger
@Cetzer
Da ist aber allerhand Spekulation drin, um auf Teufel komm raus, eine Negativ-Betrachtung einbauen zu können. Wenn Kinder selbstbestimmter agieren können, selbstbewusster werden, mehr Resilienz und Frustrationstoleranz aufgebaut haben — dann haben sie gute Entwicklugsmöglichkeiten. In welche Richtung auch immer.
Was sie letztendlich daraus machen und/oder welche Schicksalsschläge bzw. welche Rahmenbedingungen hier noch förderlich und/oder hinderlich sind — das alles ist höchst individuell verschieden und sprengt hier jeden Rahmen.
Davon abgesehen: das hier sollte ein positiver Beitrag über »Wertschätzung« sein. Scheint echt schwer zu sein, dass auch mal so anzunehmen. ;-)
@Cetzer
Na viel Wertschätzung bekommen die Juristen von dir ja nicht. Ich werde meinen Berufsstand hier trotzdem nicht verteidigen, da es stimmt, die Bullshit-Quote ist bei Juristen deutlich höher als bei Pädagogen. Dennoch gilt das was epikur zum Umgang mit Kindern gesagt hat, fast genauso für den Umgang mit allen Menschen. Und es soll sogar Juristen geben, die kritisch denken können und tatsächlich auch gegen die Herrschenden agieren. Es ist sehr hilfreich, einen guten Pädagogen in seiner Biographie gehabt zu haben.
Ich hatte einen einzigen, im Rückblick wirklich guten Lehrer. Zwar erst in der Oberstufe aber als Stammkursleiter und mit dem hab ich das beste Abi vom Jahrgang geschafft. Aber der hat auch den schwächsten Schüler mitgezogen und von seinem Stammkurs haben alle das Abi geschafft. Um die Cracks wie mich musste er sich keine Sorgen machen. Wir wurden bei ihm hochmotiviert zu 15-Punkte-Überfliegern. Dieser Lehrer hat später auch in Bewertungsportalen die besten Noten der ganzen Schule bekommen. Und das wurde mir vor einiger Zeit in einem privaten Gespräch mit jemanden der auf der gleichen Schule war noch mal bestätigt. Würde mich gern heute noch mal mit ihm darüber unterhalten. Leider ist der Kontakt abgerissen.
@Epikur+Kakapo3
Vorab: Ich lese gerade (sehr mühsam¹) Annie Jacobsen, Nuclear War, A Scenario (Deutsch: 72 Minuten bis zur Vernichtung: Atomkrieg – ein Szenario).
»allerhand Spekulation«: Atomkrieg vielleicht fifty-fifty, aber selbst die Gefahrenstufe: ’nur‹ Revolver mit einer scharfen Patrone (Russisch Roulette) wäre wohl kaum an den Haaren herbeigezogen.
Mir ist auch klar, dass das alles nicht schön² ist, aber es kann eben passieren, dass Du einem Kind etwas völlig Falsches/Schädliches beibringst oder es auf einen total falschen Weg bringst, jedenfalls im Nachhinein, aber als ›Prepper‹ kannst Du kaum behaupten, nichts gewusst zu haben; Erklärst Du den Kindern wenigstens gelegentlich, auf welch tönernen Füßen ›der ganze Scheiß‹ steht?. Bedenke das ›mahnende Beispiel‹ eines (ebenfalls vom Staat bezahlten) Gerichtsvollziehers, der im Radio lamentierte:
»Schon wieder ein ZwangsZuRäumender der sich der Zwangsräumung per Strick (ohne TÜV !) entzogen hat und dadurch meinen Seelenfrieden beeinträchtigte; Ich kann doch gar nichts dafür!«
Ansatzweise wurde übrigens einer meiner Großväter auch(!) von Lehrern auf den falschen Weg gebracht, so dass er ‑wie viele andere- Flugzeugbau studierte, obwohl der Vertrag von Versailles genau dies untersagte. Er ist damit³ halbwegs klar gekommen, aber es gab wohl Mitstudenten, die vor die Hunde gingen (Man muss die damalige Flug-Begeisterung berücksichtigen: Flieger grüß mir die Sonne... von 1932). Bei der Gelegenheit möchte ich erwähnen, dass es insbesondere Lehrer waren, wegen derer sich meine beiden Großväter freiwillig zum Ersten Weltkrieg gemeldet hatten — Eine üble Tradition, die u.a. Pistorius aufgreifen möchte. Hast Du schon die ›Rote Linie‹ gezogen, ab der Du das (Kriegspropaganda im Klassenzimmer) nicht mehr mitmachen wirst?
»Kinder selbstbestimmter agieren [...] gute Entwicklungsmöglichkeiten. In welche Richtung auch immer.«
Tatsächlich? Auch wenn sie in einem ›Lager‹ landen, in dem ihre einzige Überlebenschance harte und stupide Arbeit ist, schon eine Spur von Aufsässigkeit mit Erschießen bestraft wird? Oder in der (ukrainischen ?) Fremdenlegion, Abteilung: ›Himmelfahrtskommando von Selenskis Gnaden‹? Oder sie als Nicht-Kämpfer oder sehr schlechte Kämpfer (auch dank deiner) bei ›Mad Max 2025‹ überleben wollen, Neo-Feudalismus in extremis, mit Gladiatorenkämpfen zur Auflockerung?
»Juristen«
Während der ersten Proteste gegen Harz4 trugen manche (gerade mit Berufsausbildung und Erfahrung) TShirts mit der Aufschrift »Die Überflüssigen«. Nun in ›Mad Max 2025‹ werden die allermeisten Juristen zu der bitteren Erkenntnis kommen, dass ihr Beruf und die entsprechende Denkhaltung überflüssig sind, abgesehen vielleicht von den wenigen, die wirklich gute Streitschlichter (Mediatoren) sind oder ähnlich. Jura ist natürlich eines der ›besten‹ Beispiele für Komplexität (Von 10 Gebote über Code Napoleon bis zur deutschen Steuergesetzgebung), die über alles Maß gewuchert ist. Abgesehen von Atomkrieg wird diese extreme Komplexität so oder so nicht aufrechtzuerhalten sein — Und wenn sich die KI auf den Kopf stellt.
¹Für vielleicht eine Rezension
²Chinesischer Spruch: Das Wahre ist nicht schön, das Schöne ist nicht wahr. Natürlich kein Naturgesetz, z.B.: Der Schmetterling (so man einen sieht) ist schön UND wahr im Sinne von echt, keine Computergrafik
³FlugzeugbauIngenieursSchwemme
@Cetzer
»Erklärst Du den Kindern wenigstens gelegentlich, auf welch tönernen Füßen ›der ganze Scheiß‹ steht?«
Es ist nicht meine Aufgabe, Kindern zwischen 6 und 12 Jahren zu entmutigen, ihnen die Hoffnung zu nehmen und zu erklären, wie sinnlos doch alles ist. Ich bin da, um sie bestmöglich zu »empowern«. Was sie aus ihrem Leben machen, liegt nicht in meiner Hand. Bitte nicht die Macht von Lehrern und Pädagogen überschätzen. Ja, sie können einiges bewirken. Aber zaubern können sie auch nicht.
Schlimm genug, dass immer wieder Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder verkacken und dann erwarten, dass wir sie wieder »ganz« machen sollen. Also die großen Magier sein sollen. Nein. Sind wir nicht.
»Hast Du schon die ›Rote Linie‹ gezogen, ab der Du das (Kriegspropaganda im Klassenzimmer) nicht mehr mitmachen wirst?
Ich habe an anderer Stelle schon einmal erwähnt, dass ich eine »Friedens-AG« auf unserer Schule ins Leben gerufen habe. Die rote Linie ist längst da.
Ein wenig OT, oder auch wieder nicht, ;-)
Schon gelesen »Auf die Väter kommt es an – Wie ihr Denken, Fühlen und Handeln unserer Kinder von Anfang an prägen«.
Via Maschinist: https://archive.ph/2024.10.01–042837/https://www.zeit.de/familie/2024–10/vaterrolle-vaeter-kinder-einfluss-erziehung/komplettansicht
@Epikur
»nicht die Macht von Lehrern und Pädagogen überschätzen«
Ja, das habe ich auch mal als grundlegenden Rat für Eltern gelesen und ist seitdem der Großteil meines pädagogischen Wissens (habe praktisch nichts mit Kindern zu tun).
Ansonsten gönne ich jedem¹ ein berufliches Erfolgserlebnis:
Architekt kommt freudestrahlend nach Hause: »Schatz! Ich musste einen Umweg fahren und bin an dem Gebäude vorbeigekommen, das ich vor 5 Jahren als erstes in meiner Karriere geplant hatte. Stell Dir vor, es steht immer noch!!«
¹Außer Henkern usw