Gedankenverbrechen (5)

(Laser Lurch / CC BY-NC-ND 4.0)

1.) Den menschlichen Reifegrad einer Zivilisation erkennt man nicht nur am Umgang mit den Schwächsten (Kranke, Alte, Kinder, Arme etc.) — sondern auch am Umgang mit seinen Verstorbenen. Nicht wenige Familien zerfetzen sich nach dem Tod eines Familienangehörigen. Wegen dem Erbe.

2.) Humor und Angstfreiheit. Das sind zwei Eigenschaften, womit autoritäre Charaktere überfordert sind. Totalitäre Herrschaftsmethoden bauen auf eine »uneingeschränkte Folgebereitschaft«, die häufig über eine gezielte Angstproduktion erreicht werden soll. Insofern sind Ironie, Sarkasmus und Zynismus in Kombination mit innerer Ruhe und Gelassenheit, ein ständiger Stachel im Fleisch jeder Herrschaftserzählung.

3.) Kapitalismus mit Pronomen oder Kapitalismus mit Eigenverantwortung? Demokraten oder Republikaner? Grüne oder AfD? Woke oder Nazi? Gut oder Böse? Dieser infantile Habitus nützt und erfreut vor allem die Reichen. Teile und Herrsche. Während der Pöbel sich gegenseitig bekämpft, sonnen sie sich auf ihren Yachten. Und hinterziehen Steuern in Milliardenhöhe. Weltweit.

4.) Warum wird Saudi-Arabien eigentlich niemals als »Regime« bezeichnet? Dabei erfüllt es alle Kriterien eines »Regimes« (»nicht demokratisch gebildete und kontrollierte Herrschaftsform«)?

5.) Israels Sicherheit sei »deutsche Staatsräson«, so heißt es. Warum sind aber die Sicherheitsinteressen von Russland keine »deutsche Staatsräson«? Schließlich ist Nazi-Deutschland für unendliches Leid und für Millionen von Toten in Russland verantwortlich. Außerdem haben uns die Russen von Nazi-Deutschland befreit. Hätte sich eine deutsche Regierung insofern nicht laut und deutlich gegen die NATO-Osterweiterung stellen müssen?


Gedankenverbrechen
Gedankenverbrechen (2)
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9 Gedanken zu “Gedankenverbrechen (5)

  1. 1. Ist doch kein Gedankenverbrechen. Die Aussage ist durchaus richtig. Da wird niemand mit angegriffen.

    2. Für angstfreie Spaßvögel hat der Totalitarismus seine Lösungen. Endgültige.

    3. Ist auch kein Gedankenverbrechen. Wieder eine simple Tatsache.

    4. Ist noch nicht so weit. Aber wenn die jetzt mit den BRICS anfangen zu kuscheln, dann ist es bald ein Regime. Ausser... die Amerikaner haben dem zugestimmt, um sie als Maulwurf zu benutzen.

    5. Uihuihuihuih... hier geraten wir tatsächlich in Schwierigkeiten. Unser umgebautes und neu ausgerichtetes Justizwesen dürfte keinerlei Problem haben, daraus etwas Justiziables zu basteln.

    Aber mal so reingefragt:
    Es gab da mal einen Schurkenstaat, an dessen Spitze hockten ein paar demokratisch gewählte Kriminelle. Dieser Schurkenstaat unterhielt einen Inlandsgeheimdienst, der die eigenen Bürger ausspionierte und ans Messer lieferte.
    Dieser Schurkenstaat hatte eine Schlägertruppe, die oppositionelle Politiker und Veranstaltungen angriff.
    Dieser Schurkenstaat hatte eine gleichgeschaltete Medienlandschaft. Dieser Schurkenstaat verbot Feindsender. Dieser Schurkenstaat hatte Richter, die Gesinnungsurteile fällten.
    Dieser Schurkenstaat verfolgte Andersdenkende. Dieser Schurkenstaat presste seine Ideologie schon von klein auf den Kindern in die Köpfe. Und dieser Schurkenstaat fing einen Krieg mit Russland an.

    Nachdem dieser Schurkenstaat dann besiegt und zu Klump gehauen war, sagte man der Bevölkerung: »Ihr hättet das verhindern müssen!«

    Meine Frage:
    Wie und mit welchen Mitteln hätte man diesen Schurkenstaat aufhalten müssen, wenn Wahlen keine Option mehr waren?

  2. Glaube nie jemanden zu kennen bevor du nicht eine Erbschaft mit ihm geteilt hast

    oder in der hiesigen Mundart

    Sinner eich no ähnich?
    oder hänner schun gedählt?

    //Mein Mann der fährt zur See// ab 1h34m

    Reichtum ist die leiseste Sache der Welt
    — Baron de Lefouet

    »Demokratie« ist ein dehnbar gemachter Begriff. Kommt immer drauf an was man als »Volk« und »Souverän« definiert. War schon im antiken Athen so. 2001 hat der ThürVerfGH die »Repräsentanten« zum Volk und Souverän der »repräsentativen Demokratie« gemacht und mit dieser Begründung das Volksbegehren »Mehr Demokratie in Thüringen« mit über 300.000 beglaubigten Unterschriften verboten.

    Deutschland, Israel und Russland? Mit Logik und Ethik kommt man da nicht weiter; nur mit Geopolitik und dem MIK der USA.

  3. @Holger
    Ich meine es war Erich Kästner, der die Nazis seine Bücher verbrennen sah, der später sagte, dass es schon viel früher als 1933 zu spät war. Und im Grunde ist es das seit 1949 wieder, denn die institutionelle Diktatur hatte sich ab da Dank des »Fuchs« Adenauer und dem Grundgesetz wieder unangreifbar gemacht. Bis 1989 hat nur die totalitäre Konkurrenz im Osten schlimmeres verhindert. Dann gab es eine kurze Phase der Hoffnung auf mehr Demokratie, die aber durch die Reaktion wieder zunichte gemacht wurde (s.o.). Und nicht erst seit Corona erleben wir die totalitäre Transformation.

    Das Nazi-Regime tat bis 1939 übrigens überhaupt nicht weh — wenn man nicht Oppositioneller, Jude, behindert, Sinti/Roma etc. und am besten unpolitisch war.

  4. @epikur

    »Den menschlichen Reifegrad einer Zivilisation erkennt man […] auch am Umgang mit seinen Verstorbenen. Nicht wenige Familien zerfetzen sich nach dem Tod eines Familienangehörigen. Wegen dem Erbe.«

    Das sind zwei Paar Schuhe. Beim Streit ums Erbe geht es so gut wie nie um den Verstorbenen. Oft geht es nicht mal um die zu erbenden Sachen an sich. Da geht es um z. T. uralte Zwistigkeiten und Verletzungen der Erben untereinander, die nun versucht werden, über das Erbe auszutragen. Oft recht unappetitlich(*), aber hat wirklich gar nichts mit dem Umgang mit Verstorbenen zu tun. (Das wäre wohl eher, wenn man deren Wünsche posthum nicht anerkennt, sie anders beerdigt als gewünscht oder ähnliches.)

    (*)Verwandtschaft hat mal am Familiengericht gearbeitet und war mit Erbstreitigkeiten befaßt.

    P.S. Frau Grammatikalische Korinthenkackerin sagt: Es heißt wegen des Erbes.

  5. @Tiffany

    »Das sind zwei Paar Schuhe. Beim Streit ums Erbe geht es so gut wie nie um den Verstorbenen. Oft geht es nicht mal um die zu erbenden Sachen an sich.«

    Das ist ja mein Punkt. Der Verwandte liegt noch nicht mal 10 Minuten unter der Erde und schon wird sich um das Geld und das Vermögen gestritten. Mit allen Bandagen. Ich denke schon, dass es den Allermeisten um die Kohle geht. Oh ja!

    Traurig, dass das viele schon für »normal« halten und hier die nichtvorhandene Ethik gar nicht thematisieren. Von Pietät oder Empathie gar nicht zu sprechen.

  6. @epikur
    Häh? Was hat es mit Ethik, Pietät oder Empathie zu tun, wenn die Erben sich um das Erbe streiten? Also, mit Pietät kann es zu tun haben, wenn sie das gleich auf dem Friedhof bei der Beerdigung tun bzw. solange der Tote noch nicht kalt ist. Aber nicht prinzipiell.
    Und mit Empathie? Was hat das mit mangelnder Empathie zu tun?

    Hier wiederhole ich gerne, was ich schrieb und Du mir noch nicht widerlegen konntest: es geht beim Geschacher um das Erbe oft um alte Streitigkeiten innerhalb der Familie. Eine Familie, bei der jeder zufrieden ist mit dem, was er ist und was er früher immer bekommen hat, wird sich auch nicht (nennenswert) über das Erbe streiten, weil sie es nicht nötig haben. Was haben sie nicht nötig? Sich zu positionieren, sich etwas »wiederzuholen«, sich zu rächen, sich endlich bemerkt zu fühlen...

    Wenn es tatsächlich ums Geld ginge, dann könnten ja diejenigen innerhalb einer Familie, die das Geld nicht nötig haben, dankend darauf verzichten. Ist aber oft nicht so, und das widerlegt, daß es um die zu erbenden Sachen an sich geht. Mancher will etwas nur haben, um es den Geschwistern wegzunehmen, nicht, weil er es mag oder braucht. Etc.pp., da könnte man Bücher mit füllen.

  7. @Tiffany

    »Du mir noch nicht widerlegen konntest...da könnte man Bücher mit füllen.«

    Was soll ich da widerlegen, womit man ganze Bücher füllen kann? Das sind alles Spekulationen und Psychologisierungen, wieso, weshalb, warum hier verletzter Stolz, Eitelkeiten und andere Gründe und Motivationen dazu führen können warum gestritten wird. Weder gibt es hier »Beweise« noch »Widerlegungen« — da gibt es hunderte Motivationen.

    Fakt ist: es wird sich viel zu oft um das Vermögen gestritten (eben auch vor Gericht!), anstatt das gemeinsam an den Menschen gedacht und getrauert wird. Was das mit Ethik, Pietät und Humanismus zu tun ‑oder eben nicht zu tun hat- ist einen eigenen Beitrag wert.

  8. @epikur
    Nur ein letztes, dann will ich es gut sein lassen, weil wir hier elegant aneinander vorbeireden.

    »Fakt ist: es wird sich viel zu oft um das Vermögen gestritten (eben auch vor Gericht!), anstatt das[s] gemeinsam an den Menschen gedacht und getrauert wird.«

    Auch wieder anderthalb Schuhe: das Gedenken an eine Person ist das eine, und das Erbe das andere. Allerdings ist es wahr, daß aus einem gemeinsamen Gedenken im Falle von Erbstreitigkeiten eher nichts wird. In diesen Fällen gab es eine Gemeinsamkeit in der Familie aber ziemlich sicher schon länger nicht mehr... und zwar aus den oben von mir zitierten Gründen (und wahrscheinlich noch einigen anderen).

    Aber gut, wir beenden das jetzt lieber, weil wir uns hier nur im Kreis drehen.

  9. »Insofern sind Ironie, Sarkasmus und Zynismus in Kombination mit innerer Ruhe und Gelassenheit, ein ständiger Stachel im Fleisch jeder Herrschaftserzählung.«
    So ist es, daher zerstört politische Korrektheit jeden Anflug von Humor, der, darüberhinaus, auch die Schranken zwischen Ethnien und Kulturen überwinden helfen kann- noch ein Grund mehr den Humor zu attackieren.
    zu3)
    »Dieser infantile Habitus nützt und erfreut vor allem die Reichen. Teile und Herrsche. «
    Nützliche Idioten, würde Lenin sagen.

    »Wieviel liegen in der Sonne und betrügen die Welt
    fahren dicke Autos mit unserm Geld
    verurteilen uns nach ihrem Scheiß Gesetz, wer das Geld hat hat die Macht
    wer die Macht hat das Recht«
    (Slime)
    Bißchen klischeemäßig, aber die Realität tut alles um die Klischees noch zu übertreffen.

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