Heute wird es etwas nerdiger, denn ich möchte mich mit der Gamer-Sprache und mit einigen ausgewählten Spielejournalismus-Narrativen beschäftigen. Viele Begriffe und Schlagwörter machen es nicht nur Nicht-Spielern schwer, entsprechenden Diskursen zu folgen, sondern sie fungieren auch als Totschlagargumente und Killerphrasen. Damit stelle ich gleich die provokante These auf, dass viele Zocker und Games-Magazine sehr viel dogmatischer und verbohrter sind, als es oft den Anschein hat.
Denkschubladen
Es gibt eine ganze Reihe von Schlagwörtern, Redewendungen, Narrativen und vermeintlichen Fach-Vokabeln, die mit entsprechenden Bedeutungen und Konnotationen aufgeladen sind. Sie werden in der Spielerszene sowie im Spielejournalismus und in der Spieleindustrie gleichzeitig als Argument und als Rechtfertigung verwendet. In Frage gestellt werden sie kaum, sondern eher als gegebene Sachvehalte hingenommen.
Der »Bethesda Deal« ist ein klassischer Euphemismus, der gerne von Spielejournalisten verwendet wird. Er bezeichnet ein »Open-World-Spiel« vom Entwickler und Publisher Bethesda, das weniger Wert auf eine spannende Geschichte und eine interessante Charakterzeichnung legt. Gleichzeitig eher durchschnittliche Dialoge, Grafik, KI, Balancing und Nebenmissionen bietet, aber dafür eine große, frei erkundbare Welt, die eine narrative Erzählung durch die Umgebung selbst beinhaltet. Wer ein »Open-World-Spiel« von Bethesda (Elder Scrolls- und Fallout-Reihe) kauft, sollte sich diesem »Deal« bewusst sein, so die Argumentation.
»Der sogenannte »Bethesda-Deal« ist treffend formuliert, aber seine Bedeutung empfinde ich als äußerst fragwürdig. Letztendlich seht ihr über (gravierende) Mängel hinweg, die ihr jedem anderen Spiel um die Ohren gehauen hättet — weil das der »Stil« des Entwicklers ist und der Entwickler das schon immer so macht«
Der User »KlabautermannKM« im Gamestar-Forum vom 11. November 2015
Spielejournalisten und Spieler benutzen dieses Schlagwort häufiger, um über gravierende Mängel und Fehler im Spieldesign hinweg zu sehen, die jedoch bei anderen Spielen von anderen Entwicklern knallhart abgestraft und kritisiert werden. Gleichzeitig ist auch das kein Naturzustand und auch nicht immer objektiv gegeben, sondern eher eine narrative Erzählung von Journalisten und Spielern. Ich persönlich fand beispielsweise die Hauptgeschichte von »Skyrim« durchaus spannend. Gleichzeitig fand ich »Fallout 4« absolut schrecklich in allen Belangen. Eine stumpfe, heruntergedummte Ballerbude — da tröstet mich auch kein sogenannter »Bethesda Deal«.
»Kostenlos auf Steam spielbar« ist beispielsweise so eine euphemistische Formulierung, die man häufiger liest. Es ist schade, dass gerade die so internet- und technikaffine Spiele-Gemeinschaft, es immer noch nicht verinnerlicht hat, dass es heute deutlich mehr Währungen gibt, als nur den schnöden Euro. Und das sind im digitalen Zeitalter vor allem Zwei: Aufmerksamkeit und Daten. Insofern ist absolut nichts kostenlos. Nur die Währung ändert sich.
»Es gibt keine konstruierten Hypes und der Spielejournalismus ist nicht gekauft!« Gerade die Gamestar (aber auch andere Spiele-Portale) verbitten sich derlei Kritik und lassen entsprechende Kommentare bzw. User löschen und sperren. Dabei ist es mehr als offensichtlich, dass der Spielejournalismus von der Spieleindustrie abhängig ist. Es geht auch nicht um semantische Haarspalterei (»gekauft oder nicht gekauft«), sondern darum, dass es in der Games-Branche keine journalistische Unabhängigkeit gibt. Schließlich finanzieren sie sich fast ausschließlich über Werbung und Anzeigen gerade von den Kunden, über dessen Produkte sie dann auch berichten.
„Aus der Perspektive der Industrie haben als Artikel oder Reportagen verkappte Werbebotschaften den Vorteil, dass diese von Adblockern nicht erkannt und weggefiltert werden können.“
Sophie Eustache und Jessica Trochet. „Journalisten in der Klickfalle“. Le Monde Diplomatique. September 2017. S. 21
»Civilization wird erst mit den Erweiterungen besser«, ist eine weitere geflügelte Erzählung und Redewendung, die mittlerweile seit über 10 Jahren von Journalisten und der Spiele-Community verwendet werden. Ganz so als wäre es ein Naturgesetz, dass die Entwickler es nicht schaffen, alle Features und Gameplay-Mechaniken ‑die bereits in den Vorgänger-Spielen entwickelt und enthalten waren- bereits im neuen Grundspiel mit zu liefern. Das ist natürlich totaler Blödsinn, der die Zocker nur dazu animieren soll, die Erweiterungen zu kaufen.
Die »Ubisoft Formel« soll beispielsweise bedeuten, dass alle »Open-World-Spiele« vom Spieleentwickler und Publisher Ubisoft ähnliche Gameplay-Elemente und Mechaniken haben. Es gibt sich wiederholende Sammelaufgaben und nur der äußere, also der grafische Rahmen würde sich verändern. Der Begriff ist leicht negativ konnotiert, fungiert aber auch als Rechtfertigungsvokabel. Statt nun aber zu diskutieren, wie wenig innovativ das ist, bewegen sich Spieler und Presse meist auf dem Niveau sich für oder gegen die »Ubisoft-Formel« zu positionieren.
»Die Welt der Videospiele (1)«
»Die Welt der Videospiele (2)«
»Brot und Spiele«
Wer erwartet auch schon etwas Neues, wenn es darum geht, Routinen zu kultivieren und repetive Arbeiten zu organisieren?
Zu dem Bethesda-Deal kommt ja noch das Modding hinzu, das bekannte »Modders will fix it«. Nur künstlich regt man sich noch über grobe Mängel auf, denn die Community wird es schon richten. Die ist Bethesda auch noch dankbar dafür, dass sie die Werkzeuge erhält, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Bethesa hat daher überhaupt keinen Grund, an dieser Formel was zu ändern. Alle paar Jahre verpassen sie ihrer betagten Schrott-Engine einige kosmetische Updates und scheffeln dann Millionen (Skyrim ca. 22,7 Millionen Exemplare weltweit). Dabei ist die Story oft wirklich dumm und meist beschränkt auf »Du bist der Auserwählte«, aber ist auch egal, die Leute wollen ja keine gute Geschichte, sie wollen neues Beschäftigungsmaterial, in das sie weitere 800 Stunden versenken können.
Okay, dann hier das Outing einer, die auf die Bethesda-Formel anspringt (deswegen auch der Name — okay, stimmt nicht, ist einfach nur der Name, den ich sonst auch benutze und unter dem ich entsprechend auffindbar wäre). Anyway.
Wenn ich eine gute Geschichte will, kann ich ebenso gut ein Buch lesen oder einen Film schauen. Selbst „Make your own adventure“ gab es in Buch- und/oder Filmform, bevor es überhaupt so etwas wie Videospiele gab. Ein Videospiel sollte mir idealerweise etwas bieten, das Bücher oder Filme in der Form nicht können.
Das ist für mich der Fall beispielsweise bei Spielen wie „Papers, Please“, das für seine Thematik als Videospiel besser funktioniert als es ein Buch oder Film je könnte, oder „event [0]“, oder „Darkest Dungeon“ oder eben bei Bethesda-Spielen, die mir zum einen eine offene Welt bieten und es mir zum anderen zumindest sehr weitgehend erlauben, mir einen Charakter auszudenken und zu spielen, wie ich meine, dass er bzw. sie sich verhalten würde und nicht, wie eine Geschichte es erfordert, dass er bzw. sie sich zu verhalten hat, um weiterspielen zu dürfen. Das ist für mich trotz aller Kritik, die ich selbst an Bethesda-Spielen habe, ein ganz entscheidender Aspekt, warum die Bethesda-Formel für mich funktioniert.
Semi-OT finde ich es davon abgesehen immer wieder total interessant, dass Bethesda genau so, wie ihnen Vieles verziehen wird, auf der anderen Seite genau so vehement für Versatzstücke abgewatscht wird, die wiederum anderen Entwicklern problemlos verziehen werden, Stichwort „auserwählt“. Bei Bethesda wird das wenigstens immer wieder ironisch gebrochen, während andere diesen Unsinn ohne Rücksicht auf Verluste knallhart durchziehen. Das macht es bei Bethesda nicht notwendigerweise verzeihlich, ist in anderen Spielen aber eben keinen Deut weniger dumm.
Und um mich abschließend noch unbeliebter zu machen, als ich es bisher schon geschafft habe, ehrlich gesagt habe ich bis jetzt noch kein Videospiel gefunden, dessen Geschichte mich vom Hocker gehauen hätte. Nun, vielleicht gibt es irgendwo eine Indie-Perle, die das könnte und die ich bisher nur noch nicht entdeckt habe. Frau wird ja noch hoffen dürfen ;)
@Maxim
Daran sieht man, dass es bei den Spiele-Journalisten auch festgesetzte Narrative, Legenden und Erzählungen gibt. Was Bethesda verziehen wird, bekommt bei anderen Spielen einen knallharten Wertungsabzug. Und umgekehrt.
Das hat für mich weniger mit der Fanboy-Brille (auch wenn man die nicht vergessen sollte), sondern viel mehr mit Marken-und-Image-Bildung zu tun. Ähnlich wie bei allen anderen Franchises und Marken, wo erfolgreich bestimmte Eigenschaften mit dem Produkt verklebt werden.
@Charming But Irrational
Alles gut! Skyrim ist und bleibt ein Super-Spiel! Ich finde es jedoch interessant, solche journalistisch erfundenen Begriffs-Vokabeln, wie »Bethesda-Deal«, einmal genauer zu untersuchen..