Zu den ganzen Jubelreden und Beiträgen die man nun allerorts zu lesen bekommen wird, hat Klaus Körner im aktuellen Rotdorn (Ausgabe 51) einen erfrischenden Artikel mit dem Titel »In 60 Jahren die Verfassung auf den Grund gesetzt — Ein Merkzettel für Sonntagsredner« verfasst. Im folgenden also ein Gastbeitrag von Klaus Körner.
In 60 Jahren die Verfassung auf den Grund gesetzt — Ein Merkzettel für Sonntagsredner
Am 23. Mai wird gewiss feierlich und mit dem entsprechenden Medienrummel an die Verkündung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland durch den Parlamentarischen Rat vor 60 Jahren erinnert. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wollten 1949 nach den überwiegend selbst verschuldeten Katastrophen in der deutschen Geschichte und den geringen demokratischen Traditionen ganz bewusst einen »demokratischen und sozialen Bundesstaat« (vergl. Artikel 20 GG) aus der Taufe heben, der als »gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen« sollte. Selbst die CDU hatte sich damals in ihrem Ahlener Programm (1947) für die Vergesellschaftung der Schwerindustrie, des Bergbaus und der Großbanken ausgesprochen, um den bislang mächtigen Einfluss der Wirtschaft auf die Politik einzudämmen.
Leider ist das aus historisch gewonnenen Einsichten und dem Willen zum Neuanfang geborene Grundgesetz durch Streichungen, Veränderungen und Hinzufügungen immer mehr »verschlimmbessert« worden wie kaum eine andere Verfassung. Denken wir beispielsweise an das sogenannte Notstandsrecht, das während der Zuspitzung des Kalten Krieges Mitte der sechziger Jahre ins Grundgesetz gedrückt wurde. Erinnert sei an die massive Einschränkung des Asylrechts Anfang der neunziger Jahre, um die Festung Europa gegen die wachsenden Flüchtlingsströme aus der sog. »Dritten Welt« abzuschirmen, oder an den Anschluss der DDR nach Artikel 23 GG. Anstatt die ausdrücklich im Grundgesetz vorgesehene Vereinigung Deutschlands nach Artikel 146 GG abzuwickeln, wurde diese wie der Anschluss des Saarlandes vollzogen. Verfassungsgemäßes Vorgehen hätte die Erarbeitung einer neuen gesamtdeutschen Verfassungs- und Rechtsordnung bedeutet, die die in 40 Jahren gemachten unterschiedlichen Erfahrungen der Menschen bei der Landesteile berücksichtigt hätte, so wie es der Zentrale Runde Tisch der DDR im Frühjahr 1990 vorgeschlagen hatte. Eine neue Verfassung hätte das als Provisorium konzipierte Grundgesetz abgelöst.
Verfassungsgebot und Verfassungswirklichkeit
Drei Beispiele sollen das Spannungsverhältnis zwischen dem Wollen von 1949 und der darauf folgenden Verdrängung des Grundrechtskatalogs aus dem herrschenden Wirtschaftswunder-Bewusstsein zeigen. Dabei darf jedoch das häufig segensreiche Wirken des Bundesverfassungs- gerichts nicht verschwiegen werden. Gerade hat es das Bayerische Versammlungsgesetz als grundgesetzwidrig entlarvt. Der Artikel 1 des Grundgesetzes erklärt die Menschenrechte zur Grundlage der Gesellschaft und unterwirft die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung den Grundrechten der Verfassung als unmittelbar geltendes Recht. Nach Naziterror und staatlicher Zwangsherrschaft stellten die Mütter und Väter des Grundgesetzes ganz bewusst diese Kernsätze an den Anfang der Verfassung: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt«. Schauen wir nun auf die Verfassungswirklichkeit, wie heute mit der Menschenwürde tatsächlich umgegangen wird, so haben wir viele erschreckende Bilder vor Augen: Beispielsweise das von Alten und Pflegebedürftigen, wie sie wundgelegen und unzureichend mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt in so manchem Pflegeheim vegetieren müssen (siehe Bericht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen von 2008). Bedürftige Kinder sind dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung eine Einmalzahlung von 100 Euro wert, während für ein altes, rostiges Auto eine Abwrackprämie von 2500 Euro zur Absatzsteigerung von Neuwagen vorgesehen ist. Immer häufiger, nicht nur beim Konjunkturprogramm, stellt sich der Bürger, der eigentliche Souverän unserer Demokratie, die Frage: »Wer steht im Mittelpunkt des politischen Handelns, der Mensch oder die Wirtschaft?«. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik in der Verfassung nicht vorgesehen. Aus der in den Nachkriegsjahren verbreiteten Einsicht »nie wieder Krieg« war ein allgemeiner Wehrdienst im Grundgesetz nicht geregelt. Erst später fügte der Bundestag einen Artikel 12a ins Grundgesetz ein, in dem die Ableistung eines Kriegsdienstes festgelegt wurde und selbst Frauen zum Sanitätsdienst gezwungen werden können.
Die Artikel 14 und 15 halten die Rolle des Eigentums fest. Selbst eine Enteignung im Interesse des Allgemeinwohls ist verfassungsrechtlich möglich. Im Artikel 14 Absatz 2 heißt es: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Dieses Verfassungsgebot wird durch die Gier des ungebändigten Casinokapitalismus, durch Siemensaffäre und Mannesmann- Prozess zu einem dummen Spruch erniedrigt. Der Publizist Heribert Prantl meint in der Süddeutschen Zeitung, das Großmanagement der Wirtschaft habe bis zur großen Finanzkrise den mahnenden Satz des Grundgesetzes auf perfide Weise ergänzt: »Eigentum verpflichtet — zu nichts, außer zur Eigentumsvermehrung und Gewinnmaximierung!«
Klaus Körner
Auch Oskar Lafontaine hat eine sehr empfehlenswerte Rede zum Thema »60 Jahre Grundgesetz« gehalten. Er thematisiert zum Beispiel die nicht vorhandene Definition des Begriffs »Eigentum« im Grundgesetz sowie die real existierenden ungleichen Eigentumsverhältnisse, die niemals zu dauerhaften Frieden führen werden.
zum thema eigentum verpflichtet eine kleine beobachtung: ende der siebziger jahre wohnte ich zur untermiete in einer heruntergewirtschafteten, ehemaligen reedersvilla in der heilwigstraße in hamburg. die villa befand sich in jenem teil der straße, in der nur rote klinkerbauten standen. all diese bauten zusammen bildeten ein ensemble, das denkmalschutzwert hatte, diesen aber nicht unbedingt besaß. die besitzerin wollte das haus verkaufen, weil sie durch ihren alkoholismus nicht mehr arbeitsfähig war und so dringend geld brauchte. vorm haus stand schon ein schild: hier entsteht ein neubau mit eigentumswohnungen.
kurz vor weihnachten kam ein brief, ich glaube, er war vom denkmalamt: der brief verbot der besitzerin, das haus abzureissen zu lassen. die begründung lautete: das haus gehöre zu einem ensemble, ein neubau würde dieses zerstören. deshalb gelte: eigentum verpflichtet. aber das ist jetzt 30 jahre her.
Ich störe mich sehr an dem »selbst Frauen«. Als ob das eine größere Unverschämtheit als die bestehenden Zwangsdienste für den männlichen Teil der Bevölkerung wäre.
Meines Wissens gibt es KEINE »Verfassung« für das deutsche Volk.
Eine Verfassung gibt sich das Volk SELBST. Das heißt: ALLE Bürger eines Landes stimmen darüber ab, ob der ausgearbeitete Vorschlag die Verfassung des Landes werden soll.
Unser Grundgesetz wurde von den Alliierten erarbeitet und und nie dem Volk zur Abstimmung vorgelegt. Auch nicht nach der Wiedervereinigung.
Die Bezeichnung »Bundesverfassungsgericht« ist somit eine Irreführung.
Sollte Jemand in der Lage sein mir zu beweisen, dass ich falsch informiert bin, so lasse ich mich gerne belehren.
Liebe Grüße
Margitta Lamers
@Margitta
Ich werde Dich nicht belehren, denn Du hast vollkommen recht ;)