Fragmentierter Widerstand

»Im Universum der NGO’s  wird alles und jedes zu einem Thema, zum separaten, professionell abzuarbeitenden Einzelproblem und Einzelinteresse. [...] Diese Art der Förderung hat die Solidarität in einer Weise aufgesplittert, wie es keiner Repression je gelingen könnte.«

- Arundhati Roy, »Der Imperialismus der Wohltäter«, Blätter Ausgabe August 2012, S. 72

Anmerkung: Tausende, fragmentierte Grüppchen, engagieren sich in der Umwelt- oder Friedensbewegung, ehrenamtlich im sozialen Bereich oder streiten auf kommunaler Ebene für mehr Investitionen im Bildungssektor. Der Blick auf das große Ganze wird in der Regel systematisch ausgeblendet. Die tausendfache Zersplitterung nimmt nicht nur den Kapitalismus als Urheber komplett aus dem Blickfeld, sondern schwächt auch die eigene Position. Ob das Deutsche Rote Kreuz, der BUND, Amnesty International, Greenpeace, der WWF oder Ärzte ohne Grenzen – jeder kocht sein eigenes Süppchen und niemand stellt den Kapitalismus, der stets die Ursache für all die weltweiten Probleme ist, in Frage. Schließlich sei er alternativlos.

39 Gedanken zu “Fragmentierter Widerstand

  1. Man könnte es aber auch so sehen, dass die themenspezifischen Organisationen arbeitsteilig einiges an Professionalität, Kompetenz und Expertentum entwickeln und somit effizienter handeln können.

    Bezüglich der fehlenden Systemktitik hast Du zum Teil Recht.

  2. Ach, das altauto ist ja doch noch hier... konsequent isser ja! :D Ich denke, dass vielen Grüppchen (der Marke »VVJ vs. JVV«) schon bewusst ist, dass es grundlegendere Probleme gibt.

    »den Kapitalismus, der stets die Ursache für all die weltweiten Probleme« — packst du da nicht auch einfach im sprichwörtlichen Sinne »Alles« Schlechte in ein Wörtchen — und träumst dir da bei dessen »Beseitigung« ein Paradies herbei? Der Kapitalismus produziert doch auch konkrete Opfer und andere Probleme — soll man die dann einfach sich selbst überlassen...? Leiden lassen (weil es dann die Chancen auf »Revolution« erhöht)? Alles nur rumdoktern an »Symptomen«? Na dann hoffen wir mal, dass man selbst nicht irgendwann auch mal »nur« zum Symptom wird, welches Hilfe bedarf...!?

    Was sollen diese teils spezialisierten Gruppen bis dahin denn tun? Hände in den Schoß legen und auf die »Revolution« warten...? Wo soll sie denn herkommen — wie soll es genau ablaufen und was ist die Alternative, von der man die Menschen überzeugen will? Ich sehe da keine. Ich sehe nur viele Linke, die wie ein Kleinkind vor dem Süßigkeitenregal mit dem Fuß auf den Boden aufstampfen und »ich-will-aber« schreien... »Den Kapitalismus« kann man nicht abschaffen, weil es ihn in dieser Form nicht gibt. Er ist nichts fassbares, er ist eine Form zu wirtschaften. Und es sind Menschen, die wirtschaften«. Es wird immer gesellschaftliche Bereiche geben, die nach kapitalistischen oder diesem ähnlichen Prinzipien laufen werden — ob man will oder nicht. »Der Kapitalismus« kam auch nicht über Nacht — er hat sich Stück für Stück in die Gesellschaften hineingefressen. Also sollte man sich auch damit zufrieden geben, ihn in einem langwierigen Kampf Stück für Stück wieder zurückzudrängen. All jene sozialen Errungenschaften wie z. B. Arbeitnehmerrechte und da insb. das Streikrecht (GDL, Tarifeinheit) passen da auch rein. Da gibt es keinen simplen ein-aus-Schalter...

    Denn in dieser Logik verstehe ich dann z. B. auch die Empörung um TTIP und die Privatisierung von Trinkwasser-Infrastruktur(!) nicht. Die ist in sich logisch und auch »nur« konsequenter Kapitalismus. Trinkwasser selbst ist übrigens auch schon lange privatisiert und ein akzeptiertes Handelsgut — zu sehen in jedem Supermarkt. Da schleppen dann gut situierte Grünen-Wähler teures Evian oder Vittel in Einweg-Flaschen Literweise nach Hause, Leitungswasser ist ja nur was für arme Leute. Stichwort: »Ursprüngliche Akkumulation«. Also frisst das »kapitalistische System« auch in eines der letzten verbliebenen staatlichen »Allgemeingüter«. Wobei Letzteres ja so auch nicht stimmt, da auch heute schon viele Stadtwerke de facto nach betriebswirtschaftlichen Methoden arbeiten... Wenn das Trinkwasser also denn mal privatisiert ist, reicht die Rückverstaatlichung dann den »Revolutionären« auch nicht mehr aus, da es ja dann wieder nur eine »Verbesserung innerhalb des Systems Kapitalismus« darstelle...

    Wenn sich dann gewisse Leute eben für die Rückverstaatlichung von Luftfahrt, Bahn, Telefon, Post, Energie usw. aussprechen — bekommen sie von anderen Grüppchen wieder zu hören, dies sei ja nicht weitgehend genug, da man ja das Grundübel »den Kapitalismus« abschaffen müsse — »kapiert dass endlich, ihr blöden Sozialdemokraten«... :P Dabei entreißt man dem Kapitalismus doch immens wichtige Profitquellen und schafft ihn somit (zumindest in diesen Bereichen) auch in gewisser Weise ab!

    Aber manche machen halt keine halben Sachen. Sie wünschen sich das absolut Unwahrscheinlichste (ohne auch nur den blassesten Schimmer zu haben, was danach kommt — bei einer Menschheit, die diese Prinzipien schon mit der Muttermilch aufgesogen hat...) — und wundern sich dann, dass es nicht eintritt...

  3. @Dennis82

    Es wird immer gesellschaftliche Bereiche geben, die nach kapitalistischen oder diesem ähnlichen Prinzipien laufen werden — ob man will oder nicht.

    Klingt für mich nach Alternativlosigkeit und Fatalismus. Erst wenn wir beim »großen Idiotenspiel« (Hartmut Rosa) vom unendlichen Wachstum komplett aussteigen, werden sich auch echte Alternativen auftun. Eine Lösung im bestehenden zu suchen und sich irgendwie »einzurichten«, verschiebt nur das Problem, löst es aber nicht. Solange die staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen so sind, wie sie sind, endet jeder Versuch, eine Veränderung im Bestehenden anzustreben, zwangsläufig mit Anpassung und Unterordnung (SPD, 68er, Grüne, Piratenpartei, Ramelow).

    Was sollen diese teils spezialisierten Gruppen bis dahin denn tun?

    Wie wäre es mit grundlegender Systemkritik? Mit weniger »Wettbewerb« untereinander? Und mehr Solidarität? Und sich nicht mehr von politischen und wirtschaftlichen Interessen vereinnahmen lassen. Matrixmann spricht da einen wesentlichen Punkt an: NGO´s werden heute ganz gezielt »benutzt«, um politische und wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Und sie lassen es mit sich machen, weil sie die finanzielle Unterstützung der »Geldgeber« brauchen.

  4. Warum Fatalistisch...? Wieder die Sache mit den falschen Erwartungen, dem Wunsch nach einem tabula rasa. Ein Kapitalismus, der nur noch in Randbereichen der konsumistischen Gesellschaft wütet (während der Staatliche Sektor die existenzielle Grundversorgung sichert und die Menschen davor abschirmt) wäre nicht schon mal um Welten besser als dass, was wir jetzt haben...? Wäre nicht überhaupt schon eine Trendumkehr(!) weg vom Marktradikalismus schon eine kleine »Revolution«? In Sachen Griechenland hat man doch grade noch erfolgreich verhindert, dass der Neoliberalen Pandoras Büchse geöffnet werden konnte...

    Was ist das eigentliche Ziel — soll es den Menschen mal besser(!) gehen — oder will man sich an Begriffsklaubereien aufhängen? Auch in Staaten, in denen nicht der Kapitalismus vorherrscht gibt es schwarze Märkte und wo Währungen zerfielen, ersetzten z. B. Zigaretten das Geld (im Knast übrigens auch). Daraus folgt dann das Weitere. Warum sollen Luxuskarossen, Yachten oder Colliers nicht nach kapitalistischen Prinzipien hergestellt und verkauft werden...? Wer es sich dann noch leisten kann...

    Du forderst (löblicherweise) weniger »Wettbewerb« und Solidarität untereinander, heizt ihn aber gleichzeitig an, in dem du diese Gruppen wiederum dazu aufforderst, sich mit dem zu befassen, was du (oder deine »Fantasy-Revoluzzer-Gruppe«) ;) als »grundlegende Systemkritik« betrachtest. Das Kind, welches von einem Arzt ohne Grenzen in konkreter Not versorgt wird, ist deine Systemkritik sch...egal. Auch dem vom Jobcenter terrorisierten Arbeitslosen, den jemand ehrenamtlich zum nächsten Termin begleitet... Ich finde es wirklich generell etwas »abgehoben« (wohlwollend formuliert), das Leid der Menschen dem System Kapitalismus zuzuschreiben — aber diesen dann nicht zu helfen. Das kommt sehr gut in der (gleichgültigen und auch bei vielen Linken verbreiteten) Denke zum Ausdruck, wonach »es den Menschen noch zu gut ginge«... Folglich müsse man sie noch mehr leiden lassen, damit sie vielleicht irgendwann zur Einsicht gelangen, dass der Linke da doch Recht haben könnte... Genau dass wird aber: nicht passieren!

    Und wieder anderen wirfst du dann pauschal vor, sie würden sich ja dann doch anpassen und unterwerfen... ;) Diese angebtlich alternativlose »Zwangsläufigkeit« sehe ich jedenfalls nicht — deinerseits also etwas fatalistisch. :P Niemand kann in diesem System widerspruchslos leben — und vor allem überleben. Ich bin auch Idealist — aber ich erkenne auch, was er mir bringt: Nichts. Weil ich nicht die Mittel habe, irgendwen zu erreichen. Woher kriege ich die? Ups, und schon bin ich kompromittiert? Linke müssen arm sein? Hummer-Sahra und Porsche-Klaus? Auch du verkaufst dich für irgendwen, konsumierst ne Menge unnötigen Mist und sitzt grade vor nem aus Ausbeutung und kapitalistischer Produktionsweise resultierenden PC aus Sondermüllbestandteilen... ;)

  5. Pingback: Feynsinn » Aus, der Traum

  6. Hallo Dennis 82,

    wer in der Politik verspricht eigentlich den Menschen noch, dass es ihnen mal besser gehen soll? Heute heisst Lohnarbeiter zu sein, für sehr viele arm zu werden.
    Und warum das so ist, dazu würde es vor der Kritik erstmal eine Analyse brauchen.
    Wenn man davon ausgeht, das der Kapitalismus nur eine Wiederkehr des ewig gleichen Ablaufes ist ( Krise, Bereinigung, Aufchwung) und dazu noch den Staat als von der Wirtschaft unabhängigen Akteur begreift, der der Wirtschaft nur die richtigen Impulse geben muss, damit das alles wieder ins Gleichgewicht kommt, der landet schnell beim guten Willen der Politik und bei den Keynsianern.
    Ist es Zufall, dass der Keynsianismus vom Neoliberalismus abgelöst wurde und (Wirtschafts-) Politik sich heute so präsentiert wie sie ist, als verordnete Austerität.
    Dazu nur ein paar lose Gedanken:
    Durch den technischen Fortschritt und der ständigen Freisetzung von Arbeitskraft aus der Produktion, haben sich die Reproduktionsbedingungen der Ware Arbeitskraft enorm verschlechtert und auch die Bedingungen dafür, ihre Interessen noch artikulieren zu können.
    Ware Arbeitskraft ist inzwischen ein unerschöpfliches Reservoir. Jede noch so schlechte Arbeit wird heute angenommen ( 3‑Stunden- Verträge, 5‑Stunden-Verträge, dazu Schichtarbeit, Akkord und schlechte Bezahlung).
    Von fallenden Profitraten, internationaler Konkurrenz , fiktivem Kapital und Finanzblasen fange ich erst gar nicht an, weil es dazu reichlich gute Analysen gibt.
    Zum Abschluss:
    Ich halte es für ziemlich verlorene Energie, eine Illussion, sich darauf verlassen zu wollen, dass irgendeine sozialdemokratische oder linkssozialdemokratische Partei dem Kapital so etwas wie befriedende Zugeständnisse noch abringen kann oder auch will.

    In der Tat stellt sich für mich die Frage, ob sich der Reformismus nicht endgültig an seinen eigenen Ansprüchen, die er nicht mehr erfüllen kann, totgelaufen hat und seinen Leichnam dennoch immer auf’s neue erwecken will.
    Weil ihm jede Alternative zum Bestehenden ein Greuel ist, weil er jede Alternative damit kontert, indem er ständig neue , auch gescheiterte Hoffnungsträger, dem Publikum serviert, nach dem Motto, der Sankt Nimmerleinstag ist nicht mehr fern.

    Wenn ich Deinen Text lese, so habe ich wohl nicht unberechtigt den Eindruck, dass Du prinzipiell am bestehenden System nichts ändern willst. Du bist bescheiden und Dir reichen kleine Zugeständnisse an Deine Existenz aus.

    Wenn Dir das reicht, dann akzeptiere ich das. Mir reicht das allerdings nicht.

  7. Umgekehrt wird ein Schuh draus , nicht etwas Ganzes wurde zersplittert , sondern das Ganze entsteht aus den Splittern.
    War schon immer so , die emanzipatorische Gesamtbewegung der 60er entstand zunächst aus den einzelnen Teilen wie sozialen , schwarzen , Bürgerrechtsbewegungen usw.
    Dann kam der Versuch der Repression und es entstand ein vorübergehendes Miteinander , das wir im Nachhinein als homogen wahrnehmen , das es aber nie war.

    Die Stärke der Progressiven ist , etwas aus dem Chaos der Ideen zu machen , Gleichförmigkeit ist für Strukturkonservative.
    Daß es unter NGOs und Co auch reichlich Leute gibt , die , ganz Zeitgeist , nur ihr eigenes Süppchen kochen , ist allerdings völlig richtig.

  8. @Art Vanderley
    Sehe ich eigentlich auch so. Gleich vom Imperialismus der Wohltäter zu sprechen, während die Wohltat eigentlich eher den Bach runter geht, empfinde ich da, ehrlich gesagt, sogar fast ein wenig unglücklich. Zumindest mal zugunsten der Vermittlung von so etwas wie eines Big dreams, oder von mir aus auch Masterzieles für alle, in einem auch global ökonomisch-politisierten Rahmens, der geradezu in der größten aller möglichen Vielfalten, praktisch direkt an Mann/Frau operieren muss. Dass dies nicht möglich sein soll, sehe ich jetzt nicht, — und Aufgeben gilt nicht, aber Differenzierung und ein wenig Sensibilität, ist hier wohl doch unbedingt nötig. Also, so was geht man nun wirklich anders an, als mit dem abstrakten Mutterschiff gleich aus dem Orbit.

  9. »Wenn ich Deinen Text lese, so habe ich wohl nicht unberechtigt den Eindruck, dass Du prinzipiell am bestehenden System nichts ändern willst. Du bist bescheiden und Dir reichen kleine Zugeständnisse an Deine Existenz aus.«

    Was du und ich evtl. ändern wollen — und was wir können(!) — sind zwei verschiedene paar Schuhe!

    Angelehnt an einen Horrorklassiker: »Left evil: Distinction«... Dieser (bequeme) Schluss ist ja typisch für den Teil der linken Sekten, die sich für besonders erleuchtet und »radikal« (im Wortsinne) halten... :D Aha — da haben wir es ja — ich bin auch nur so ein unterbelichteter Sklave, der sich nur eine längere Kette und etwas mehr Hundefutter wünscht...

    Auch ein erstaunlich kognitiv-dissonanter Vorwurf, ich würde am bestehenden System »prinzipiell«(!) nichts ändern wollen. Ich führe lang und breit aus, warum ich es für realistischer(!) und zielführender halte, an das »System« verlorenes Territorium Stück für Stück wieder zurückzuerobern — als mit dem Glas guten Roten in der Hand :P einfach weiter an der Gebetsmühle zu drehen und bräsig auf eine »Erlösung« durch eine »deus-ex-machina« zu warten, die mal eben so im Vorbeigehen den globalen »Kapitalismus abschafft«... Ich habe ja durchaus Sympathien für das Genre Fantasy — aber ich hätte dann auch gerne reale(!) Ansatzpunkte, wie dies denn überhaupt (zumindest in dem kurzen Zeitfenster meiner Existenz) aussehen solle. Doch da könnt ihr rein gar nix liefern was einen logischerweise aggressiv und stutenbissig werden lässt... Ich erlebe(!) statt dessen nur, dass mein Leben seit Geburt und die Gesellschaft um mich herum sich quasi permanent nur verschlechtert. Egal, welche politische Weichenstellung vorgenommen wird — es geht immer nur in eine bestimmte Richtung... Sie verschlechtert sich also stetig — folglich könnte sie sie sich auch stetig verbessern... Natürlich auch schlagartig (wär mir auch lieber) — aber wenn schon eine Trendumkehr absolut unrealistisch erscheint — wie wahrscheinlich ist dann »der Führer auf dem weißen Gaul« (Zitat Lazarus09), als Sinnbild für die »Abschaffung des Kapitalismus«...!?!?

    Was ist eigentlich der logische Umkehrschluss aus »Kleine Zugeständnisse« — »das System« kann sich also ruhig noch weiter ausbreiten...? Menschenverachtende Gesetze wie Hartz IV dürfen noch menschenverachtender werden...? Spielt sich doch dieser Logik nach alles innerhalb »des Systems« ab... punktueller (also überwiegend defensiver) Widerstand ist also dieser Logik nach: überflüssig! So sieht TINA auf der linken Seite aus!

    Wer von den »Reformierern« oder den »Revoluzzern« nun der größere Spinner ist — überlassen wir einfach weiter der »Kompetenz« der Masse aus SPD- und CDU-Wählern... :P

    Wenigstens was gelernt, ich bin also ein »Mosaik-Linker«. Immerhin also noch »links« — wenn natürlich qualitativ nicht so rein und makellos wie jenes »links«, auf welches das altauto die exklusiven Urheber- und Verwertungsrechte inne hat. Ist ja schon ein Prädikat, wenn einem die Inquisitoren nicht gleich ein »rechts« auf die Stirn stempeln... :P

  10. Es gibt mittlerweile viele (und umso älter man wird, umso mehr werden es^^) Beispiele von »Versuchen« das bestehende Unrechtssystem von innen heraus zum Positiven zu verändern, die alle gescheitert sind. Fast alle wurden vom Kapital gekauft, korrumpiert oder haben sich angepasst. Warum noch weiter damit Zeit verschwenden, an den »guten Willen« zu glauben?

    Auch in den »Blättern« und im wissenschaftlichen Betrieb gehört es zum guten Ton am Ende immer zu sagen: »Man müsste nur dieses und jenes machen, dann wird alles gut.« Dabei werden regelmäßig realexistierende Machtverhältnisse, die bestimmte Veränderungen niemals zulassen werden, ignoriert. Die internationalen Klimakonferenzen sind dafür ein gutes Beispiel. Da wird sich seit Jahrzehnten um Verträge abgemüht, die weder verbindlich sind, noch Sanktionsmöglichkeiten beinhalten, also faktisch Klopapier sind. Solange sich die Machtstrukturen nicht verändern (militärisch-industrieller Komplex, Konzerne, Banken, Wall Street), kann man reden, analysieren, debattieren und argumentieren, bis man ergraut.

    Ich denke, viele sind einfach komplett desillusioniert und glauben nicht mehr an eine »Veränderung von innen« und sehnen sich daher nach dem »großen Knall« oder einer echten Alternative. Denn dafür gab es einfach zu viele Versprechen und zu viele Enttäuschungen in den letzten 30 Jahren.

  11. @epikur
    Du wirst mir aber jetzt nicht die Flinte ins Korn werfen, — oder?

    Öhhhm, zugegeben, blöder Spruch. Nächstes Mal formulier ich’s angebrachter :-)

  12. @Dennis82: epikur machte auf die empirische Beispiele aufmerksam, die linkssozialdemokratische Verheißungen der jüngeren Vergangenheit Lügen strafen. Ich füge noch den »tournant de la rigueur« hinzu, mit dem sich die Regierung Mitterand vom letzten umfassenden linkssozialdemokratischen Reformprogramm in einem Industrieland verabschiedete. Es ist seltsam wie wenig dies innerhalb sozialdemokratischer Kreise diskutiert wird. Man wird deshalb den Eindruck nicht los, dass es bei Parteipolitik wohl doch nur darum geht, sich einen Posten zu sichern.

    Systemkritik und Reformen müssen sich nicht zwingend ausschließen. Nur, die Reformversprechen wurden so oft gebrochen, dass ihnen die Glaubwürdigkeit abhanden gekommen ist. Wenn man die Fragen anders stellt als die »Zurück-zu-Willy-Brandt-Fraktion«, geht die damit verbundene Staatseuphorie vielleicht etwas zurück und macht eventuell den Blick frei für andere Reformvorhaben.

  13. @Dennis82 — « Egal, welche politische Weichenstellung vorgenommen wird — es geht immer nur in eine bestimmte Richtung... Sie verschlechtert sich also stetig — folglich könnte sie sie sich auch stetig verbessern... «

    Ich denke, da liegt der Knackpunkt, der Fehlschluss, den auch Troptard schon angedeutet hat. Der Kapitalismus ist eben kein irgendwie in der Schwebe befindliches System, in dem sich nichts weiter ereignet als dass Menschen ihre Erzeugnisse austauschen und in dem mit Macht und nach Belieben die prinzipiell immer gleichen Austauschverhältnisse zugunsten der einen oder anderen Fraktion verschoben werden können, wenngleich es natürlich auch das in einem gewissen Rahmen gibt.

    Entscheidend ist aber genau dieser Rahmen, der sich erst dadurch ergibt, dass das Kapital ein stetiger Prozess ist, der sich nicht nur, wie du selbst ganz richtig sagst, immer weiter in alle Bereiche hineingefressen hat — und niemals genau so ›von selbst‹ auch wieder heraus! — , sondern auch die Austauschverhältnisse laufend und irreversibel verschiebt. Es ist eben kein System, sondern ein Prozess mit einer eindeutigen Richtung, die unerhörte Dynamik, die er im Vergleich mit allen früheren (tatsächlichen) Systemen aufweist und die seine Apologeten so bewundern, ist da auch schon ein Hinweis, eindeutiger ist allerdings noch das berühmte ›Waxtum‹, ohne den dieser Prozess nicht auskommt. Er muss seinen Umfang ständig vergrößern, strebt nach Totalität, duldet letztlich nichts mehr, was nicht nach seinen Prinzipien organisiert ist. Das lässt auch mich, abgesehen von den praktischen Erfahrungen, die @Epikur auch schon angesprochen hat, an allen ›Keimformtheorien‹ und ›Rückeroberungen‹ zweifeln.

  14. @ernte23
    Ich bin einfach neugierig, und bitte auf keinen Fall irgendwie jetzt groß falsch verstehen. Das klingt ja alles schön nachgedacht bei dir, mal genauso davon abgesehen, dass ich die empirischen Beispiele irgendwie suche und mich frage, warum man dennis82 jetzt auf linkssozialdemokratische Verheißungen aufmerksam machen muss, die er sicher selber kennt, wie die Frage, wie ich jetzt Empirie und pauschale Weltallaussagen von Arundhati Roy unter einem Hut zusammenbringe. Aber den Satz; Systemkritik und Reformen müssen sich nicht zwingend ausschließen, finde ich große Klasse. Was hältst du von einer mentalen Reform des Systemdenkens wieder hin zu einem Denken der Auseinandersetzung mit Lebenswelten? Wie bereits gesagt, ich bin einfach nur neugierig.

    @Peinhard
    Natürlich ist der Kapitalismus ein frei schwebendes System. Jedes System, welches für sich selber lebt, ist dies genauso wie jedes System, welches sich trotz Dynamik versucht selbstständig zu schließen. Ein sozio-ökonomisches System ist erst dann kein frei schwebendes System mehr, wenn es sich selber einer Basis (evtl. humane Ethik) unterwirft und auch selber davon abhängig macht.

  15. @eb: Der eigentlich redundante Hinweis auf die historischen Beispiele linkssozialdemokratischer Programme kam nur, weil Dennis82 nicht auf diese einging. Ich meine, dass auch Kapitalismuszähmern daran gelegen sein müsste zu analysieren, warum diese Programme nicht funktionierten, was doch nicht allein böser Wille gewesen sein kann.

    Mit Systemkritik hatte ich so etwas im Sinn, wie die Kritik der kapitalistischen Vergesellschaftung mittels Geld und Ware, ihrer blinden naturwüchsigen Dynamik. Bei Reform dachte ich einerseits an traditionelle Vorhaben wie Arbeitszeitverkürzung und andererseits an Alternativen zur bestehenden Güterversorgung, ohne da jetzt etwas konkreteres formulieren zu können. Vielleicht würde es auch schon reichen, mit den Mitteln der PR den Gedanken zu verbreiten, dass ewiges exponentielles Wirtschaftswachstum gebunden an die Warenproduktion auf einem endlichen Planeten nicht geht.

    Nun, weiß ich nicht genau, was Du mit Lebenswelt meinst, glaube aber, dass man sehr wohl festhalten kann, dass die Lebenswelt der meisten Menschen auf dem Planeten inzwischen vom Geld als limitierenden Faktor dominiert wird. Daran könnte sich die Frage knüpfen, ob wir wirklich so leben wollen.

  16. @ernte23
    Dazu muss ich, um dir nicht unrecht zu tun, dich erst mal fragen, ob du bezüglich der linksozialdemokratischen Programme in globalen, kontinentalen oder nationalen Größen denkst. Auch bezüglich der Angehensweise, also vielfältig von innen nach außen oder lediglich abstrakt von außen overall, wäre dies sicher sinnvoll.

    National, sind wir uns wohl alle einig, dass die Programme durchaus und dies recht hässlich funktioniert haben, und deshalb auch in Richtung PR das eine oder andere schwer zwielichte Gefühl herrscht. Hier würde ich deiner Liste der Reformen noch ein zärtliches »HARTZ-IV muss weg« hinzufügen, inklusive einer kompletten Aufarbeitung der Agenda2010. Ich könnte das noch dadurch erweitern, dass eigentlich das ganze Leistungsdenken als Schmieröl einer hoch monopolisierten Sozio-Ökonomie zur Frage stünde. Worin ich gleich mehrere Nutzen sehe. Einmal kann man darüber gut die Wirkung von PR und Werbung auf Menschenmassen zeigen, zum anderen, wie sich in kürzester Zeit, Mentalitäten damit gleich mainstreammäßig funktionalisieren‑, und sich Lebenswelten genauso in leistungsorientierte Getriebemodule wie Menschen in Ressourcen vewandeln lassen, — und die das sogar ganz toll finden.

    Im europäischen Kontext, müssen wir innerhalb der Eurozone teilweise von schwer deuropäisch modellierten‑, aber eben auch noch existierenden traditionelleren Einflüssen, unter aber eben auch schon ziemlich systematisierten Macht des Kapitals reden und weltweit dominiert wohl das amerikanische Lustgefühl am Ausräubern mit indirekt auch schwerem Modellcharakter für andere Länder/Kontinente. Hier können wir wohl wirklich nur abstrakt denken, uns aber natürlich ganz klar in der Frage bündeln, ob wir wirklich so leben wollen. Was die Frage ja noch nicht beantwortet hat, aber angehen, sollte man das natürlich genauso, wie von innen nach außen etwas zu bewirken. In jedem Fall, müssen wir aber dennis82 recht geben, dass wir da wohl in längeren Zeiträumen denken müssen. Leider sehe ich aber Machtstrukturen mit Ressourcendenken bzw. Funktionalisierung von Menschen zugunsten aller möglichen Formen von Bereicherung Weniger zu Lasten Mehrerer, jetzt nicht alleine dadurch gelöst, indem man sich alleinig auf eine Kapitalismusfrage konzentriert, — ist aber mit Sicherheit ein guter Schritt. Grundsätzlich würde ich mich aber wohler dabei fühlen, wenn man dies auch an die Förderung einer humanethischen Orientierung versus eines immer weiter sich verbreiteten Objektdenkens (Systemdenken) koppeln würde.

  17. Und weil »linkssozialdemokratische Verheißungen« in vielen (aber auch nicht allen) Fällen Lügen gestraft wurden (weil neoliberale Sachzwänge, Korruption und Hirnwäsche weit verbreitet sind) und heute schon »unrealistisch« sind, ist nur die (noch unrealistischere) komplette Umwälzung die einzige denbkare Alternative...? TINA? »Verrat« ist im übrigen vielfältig. Ich kann von einer linken Partei mit 10% der Sitze im Parlament keine Wunderdinge verlangen. Da werden dann wohl oder übel (wie im echten Leben auch teils üble) »Kompromisse« nötig, bei denen sich immer jemand verraten fühlen wird. Das ließe sich nur abstellen durch eine absolute Mehrheit für eine linke Partei... aber die will ja keiner...

    Sorry, aber das ist mir halt einfach zu dualistisch. Mir fehlt da in Sachen Kritik am »Reformismus« (der ja sprachlich schon enorm gelitten hat...) ein Blick über den Tellerrand. Da ist zu viel regionale persönliche Verbitterung mit drin. Von Leuten, die der SPD z. B. wohl wirklich mal vertraut haben — verraten kann sich doch nur jemand fühlen, der ein echtes Vertrauen in diese Leute hatte...? Warum blendet man die Entwicklungen in Südamerika zum Beispiel einfach aus? Dort wurde der Kapitalismus auch nicht abgeschafft — und es ist nicht alles eitel Sonnenschein — aber so zu tun, als seien auch schrittweise Besserungen nicht möglich, ist absurd.

    Und ich sehe es eben anders, dass ein sich schrittweise (auch wachstums-systembedingter) ausbreitender Kapitalismus nicht auch politisch schrittweise wieder einhegen ließe. Jener nutzt nur die Freiräume, die man ihm eröffnet. Und Wachstumsdruck...? Kein Problem — dann platzt halt ne Blase — und es geht wieder von vorne los. In nem Krieg geht viel kaputt, danach kann man wieder viel aufbauen (und verkaufen). Wie ich schrieb — ich kann die Logik nicht nachvollziehen, wonach das Ganze eine Einbahnstraße sei.

    Dazu passt aber wirklich die Beobachtung, dass es vorher jedes Mal eine riesige Aufregung gibt (wie aktuell über TTIP) — aber wenn es dann mal beschlossen ist, verbucht man es einfach im »System« — und akzeptiert es so als unabänderliche Normalität. Ein Zurück ist undenkbar, man akzeptiert es. Vertrag von Lissabon, ESM, EFSF — redet heute kein Mensch mehr drüber. Auch nicht Hartz IV oder die Sanktionen. Wenn man sich nun dafür einsetzt, die (einmal eingeführten) Sanktionen abzuschaffen (was schon sehr vielen Menschen eine enorme Last von den Schultern nähme) — ist man dann wieder ja nur so ein alberner »Reformist« / »Linkssozialdemokrat« / »Keynesianer«...

    Na denn, meinetwegen... Was viele offenbar nicht verstehen wollen — das ist eben keine Frage von Entweder Oder. Widerstand kann auch »fragmentiert« erfolgreich sein, nebeneinander. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Es würde evtl. schon reichen, einfach mal jeden sein(!) Bestes tun zu lassen — als ihm ständig Vorwürfe zu machen, sein Weg sei doch falsch oder »ineffizient« (ui, ein Begriff aus der Ökonomie)... zu begreifen, dass man auf der selben Seite steht.

  18. Das Beispiel Frankreich 1981 habe ich erwähnt, weil das damalige Programm der Partie Socialiste meines Erachtens mustergültig für Reformvorhaben einer linken Sozialdemokratie stehen kann. Hab‹ dazu letztes Jahr einen kleinen Artikel verfasst: http://www.nachdenken-in-duesseldorf.de/?p=4359
    Nur, irgendwie beschäftigt sich kaum jemand damit. Warum?

    Eine Kritik der marktwirtschaftlichen Vergesellschaftung beinhaltet für mich auch eine Kritik des strukturellen Zwangs, sich zur Ware machen zu müssen, Kaufobjekt werden zu müssen, und der Konkurrenz der Menschen untereinander, die letztlich zur totalen Entfremdung führt, dem Gefühl niemandem mehr trauen zu können.

    Was meinst Du mit »humanethisch«? Unter Ethik würde ich Theorien über richtiges Handeln verstehen. Bezeichnet »humanethisch« folglich eine spezifische Theorie?

  19. @ernte23
    Warum, — ist eine gute Frage.
    Warum schreiben sich blogger jahrzehntelang die Finger krumm, ohne das es jemanden interessiert? Nicht mal die neuen blogger. Hat dich das interessiert, was diese blogger geschrieben haben? Warum schreibst du dir Finger krumm, ohne dass es jemanden interessiert? Weil es immer ein paar wenige gibt, die es dann doch interessiert. Das ist zwar grauenhaft fragmentiert, — ohne Zweifel, aber genauso läuft das. Die Alternative wäre, — irgendeine gewaltige PR dessen, der meint die Welt am effektivsten retten zu können. Da muss man Glück haben, die Welt muss Glück haben, du musst Glück haben.

    Ethik mag Theorie sein, aber humane Ethik ist die Theorie der Praxis der puren Existenz von menschlichem Leben, in all seiner Vielfalt und wie man dem gerecht werden könnte. Dem muss man sich erst mal stellen können. Falls du Schwierigkeiten mit der Trennung bezüglich Lebenswelten und Systemtheorie hast, hau dir den alten Habermas-Luhmann-Streit um die Ohren und du kommst der Geschichte näher. Vielleicht noch ein kleiner Fingerzeig von mir (sorry, ich kann nicht anders, es bedeutet mir zuviel) aber Systemtheorie kennt kein Subjekt, und damit keine Menschen.

  20. @Dennis82: Mir ging es gerade darum, den Gegensatz zwischen Reformismus und durchaus unerbittlicher Kapitalismuskritik als Schein zu entlarven. Insofern kann ich den Vorwurf des Dualismus nicht ganz nachvollziehen, auch wenn ich den Verweis auf Lateinamerika miteinbeziehe.

    Wir sind nämlich nicht in Lateinamerika sondern Insassen eines großen Industrielandes. Deswegen suchte ich nach Beispielen linkssozialdemokratischer Programme in großen Industrieländern aus der jüngsten Vergangenheit, die auch die parlamentarische Mehrheit erlangten, was am ehesten in Frankreich 1981 der Fall war. Was ist dieses Programm anderes als der Versuch der Einhegung des französischen Kapitalismus in Deinem Sinne? (Den Link auf meinen Beitrag dazu findest in meinem vorigen Post.)

    Die Produktivitätsfortschritte, die der Kapitalismus hervorbringt, sind sehr wohl so etwas wie eine Einbahnstraße. Hinter sie zurückzufallen bedeutet für Unternehmen in aller Regel, in der Konkurrenz den Kürzeren zu ziehen.

    Warum darf man nicht über das bestehende System zumindest in Ansätzen hinausdenken, ohne sich gleich von Dir anhören zu müssen, Phantast zu sein? Für mich gehört dazu z.B. der Gedanke, dass wir als Menschen durch das marktwirtschaftliche Korsett der abstrakten Herrschaft des Geldes hinter unseren Möglichkeiten bleiben. Außerdem ist die Vorstellung einer absoluten Mehrheit für eine linkssozialdemokratische Partei heute in Schland doch genauso Phantasterei.

  21. @ernte23
    Hören wir doch einfach mal auf mit diesen Mann gegen Mann-Kriegen und versuchen einfach mal die Menschen dahinter zu verstehen. Du lebst unter dem gleichen Eindruck ein Phantast zu sein wie dennis82 wie Altautonomer wie, wie ‚wie ..... und jeder davon wird damit kommen, — ..... ohne sich gleich von dir anhören zu müssen.....
    Dabei ist jeder von euch wichtig, auf seine eigene Art und Weise.
    Bitte, — lasst uns einen anderen Weg versuchen. Das dreht sich nur noch im Kreise.

  22. @eb: Der Gedankenaustausch in Schriftform hat ohnehin seine Tücken. Die Missverständnishäufigkeit ist hoch und es dauert, bis die Missverständnisse ausgeräumt sind. Nach Dennis82s letztem Post fühlte ich mich beinahe schon absichtlich missverstanden, weswegen sich mein Ton etwas verschärft hat.

    Übrigens: System immer mit Systemtheorie à la Luhmann/Parsons, und wie sie alle heißen, zu verknüpfen muss nicht sein. Man kann System auch ganz basal als ein aus Teilen bestehendes Ganzes auffassen.

  23. @ernte23
    Schon ok ;-)
    aber...
    Man kann System auch ganz basal als ein aus Teilen bestehendes Ganzes auffassen.
    Da musst du aber jetzt einmal schwer aufpassen, dass dich da keine Leute in die Ecke der Esoteriker drängen, und zum anderen, wird es nichts daran ändern, dass die Teile weiterhin Objekte bleiben, — auch wenn es Menschen sein könnten. Systemtheorie, bleibt Systemtheorie, und die ist im Kern ein Dogma.

  24. @ernte23
    Und du hast vollkommen recht, es eben nicht an Luhmann/Parsons (inklusive Marx/Fromm etc.) aufzuhängen. Das ist ja das was ich kritisiere. Die Soziologen kamen nach den Naturwissenschaftlern und träumten davon, das Ding für sich angleichen zu können. Dahinter stehen aber nicht nur 18 andere, sondern auch weitaus ältere Konstrukte einer Systemtheorie aus mehr oder weniger naturwissenschaftlichem Background. Und die haben sich alle dagegen gewehrt, das Ding auf Menschen anzuwenden. Das Problem liegt hier deutlich bei den Soziologen und Ökonomen, nicht bei den Naturwissenschaftlern von denen das eigentlich her kommt.

    Die Logik dahinter ist aber ganz einfach. Fügst du Systemtheorie einen Subjektivbegriff bei, zerstörst du ihren Sinn. Machst du es nicht, bleiben Menschen Objekte bei vollkommener Ignoranz ihres subjektiven humanen Empfindes bei gleichzeitiger Betrachtung von Menschen als Ressourcen. Humane Ethik die ohne Subjekt nicht existieren kann, — verhält sich quasi polar konträr zum Systemdenken.

  25. Nun, jede Gesellschaftstheorie scheint mir tendenziell vom Subjekt abstrahieren zu müssen. Daher sprechen manche, glaube ich, vom radikalen Konstruktivismus jeglicher Gesellschaftstheorie, weil sie von Subjekten konstruiert wird (nicht zitierfähig).

    Die Vertracktheiten von Subjekt und Objekt kenne ich eher als erkenntnistheoretische Fragestellungen bzw. von den deutschen Idealisten (Fichte, Schelling und Hegel).

  26. @ernte23
    ...radikalen Konstruktivismus jeglicher Gesellschaftstheorie, weil sie von Subjekten konstruiert wird
    Hihi, find ich sogar durchaus zitierfähig ;-)

    Das ist ja das Dilemma. Menschen mit subjektiven ideologischen/religiösen u.a. Eigensichten, welche aus dem Innern des eigenen Systems, an eine objektive Sicht auf sich und Umgebungsobjekte glauben, werden auch beim »nicht schließbaren« System »Gesellschaft«, die Schließung mit Folgekonstruktion versuchen und die störenden wie anderen Inhalte weg zu abstrahieren. Da sie alle außer sich selber als Objekte betrachten, geschieht dies zudem noch ohne jede humane Ethik und je nach Ideologie und Ziel des Konstrukteurs, mit evtl. recht schlimmen Folgen. Dafür war der eher analyische denn konstruktive Charakter von Systemtheorie niemals gedacht. »Gesellschaftstheorie« ist aber doch ein schöner, sogar terminologischer Ausweg. Dafür gibt es jede Menge andere Möglichkeiten ohne dabei auch nur ansatzweise in Systemen denken zu müssen. Mir geht es ja nur darum, dass man die nicht auf der Basis einer, soziologischen Systemtheorie aufbaut. Noch dazu auf einer halbgaren Luhmannschen-Superform, wie das unsere bertelsmanisierten Heilandssoziologen die letzten anderthalb Jahrzehnte betrieben haben. (Mal ganz davon abgesehen, wie zuhöchst eigenwillig, die inklusive des arbeitgebenden Managermetiers, das Ding für sich selber wohl mehr in eine soziale Marktwirtschaftstheorie verwandelt haben) Im Großen und Ganzen, steckt in diesem soziologischem Faible fürs System nichts anderes, als die (pseudo)wissenschaftliche Möglichkeit zur eben sogar noch ingenieursmäßigen Konstruktion »vor« Analyse mit Objekten, bei denen man allenfalls ihren funktionalen sachlichen Nutzen betrachten muss. Eine Gesellschaftstheorie ohne Systemtheorie, kann ja durchaus auch sachlich betrachten, zwingt aber eben nicht methodisch gleich noch per Dogma dazu.

  27. Ohne großer Experte zu sein, hab‹ ich die systemtheoretischen Ansätze eher satirisch aufgefasst. Probleme gibt es doch erst, wenn man sie zum Praxisleitfaden z.B. im Management erhebt...

    Was Du mit humaner Ethik meinst, ist mir immer noch nicht ganz klar, bezieht sich doch jede ethische Theorie auf menschliches Handeln und ist insofern »human«. Stellt man Handlungsnormen auf, erheben sie sich auch über das Subjekt, weil sie für alle Menschen einer Gesellschaft verbindlich sein sollen.

  28. @ernte23
    Die sind, ehrlich gesagt, überhaupt keine Satire, sondern bitterer Ernst und vollkommen unbeachtet in ein gigantisches soziologisches Konstrukt von zudem noch Ideologen eingeflossen, die förmlich von Regierungsseite als Ratgeber engagiert wurden, darüber über Umfrageinstitute, Hochschulbildung, politische Bildung, soziale Bildung, Sozialpädagogik, bis rein in den Kindergarten und natürlich ganz beliebt im Management, ein soziologisches Monopol gebastelt haben, welches natürlich zum Praxisleitfaden wurde. Stell dir einfach nur mal die Frage, ab wann, wo und wie, dieses Wort »Ranking« plötzlich so quantitativ auftrat. Aber gut, das gehört zur Aufarbeitung der Agenda2010.

    Bei humaner Ethik kann ich dir nicht helfen, — wer nicht weiß was humane Ethik ist, dem ist nicht mehr zu helfen, wird sich aber mit Sicherheit freuen, wenn ihm in Notzeiten doch geholfen wird. Sie stellt sich nicht über das Subjekt, für humane Ethik sind Subjektivität und Objektivität, neben vielem anderen, gleichwertige Eigenschaften von Menschen.

  29. Man mag sich von mir aus missverstanden fühlen — kann sich aber auch fragen, warum der Gegenüber etwas so versteht, wie er es versteht? Insb. hinsichtlich des Widerspruchs, dass es akzeptabel ist, sich zwar defensiv gegen einzelne Geländeverluste ans »Kapitalistische System« zu wehren — aber offensiv allein das Heil nur noch ausnahmslos in einer alles umwälzenden deus-ex-machina sehen zu wollen. Darauf habe ich bislang jedenfalls auch keine Antwort der »Revolutionären« erhalten... ;)

    @ernte23: »Warum darf man nicht über das bestehende System zumindest in Ansätzen hinausdenken, ohne sich gleich von Dir anhören zu müssen, Phantast zu sein?«

    An welcher Stelle genau »verbiete«(!) ich dir dass...? Und was ist so schlimm an Fantasie...? Wäre der Vorwurf, es mangele dir an Solcher etwa besser...? Wir »träumen« doch alle von einer besseren Welt (was angesichts des gegenwärtigen Zustands aber auch keine große Leistung ist...) — nur will halt jeder einen etwas anderen Weg dahin gehen — und ist vielleicht anderer Ansicht, wie dieses »besser« denn auszusehen habe. Aber was den groben Kurs betrifft sind wir doch zumindest einer Meinung? Also warum regelm. das Trennende betonen und sich dauernd abgrenzen...?

    Was 1981 in Frankreich war — interessiert mich nicht (da hab ich keine Ahnung von). Du verweist ja aber auch darauf, dass dich Südamerika nicht interessiert. ;) Ich persönlich mache es jedenfalls nicht an lokalen Gegebenheiten fest; ich sehe immerhin hier und da Hoffnungsschimmer (Griechenland, Spanien, Katalonien, Schottland / Corbyn). Klar — wer natürlich von einer globalen(!) Überwindung des Kapitalismus träumt... Ich halte es eben für keinen unabänderlichen und logisch-stringenten Fakt, dass am Ende dann doch immer wieder jede Form offensiven Kampfs um verlorenen Boden / = »Reformismus« — im Umfallen und Verrat endet. Südamerika beweist eben das Gegenteil. Kann sein, dass die Menschen dort eine andere Mentalität haben. Aber die wesentliche Hoffnung der Kapitalismus-Überwinder basiert doch auch darauf, dass die ausgebeuteten Menschen auch hier in Europa irgendwann mal genug haben werden? Oder mit wem will man denn da eigentlich (halbwegs demokratisch) gemeinsam »revoltieren«...?

    Und gibt es den(!) Kapitalismus denn wirklich? Weil irgendwelche Wirtschaftszweige sterben oder Blasen platzen — hat dies Auswirkungen auf das System selbst...? Nein — dann geht die Sch... eben teils von vorne los. Für »Wachstum« brauche ich nur eine zeitliche(! — als auch räumliche) Bezugsgröße. Zerstöre ich viel, kann wieder viel »wachsen«. Und zur Not werden dann halt wieder Banken gerettet und einzelne Völker (Griechenland) über die Klinge springen gelassen... Dazu noch ne Währungsreform und neue bunte Papierschnipsel. Der Tod des Kapitalismus an sich selbst wurde mir schon zu oft vorhergesagt, als dass ich da dran glauben würde. Nach Marx dürfte er heute ja eigentlich gar nicht mehr existieren... Sogar aus der »Finanzkrise« ist er ja »gestärkt herausgekommen«.

  30. @dennis82
    Einen Widerspruch sehe ich da nicht, sondern das Veständnisdefizit eines Theoretikers in Hinsicht auf eher Praktisches.

    @ernte23
    Nimms mir nicht übel, aber es gibt Handlungsnormen die können humanisierend und Handlungsnormen die können dehumanisierend sein. Das ist der ganze Witz an der Geschichte. Je weiter man sich von Menschen theoretisierend entfernt, desto abstrakter betrachtet man sie, obwohl man selber immer noch seine subjektiven Vorstellungen hat. Also, — letzten Endes, jagen auch bei einem Overall-Konstrukt, eigentlich nur wenige ihre subjektivierten Objektivitäten in Form einer Theorie über die Mehrheit- und die muss dann damit klar kommen. Jetzt ist einfach nur noch die Frage, — wird das von Leuten gemacht, die wenigstens noch ein Empfinden für humane Ethik, für Leben, für Vielfalt, für Schmerz, für Gefühle, für pures menschliches Leben haben, — oder von Leuten die den Rest der Welt als Objekte bzw. anderweitig vertheoretisierbare Handlungsobjekte betrachten? dennis82 hat da vollkommen recht. Es geht um Lebenswelten oder the big machine. Menschen, — oder Zahnräder. Und solange das nicht geklärt ist, fühl ich mich bei den geraden Herzen im Inneren des jeweiligen auch praktischen Geschehens, irgendwie wohler.

  31. @eb: Zunächst einmal bestreite ich gar nicht, dass systemtheoretische Ansätze in die Praxis umgesetzt wurden. Dennoch kann man sie mit Humor lesen, der bei Deutschen leider unterentwickelt ist. ;-)

    Nach Deinen Worten würde ich »humane Ethik« als unmittelbares Mitgefühl/-leid deuten. Dann hat »humane Ethik« nichts mit Ethik im philosophischen Sinn zu tun, so wie ich das gelernt habe. Ethik ist ein vieldeutiger Begriff, daher ist das nicht verwunderlich.

    Zur Gefühlsechtheit ;-) : Was ist denn mit einem praktischen Mörder, der an seiner Tat Gefallen fand, etwa weil er seine Rachegelüste damit befriedigen konnte? Ist sein subjektives Gefühl nun inhuman oder human?

    @Dennis82: Den Hauptgrund mich gegen den Kapitalismus zu wenden, erwähnte ich bereits: exponentielles Wachstum der Warenproduktion für immer wird es nicht geben können. Wenn die Krise 20078 eines deutlich machte dann, dass der Kapitalismus an die Warenproduktion gekoppelt ist, weil nämlich die Treibhausgasemissionen aka. der Energieverbrauch in der Folgezeit ziemlich deutlich zurückgingen, bis die Krise gemanaged wurde (im Übrigen durch noch mehr Schulden). Die Erkenntnis zu propagieren, auf einem endlichen Planeten mit endlichen Ressourcen zu leben, was sich mit unendlichem Wachstum nicht verträgt, brächte in meinen Augen tatsächlich mehr, als sich z.B. für Unisextoiletten einzusetzen.

    Hier liegt auch eine grundlegende Differenz zu keynesianischen Überlegungen, die auf noch mehr Wachstum setzen, denn sie gehen im Kern von Unterkonsumtion als Krisenursache aus. Die Verstaatlichungen usw. sollen dazu dienen, dass das Wachstum der Warenproduktion sich im Sinne der Lohnabhängigen sogar noch beschleunigt.

    Die andere Differenz tut sich augenscheinlich bei der Einschätzung der Handlungsspielräume des Staates in einer international vernetzten kapitalistischen Wirtschaft auf. Man könnte auch überlegen, ob es auch andere nicht staatsfixierte Veränderungsmöglichkeiten zum Besseren gäbe.

  32. @ernte23
    Hihi, naja mangelnden Humor, gerade wenn’s ums systemische geht, wird man mir jetzt nicht vorwerfen können. Möglich, dass ich ihn hier jetzt mangeln ließe, aber da du’s ernsthaft angingst, will ich da jetzt ja auch nicht meinen üblichen Sarkasmus verspritzen :-)

    Dein zweiter Absatz bezüglich der humanen Ethik kommt ihr wirklich ein großes Stück näher. Alleine schon die urwüchsige Scheu von Menschen plus zusätzlich manigfaltiger kulturell-religiös etablierter »Du sollst nicht töten« Einflüsse zum gemeinsamen Entfernen aus der Barbarei, sind jahrtausendealter Bestandteil davon und ob ihres hohen atopischen Anteils weder als Theorie noch sonst wie wirklich abstrakt beschreibbar. Das Mitgefühl ist dafür zwar gängig aber auch zu wenig, beschreibt aber eben ganz gut einen Grund anderen sogar noch zu helfen, was als Grundlage für soziales Denken die Humanethiker und die Linken eigentlich schon automatisch miteinander verbindet.

    Der dritte Absatz ist allerdings ein wenig unfair. Der authentische Mörder ist ja gerade einer der ursprünglichsten Gründe dafür, humane Ethik nicht nur abstrakt, sondern eben authentisch dominanter verbreitend leben zu lassen und dies zu fördern. Humane Ethik und hier speziell der Humanismus, ist ja kein Blümchengarten für Schöngeister, in welchem nur das Gute im Menschen gesehen wird, sondern Menschen als ganzes mit auch allen positiven wie negativen Möglichkeiten zur Förderung allem Positiven, zugunsten des gemeinsamen Lebens aller. Die Tötung anderer Menschen, als »in»human anzusehen, obwohl sie von einem (auch weiterhin) »humanem« Wesen begangen wurde, finde ich vollkommen korrekt, ansonsten können wir das Ding ja gleich neutralisieren und sinnlos machen.

  33. Gerade der WWF, eine von ehemaligen Großwildjägern, Adligen und sonstigen elitären Gesellschaften gegründete Organisation, die mit Monsanto gemeinsame Sache macht, soll sich dem nachhaltigen Umweltschutz verschrieben haben...
    Du hast wohl nicht »Der Pakt mit dem Panda« gesehen« hm...???

  34. @eb: Den mangelnden Humor warf ich Dir gar nicht vor sondern den Leuten in Machtpositionen, die sich die Systemtheorie als Maxime gewählt haben.

    Humanismen gibt es gefühlte Tausende beginnend mit der humanistischen Bewegung in Italien am Ende des 14. Jh.s.. Ganz grob ging es um den Menschen im Zentrum der Bildung (studio humanitatis) statt Gott/Theologie/Bibel. Wenn sich daraus die Humanethik ableiten sollte, dann würde ich sie humanistische Ethik nennen. Das ist das Ding mit den Missverständnissen.

    Nicht alle Menschen sind empathisch, ein kleiner Teil der Menschen ist soziopathisch. In Führungsetagen ist der Anteil der Soziopathen sogar deutlich höher als im Schnitt der Bevölkerung. Alle paar Monate kann man davon in der Presse lesen, interessiert aber keinen.

  35. Du verwechselst da was. In der Führungsetage sind es eher Psychopathen. Soziopathen findest Du dafür geballt in allen anderen Positionen. Als natural born Büroassel weiß ich sowas wirklich besser.Denn ich habe mit beiden permanent zu tun.

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