Zwar haben der Oeffinger Freidenker und die Nachdenkseiten schon auf den empfehlenswerten Vortrag von Sarah Wagenknecht über die Finanzkrise hingewiesen, ich komme jedoch nicht umhin, ihn auch an dieser Stelle nochmals zu erwähnen. Wer ein wenig Zeit (45min) sowie politisches Interesse über die Hintergründe der weltweiten Finanzkrise mitbringt, wird den einen oder anderen »Aha-Effekt« erleben.
Ich gebe ihr bei allem recht, außer dass die Märkte sich nicht selbst reinigen. Der ideale Markt würde es tun. Da gibt es aber auch kein soziales Gewissen und der Mensch ist nur eine Zahl. In der Realität exitiert so ein Markt nicht mal annähernd. Darum kann man das Modell nicht als gescheitert sehen, denn es ist und bleibt ein Modell. Es bildet nur die Realität nicht ab. Ansonsten ist es ein sehr schöner Vortrag und es ist schade, dass die meisten ihn für falsch abtun werden nur weil sie von der Linken kommt.
Die Märkte würden sich selbst reinigen, wenn wir nicht die Vermischung von Protektionismus und freier Markwirtschaft hätten. Daduch, daß die Regierungen immer wieder eingreifen, ändern sie die Marktregeln zum Nachteil des Marktes.
Daher gibt es mindestens zwei Alternativen, zum einen die Freigabe des Marktes ohne Protektionismus (was ich für ziemlich unwahrscheinlich halte, da kein Politiker Macht freiwillig abgibt) oder eben eine strikte Regulierung mit kontinuierlicher Risikoüberwachung und ‑analyse. Wobei die aktuelle Krise ursächlich auf die Abschaffung, bzw. Abschwächung der Finanzmarktregeln unter der Regierung Rot-Grün zurückzuführen ist. Aber auch die Schwarz-Gelben haben ihren Anteil daran. Im Grunde waren alle Regierungsparteien fasziniert von der Gelderzeugung in New York und London, ohne zu begreifen, daß es sich hier um Buchgewinne handelte. Die Finanzwirtschaft ist eben keine Industrie, die etwas Greifbares erzeugt. Sie ist genau genommen nichts weiter als ein Spielkasino mit extrem hohen Renditeerwartungen. Und Spielkasinos haben immer enge Verbindungen zu mafiösen Strukturen.
Der Vortrag von Sarah Wagenknecht ist eine hervorragende Zusammenfassung der Ereignisse. Ich habe gerade gestern wieder ein Buch aus dem Jahre 2000 gefunden, von George Soros, Die Krise des globalen Kapitalismus. Er behauptet, daß die sozialen Werte in der heutigen Gesellschaft einen niedrigeren Stellenwert haben weil die Ausbreitung der monetären Werte den politischen Spielraum einschränkt und so daß Gemeinwohl in den Hintergrund treten lassen. Und daß die Korrektur von Exzessen durch die Politik weniger effektiv sei als der Marktmechanismus. Beide Vorgänge haben die fatale Eigenschaft, daß sie sich quasi als Rüstungsspirale verstärken, als der Marktmechanismus den demokratischen Prozess immer weiter untermininert und dadurch die Ineffizienz der politischen Prozesse immer weiter steigt. Er sagte schon Ende der Neunziger Jahre voraus, daß die repräsentative Demokratie und ihre sozialen, bürgerlichen Traditionen durch diese Prozesse stark gefährdet sind und sehr schwer wiederzugewinnen seien.
Es ist schon seltsam, wenn zwei Richtungen, die ideologisch entgegengesetzt sein sollten, zu ähnlichen Erkenntnissen kommen. Wobei G. Soros als Pragmatiker zu betrachten ist, der die vorhandenen Regeln einfach nutzt, ohne wesentlichen ideologischen Ballast. Er hat dazu einen schönen Vortrag gehalten, den man nachlesen kann — George Soros — Die Macht der Fehlbarkeit.
Meine Lieblingsaussage ist: »Staaten haben keine Prinzipien sondern nur Interessen.«
Ich bezweifle sehr stark, dass sich die Märkte jemals »selbst reinigen« würden. Sie würden immer alles um sich herum (Arbeitnehmer, Medien, Politik usw.) wie eine Zitrone auspressen, um den größtmöglichen Profit daraus zu schlagen. Genau wie die ständig verbreitete Illusion, dass Leistung gut bezahlt werden würde (der soziale Status wird bezahlt, aber nicht die eigene Leistung!) und dass der Kapitalismus für einen allgemeinen Wohlstand sorgen würde (Armut ist gestiegen), gehört auch diese »Selbst-Reinigungsfloskel« zu einer marktwirtschaftlichen Ideologie, derer sich die oberen 10.000 zur Legitimierung ihrer Profitinteressen bedienen.
Insofern sind diese wirtschaftlichen »Modelle« zur Argumentation marktwirtschaftlicher Propaganda natürlich vorteilhaft. Denn man kann ja immer darauf verweisen, dass die Realität noch diese und jene »Mängel« aufweist. Also müsse man »Reformen«, d.h. Sozialabbau und andere Maßnahmen vorantreiben um sich diesem tollen Modell anzunähern.
Unter der Voraussetzung, daß keine protektionistischen Maßnahmen ergriffen von Staaten ergriffen werden, würde sich der Markt selbst reinigen. Wir sehen dieses in der Natur, wo der am besten Angepaßte überlebt. Die Natur ist ein Markt, der nur den Naturgesetzen gehorcht.
Leider haben wir keine natürlichen Bedingungen. Die Staaten greifen in den Markt ein, wir wollen eine »soziale« Marktwirtschaft, etc.. Diese geänderten Randbedingungen korrumpieren den reinen Markt und sorgen für Ungleichgewichte. Wenn zu Beginn der »Finanzkrise« die Staaten das einwandfreie Signal gegeben hätten, daß sie nicht bereit sind, die Finanzwirtschaft zu stützen, wäre die Krise möglicherweise nicht so ausgeartet.
Die Welt und damit der Markt ist nun mal nicht perfekt, also brauchen wir Regularien, die die Exzesse abschwächen.
Selbstreinigende Märkte? Das würde zwangsläufig in Monopolismus enden (wenn man sich die Geschichte der Trust und Multis anguckt, wird das eindrucksvoll bestätigt). In D sei nur das Beispiel der Lebensmittelketten genannt, da gibts auch nur »den Markt«. Und wohin hats geführt? Einheitsbrei, ein paar Milliardäre, Knebelverträge mit Produzenten (Milchbauern z.B.).
Ich verstehe die Diskussion nicht. Schon der erste Kommentator, chriwi, hat klargestellt, dass es niemals ideale Märkte geben wird, dass es ideale Märkte gar nicht geben kann. Hintergrund: Es wird einfach niemals in Echtzeit und umfassend über das Marktgeschehen betreffende Sachverhalte informierte Marktteilnehmer geben. Logischerweise können sich die Märkte auch nicht selbst reinigen. Das ist absolut ausgeschlossen. Es ist nicht utopisch — es ist im eigentlichen Sinne des Wortes unmöglich!
Wenn man das Video empfiehlt, kann man auch Wagenknechts Buch »Wahnsinn mit Methode« empfehlen. Es ist einfach sagenhaft gut geschrieben! Wenn man die genialen Kapitelzusammenfassungen mal ins Internet stellen könnte, würden vielen Leute schlagartig ein paar Zusammenhänge klar!
Mal ne andere Meinung:
Joachim Jahnke über das Video von Sarah Wagenknecht