Sozialdarwinismus hat Konjunktur

»Die Erhöhung von Hartz IV war ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie«

- Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union (CDU) zitiert aus SpiegelOnline vom 20. Februar 2009

Anmerkung: 2003 hatte Mißfelder bereits laut verkündet, dass man 85jährigen keine künstlichen Hüftgelenke mehr bezahlen sollte. Nun macht er vermutlich bald Karriere als Nachfolger von Ex-Verkehrsminister Oliver Wittke in Nordrhein-Westfalen. Immer offener und dreister wird auf die Schwachen der Gesellschaft eingekloppt. Solidarität? Hilfestellung? Fehlanzeige.

9 Gedanken zu “Sozialdarwinismus hat Konjunktur

  1. Was heisst hier »Schwachen«?

    Wer als vergleichsweise (materiell) armer Mensch (oder: mensch ohne Erwerbseinkommen), all die Zumutungen aushaelt, der kann sich vor allem eines nicht leisten: Schwaeche.

  2. In England überlegt man ernsthaft, ob Menschen in Seniorenheimen nach einem Herzinfarkt wiederbelebt werden sollen. Ab 65 werden hier in Bayern einige phsychische Erkrankungen (Depression) zumindest in einem mir bekannten Krankenhaus gar nicht mehr behandelt, sofern der Patient Kassenpatient ist.

    Auf der anderen Seite werden aber gerade die alten Menschen regelrecht ausgeplündert. Einer älteren Dame wurden von einem Arzt 10 Vitaminspritzen für 250,-EUR verkauft, wobei deren Rente 650,-EUR monatlich beträgt.

    In vielen Pflegeheimen haben die Patienten keine direkte fachärztliche Betreuung vor Ort mehr. Sie müssen in die Praxen der Fachärzte transportiert werden, was oft mit riesigem Streß für alle verbunden ist. Das sind übrigens die gleichen Fachärzte, die sich über den Rückgang ihrer Einnahmen beschweren!

    Das Dumme ist, daß wir das ganze Ausmaß Mißstände überhaupt nicht erfahren. Die Regierung unterdrückt beispielsweise die Ergebnisse der Qualitätskontrollen in Krankenhäusern. Sie werden zwar erhoben, dürfen nicht veröffentlicht werden. Es könnte ein Schaden für die »schlechten« Krankenhäuser entstehen. Und wenn Pflegekräfte solche Sachen an das Tageslicht bringen, bekommen sie Ärger mit ihren Arbeitgebern. Ähnliche Prozesse laufen auch bei Medikamenten ab. Dort werden unliebsame Studien unterdrückt (beispielsweise erhöhen einige Antidepressionsmittel (z.B. Prozac) das Selbstmordrisiko erheblich), Studien gefälscht und teure Medikamente konstruiert. Horst Seehofer (als Gesundheitsminister) hat in einem Interview einmal gesagt, daß sogar die Politik gegen die Pharmaindustrie machtlos ist.

    Für einige Ärzte sind alte oder »arme« Menschen eine willkommene Spielwiese, um Behandlungsmethoden auszuprobieren. Es werden Operationen durchgeführt, für die kein direkter medizinischer Anlaß besteht. Hier im örtlichen Krankenhaus haben wir gerade eine Epedemie von verkrümmten Nasengängen, die alle operativ behandelt werden müssen!

    Zum einen sind die Menschen in ihrer Würde nichts wert, aber auf der anderen Seite willkommene Einkommensbringer. Es würde schon reichen, wenn man nur das respektieren würde.

  3. Wilhelm Heitmeyer ist da anderer Auffassung — in seiner Langzeitstudie, auch bei Nachdenkseiten nachlesbar, redet er davon, dass wir uns davon verabschieden müssen, dass Menschenfeindlichkeit sich allein gegen alle Nichtdeutschen richtet, d.h. die Fremdenfeindlichkeit wird durch eine grassierende Arbeitslosenfeindlichkeit abgelöst, die sich nicht allein gegen dt. Arbeitslose richtet — Sozialrassismus eben!

    In Südafrika hat man dafür sogar einen neuen Begriff geprägt, man kann es nicht oft wiederholen, die »Apartheid aufgrund der Hautfarbe« wurde durch eine neue »Apartheit aufgrund des Sozialstatus« abgelöst.

    Man sieht es ist ein globales Problem, die Feindlichkeit gegen Verhungernde, »sozial Schwache«, Arbeitslose und andere nichtelitäre Mitglieder der Gesellschaft.

    Die Frage ist nur:

    Wo bleibt der globale Widerstand dagegen?

    Es ist doch nicht nur in Deutschland ruhig, in Zeiten der Finanzkrise — von einigen hoffnungsvollen Protesten in Island, Frankreich und Griechenland, ist es doch auch global ziemlich ruhig.

    Frage:

    Liegt es an den repressiven globalen Anti-Terrormaßnahmen, die sich eben nicht allein gegen islamistische Fundis richten, dass die Lage — trotz globaler Finanzkrise — relativ ruhig ist?????

    Oder sind wir nicht allein in Deutschland »Untertanen«, die den selbst ernannten »Eliten« blind gehorsam sind statt wie ein Mann/Frau aufzustehen und zu sagen: »Ya, Basta — es reicht!« — wie die Zapatistas in Mexiko.

    Gruß
    Nachdenkseiten-Leser

  4. @roger:
    Richtig, ich sollte mir angewöhnen »finanziell ärmere Menschen« zu sagen. Denn nur weil jemand ALG2 bekommt, ist er deswegen nicht gleich ein »schwacher Mensch«. Genau dies soll ja häufig eben suggeriert werden.

    @Gerhardq:
    Ich schätze bei so einigen Ärzten ist der hippokratische Eid von der Geldgier abgelöst worden.

    @nachdenkseiten-Leser:
    Vielen geht es wohl einfach noch zu gut. Ich kann diesbezüglich auf meinen Artikel der Politikverdrossenheit verweisen.

  5. @epikur

    Tja, in Deutschland mag dies vielleicht noch stimmen — Es könnte aber auch psychologisch bedingt sein:

    Viele denken, dass es ihnen zu gut geht, und mit »denen« da unten will man ja eh nix zu tun haben.

    Da hält man sich in Deutschland lieber ans Original aus CDU/CSU/FDP/GRÜNEN/SPD :-(

    Ich seh die Sache aber auch global.

    Obama z.B. in den USA wurde doch aus Protest gegen die Bush-Regierung gewählt, aber auch dort wurde im Wahlkampf nicht viel Protest laut als sich immer mehr die »Neue Weltwirtschaftskrise« (Zitat: US-Nobelpreisträger Krugman) herauskristallisierte — Dieses Wochenende rudert Obama zurück, und distanziert sich von Bankenverstaatlichungen nachdem die Kurse gerutscht sind, d.h. auch ein Obama ist erpressbar — von den US-Börsen....

    Die sogenannten Dritt- und Viertweltländer sind auch relativ ruhig.

    Wenn man sich an die Krise 1929 erinnert, wo weltweit Massenproteste — egal wo — grassierten ist dies wohl doch ein »Wunder« — Ich seh es aber nicht positiv, zumal nun ein Chef-Volkswirt z.B. in Deutschland hinsteht und verkündigt, dieses Wochenende, dass man ab Sommer mit 600.000 Arbeitslosen — die nach einem Jahr in HarztIV fallen werden (ein Jahr ist schnell vorbei, und ich glaub kaum, dass die Krise dann von Schwarz-Gelb bewältigt wird) — mehr rechnen muß.

    Die Zeiten sollten also wirklich auf Sturm — wenn nicht sogar Abschaffung des neoliberalen Finanzkapitalismus — stehen, und dass es allein an der viel beschworenen Politikerverdrossenheit bzw. Politikverdrossenheit liegt kann es auch nicht allein sein — Eher daran, dass global eben Anti-Terrormaßnahmen integriert wurden, die sich im Notfall — wie bereits geschrieben — auch gegen massenhafte Sozialproteste richten dürften.

    Ich seh’s pessimistisch, denn solange sich sogar ein Yes-We-Can-Präsident von den neoliberalen Börsen-Taliban erpressen läßt kann es wohl nicht besser kommen — eher noch schlimmer als eh schon....

    Und was unsere Regierung angeht, da halte ich mich an den Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman.....der lobt die nicht....im Gegenteil...»die dümmste Regierung seit langem in Deutschland«.....und die werden im September wohl auch noch gewählt.

    Wie heißt es so schön:

    »Jedes Volk bekommt die Regierung, die es verdient«

    Meine Befürchtung ist die, dass das Wort »Intellektueller« in Deutschland — wie anno 1929 — wieder, dank Merkel/Münte/Steinmeier & Co. — einen schlechten Beigeschmack bekommt:

    Als Schimpfwort, um vom eigenen Versagen abzulenken.....

    Gruß
    Nachdenkseiten-Leser

  6. Der M... von Mißfelder lies mir keine Ruhe, also war ich mal beim recherchieren und fand bemerkenswertes:

    http://www.taz.de/1/leben/alltag/artikel/1/bundesregierung-raet-zum-hamstern

    ...ich hielt es zunächst für einen schlechten Fasnachtswitz der Taz, aber anscheinend ist was dran, wie auch diese Meldung beweist:

    http://www.taz.de/1/zukunft/konsum/artikel/1/die-aldisierung-des-essens

    ...bis demnächst bei Aldi, wo man — trotz Ernährungskrise, die der Finanzkrise auf den Fuß folgen dürfte — noch billig was zu Essen ergattern kann — oder bei »Den Tafeln«, die dafür sorgen, dass es dank abgelaufener Lebensmittel bei den Discountern noch keine Hungertoten in Deutschland gibt...

    ...fraglich ist nur:

    Wie lange erhalten »Die Tafeln« noch Lebensmittel, wenn uns eine massive Ernährungskrise, wie die Taz verbreitet, bevorstehen dürfte????

    Gruß
    Nachdenkseiten-Leser

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