Oskar Lafontaine hat vor einigen Tagen in der FAZ einen Artikel veröffentlicht, den ich euch ausdrücklich empfehlen möchte! Er schreibt über die Krise, unser politisches System, Begriffsbesetzungen, Medienmacht und die Finanzmarktindustrie:
Ein System, das nur der Minderheit der Reichen dient, kann auch nicht Demokratie genannt werden [...] In einer demokratischen Gesellschaft müssen sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen; der Schwache braucht Gesetze, um frei sein zu können; Eigentum entsteht durch eigene Arbeit und nicht dadurch, dass man andere für sich arbeiten lässt.
Wir leben zur Zeit in einer Form des ökologischen Neofeudalismus.
Frau Merkel verwendet dafür den Begriff marktkonforme Demokratie.
Ich halte es für besonders pervers, wenn Banken Menschen Kredite geben, die sie ohne eigene Sicherheit erzeugen. Diese Kredite lassen sie sich dann dinglich absichern und können daraus vollstrecken. Banken können so Sachwerte ohne jedes Risiko und echte Gegenleistung übernehmen.
Wir leben inzwischen in einer marktkonformen Demokratur. :dagegen:
Der empfohlene Artikel ist wirklich lesenswert. Wie die darin beschriebene »Linke« habe ich auch oft das Gefühl aus der Zeit gefallen zu sein, weil der »Zeitgeist« sich nicht mit meinem vereinen lässt.
Eine Frage bleibt nach der Lektüre dennoch: Lafontaine schreibt: »[...] sind die Starken — sprich die Banken — so mächtig geworden, dass die Regierungen und Parlamente Gesetze zum Schutze der Schwachen, also der Mehrheit der Bevölkerung, nicht mehr durchsetzen können.«
Was mich an der Aussage irritiert, ist das Wort »können« am Ende. Das klingt mir doch zu sehr nach Verständnis für das Tun unserer Politiker, als bliebe ihnen nichts anderes übrig als sich auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung dem Diktat der Finanzmärkte zu beugen (schweren Herzens, könnte man sich noch dazudenken). Dann hätte Angela Merkel also Recht mit ihrem ständigen Verweis auf alternativloses Handeln der Politik. Sie kann ja gar nicht anders, und mit ihr alle verantwortlichen (ob nun Regierung oder Opposition mit angepeilter Demnächst-Regierungsbeteiligung) Poltiker, als den übermächtigen Märkten zu gehorchen, alles zum Wohle des eigenen Landes, versteht sich. ???
Und nun die eigentliche Frage, die sich mir stellt: Wenn das so ist, was könnte es bewirken, wenn in Deutschland DIE LINKE in Regierungsverantwortung gewählt würde? Würde sich dann die Macht der Banken schlagartig verflüchtigen? Warum sollte DIE LINKE bewerkstelligen können, was die jetzige Regierung nicht vermag?
Die praktizierte parlamentarische Demokratie, so meine Meinung, wird nie ein demokratisches Gefüge herstellen können wie es Lafontaine (und vielen anderen Menschen) vorschwebt, weil es das Wirtschaftssystem ist, das krankt und krank macht. Der Abbau der Demokratie (sofern sie sowieso nicht immer nur ein Märchen war) ist nur e i n e Folge davon.
Lafontaine sagt viel , was richtig ist , mit Sätzen wie
»Eigentum an materiellen Dingen wird durch Arbeit des Körpers und der Hände erschaffen, «
wäre ich aber sehr vorsichtig.
Da schimmert diese vulgär-marxistische Grundhaltung mit durch, wonach nur die Arbeit selber wirklich anerkennenswert sei, in der extremeren Form sogar nur die körperliche Arbeit.
Diese Denkweise bereitete (wirklich immer ? ) ungewollt den Boden für Katastrophen wie die chinesische Kulturrevolution , die Gulags oder die Exzesse der roten Khmer.
In den genannten und ähnlichen Fällen war auch immer so etwas anti-intellektuelles mit drin , eine alte Schwäche der politischen Linken , die nicht aus der Mottenkiste geholt werden sollte.
@ Art Vanderley
Das ist doch Unsinn. Lafontaine zitiert Locke und es geht ihm ums Eigentum:
»[...] so formulierte er [Locke] doch den zentralen Gedanken der linken Gesellschaftstheorie: Eigentum entsteht durch eigenes Tun, durch eigene Arbeit und nicht dadurch, dass man andere für sich arbeiten lässt.« (Man beachte vor allem die letze Aussage des Zitates ab: »und nicht dadurch...«)
Was das mit »vulgär-marxistisch« und »anti-intellektuell« zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht.
Muss ja echt Angst einflößend sein, das Gespenst des Kommunismus, wenn sofort die Auswüchse Gulag, »Kulturrevolution« in China und die Roten Khmer als Waffe herhalten müssen?
Lafontaines Verweis auf die Herkunft von Eigentum aus Arbeit sehe ich auch im §950 BGB Abs. (1), wo es heißt:
»Wer durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an der neuen Sache, sofern nicht der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes. Als Verarbeitung gilt auch das Schreiben, Zeichnen, Malen, Drucken, Gravieren oder eine ähnliche Bearbeitung der Oberfläche.«
Klar, Grundstücke kann man nicht umbilden zu einer neuen Sache, daher die Klarstellung »eine neue _bewegliche_ Sache«. Und der Wert der neuen Sache darf nicht geringer werden. Somit ist das Kaputtmachen auch ausgeschlossen. Übrig bleibt im Lafontaine’schen Sinne die Umwandlung von Sachen durch Arbeit, auch wenn »Arbeit« im Gesetzestext nicht vorkommt.
Viel häufgier dürfte allerdings der §947 BGB gelten, wo es heißt:
»(1) Werden bewegliche Sachen miteinander dergestalt verbunden, dass sie wesentliche Bestandteile einer einheitlichen Sache werden, so werden die bisherigen Eigentümer Miteigentümer dieser Sache; die Anteile bestimmen sich nach dem Verhältnis des Wertes, den die Sachen zur Zeit der Verbindung haben.
(2) Ist eine der Sachen als die Hauptsache anzusehen, so erwirbt ihr Eigentümer das Alleineigentum.«
@ArtVanderley @Frau Lehmann
......wird durch Arbeit des Körpers und der Hände erschaffen
...vulgär-marxistische Grundhaltung mit durch, wonach nur die Arbeit selber wirklich anerkennenswert sei, in der extremeren Form sogar nur die körperliche Arbeit.
Die Lücke lässt sich schnell schließen. Ich sehe dies nicht nur bei den Linken so. Stimme ArtVanderley allerdings ein wenig zu, — in Bezug darauf, dass hier gesellschaftsweit Nachholbedarf für stimmige Symbolik besteht. Allgemein bezeichnet man mit »Körper« nicht mehr das darin enthaltene »Gehirn«. Es gibt tatsächlich, (die Schuld der Rationalisten in ihrer Unlogik sowie ganz schlimm, — die der Esoteriker in ihrem Wunsch vom freischwebenden Geist ), ‑eine Grundtendenz bei Allen, mit der Bezeichnung Körper nur noch das Zeugs unterhalb des Hypothalamus zu meinen. Und das darüber, ‑irgendwo in den methaphysisch gewünschten abstrakten Raum. (Die Psychologen, zeichnen hier gerne mal die Festplatte ins technische Modell :-) Warum auch immer. Die Mediziner machens etwas richtiger. Für die ist Hirn und Nervensystem, immerhin ein zusammenhängendes Gebilde. Trennt man dies aber nicht mehr unbewusst, dann ist auch die geistige Beteiligung eines Menschen, ein Produkt »seines Körpers«. Ob dies nun Arbeit ist, Begeisterung, Motivation, Ideenreichtum, Kreativität etc. usw. usf. Ich fand den Aspekt immer interessant, weil mich immer Leute mit der Gesamtsicht und dem Gesamtempfinden vom Menschen zu gedröhnt haben, — dann aber selber diese merkwürdig modellierte Trennung bewiesen haben.
@ Frau Lehmann
Zugegeben , ein wenig zugespitzt habe ich das schon formuliert.
Bei Locke selber mag es die genannte Neigung nicht geben , bei Lafontaine sehe ich das schon ein wenig , nicht zuletzt im Zusammenhang mit anderen , von ihm gemachten Äußerungen , einen undifferenzierten Rückschluß auf die gesamte Linkspartei würde ich dadurch übrigens nicht ziehen.
Insgesamt werde ich immer ein wenig mißtrauisch , wenn jemand den Wert der Arbeit so herausragend betont.
Die in unseren Breiten völlig überzogene Arbeitsethik kommt eben auch von links.
@ eb
Genau auf diese Trennung wollte ich hinaus, die Überbetonung »konkreter« Arbeit und die latente Geringschätzung dessen , was als »nicht greifbar« gilt.
Ich stimme voll zu , daß es dieses Phänomen keineswegs nur bei Linken gibt , sondern in praktisch allen Ausrichtungen , beispielsweise gibt es auch in der Öko-Ecke Leute , die gerne das »Handwerkliche« betonen und dabei durchblicken lassen , was sie von all diesen Theoretikern halten.
Oder diese Unart , Wissenschaft immer nur unter dem Aspekt der Nützlichkeit zu betrachten.
Deutschland ist da sehr ambivalent , es liebt die Gleichmacherei genauso wie den Intellekt.
@ Art Vanderley
Natürlich darf und muss man skeptisch sein, wenn es um die Überwertung von »Arbeitsethik« geht, die ich aber eher (von »links«) als Ideologisierung, hervorgegangen aus der der Arbeiterklasse zugesprochenen revolutionären Rolle, verstehe, im »Klasenkampf« und gegen die Bourgeoisie und deren »Werte«. Diese Ideologie hat aber zum Beispiel schon in der ehemaligen DDR nicht mehr reibungslos funktioniert, die Einteilung in Arbeiterklasse, Bauern, Angestellte und Intelligenz. Die »intelligenten« Ärzte z.B. galten dennoch als »Götter in Weiß«. Gefährlich ist jede Ideologisierung. Aber Lafontaine ist bestimmt nicht so »doof«, sich auf solche Extreme zu berufen.
Überbewertet wird Arbeit heute allerdings schon, aber nicht in erster Linie von den Linken und in einem anderen Zusammenhang. Eine Neubewertung von Arbeit und Eigentum wären mMn durchaus angebracht.
@eb
Interessant, was du da schreibst. Könntest du mal beschreiben, wie sich diese »modellierte Trennung«, wie du sie nennst, praktisch zeigt und wie es sich zeigen würde, wenn nicht getrennt würde? Merkt man das nur daran, wie ich, was ich tue, artikuliere?
Also, ich trenne, glaube ich, auch. Und find das gar nicht schlimm, weil ich nicht bewerte, welche Tätigkeit jetzt die bessere oder nützlichere ist.
Hmmm. Muss ich mal drüber nachdenken.
@Frau Lehmann
Ein ganz bekanntes Beispiel für diese Trennung wären z.B. Zuweisungen ala »Kopf- oder Bauchmenschen«. Beide funktionieren real weder praktisch, theoretisch noch abstrakt noch symbolisch. Werden aber trotzdem symbolisch verwendet. Man mag darüber lächeln, aber solche umgangssprachlichen schwarzen Alltagslöcher, resultieren meist auch aus entsprechend darüber liegender medialer Kommunikation die so dann endet. Aus einem anderen Metier, aber ähnlich entstanden, — wäre die »platonische Liebe« zu nennen. Eine vollkommene Missinterpretation, wo besagte unbewusste, aber dafür gesellschaftsweit bereits empfundene Trennung, sogar aus religiösen Doppelmoralitäten heraus missbraucht wurde. Ansonsten, könnte man noch auf die tausenden kleinen Beispiele verweisen wo z.B. von Intelligenz gesprochen wird. (Man nehme nur mal Schulbücher) Jede vermenschlichte Symbolik dafür, — zeigt den Kopf. Und so wird das auch empfunden. (Abstrakt, theoretisch wie praktisch) Dabei gibt es ohne körperliche Sensorik, — weder eine Interaktion mit dem Ding, noch formen sich Erinnerungen, noch sonst etwas, welches es für irgendetwas taugen ließ. Wenn dies wahrscheinlich jetzt auch einige ein wenig weit hergeholt empfinden, so sind die Auswirkungen für mich aber weitaus fataler im theoretischen Sinne. Z.B. der Wunsch nach der ultimativen Vernunft, Rationalität, Objektivität und durchaus auch, (aus religiöser Sicht), der ultimativen Spiritualität, — ist aus Sicht des Humanisten, nur über diese Trennungsmentalität erklärbar. Von soziologischen Systemtheorien, — sowie den müden Versuchen über künstliche Intelligenz, ja sogar Kreativität zu sprechen, die es so gar nicht geben kann, — wäre glatt müßig. Ich persönlich, sehe darin sogar aus verschiedenen Gründen, — eine wahre geschichtliche Denk- und Empfindungskatastrophe.
Danke, eb, für die ausführliche Erklärung.
Schön lässt sich das auch an dem Wort »begreifen« veranschaulichen, das meint, etwas »verstehen« zu wollen. Ich kann aber nicht verstehen (und damit ist eben nicht die wissenschaftliche Erklärung gemeint, die eine reine »Kopfangelegenheit« bleibt ohne wirklichen Bezug zum Gegenstand), was ich nicht »greifen«, also sinnlich ertasten, erfassen, erfühlen, kann. An kleinen Kindern kann man das beobachten. Sie kennen die Trennung noch nicht.
Die symbolische Trennung dient also einer Kategorisierung und damit Vereinfachung. Ein heute wieder »in Mode gekommener« und völlig falsch interpretierter, aber benutzter Effekt der »Aufklärung«. Und dann landet man zwangsläufig ganz schnell bei all den Theorien und Modellen vom Menschen — der »rationale« Mensch als der ökonomisch denkende, egoistische = »vernünftige« Mensch. Alles andere ist »Sozialromantik«, irrational, kitschig. Schon lange fällt mir auf, dass z.B. der Begriff des »gesunden Menschenverstandes« völlig umgedeutet wurde, letztlich gelesen im Sinne des privaten Wirtschaftens. Als ob der Mensch ausschließlich ein wirtschaftlich agierendes Wesen sei.
Zum Stichpunkt »SozialROMANTIK«: Schlegel schrieb in seinem Roman »Lucinde«: »Und also wäre ja das höchste vollendetste Leben nichts als reines Vegetieren.« Ein Gegenentwurf also zum verbildeten und sich damit von der eigenen Natur entfremdenden Menschen — und immer Anlass für heftige Diskussionen in meinen Kursen.