Die Methoden zur Unterdrückung und Ausgrenzung von nicht erwünschten Meinungen, Analysen und Argumenten, sind immer auch ein Ausdruck des jeweiligen Zeitgeistes und der konkret vorhandenen technischen Möglichkeiten. Im Zeitalter der Digitalisierung braucht es kein Wahrheitsministerium, sondern Faktenchecker. Es benötigt keine öffentlichen Bücherverbrennungen, sondern Algorithmen, die narrativkritische Beiträge zum Verschwinden bringen. Man braucht keine »bösen Mächte« oder einen »Diktator«. Es genügen Sozialtechniken, wie Nudging, Gaslighting oder Kontaktschuld.
Auch eine staatlich verordnete Zensur ist nicht mehr nötig, da sich Bürger und Journalisten zunehmend selbst zensieren. Aus Angst vor Rufschädigung, Karriereknick oder Jobverlust ‑und wegen finanziellen Abhängigkeiten- werden viele Themen freiwillig gemieden. Methoden, zur Aufrechterhaltung der Meinungs- und Deutungshoheit, sind zudem deutlich günstiger, ressourcenschonender und unsichtbarer, als ein politischer Repressionsapparat.
»Eine Zensur findet nicht statt!«
Im Dezember 2023 veröffentlichte der MDR einen Beitrag über DNA-Verunreinigungen in Biontech/Pfizer-Chargen. Einige Tage später wurde der gesamte Beitrag in der ARD-Mediathek sowie auf der MDR-Homepage gelöscht. Zunächst ohne Angabe von Gründen oder einer offiziellen Stellungnahme. Später hieß es, man prüfe die »journalistische Sorgfaltspflicht«.
In der Zwischenzeit versuchten zahlreiche »Faktenchecker«, »Correctiv« und andere Wahrheitsmedien, via Ad Hominem, Kontaktschuld und Diffamierungsargumenten, dem Beitrag die Seriösität abzusprechen. Es kam auch heraus, dass ein Autor vom »Volksverpetzer« für den Shitstorm verantwortlich war.
Am 10. Juni 2024 wurde nun in einer Rundfunkratssitzung festgestellt, dass der depublizierte Beitrag der »journalistischen Sorgfaltspflicht« genügen und keine Verletzung von journalistischen Standards vorliegen würde. Der Beitrag bleibt jedoch trotzdem bis heute gelöscht und die Chefredaktion des MDR gibt dazu keine Antworten.
»Journalisten wissen genau, was sie sagen dürfen und was nicht.«
- Tahir Chaudry. Hat für die ZEIT, Süddeutsche, Fokus und FAZ gearbeitet.
Vorauseilender Gehorsam
Telepolis hat Anfang Dezember 2024, alle Artikel die vor 2021 veröffentlicht wurden, aus dem Archiv genommen. Dies betraf mehr als 50.000 Artikel. Sie selbst nennen das euphemistisch eine »Qualitätsoffensive« (hier keine Kommentare zugelassen). Es ist jedoch sehr auffällig, dass Telepolis, seit dem neuen Chefredakteur Harald Neuber, deutlich weniger bis fast gar keine Beiträge zu »Big Pharma«, dem »Tiefen Staat« oder dem militärisch-industriellen Komplex mehr veröffentlicht. Der alte Chefredakteur und Gründer von Telepolis, Florian Rötzer, der jetzt beim Overton-Magazin schreibt, war für diese Themen bekannt.
Es bleibt abzuwarten, ob Artikel zum NSU-Komplex, zur CIA (»50 Jahre Verschwörungstheorie«) oder zu Big Pharma jemals wieder veröffentlicht werden, und wenn, ob die kritischen Akzente enthalten bleiben oder hier faktisch Geschichtsfälschung betrieben wird. Derzeit sind jedoch die Arbeiten von Hunderten Autoren sowie tausende Verlinkungen verloren und gelöscht. Das ist in der jüngeren deutschen Mediengeschichte ein ziemlich einmaliger Vorgang und erinnert sehr stark an George Orwell’s »1984″:
»Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.«
Lückenpresse
Ein weiterer Fall von Selbstzensur ist die regelmäßige Rücknahme bzw. Nicht-Veröffentlichung von Beiträgen und Artikeln, bei denen das Recherche-Ergebnis ideologisch unpassend ist. So hat der NDR eine umfassende Recherche zur Investigativ-NGO »OCCRP« (Organized Crime and Corruption Reporting Project) ‑bei der herauskam, dass die US-Regierung die NGO finanziert mit Beteiligung von Militär- und Geheimdienst- stillschweigend wieder zurückgenommen, also nicht veröffentlicht.
Laut NDR fehle es dem Thema an »Relevanz«. Deshalb wolle man es nicht veröffentlichen. Laut dem Medienforscher Michael Meyen geht es in diesem Fall vor allem um »Deutungshoheit« und »Definitionsmacht«. Staatlich beauftragte, und/oder durch Outsourcing finanzierte, Faktenchecker und Rechercheverbünde sollen diese sichern und aufrechterhalten. Die »Causa OCCRP« hätte wieder einmal dafür gesorgt, dass Medien- und Regierungsnarrative an Glaubwürdigkeit eingebüßt hätten.
»Es ist halt ein fruchtbarer Boden für die Zensur, wenn man als Journalist eine Familie mit zwei Kindern ernähren muß und auf Basis von Zeitverträgen arbeitet. Irgendwann ertappt man sich bei der Selbstzensur – weil man seinen Job behalten will.«
- Anonymer Redakteur des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle (DW) im Interview mit der Jungen Welt am 15. Mai 2014
Haltungsjournalismus
Gegen die oben genannten Fälle (und es gibt noch viele weitere), ist die nachträgliche Korrektur eines Baerbock-Zitates, fast schon als harmlos zu bezeichnen. Außenministerin Annalena Baerbock, hat bei der OSZE-Konferenz in Malta, Anfang Dezember 2024, von »1,3 Milliarden Menschen in Europa« gesprochen, obwohl in Europa nur rund 740 Millionen Menschen leben. Der ÖRR hat das Zitat nun nachträglich »angepasst« und »1,3 Milliarden Menschen in der OSZE-Region« daraus gemacht.
Man sollte meinen, dass gelegentliche Versprecher menschlich sind und Niemand perfekt sei. Leider ist die gute Frau Baerbock fast schon berühmt dafür. Wenn man dann noch weiß, dass 40 Prozent aller Journalisten grün wählen, dann erscheint so eine »Anpassung« wieder in einem ganz anderen Licht. Schließlich will man ja nicht »den Gegnern in die Hände spielen«, die es eh schon auf die Grünen und Annalena abgesehen hätten, so die übliche Argumentation.
Es ist und bleibt dennoch Selbstzensur und freiwillige Gleichschaltung, weil man nicht berichtet, was ist, sondern was die Regierung und man selbst gerne hätte.
Ziegenjournalismus (13): Vertrauen
Ziegenjournalismus (12): Unabhängigkeit?
Ziegenjournalismus (11): Andersdenkende
Ziegenjournalismus (10): der Tagesspiegel
Ziegenjournalismus (9): Framing
Ziegenjournalismus (8): Deutungshoheit
Ziegenjournalismus (7): Meinungsfreiheit
Ziegenjournalismus (6): Gleichschaltung
Ziegenjournalismus (5): Personalisierung
Ziegenjournalismus (4): Zitate
Ziegenjournalismus (3): Kriegspropaganda
Ziegenjournalismus (2): SEO
Ziegenjournalismus (1): Advertorials
»Lückenpresse« trifft die unschöne Sache viel besser als »Lügenpresse«, meine ich. Überzeugend zu lügen erfordert ja immerhin ein Mindestmaß an Fantasie, gepaart mit Schreibtalent. Das den allermeisten Beiträgen, welche die Ziegenjournaille so unter sich macht, komplett abgeht.
Der Machtwechsel in Syrien kam für die Telepolis-Löschaktion gerade rechtzeitig. Ein bisschen Sturm im Wasserglas bei den alternaiven Medien und das war’s dann auch.
Dass jetzt alle TP-Links im Internet ins Nirvana führen ist für den erfahrenen Internet-Nutzer in sofern halb so schlimm, da es davon in der Regel (noch) eine Kopie beim Internet-Archiv gibt.
Aber es sind ja nicht nur die 50.000+ Artikel weg, sondern auch die 50.000+ zugehörigen Leserforen. Und von denen gibt es keine Kopie bei archive.org. Und die Leserforen machten mit Sicherheit mindestens 50% des Lesewertes von Telepolis aus (habe selbst bis 2019 über 30.000 Beiträge im heise-Forum geschrieben).
Das war selbst den alternaiven Medien keine Bemerkung wert. Wenn man von meinen Blog-Artikeln zum Thema absieht, hat nur Florian Rötzer in einem Interview mit den Nachdenkseiten das mit einem Satz als „gegenüber der Leserschaft ein ziemlich unfreundlicher Akt“ moniert. Bei seinem eigenen Overton Magazin: Fehlanzeige. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da sich Rötzer vormals nie öffentlich solidarisch mit seinen Lesern bei TP gegen die Zensur im heise-Forum geäußert hat. Weder vor noch nach seinem Weggang bei TP. Dazu kommt noch sein unkommunikatives, heuchlerisches Verhalten beim Overton Magazin, wo er mit dem Versprechen (fett im Original) für Meinungsvielfalt beim OM um Spenden wirbt (auch nicht kommentierbar!), aber auf eingereichte, honorarfreie Beiträge überhaupt nicht reagiert. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass beim OM auch nur eine Clique von »Buchkomplizen« (für deren Werke regelmäßig Werbung gemacht wird) schreiben darf und sich nur in der medialen Nische die die Mainstreammeiden aufgemacht haben, breit machen und abgreifen was geht. Sprich: in der Leserverachtung nehmen sie sich letztlich nix. Die »Familie mit zwei Kindern« lässt auch da grüßen.
Alles in meinem Blog unter dem Stichwort »heise« verlinkt nachzulesen.
@keine ahnung
Der ideologische Kampf um die Begriffe »Lückenpresse« oder »Lügenpresse« ist für mich eine Nebelkerze. Es sollte nicht um die Vokabeln, sondern um die offensichtlichen Missstände in der Presse gehen. Und davon gibt es mehr als genug.
orinoco
Ja, da hast Du einen Punkt! Die Löschung von Tausenden von Kommentaren ist völlig aus dem Fokus. Ist auch mir entgangen. Das erweckt den Eindruck, dass die Kommentarsektion bei Heise/Telepolis weniger als Horizonterweiterung und/oder Diskursangebot, als viel mehr als hübsches Beiwerk zur Aufmerksamkeitsmaximierung, gesehen wird.
Dann passt das ja ganz prima hier in diesen Themenbaum:
Unter dem Motto: « This is what we get«: https://www.piratenpartei.ch/2024/12/31/un-generalversammlung-winkt-den-globalen-ueberwachungspakt-durch-am-24-dezember/
@keine ahnung
Ich verwende das Wort ›Lüge‹ allgemein nur zögerlich, im Großen und Ganzen scheint mir NOCH Lückenpresse, Laufstall-Medien oder Konsens-Medien¹ besser; Natürlich hat epikur recht, dass man daraus keinen Streitpunkt machen sollte.
@Orinoco, Der Reißwolf hat die Kommentare gefressen²
Ja, da steckt viel »Leserverachtung« (und Cliquenwirtschaft) hinter der Spendeneintreiber-Fassade, vielleicht aber auch Angst, dass jetzt noch legale Kommentare zukünftig für eine Gefängnispritsche ausreichen können oder eine unbefristete Abenteuer-Safari im Großherzogtum Kiew (Selenskistan).
»auf eingereichte, honorarfreie Beiträge überhaupt nicht reagiert«
Hatte ich auch schon ein paar Mal, allerdings solle man hierbei die inhärente Asymmetrie nicht vergessen: Ein Schreiber kann Hunderte (kleinere Alternativmedien) oder Milliarden (J. K. Rowling+Übersetzer) Leser mit ›Stoff‹ versorgen. Erinnert mich an die weise Bemerkung eines Erwachsenen in meiner Kindheit:
Von den kreischenden Mädchen/Frauen beim Beatles-Konzert wird ab der dritten oder vierten Reihe nichts dauerhaft übrig bleiben, selbst in den Livemitschnitten nicht, während den 4 Bühnen-Helden jede Menge Platz in den Archiven sicher ist; Fast hätte es »Here Comes the Sun« sogar auf die Voyager-Schallplatte (Golden Record) geschafft, aber EMI war laut englischer Wikipedia dagegen und wollte so einen profitablen Song nicht einfach irgendwelchen (raubkopierenden) Aliens schenken. Siehe hierzu auch ›EMI‹ von den Sex Pistols.
¹Mein Evergreen: Die Övvendlich-Liederlichen
²Geht auch anders, siehe https://seitenwende.org/etwas-neues-beginnt-seitenwende-org-zeiten-aendern-dich/ Kommentar/Thread von mir zum Thema
Gerade was den Journalismus angeht, sitze ich eigentlich immer zwischen Stühlen, was denn da los sein könnte. Ich selbst schwanke bei meiner Einschätzung oft zwischen Getrieben-sein und einer ideologisch verengten Zweckgemeinschaft, irgendwie sowas. Von außen betrachtet ist es auch ziemlich schwierig, sich davon ein wahrheitsgetreues Bild davon zu machen.
Wir hangeln uns ja auch in der Regeln an Indizien entlang, und irgendwann sieht das aus wie ein unvollständiges Puzzlebild, was zumindest erahnen lässt, was eigentlich dargestellt werden soll. Ich denke schon, dass es im Gesamtbild so ausschaut, dass dort etwas streng Hierarchisches die Fäden zieht, und wenn es nicht der politische Lobbyismus ist, dann zumindest eine von oben verordnete oder erwartende Stoßrichtung. Und wenn das nur unter dem Schlagwort »Gruppendynamik« abläuft, dann hat diese Statusmeierei wirklich sehr viel Macht, die im Grunde nur unangreifbare Machtstruktur braucht — und dazu gehört auch, die »Meute« in Zaum zu halten. Also sind freiberufliche Tippsoldaten weitaus zweckmäßiger als vollzeitbeschäftigte Journalisten, die einem unter Umständen die Machtposition streitig machen. Also hat man die gesamte Berufsstruktur verändert, dass die Institution an sich nicht ernsthaft gefährdet werden kann, und wenn jemand aufmuckt, ist man sie viel einfacher los.
Und das hat natürlich massiv Einfluss auf die Gewichtung, auf den Berufsethos und letztlich auf die Abnehmer, sprich Leser und Zuschauer. Die übernehmen das sogar blindlings, was aus den Redaktionsstuben schlagseitig verkündet wird. Da mussten wir auch erst lernen, dies anzunehmen, uns das via Aussteigerberichte vor Augen führen zu lassen und uns entsprechend darauf einzustellen.
@cetzer
Man muss nicht, aber man kann, wenn man will, dem Übel viele Namen geben, »Konsens-Medien« trifft es ebenfalls recht gut, finde ich. Angelehnt an Tucholsky könnte man vielleicht auch sagen: Das ist kein schlechter Journalismus. Das ist kein mangelhafter Journalismus. Das ist überhaupt kein Journalismus.
@Sascha
Dass das blinde Übernehmen dessen, was da so alles aus den Redaktionsstuben kommt, bei der »Meinungsbildung« der Menschen eine große Rolle spielt, das hat Erich Fromm in »Haben oder Sein« schon vor einem halben Jahrhundert sehr gut beschrieben. Dass sich »Medienschaffende« — unbewusst oder bewusst — selbst einen Maulkorb anlegen ist nichts wirklich Neues, scheint aber in den letzten Jahren rapide zuzunehmen, vor allem in Deutschland. Dabei spielt tatsächlich wohl auch schlichte Existenzangst eine Rolle. Denn wer nicht die richtigen Lieder singt, dem kann ganz schnell das Brot knapp werden ...
@Sascha
Es gibt mittlerweile viele ehemalige Mainstream-Journalisten (manche würden sie »Nestbeschmutzer« oder gar »Verräter« nennen), die berichten, wie es dort in den Redaktionsstuben so abläuft. Tahir Chaudry. Ole Skambraks. Katrin Seibold. Milena Preradovic. Um nur einige zu nennen.
Man muss also gar nicht spekulieren oder vermuten — es gibt handfeste Berichte und Beweise, über Tendenzschutz, Selbstzensur, finanzielle Abhängigkeiten, ideologischen Gruppenzwang, dpa-copy-paste-Journalismus etc.
@orinoco
Im Vergleich mit dir eher wenig, aber es worden auch ca. 200 Kommentare von mir bei Telepolis gelöscht. Allerdings waren meine (subjektiv) besten eh ständig von der Zensur dort gefährtet. Meisten übrigends gelöscht, weil »der Kommentar auf den du geantwortet hast, gelöscht wurde«. Hier zeigt sich eine weitere Folge von (Selbst-)Zensur. Dadurch das bestimmte Meinungen nicht öffentlich geäußert werden dürfen, können sie auch nicht öffentlich widerlegt werden und bleiben deshalb mystitfiziert stehen. Egal wie bescheuert sie sind.
@Rostock
Neben der unsinningen Diskussion, ob das nun eine NATO Stationierung im Sinne des 2+4 Vertrags ist oder nicht, zeigt der 2+4 Vertrag, dass die Russen augenscheinlich nicht wollten, dass die NATO sich nach Ostdeutschland erweitert. Und trotzdem erzählen sie uns, dass die NATO-Erweiterung in die baltischen Staaten und ins übrige Osteuropa nicht gegen den Geist der 2+4 Verhandlungen verstöße. Ich glaube ihnen nicht. Das ist auch keine Lücke mehr, dass ist Lüge.
Lügenpresse war und ist ein linker Kampfbegriff. Eine der großen Friedenshymne der Bewegung der achtziger Jahre war ein australischer Song über den 1. Weltkrieg von Eric Bogle, übersetzt von Hannes Wader:
Dem braucht nichts hinzugefügt werden.
@Kakapo3
Jup, das Thema hatten wir hier schon. Aber immer wieder wert, zititert zu werden. Im Original klingt es dann so:
Trotzdem Euch allen ein schönes, gutes und vor allem friedliches neues Jahr!