»Baldur’s Gate 3«

Nach rund 185 Stunden Spielzeit und fast 6 Monaten (mit Pausen) bin ich nun durch. Wie bei »Witcher 3« wollte ich am Ende nur noch fertig werden. Diese Spiele sind einfach viel zu groß und viel zu lang für Menschen, die auch noch andere Hobbys und Familie haben sowie eine Lohnarbeit verrichten müssen. Um es vorweg zu nehmen: ja, es ist ein verdammt gutes Spiel. Als »Meisterwerk« würde ich es dennoch nicht bezeichnen. Eine Antwort auf Ratze. (Keine Spoiler!).


Warum der Hype?
Die Dialoge sind fast durchgängig gut geschrieben, wenn auch leider nicht auf deutsch vertont, sondern nur mit deutschen Untertiteln. Ja, viele können dieses »Deutsch-Gejammer« von zahlreichen Zockern nicht mehr hören, aber ich kann das durchaus verstehen. Die Immersion ist auf einem ganz anderen Niveau, wenn nicht nur die Texte, sondern auch die gesprochene Sprache in der Muttersprache vertont ist. Vor 20–30 Jahren war das noch eine übliche Praxis in Video-Spielen. Heute leisten sich das nur noch große Produktionen.

Story, Inszenierung und Charakterentwicklung sind auch überdurchschnittlich. Insbesondere die vielen Entscheidungsmöglichkeiten des Spielers, innerhalb der Geschichte, in der Interaktion mit der Welt, aber auch im Hinblick auf die Entwicklung des eigenen Spieler-Charakters, sind heutzutage eine absolute Rarität geworden. Die Entwickler nehmen die Spieler ernst und lassen ihm viel Freiraum zum experimentieren.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die (Spiele-)Presse das Spiel in all seinen Facetten gespielt und gesehen hat. Sie behaupten das zwar, aber ich glaube ihnen nicht. Dafür ist es einfach viel zu groß. Ratze hat schon einen Punkt, wenn er sagt, dass die Flüchtlingsthematik, der geschlechtslose Charakter-Editor sowie die überall vorkommende Wokeness — mitunter das Kriterium waren, das Spiel so zu hypen. Der Rest ist dann weniger wichtig (siehe »Dragon Age: the Veilguard«). Die linksgrüne Haltungspresse liebt eben ihre politische Agenda.

Die Spieler hingegen freuen sich, dass sie endlich wieder ein Rollenspiel »alter Schule« vor sich haben. Ohne »Live-Service«, Ingame-Shops, tausend Fragezeichen auf der Map, dümmlichen Dialogen, ohne einer »coming of age — Story« und mit Gegnern, die nicht nur »Bullet-Sponge«, sondern auch eine Herausforderung sind. Ein Spiel von Spielern für Spieler. Alles super. Nur: »Baldur’s Gate 3« kommt für mich persönlich trotzdem nicht an folgende RPG-Meisterwerke heran:

Witcher 1
Drakensang 2
Fallout 2 / Fallout: New Vegas
Star Wars: Knights of the old Republic 1+2
Deus Ex-Reihe (Ja, auch der zweite Teil! )
Mass Effect 2
Jade Empire
Tyranny
Planescape Torment
Dragon Age: Origins
Baldurs Gate 2
Vampire Bloodlines
Systemshock 2
Wizardry 8
Kingdom Come Deliverance 1 (den Zweiten habe ich noch nicht gespielt)
Pathfinder 1+2 (»Rogue Trader« ist auf meiner Liste)

Alles Spiele, die ich heute noch zocke. Und das liegt am einzigartigen immersiven Zusammenspiel von Dramaturgie, Story, Inszenierung, Charakterentwicklung, Sound, Grafik und Quest-Design. Ob ich große Lust haben werde, »Baldurs Gate 3« in einigen Jahren noch einmal anzufassen, weiß ich wirklich nicht. Eher nicht. Dafür fehlt dem Spiel nicht nur der letzte Schliff, sondern Originalität und Kantigkeit.


Was hat mir weniger gefallen?
Das Pacing ist grauenhaft. Ich war am Anfang des 3. Aktes schon auf dem Maximal-Level (12). Am Ende von Akt 2 gibt es einen großen dramatischen Höhepunkt mit einer interessanten Auflösung und Wendung. Alles steuert auf das große Finale zu. Aber dann soll man am Anfang von Akt 3 wieder anfangen, einen simplen Mord aufzuklären, einen Zirkus besuchen und in der Stadt überall mit Leuten über Nichtigkeiten labern? Nö, darauf hatte ich dann zunächst echt keinen Bock mehr, zu mal auf Max-Level. Ich hatte das Spiel dann auch erst einmal für einige Tage zur Seite gelegt.

Die Inventar-Verwaltung ist ohne Mods eine einzige Katastrophe. Nach kurzer Zeit ist das Inventar komplett zugemüllt und man weiß überhaupt nicht, was wichtig ist und was weg kann. Insbesondere die Bücher und die Dokumente fluten den eigenen Bildschirm. Dieses Problem hatten schon viele RPG-Spiele vorher. Warum man aber im Jahr 2023 hier keine »Quality of Life« — Elemente einbauen wollte, wie das beispielweise »Dragon Age: Origins« sowie die »Mass Effect-Reihe« mit dem »Kodex« gemacht haben, muss ich nicht verstehen.

Die Kämpfe sind gerade zum Ende hin, nur noch ermüdend. Bei besonderen Boss-Kämpfen ist es dramaturgisch nachvollziehbar und auch spannend, wenn ich hier 30–60 Minuten kämpfe. Wenn ich aber im dritten Akt gegen irgendwelche unwichtigen Randoms über eine Stunde kämpfe, ohne besonderen Loot zu erhalten (Erfahrung gibt es auch nicht mehr, da schon Max-Level), dann macht das nur noch wenig Spaß.


Fazit
Als »Grafik-Porno« würde ich »Baldur’s Gate 3« jetzt nicht bezeichnen, verehrter Ratze. Es sieht hübsch aus, ja, aber wo steht denn geschrieben, dass Video-Rollenspiele keine tolle Grafik haben dürfen? Ganz im Ggeenteil, dürfte das für viele ein Einstiegs- und Motivationsgrund in die Welt der RPG-Videospiele gewesen sein. Und das kann ja generell nicht schaden, wenn mehr Menschen ihre Vorurteile gegenüber Videospielen abbauen.

»Baldur’s Gate 3« ist ein gutes Spiel und empfehlenswert. Wer aber einen der oben genannten Meisterwerke verpasst hat, sollte das vorher noch unbedingt nachholen. Natürlich muss man bei älteren Games leichte Abstriche bei Grafik und Technik machen. In der Regel sind sie aber alle (via GOG und/oder mit Mods) heute noch gut spielbar. Danach sieht man ein »Baldur’s Gate 3« womöglich mit etwas weniger Hype-Augen.



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7 Gedanken zu “»Baldur’s Gate 3«

  1. Nach deiner und der Rezension von Ratze ist der erste Gedanke:
    So krass gehen Meinungen auseinander.

    Persönlich bin ich mit dem Spiel sehr zufrieden. Zuerst hatte ich es wegen der Woke-Scheisse völlig ignoriert, aber am Ende hat mich dann meine Frau damit gekriegt.

    Ihr letztes Computerspiel, mit dem sie längere(?) Zeit verbrachte, war Diablo 2. Seitdem hatte sie gar keinen Bock mehr auf Computerspiele. Nicht mal in der Coronagefangenschaft. Aber nachdem sie mal eine Werbung von Baldurs Gate 3 irgendwo gesehen hatte, hat sie sich erst informiert und dann das Spiel gekauft. Nach einer Woche ihres begeisterten Geplappers und gelegentlichem »bei ihr über die Schulter schauen«, habe ich dann nachgezogen.

    Deutsche Vertonung? Geschenkt. Dafür ist die schiere Masse an eingesprochenen Texten einfach zu groß, für ein eigentlich kleines Unternehmen. Dafür war das Spiel aber erstaunlich Fehlerfrei. Und man ist in seinen Spielentscheidungen halt sehr frei.
    Im Vergleich zu episch angekündigten Spielen großer Spielefirmen, die ihre Spiele teils viel zu früh und voller Fehler auf den Markt werfen, weil die Investoren Geld sehen wollen, war Baldurs Gate 3 einfach ... fertig.

    In Zukunft werde ich ein Auge auf die Entwicklungen von Larian haben. Dafür haben sie in meinen Augen eine grundsolide Arbeit abgeliefert.
    Aber vielleicht sieht man das Spiel als alter Pen&Paper-Rollenspieler auch mit ein wenig anderen Augen.
    Falls es wen interessiert: »Das Schwarze Auge 3. Edition« und »Vampire — Maskerade«.

  2. Also dafür wäre nun mir meine Zeit zu Schade. Nichts gegen ein kleines Computerspielchen nebenbei zur Entspannung, aber über eine Woche 247 oder mehr als einen Monat reguläre Erwerbstätigkeit in sechs Monaten ist mir definitiv zu viel. Ich glaub ich würde das nicht mal schaffen. Ich halte es da wie ein Horst Lüning (den ich sonst sehr kritisch sehe): das reale Leben ist mir »Spiel« genug. Zumal ich da reale Probleme löse und nicht solche, die sich nur andere ohne realen Wert ausgedacht haben. Ich hab nicht Buch geführt, aber mit ähnlichem zeitlichen Aufwand habe ich mein Buch geschrieben.

    Andererseits: klar, in der Zeit kann man sonst keinen realen Unfug anstellen. Das dürfte bei manchen Menschen ein echter Segen für die Menschheit sein. Anwesende wie immer ausgenommen. Allein wenn ich vergleiche was die Dorfjugend so in der Zeit vor den Computerspielen und erst recht Social Media bei uns in der »Hexennacht« angestellt hat. Da musste am Vortag alles was nicht niet- und nagelfest war in Sicherheit gebracht werden z.B. Lichtschachtabdeckungen, die man sonst wer weiß wo wiedergefunden hätte, wenn überhaupt.

    P.S. werden Kommentare hier jetzt wieder moderiert? Ich hab nicht mal einen Link gesetzt. Oder was hab ich sonst Pöses geschrieben?

  3. @Holger

    Wie gesagt, das Spiel ist ja trotzdem verdammt gut. Ich würde ihm aber keine Note 1, sondern eine Note 2 geben. Aber das kann sicher daran liegen, dass man als alter »Gamer-und-Pen-und-Paper-Hase« eben schon so viel gesehen hat.

    @orinoco
    Nein, werden sie nicht. Ich vermute das Anti-Spam-Tool ist bei »orinoco.abades.dynu.net« angesprungen. Bitte geht doch nicht immer gleich alle davon aus, dass der olle epikur jetzt den großen Zensur-Hammer schwingt! Wenn ich Kommentare moderiere, kommunizere ich das oft, laut und transparent (Hallo Publicviewer!). In aller Regel ist es ansonsten das Anti-Spam-Tool.

    Über Sinn und Unsinn von Videospielen wäre ein eigener Artikel nötig. Wir sollten uns aber im Jahr 2025 endlich davon lösen, Eskapismus bewerten zu wollen.

  4. Also die Legendenliste liest sich nicht schlecht. Da kenne ich auch so einiges davon.
    (Kleiner Tipp: setz mal noch die ersten beiden Teile der Nordland-Trilogie von »Das Schwarze Auge« auf die Liste. Mehr DSA 3.Edition hab ich nie wieder erlebt. Hat mir »Drakensang« leider auch total vermasselt...)

    Ich hab halt auch die beiden bisherigen großen Titel von Larian gespielt: »Divinity:Original Sin« 1 und 2. Und hatte dann bei BG3 prompt das Gefühl, ich hätte einen Mod von D:OS 2 auf der Platte.

    Passiert mir irgendwie häufiger. Aktuell bin ich bei Quake 2. Weil Doom Eternal mir überhaupt keinen Spaß macht. Das Ding artet echt in Arbeit aus mit seinen Jump&Run — Passagen.

    Aber hey, wem’s gefällt — cool. Muß ja nicht jeder so ein Meckerfritze sein wie ich.

  5. »einen simplen Mord aufzuklären«
    »Watson, ich habe heute Migräne. Übernehmen Sie bitte diesen simplen Mord (Elementar!) und besorgen mir dann auf dem Rückweg etwas Kokain (aus der Apotheke!).«

    »[aus Wikipedia] die Halbelf-Klerikerin Schattenherz, der Hochelfen-Schurke Astarion, der menschliche Hexenmeister Wyll, die Githyanki-Kämpferin Lae’zel und die TIEFLING-Barbarin Karlach«
    Tschuldigung, aber ich kann das nicht ernst nehmen, auch nicht vorübergehend im spielerischen Sinne. Vermutlich alles (schon lange) per KI¹ erzeugt, außer natürlich ›Tiefling’² — Dieses Wort entstammt dem ersten Entwurf von ›Mein Kampf‹ und wurde in der Endfassung³ durch ›Untermensch‹ ersetzt. Siehe hierzu auch ›Der stählerne Traum bzw. The Iron Dream‹ von Norman Spinrad. Aus der englischen Wikipedia:
    »We are forced, [...] to think about ourselves: our moral assumptions, our ideas of heroism, our desires to lead or to be led, our righteous wars. What Spinrad is trying to tell us is that it is happening here.« [Ursula K. Le Guin]

    ¹Natürlich programmiert von Hohe-Pythons der BBC-Kirche
    ²Ernährt sich vorwiegend von Bratlingen und Barbaren-Schnitzel
    ³Im Gegensatz zum ›Endsieg‹ hat das perfekt geklappt

  6. @epikur
    War nicht als Zensurvorwurf gemeint. Moderation ist manchmal sinnvoll. Ich hab mich nur gewundert. Der orinoco.abades.dynu.net-Signature-Link ist schon seit ewig der gleiche und sollte das Anti-Spam-Tool inzwischen kennen.

  7. Baldurs Gate? War fas nicht das Spiel„wo sigar der Ossi eine eigene Vertonung bekam?

    Da ist es doch kein Wunder, dass vielen Leuten das fehlt.

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