Wir da oben. Ihr da unten. (2)

Für vermeintliche Akademiker, Bildungsbürger und Journalisten sind die Redewendungen »die da oben« oder »die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen« negativ populistisch und verschwörungstheoretisch geframt. Die weit verbreitete Wahrnehmung in der Bevölkerung, dass für Vermögende, Politiker und Journalisten andere (vor allem auch rechtliche) Regeln gelten, als für den ganz normalen Lohnarbeiter — darf auf keinen Fall ernsthaft diskutiert werden. Deshalb wird sie als »gefühlte Wahrheit« diskreditiert. Dabei gibt es immer wieder aktuelle Beispiele, die aufzeigen, dass wer Macht, Geld und Einfluss besitzt, sich vielfältigen rechtlichen (moralischen sowieso) Konsequenzen entziehen kann.


Cum-Ex
Der Cum-Ex-Skandal gilt als die größte finanzpolitische Korruption Deutschlands. Der Steuerraub soll sagenhafte 150 Milliarden Euro betragen. Fast alle Großbanken in Deutschland und viele internationale Banken sowie viele Politiker sind in die Affäre verwickelt. Darunter ist Bundeskanzler Olaf Scholz, der seit Jahren behauptet, »Erinnerungslücken« zu haben. Die Cum-Ex-Chefermittlerin, Anne Brorhilker, hat im April 2024 ihre Arbeit niedergelegt. Sie selbst sagt im Interview mit der Jungen Welt:

»Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird. (…) Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen

Seit rund Zehn Jahren wird die Aufklärung zu Cum-Ex verschleppt und sabotiert. Mal verschwinden Akten oder Laptops. Zeugen tauchen nicht auf. Gesetzeslücken werden ausgenutzt oder Verfahren gegen Hauptverantwortliche werden komplett eingestellt.


Panama Papers
2016 wurde mit den »Panama Papers« ein globaler Finanzskandal aufgedeckt. Ein anonymer Whistleblower hat hier rund 12 Millionen E‑Mails, Briefe, Faxnachrichten, Gründungsurkunden, Kreditverträge, Rechnungen und Bankauszüge veröffentlicht. Es ging um Strategien der Steuervermeidung, aber auch um Steuer- und Geldwäschedelikte, Steuerschlupflöcher, Briefkastenfirmen, Strohfirmen und Steueroasen. Der Schaden wird allein in Deutschland auf rund 50 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Nun wurden alle 28 Angeklagten freigesprochen. Die Beweismittelkette sei »nicht mehr nachvollziehbar« gewesen, so die Richterin.


Informationsfreiheitsgesetz
Während jeder ganz normale Steuerzahler ständig verpflichtet ist, öffentliche und amtliche Dokumente bereit zu stellen, vorzuzeigen und unter Bußgeld-Androhung, vorzulegen — weigern sich Politik, Verwaltungen und Behörden regelmäßig genau das zu tun. Obwohl sie durch das »Informationsfreiheitsgesetz« zu Transparenz verpflichtet sind, wird entweder mit Verzögerungstaktiken gearbeitet, sich komplett geweigert (so das der Klageweg beschritten werden muss) oder geschwärzt, was das Zeug hält.

Die investigative Journalistin, Gaby Weber, kann damit ganze Bücher füllen. Seit Jahrzehnten durchforstet sie öffentliche Archive und Datenbanken, recherchiert und trägt dann ihre Ergebnisse journalistisch zusammen. Leider trifft sie immer wieder auf eine Mauer des Schweigens und des Widerstandes. Akten werden nicht herausgegeben, der Zutritt zu Archiven versperrt und der Zugang zu Datenbanken nicht gestattet. Diese muss sie sich dann jedesmal durch jahrelange gerichtliche Prozesse erkämpfen.

Weitere Beispiele wären hier die RKI-Files, Dokumente zur »Zeitenwende« oder der Atomausstieg. Immer wird sich zuerst geweigert, dann muss umständlich und lange geklagt werden und am Ende gibt es durchgeschwärzte Dokumente. Ob der Otto-Normal-Lohnarbeiter das bei seinen Steuerbescheiden auch mal machen könnte?


Fazit
Überflüssig zu erwähnen, dass gleichzeitig jedes Bußgeld vom Ordnungsamt, jeder Steuerbescheid vom Finanzamt oder jede GEZ-Zahlungsaufforderung unerbittlich verfolgt werden. Da kennen Behörden, Verwaltungen und Gerichte keine Gnade. Jeder kennt diese Anekdoten, wenn es selbst um Mini- und Kleinstbeträge geht. Da werden Mahngebühren erhoben, Gerichtsvollzieher beauftragt oder gleich mit rechtlichen Konsequenzen gedroht. Wenn es aber um Milliardenbeträge geht, werden Prozesse eingestellt.

Wer all das täglich sieht und thematisiert, soll jedoch ein »Populist« und »Verschwörungsschwurbler« sein? Nein, die Wahrnehmung der Bevölkerung ist keine »gefühlte Wahrheit«, sondern beruht auf dem Fakt, das wir in einer Klassengesellschaft leben, in der soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit nicht nur täglich spürbar und erlebbar, sondern strukturell fest verankert sind.


Wir da oben. Ihr da unten. (1)

9 Gedanken zu “Wir da oben. Ihr da unten. (2)

  1. Ob der Otto-Normal-Lohnarbeiter das bei seinen Steuerbescheiden auch mal machen könnte?“
    Klar, die zu Schwärzen ist ja wirkungslos, das darf man. Wenn, dann eher mit den Lohnabrechnungen, die am besten gar nicht erst geschrieben werden.
    Und wieder die alte Leier: Solange sich die Masse nicht wehrt, tanzt ihr eben der Kobold auf der Nase rum. Sie müßte längst mal Exempel statuieren — nach Stephen-King-Manier. Die Frage wäre, wie viele überhaupt noch übrig blieben.

  2. Als langjähriger Verfechter echter (direkter) Demokratie, der am Anfang auch skeptisch war, dann sich aber alle Vorurteile als demagogische Märchen entpuppt haben, bin ich inzwischen der Auffassung, dass es in einer echten (direkten) Demokratie keine Gewaltenteilung geben darf, weil diese eben nur eine Krücke zur Kontrolle der Staatsmacht ist, die zunehmend an demokratischer Legitimation verliert, je weniger die drei Gewalten (direkt-)demokratisch kontrolliert werden. Bei Regierung und Parlament ist die Forderung nach Kontrolle durch Volksgesetzgebung, sowohl als Initiativrecht, als auch Vetorecht verbreitet. Die Forderung nach einer (direkt-)demokratischen Kontrolle der Justiz ist noch selten, aber auch hier sehe ich den Bedarf an einem Initiativrecht des Volkes, wie auch einem Vetorecht, also Volksklage und Volksrevision. Derzeit ist das nach Parteienproporz zusammengewürfelte BVerfG noch mit absolutistischer Macht ausgestattet, da Entscheide (national) nicht weiter anfechtbar (nur Beschwerde bei EGMR noch möglich). siehe BVerfGG.

    Aber abgesehen davon, dass die institutionelle Diktatur echte (direkte) Demokratie verunmöglicht, ist sich in dieser Frage auch die außerparlamentarische, staatskritische Opposition nicht einig, ja, meist wird sich sogar geweigert sich damit ernsthaft und sachgerecht auseinanderzusetzen und nur billiger Populismus, gleich dem der Politiker betrieben, der das Volk auch zur unmündigen Masse erklärt, die danach abstimmt was BILD druckt.

  3. orinoco

    Mein Reden. Wer Politiker- und Volksverachtung zugleich betreibt, soll mir mal erklären, wie er eine konstruktive sowie freiheitlich-demokratische Gesellschaft aufbauen will, wenn er weder Politikern, noch Bürgern vertrauen kann und will? Denn einfach alles hassen und nur nörgeln kann jeder. Bringt aber Niemanden weiter.

  4. Elfenbeinturm aber ebensowenig.
    Vor vielleicht 10 Jahren gabs den Versuch der Nein-Partei. Beteiligung erbärmlich niedrig. Nun gibt es sowas wie unsere-verfassung.de, erbärmlich niedrig, obwohl das selbst für einen 5jährigen zu verstehen ist. Die Masse will nicht. Sie will nichtmal die Möglichkeit der Beteiligung eröffnen, sondern unbedingt die Türen ihres Käfigs geschlossen halten. Seit 2020 wird für jeden sichtbar stetig noch weiter verriegelt und verrammelt — macht nichts.
    Nach der Möglichkeit käme der Schutz vor Diktatur und Co., der ja nur aus dem Volk kommen kann, das also jeder einzelne sich bewegen und riskieren muß. Corona hat gezeigt, das es dann völlig aus ist, Urlaub und so. Im Gegenteil hilft man noch mit.
    Solange das so ist, braucht man von wahrer Demokratie nicht träumen.
    Eine Erklärung, wie nur diese 2 Punkte zu überwinden wären, durfte ich noch nicht vernehmen, weder hier noch anderswo, obwohl das nunmal Voraussetzung für Utopien ist. Oder wenigstens Argumente dafür, das ich es falsch einschätze, das die meisten doch nicht so sind und alles einfach so geschehen lassen.
    Als meine Bestätigung werden wir jetzt erleben, daß die Masse die Vermeidung von Aufarbeitung mit entsprechenden Konsequenzen zuläßt oder sich mit einem billigen Abklatsch davon zufrieden gibt, Stichwort Bauernopfer. Von einem Tribunal nach Vorschlag Gellermann oder einem Querdenkergerichtshof gar nicht zu reden.

  5. @Udo

    Warum wird bei solchen Analysen immer verschwiegen, relativiert und/oder kleingeredet, dass wir seit 2020 eine immer größer werdende nicht-parlamentarische »Opposition« haben? Seien es die C‑Demonstrationen, die »Spaziergänge«, zahlreiche Aktionsbündnisse, Vorträge oder die dutzend‑, ja hundertfachen neuen Medienportale, Magazine, Blogs, Twitter-Accounts, YouTube-Kanäle und und und.

    Natürlich reicht das alles nicht und es wäre noch deutlicher Widerstand und Widerspruch zu wünschen. Das es nicht genug sei, kann man immer sagen und fordern.

    Aber zu unterschlagen, dass seit 2020 im bräsigen und schlaftrunkenen Deutschland, hier vergleichsweise sehr viel passiert ist (und weiter passiert!), fördert mal wieder nur Resignation und Fatalismus. Und damit spielt man letztendlich nur der Regierung in die Hände.

  6. Bitte auch nicht vergessen: Wer den Herrschenden zu nah kommt, bekommt richtig Ärger. Auch das hat die Corona Zeit sehr deutlich gemacht. Und da sind noch Eskalationsstufen nach oben offen.

  7. In der Aufmerksamkeitsgesellschaft in der — bildlich gesprochen — jeder der in der Fuzu auf einer Kiste eine revolutionäre Rede hält eine Brassband nebenan gestellt bekommt, dass ihn keiner mehr hören kann, genügt es schon mit einer abweichenden Meinung für die Machthaber zu viele Menschen zu erreichen um zum Abschuß freigegeben zu werden. Alle anderen so sie überhaupt behördlich auffällig werden, werden intern mit dem I‑Wort gelabelt und ignoriert.

  8. Der Feudalismus lebt halt wieder auf. Man hat nur insofern daraus gelernt, dass man das nicht als Gesamtsystem verkaufen kann, sonst erinnert man sich noch mittelalterliche Methoden. Heute sind wir mehr oder weniger auf der Psychoebene feudalisiert, da kann man sich auch mal Nachtflugverbote kurz aufheben. Wenn man gleichzeitig humane Werte propagiert, kann man sein feudales Handeln auch irgendwie konstruiert begründen. Was natürlich völliger Quatsch ist — Feudalismus ist Feudalismus ist Feudalismus.

  9. eine immer größer werdende nicht-parlamentarische »Opposition«“
    Warum verschweigt die Opposition stets, was aus ihr Wachsen folgen soll? Gibt es einen Automatismus, der mit der Größe einer Opposition auslöst? Wirkt dann ein Zauber? Selbstverständlich nicht. Stattdessen
    1: Sie spielt, wie die gesamte Kritik, nach den meist geheimen Regeln des Gegners.
    2: Ich sprach auf den hiesigen Demos Leute auf mein Thema an, Radweg und Co. Antworten: Mainstream, wie erwartet. Es reicht nicht, bei nur einem Thema nicht nachzuplappern.
    Was also folgt aus der Opposition?

    es wäre noch deutlicher Widerstand und Widerspruch zu wünschen“
    Wenn ich die Fahrbahnen benutze, ist das weder Widerstand noch Widerspruch, sondern einfach das, was mir zusteht. Alle anderen legen sich lieber auf dem glatten Wegelchen auf die Fresse, 90 Jahre Indoktrination. Wie Homer Simpson bringen sie diese Peinlichkeit dann vor Gericht, wo sie regelmäßig verdient abblitzen, was, wiederum Homer nachmachend, am Verhalten nichts ändert. Für Widerstand und Widerspruch, oder was man dafür hält, fehlt die Grundlage, die in Denken besteht, mit Denken kommt der Widerstand von allein, einfach ab und zu mal eine Handvoll Gehirnzellen aktiv schalten. Das (absichtliche) Ausbleiben jeder Denktätigkeit ist die Grundlage meines Meckerns.
    Ja, die alternativen Medien nutze ich seit Corona deutlich mehr. Bis 2020 hatte ich es jedoch nicht so eilig mit dem Spenden.

    Wer den Herrschenden zu nah kommt, bekommt richtig Ärger.“
    Noch ein No-Brainer. Das entschuldigt nicht, da, wo man Gefolgschaft verweigern kann und dieses auch dringlich ist, doch mitzumachen. Die Leute lassen sich spritzen, um in den Urlaub gurken zu können, obwohl klar ist, das deshalb zukünftig andere über ihren Urlaub bestimmen werden, über jedes Detail ihres Lebens, das eines jeden.
    Ich messe den Menschen an Kleinigkeiten, einfach nicht mitmachen, einfach das Wegelchen nicht benutzen, einfach die Maske nicht aufsetzen gehört dazu.

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