In einem Seminar, dass ich vor einiger Zeit besucht hatte, ging es um den »Radikalenerlass« aus dem Jahr 1972:
»Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird.«
- »Radikalenerlass« aus dem Jahr 1972
Ich meinte daraufhin, dass wir die Repressionen gegen Andersdenkende sowie die Unterdrückung von nicht erwünschten Meinungen in Deutschland, überhaupt nicht überwunden haben. Die ganz offensichtlich grünpolitisch-sozialisierte Dozentin schaute mich überrascht an und fragte: »Wo denn?«
»Danach sind Bestrebungen der »verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates« gegen die Sicherheit des Bundes sowie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, speziell gegen das Demokratieprinzip, gerichtet.«
- bundestag.de vom 29. August 2023
Nein, nein, das sei »ja etwas ganz anderes, das könne man nicht miteinander vergleichen«, antwortete sie.
Die Verfolgung, Ausgrenzung und Kriminalisierung von Regierungskritikern, hat in Deutschland Tradition. Denn wer am Ende ein »Extremist« oder »Verfassungsfeind« sei, das definieren die jeweiligen Regierungen. So wie es gerade passt. Ganz zu schweigen vom Kriminalisierungsversuch: »unterhalb der Strafbarkeitsgrenze«.
Außerdem wären da noch die zahlreichen »Meldestellen«, der Digital Service Act (DSA), LibMod (»Gegneranalyse«), das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, die Uploadfilter, die Landesmedienanstalten, die Beweislastumkehr und die »Trusted Flagger« — alles Methoden, um unliebsame Meinungen, Ansichten und Analysen zu unterdrücken und zu kriminalisieren. Nicht zu vergessen, die immer wieder geleugnete Zensur: »Meta-Chef Zuckerberg: Biden-Regierung hat uns unter Druck gesetzt, Corona-Inhalte zu zensieren.“ Nebenbei wieder so eine »krude Verschwörungstheorie« der C‑Schwurbler, die sich bewahrheitet hat.
Übrigens hielt die ZEIT zum »Radikalenerlass« fest, der offiziell erst 1991 abgeschafft wurde:
»Die freiheitliche demokratische Grundordnung hat er damit geschädigt, nicht geschützt.«
Ich bin mir sicher, dass können wir in einigen Jahren oder Jahrzehnten von der »verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates« exakt genauso sagen.
Insofern: liebe Wokies und Grün-Akademiker, bitte vergesst nicht, es waren die etablierten Parteien und insbesondere die Ampel-Regierung, welche den autokratischen Politik-Habitus seit 2020 wieder salonfähig gemacht und den Rechtsstaat ausgehöhlt haben. Schwarz-Blau wird nur den autoritären Instrumentenkasten verwenden, der bereits seit Jahren installiert und etabliert wurde. Kleiner Teaser:
»Auch Friedrich Merz stellte Strafanträge, die in Hausdurchsuchungen mündeten«
Schon irre, wie man Erkenntnisse von damals ins Heute so umdeutet, als wäre das Damals gar nichts mehr wert oder eine Art »einstige Fehleinschätzung«. Nur hat die Geschichte eben weit nachhaltigere Erkenntnisse verfestigt gehabt, die einem jetzt wohl eher im Wege stehen. Beobachtet man bei so vielem in den letzten fünf bis zehn Jahren. Kein Wunder, dass die Menschheit irgendwie nichts lernt und immer dieselben Fehler macht, nur anders bestrichen.
Man beachte die hervorgehobenen Begriffe. Das sind gezielt nicht-justiziable, politische Kampfbegriffe um Andersdenkende und sich öffentlich missliebig Äußernde zu diffamieren und zu verfolgen. »Verfassungswidrig« können sie nämlich nicht sagen, denn das wäre justiziable und müsste rechtlich durch das GG begründet werden und letztlich feststellen kann das nur das BVerfG. Es ist vielmehr genau andersherum: »Verfassungsfeindlich« ist verfassungswidrig.
Und sie denken sich eben immer neue Diffamierungsbegriffe aus um ihre verfassungswidriges Vorgehen zu pseudolegitimieren.
Das positiv besetzte Pendant sind Generalformeln wie »freiheitlich demokratische Grundordnung«, »im Namen des Volkes»¹, »freie Wahlen«, »freies Mandat«, »repräsentative Demokratie«, »Gewaltenteilung«, »unabhängige Justiz« u.ä. die demokratisch-rechtsstaatlich klingen, aber faktisch die institutionelle Diktatur kaschieren, quasi ein sprachliches Potemkinsches Dorf, das den Leuten eingetrichtert wird.
¹ früher Führers/Kaisers
»Schwarz-Blau [-Gelb¹-OlivGrün-OlivRosa..] wird nur den autoritären Instrumentenkasten verwenden, der bereits seit Jahren installiert und etabliert wurde.«
Sehr richtig — Und wahrscheinlich noch ein paar zusätzliche² ›Instrumente‹ in den Kasten packen oder die bereits reichlich vorhandenen ›kreativ‹ umfunktionieren. Noch(!) ist übrigens der Wikipedia-Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassungsschutzrelevante_Delegitimierung_des_Staates
erstaunlich neutral, insoweit auch Kritikern viel Raum eingeräumt wird, mit einem quasi Schlusswort des Verfassungsgerichts vom April 2024 (Julian Reichelt zur deutschen Entwicklungshilfe für Afghanistan/Taliban). Natürlich muss man immer auf der Hut sein vor Wörtern wie ›grundsätzlich‹ (»Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten«) oder ›allgemein‹ (»allgemeine Gesinnungsschnüffelei dürfe es nicht geben«, Gerhart Baum).
½OT: Ich spekuliere mal, dass das BSW auch deshalb um (fast) jeden Preis in mindestens einer Landesregierung mitmischen will, um einen gewissen Schutz (Man verbietet keine Koalitionspartner !?) vor folgendem zu haben:
»ob Parteien und Vereinigungen, die mit dem Kreml kooperieren, als verfassungsfeindlich einzustufen sind [...] Man muss nicht so weit gehen wie Carl Schmitt [Aber man kann]»³
¹Wenn Kubicki sich nicht selber ruhig stellt, muss es eben gemacht werden (Valium ?)
²Einige Gesetze zur Kriegsertüchtigung bzw. Abwehr von KriegsDelegitimierern dürften in den ›Oberstübchen‹ schon bereit stehen, vielleicht sogar in den Schubladen
³ https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/russlands-angriff-auf-europa stand dort heute bei ›meistgelesen‹ an der Spitze. Ein Blick auf die Webseite des Autors lässt sogar Typen wie mich ›innerlich strammstehen‹: »2005 – 2007 Ausbildung zum Reserveoffizier, seither Verwendungen u.a. im Bundesministerium der Verteidigung sowie bei der NATO« http://www.bender-harrer.de/team/dr-patrick-heinemann/
lies sich das Gespräch / Diskussion noch weiterführen, oder endete es wie immer ?
@Christoph Wetzel
Nein, mit »das lässt sich aber nicht vergleichen!« wurde jeglicher Bezug, jegliche Ähnlichkeit und Wiederholung elegant beiseite gewischt und die Diskussion beendet.
So läuft das heute. Alle Augen und Ohren zu machen. Sachverhalte umbenennen und neu definieren. Und deren Existenz leugnen.
Ich empfehle sich für solche autoritätsanmaßenden, rabulistischen Sprüche entsprechende, rhetorische Retourkutschen zurecht zu legen wie »Das ist lediglich Ihre unmaßgebliche Meinung« oder »Das kann man sehr wohl vergleichen, wenn man will« oder »Doch, denn beides ist des gleichen, menschenverachtenden, autokratischen Geistes Kind« oder »Vergleichen muss nicht gleichsetzen bedeuten«.
Die Zensur frisst ihre eigenen Kinder. Eine Rede von Wolfgang Kubicki (FDP), zur Ablehnung der allgemeinen Impfpflicht im April 2022, wurde beim Phoenix-Kanal herausgeschnitten, also faktisch zensiert. Der Sender weist jede Verantwortung von sich.
„dass das BSW auch deshalb um (fast) jeden Preis in mindestens einer Landesregierung mitmischen will“
Um am Ende dieses Anpassungsprozesses wie ihre Partner mitzumachen. Schützen wird sie das nicht.
@Udo
Wenn sie hinreichend mitmachen (auf Bundesebene), brauchen sie keinen Schutz, sondern wären eher nützlich als ›Vorzeige-Opposition‹. Mir schwebte sozusagen ein Spagat vor: Auf Bundesebene Totalopposition gegen Krieg (ggf. zusammen mit AfD, könnte für Normenkontrollklagen usw. reichen), in einigen Ländern hingegen genug mitmachen/koalieren, um schwerlich (?) verboten werden zu können — Immerhin würden dann vielleicht auch die jeweiligen Landesregierungen platzen.
Mit »Schutz« meinte ich übrigens mehr als nur einen Pluspunkt in Karlsruhe; Such mal nach ›Parallelen Wagenknecht Luxemburg‹, z.B. https://www.welt.de/vermischtes/prominente/article13725395/Sahra-und-Oskar-auf-den-Spuren-von-Karl-und-Rosa.html
und bedenke¹ dann das Ende von »Karl und Rosa«...
Ehrlich gesagt ging es mir allerdings in erster Linie um den Link zu LTO², das mit dem BSW fiel mir da als erstes ein. Viele Juristen scharen sich wohl schon länger um Carl Schmitt, vielleicht auch eine Erklärung für die teilweise Selbst-Gleichschaltung der Justiz bei Corona; in diesem Zusammenhang: »Jeder dritte Jurastudent will die Todesstrafe zurück, jeder zweite befürwortet Folter [Umfrage 2014]«
Wenn aber der Krieg noch näher rückt, wäre dann nebenbei Schluss mit ›lustiger Meinungsfreiheit’³.
¹Stammheim, Bad Kleinen...
² https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/russlands-angriff-auf-europa
³Die hier wohl allen sehr am Herzen liegt, aber pragmatisch gesehen wäre es m.E. besser die knappen Ressourcen gegen Kriegshetze zu richten
Meine Gedanken zum Radikalenerlass:
1. Selbstverständlich war die Kommunistenjagd in den Siebzigern verfassungsfeindlich.
2. Im gesamten Radikalenerlass steht nichts von einer Beweislastumkehr. Die jetzigen Überlegungen gehen also über die damaligen Regelungen deutlich hinaus.
3. Der Europäische Menschrechtsgerichtshof hat den Radikalenerlass in der Anwendung auf bestehende Beamtenverhältnisse für menschenrechtsfeindlich und rechtswidrig erklärt. Also genau das was jetzt gemacht werden soll.
4. Grundrechte gelten für alle oder sie gelten nicht.