Kontrollierte Kritik (2)

Die Demokratie-Simulation benötigt dringend die Inszenierung eines offenen und kritischen Diskurses. Viele Journalisten, Politiker und Bürger können den Vorwurf der Cancel-Culture, der (Selbst-)Zensur und Meinungsunterdrückung überhaupt nicht nachvollziehen:

»Alle können immer und überall sagen, was sie wollen.«

- Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages

Hierbei werden zwei elementare Aspekte komplett unterschlagen. Zum Einen haben Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und eine gewisse Reichweite aufweisen, immer wieder starke Repressionen erfahren (Ganser, Guerot, Jebsen etc.), wenn sie Regierungs-Erzählungen widersprochen haben (beispielsweise zu den Themen Corona, Ukraine, Klima oder Gender).

Zum Anderen ist Kritik nicht gleich Kritik. Denn Fundamentalkritik, die eine komplett andere Sichtweise zu Grunde legt, die Systemfrage stellt oder eine andere Wirtschaftspolitik fordert — wird selten geduldet, wenn sie denn überhaupt erst zugelassen wird. Im besten Fall gibt es ein Polit-Talk-Tribunal im ÖRR (Lanz, Anne Will etc.) wo fünf Menschen mit der gleichen Meinung ‑inklusive der Moderation- gegen eine Person schießen dürfen.


Vermittlungsproblem
Wie das so abläuft, mit der kontrollierten Kritik, zeigt beispielsweise ein Podcast-Beitrag von Deutschlandfunk-Kultur vom 2. September 2023: »Versuch einer Bilanz der Regierungspolitik .« Eingeladen waren die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach und der Chefkorrespondent des Deutschlandradios im Hauptstadtstudio Berlin, Stephan Detjen. Moderiert hat Gisela Steinhauer.

In der Sendung wird beispielsweise »kritisiert«, dass die politische Kommunikation mangelhaft sei und man den Bürgern Sachverhalte »besser erklären« müsse. Das immer wieder beschworene »Vermittlungsproblem«, impliziert nicht nur eine bildungsbürgerliche Arroganz gegenüber der vermeintlich dummen Bevölkerung, sondern verdeutlicht auch eine realitätsferne Empathielosigkeit.

Die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland, geht primär lohnarbeiten, zahlt Rechnungen und kümmert sich um die eigene Familie. Wenn sie auf einmal merken, dass sämtliche Kosten explodieren — dann brauchen sie keine »bessere politische Kommunikation« der herrschenden Parteien und der Regierung, sondern eine Politik, die ihre Bedürfnisse berücksichtigt.

Deutungshoheit
Auch das Austragen von öffentlichen Konflikten innerhalb der Regierungskoalition sei schädlich, so die beiden Experten des Deutschlandfunks. Sie sollte eher geschlossen agieren und mit einer Stimme sprechen. Welches Demokratieverständnis liegt einer solchen Analyse eigentlich zugrunde? Was bedeutet das, wenn alle einer Meinung und im Besitz der einzig wahren Wahrheit sind? Gehört (auch offen ausgetragener) Konflikt und Diskurs nicht zu den Grundfesten einer Demokratie?

Ein weiteres Argument der Deutschlandfunk-Experten: die Welt sei heute so komplex und das würde die Menschen verunsichern. Diese »Analyse« hören wir seit Jahren und Jahrzehnten immer wieder. Besonders dann, wenn man Vermögende, Reiche und Konzerne vor Kritik schützen möchte. Denn ein »die da oben — Argument« ist natürlich reiner Populismus und entspringt einem »einfachen Weltbild«. Die Welt sei doch viel komplexer, sagt man den Millionen von Niedriglöhnern.

Das soll wohl einerseits die Arbeit vermeintlicher Experten, Wissenschaftler und Akademiker sichern, die sich dann als »Welt-und-Politik-Erklärer« verdingen können. Und andererseits wird so jede »follow the money« — Analyse abgeschmettert. Denn die Tatsache, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden — ist nach dieser Logik nur eine populistische Verschwörungstheorie und somit kein gültiges Argument. Das wäre ja zu »einfach«.

Regierungskonformität
Im weiteren Verlauf der Sendung werden dann auch Anrufer zugeschaltet, die vor allem kritisieren, dass die Klimaschutz-Arbeit der Bundesregierung nicht konsequent genug sei. Schuld, warum die Regierung bei vielen Vorhaben nicht vorankomme, sei vor allem die FDP. Weder wird die Klimaschutz-Politik, noch die Gender-Politik, die Waffenlieferungen in die Ukraine, Inflation, Energiepolitik, das Heizungsgesetz, noch die politische Arbeit von Baerbock, Lauterbach oder Habeck von den Anrufern in Frage gestellt.

Nordstream 2, Julian Assange oder Cum-Ex sind natürlich auch keine Themen für die Zuhörer. Was für ein glücklicher Zufall! (#ARDfragt?) Frau Reuschenbach und Herr Detjen verteidigen dann auch in der gesamten Sendung die Regierungsarbeit der Ampel-Koalition. Hier wird alles für den Zuhörer regierungskonform »eingeordnet«. Sie fungieren quasi als Torwächter aller öffentlichen Narrative, die bitte nicht fundamental hinterfragt werden dürfen! Denn das wäre natürlich nur Wahlkampfhilfe für die AfD.


Selbstzensur
Nein, es wird in den Redaktionen keine inhaltliche Agenda vorgegeben (Ausnahme: »Tendenzschutz«) , aber jeder Journalist weiß, welche Meinungen erwünscht sind und welche kontrovers sind. Und wenn Journalisten Karriere machen und nicht anecken wollen, betreiben sie Selbstzensur. So beginnt dann die »Lückenpresse«. Fakten, Daten und Sachverhalte werden ignoriert und kommen nicht in den Beitrag, weil es zu Konflikten führen könnte. Jeder Redakteur kennt die Linie des Sagbaren und beachtet sie peinlich genau.

Besonders vermeintlich Linke sollten sich viel öfter anhören, was Journalisten, die jahrzehntelang in den Mainstream-Medien gearbeitet haben, über den internen Redaktionsalltag erzählen. Wie dort die Methoden und Mechanismen funktionieren, um alle Redakteure auf Linie zu bringen. Das sind weder »Verschwörungstheorien«, noch »böse Mächte« — sondern schnöde sozio-ökonomische Strukturen.

»Journalisten wissen genau, was sie sagen dürfen und was nicht.«

- Tahir Chaudry. Hat für ZEIT, Süddeutsche, Fokus und FAZ gearbeitet.

Auch das ist eine Ursache für »kontrollierte Kritik«. Denn wer als Journalist in Deutschland bei Welt, Spiegel, FAZ, ZEIT, Süddeutsche, ARD/ZDF, TAZ usw. eine fundamental andere Sichtweise zu Corona, Klima, Gender, Feminismus oder dem Ukraine-Konflikt hat und dort veröffentlichen will — wird ganz schnell interne Probleme bekommen. Also simulieren sie eine kritische Öffentlichkeit, indem sie dort Kritik üben, wo sie erlaubt und erwünscht ist:

  • härtere Corona-Maßnahmen
  • noch viel mehr Waffenlieferungen
  • stärkerer Klimaschutz
  • gegen AfD, Putin, Trump, Erdogan oder Nordkorea poltern
  • usw.

Oder sie bauen Strohmänner auf und zerlegen sie dann gleich selbst. Manchmal gibt es dann doch tiefergehende Analysen. Alibi-Journalismus. Feigenblatt-Artikel-und-Berichte. Häufig laufen die dann im Spät-Abend-Programm und/oder werden seo-technisch versteckt (ARTE). Damit man später sagen kann: »Schaut her, wir waren doch kritisch und pluralistisch!«


Kontrollierte Kritik

4 Gedanken zu “Kontrollierte Kritik (2)

  1. Gerade beim DLF kann man sich ja mal das Programm mal ein bis zwei Tage geben. American Think Tanks bestimmen das Programm in weiten Teilen. Auch bei den sogenannten Infosendern. Falls mal etwas Kritisches kommt, dann in Rahmen von Informationen & Musik, wodurch sich die Wortbeiträge natürlich entsprechend reduzieren.
    Inzwischen können ja mehr Deutsche Englisch als Deutsch, dann könnten sie die Amisender auch gleich durchstreamen. Nur die Werbung wäre dann noch lästiger.

  2. Ich beiße mich auch ständig an Begriffen wie »Demokratie« fest, wenn Grüne sich doch so gerne auf sie berufen und sie angeblich so superdolle verteidigen. Und merken offenbar null, dass sie gerade in ihrer Rechtsparanoia dabei sind, sie für ein DDR-System 2.0 abzubauen. Die Brandmauer wird wieder zur Grenzmauer, quasi mitten in Berlin, das mal symbolisch gedacht.

  3. Demnach sind wir in einer Diktatur. In einer grünen.

    Diktatur beginnt nicht erst wenn willkürlich eingeknastet wird.
    Die Grünen waren auch mal vorgeblich für (direkte) Demokratie¹ haben den Parteiprogrammzombie dann aber nach fast 20 Jahren untoten Daseins vor ein paar Jahren endgültig beerdigt. Da weiß man genau wie demokratisch die sind.

    ¹ der einzige glaubwürdige Vertreter war für mich Gerald Häfner, der 2002 als Nachrücker einen Gesetzentwurf für den bundesweiten Volksentscheid in den Bundestag einbrachte, über den aber nur so abgestimmt wurde, weil klar war, dass er keine Chance hatte. Danach wurde er von seiner Partei kalt gestellt.

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