Die Umfrage-Demokratie

Weshalb wohl 2 Monate vor Silvester jetzt so eine Umfrage kommt? (rbb24.de vom 29. Oktober 2022)

Demokratie bedeutet »Volksherrschaft«. Sie lebt vom aktiven Mitmachen. Sei es durch Medien- und Pressearbeit oder in Vereinen, Organisationen, Stiftungen, Gemeinden, Parteien und so weiter. Es ist eine weit verbreitete Illusion, dass Demokratie schlicht bedeutet, alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen und sich ansonsten gemütlich zurückzulehnen. Das allein genügt nicht! Aktive Teilhabe und Partizipation setzen nicht nur Interesse an der Mitgestaltung voraus, sondern auch eine ständige Evaluation an den bestehenden Strukturen. Das bedeutet eben auch, Kritik üben zu dürfen, die nicht sofort als indiskutabel abgewatscht wird.

Das alles scheint politisch nicht mehr gewollt zu sein. Volkes Wille soll offenbar, durch Umfragen abgebildet werden. Wie und unter welchen Vorraussetzungen sowie mit welchen Fragen diese Umfragen stattgefunden haben oder wer diese mit welchem Zweck und Ziel finanziert hat oder welche Umfragen gar nicht in der Presse auftauchen, weil sie bestehende Narrative gefährden — das alles erfahren die Leser nur selten. Stattdessen werden sie instrumentalisiert, um die eigene politische Agenda zu rechtfertigen und zu legitimieren: »Seht her, wir machen doch nur das, was die Bevölkerung will!« Ist das wirklich so?

Simulierte Öffentlichkeit
Im Zuge der Corona-Maßnahmen wurde ständig von Umfragen berichtet, die belegen sollten, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Grundrechtseinschränkungen für angemessen und erforderlich hielt:

»61 Prozent gegen Aufhebung der Maskenpflicht« (tagesschau.de)

»Fast jeder Zweite für sofortige Verschärfung der Corona-Maßnahmen« (welt.de)

»Mehrheit der Deutschen hält bundesweiten Lockdown für nötig« (welt.de)

»Beschlossenes Corona-Gesetz: Rund zwei Drittel halten Lockerungen laut Umfrage für verfrüht« (tagesspiegel.de)

»Mehrheit für Impfpflicht und härtere Regeln« (tagesschau.de)

Folgende Umfrage-und-Meinungsforschungs-Institute tauchen immer wieder auf:

  • ARD-DeutschlandTrend
  • Das Meinungsforschungsinstitut Civey
  • RTL/ntv-Trendbarometer
  • Insa-Studie
  • Meinungsforschungsinstitut YouGov
  • Institut Insa-Consulere
  • Infratest-dimap
  • Allensbach-Institut

Die Studien selbst werden in den Beiträgen nicht verlinkt. Kaum jemand wird sich heute die Mühe machen und danach selbst suchen. Nicht selten sind sie nicht öffentlich zugänglich oder auf den Seiten der Umfrage-Institute versteckt. Insofern wird es dem Leser oft unmöglich gemacht, die Umfrage-Ergebnisse selbst zu überprüfen. Die Presse bildet auch nur sehr selten die Rahmenbedingungen der Studien und Umfragen ab. Denn folgende Fragen sind hier prägend:

  • Wie viele Teilnehmer hatte die Umfrage? Wie ist die Zusammensetzung der Teilnehmer (Alter, Herkunft, Geschlecht, sozialer Hintergrund, Beruf, Religion etc.)?
  • Welche Fragen wurden gestellt? (offen, geschlossen, suggestiv, rhetorisch etc.)
  • In welcher Form hat die Umfrage stattgefunden? (online, telefonisch, schriftlich etc.)
  • Wann war der Erhebungszeitraum? An einem Tag oder in welchem Zeitraum?
  • Wer hat die Umfrage finanziert? Wie genau lautet der »Auftrag«?
  • Welche Methodik und/oder mathematische Berechnungen haben stattgefunden, um die Umfragen in eine messbare Form zu bringen, also zu »operationalisieren«? (Indikatoren, Variablen, Merkmale etc.)
  • Wie viel Zeit hatten die Teilnehmer? Zu welcher Tageszeit haben sie stattgefunden? Wurden sie finanziell vergütet oder anderweitig für den Aufwand entschädigt? Wenn ja, in welcher Form?

Das alles (und noch viel mehr) sind wichtige Kriterien, die den Ausgang der Umfragen stark beeinflussen. Darüber gibt es aber nur sehr selten eine Transparenz. Wer hier ein erwünschtes Ergebnis haben möchte, kann an vielen Stellen schrauben. Frage ich beispielsweise in Berlin-Kreuzberg die Menschen, wie sie über LGBT denken oder in der bayerischen Provinz? Frage ich gezielt in Milieus nach, wo viele Grünen-Wähler wohnen, wie sie zur Impfpflicht stehen, weiß ich schon vorher, wie das Ergebnis aussehen wird. Immerhin gibt es bei der Tagesschau häufiger folgenden Info-Kasten:

ARD-DeutschlandTrend: »Mehrheit für Impfpflicht und härtere Regeln« (02.12.2021)

Noch nicht mal 1.500 Menschen wurden hier befragt. In der Schlagzeile wird jedoch von »der Mehrheit der Deutschen« gesprochen. Vielmehr müsste es demnach heißen: »die Mehrheit der Befragten ist für Impfpflicht und härtere Regeln«. Nur damit kann man natürlich keine Politik machen. Auch die »zufallsbasierte Telefon-und-Onlinebefragung« kann kein Kriterium sein von »der Mehrheit der Deutschen« zu sprechen. In welchen Bundesländern, Regionen, Städten und Kommunen wurde hier denn gefragt? Wie kann man, bei dieser geringen Teilnehmerzahl, überhaupt sicherstellen, dass so eine Umfrage am Ende repräsentativ ist und nicht nur politisch instrumentalisiert wird? Welche Fragen wurden denn gestellt? Das alles erfährt der Leser nicht.

Thomes Röper vom Anti-Spiegel hat einmal aufgezeigt, wie hier mit Suggestiv-Fragen gearbeitet wird. Da wurde in einem Artikel beispielsweise gefragt, ob man Alina Lipp kennen würde:

  1. »Ja, aber ich wusste nichts von ihrer Kreml-Nähe«
  2. »Ja, ich hielt sie für glaubhaft.«
  3. »Ja, ich teile ihre Ansichten.“
  4. »Ich kannte ihre Falschbehauptungen, aber nicht ihren Namen.“ 
  5. »Nein, ich habe noch nie von ihr gehört.“

Die Fragen sind wertend und setzen voraus, dass sie eine Kreml-Nähe hätte und Falschbehauptungen aufstellen würde. Es ist offensichtlich, dass es hier nicht darum geht, ein authentisches Stimmungsbild der Leser abzubilden, sondern darum, eine tendenziöse Schlagzeile generieren zu können.

Narrativ-Bestätigung
Umfragen werden sehr häufig medial und politisch instrumentalisiert, um entweder die öfffentliche Zustimmung zu einer politischen Entscheidung zu festigen oder um den Meinungskorridor schon im Vorfeld zu verengen. »Die Mehrheit« wird hier regelmäßig als Argument herangeführt. Bei den Corona-Maßnahmen, der Maskenpflicht oder auch bei den Russland-Sanktionen. Freilich sehen wir auch nur solche Umfragen von der vermeintlichen »Mehrheit« abgebildet, die medial und politisch erwünscht sind. Denn ich bin mir sicher, dass sich beispielsweise »die Mehrheit« Lohn- und Rentenerhöhungen wünscht. Solche Umfragen bekommen wir aber nie zu Gesicht. Komisch.

tagesschau.de vom 3. November 2022

Interessant ist auch, was heute so alles als »Mehrheit« definiert wird:

»Eine Mehrheit von 52 Prozent der Deutschen spricht sich für den Verbleib von US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland aus. Das hat eine repräsentative infratest-dimap-Umfrage im Auftrag des ARD-Politikmagazins Panorama ergeben«

-tagesschau.de vom 2. Juni 2022

Umfragen, die von Presseorganen in Auftrag gegeben werden, können auch dazu dienen, die Politik vor sich her zu treiben: »Seht her, was die Mehrheit denkt! Weicht Ihr davon ab, müsst Ihr um eure Wiederwahl bangen!« Davon abgesehen kann »die Mehrheit« in einem Rechtsstaat auch nicht das alleinige Kriterium sein. Denn ansonsten hätten wir morgen die Todesstrafe für Kinderschänder und andere Grausamkeiten. Verhältnismäßigkeit, Menschenrechte und Menschenwürde, das Grundgesetz sowie die freiheitlich-demokratische Grundordnung sollten es verbieten, dass auch »Mehrheiten« eben diese zerstören können.


Die deutsche Ampel-Regierung ist übrigens beliebt wie nie zuvor. Dafür braucht es auch keine Umfragen:

Scholz tritt auf — wird ausgebuht und ausgepfiffen
Habeck tritt auf — wird ausgebuht und ausgepfiffen
Lauterbach tritt auf — wird ausgebuht und ausgepfiffen
Ricarda Lang tritt auf — wird ausgebuht und ausgepfiffen

Währenddessen wird Sahra Wagenknecht immer beliebter. Ihr YouTube-Kanal hat rund 600.000 Abonnenten und ihr Twitter-Account mehr als 600.000 Follower. Davon kann die Bundesregierung nur träumen (YouTube: 55.900 Abonnenten und Twitter: 1.328 Follower). Soviel zum Thema »Mehrheit«.


Repression
Affären. Lügen. Skandale.

11 Gedanken zu “Die Umfrage-Demokratie

  1. Kurz: Umfragen sind Dummfragen.

    »freie« Wahlen, »repräsentative« Umfragen, »unabhängige« Verfassungsgerichte ... Ich kann leider immer nur empfehlen diese volksverarschenden Generalformeln und Institutionen bis unter die Fundamente zu hinterfragen und sich zu informieren wie echte (direkte) Demokratie funktioniert und vor allem wie sie nicht funktioniert, denn hierüber werden wir schon seit »Papa« »Hitlermacher« Heuss mir seiner Weimar-Lüge verarscht. Überzeugen, dass echte (direkte) Demokratie eine, wenn nicht _die_ sinnvolle und nachhaltige politische Forderung ist, muss sich jeder selbst.

  2. Pingback: Katar, ich-habe-mitgemacht.de & NS-Reinwaschung: Die Alternativmedienschau - neulandrebellen

  3. »Folgende Umfrage-und-Meinungsforschungs-Institute tauchen immer wieder auf«
    Und können den Kopf nur über Wasser halten, weil sie kein Blei an den Füßen haben, zB Umfrageergebnisse, die dem Auftraggeber nicht genehm sind. Ich glaube es gab mal im Spiegel(?) einen Hintergrundbericht über die Umfrage-Szene, u.a. wurde das telefonische ›Einholen‹ im Akkord outgesourct...

    Wie wird das Ergebnis der allerletzten Umfrage sein?
    60% aller Deutschen weigern sich beharrlich und unbelehrbar an Umfragen teilzunehmen!

  4. @Cetzer

    Irgendwo habe ich auch mal was von den ominösen »63 Prozent« gelesen, die als Zahl immer wieder auftaucht. Scheint wohl so eine psychologische Nummer wie »nur 99 Cent!« zu sein.

  5. Na klar. Das ist knapp an der 23 — Mehrheit. Die die Parlamentarier ja brauchen, wenn sie offiziell was am Grundgesetz drehen wollen. Ist noch im Schwankungsbereich von 66%, aber darunter. Damit kann man wunderbar rechtfertigen, warum man Leute in eine bestimmte Richtung schubsen will.

  6. @Epikur

    Was Sahra Wagenknecht angeht, da gibt es bereits eine aktuelle Umfrage des ZDF (?) — Frau Wagenknecht ist unbeliebt, an erster Stelle steht jetzt Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Habeck — lange vor Wagenknecht — bei den Beliebtheitswerden »der Deutschen« laut dieser hochaktuellen Umfrage.

    Tja, so schnell kann›s gehen und danke für den aufklärerischen Text, der zeigt wie man mit Umfragen Meinungen manipulieren kann.

    Übrigens für mich bleibt Sahra Wagenknecht die beliebteste deutsche Politikerin. und mir bleibt nur die Frage wer wurde da befragt und warum sind PolitikerInnen, die du — richtigerweise als unbeliebteste dt. PolitikerInnen beschreibst — auf einmal sehr beliebt, obwohl diese regelmäßig ausgebuht und gepfiffen werden.

    Gruß
    Bernie

  7. @Bernie

    Es soll ja sogar Politiker-Auftritte geben, die ganze Hallen füllen können, ohne Jubelperser zu engagieren. Wo die Menschen klatschen und ihnen gerne zuhören. Nur falls wieder jemand denken sollte, dass sei heutzutage »normal«, dass sie ausgepfiffen werden. Ist es nicht. Sollte es auch nicht sein.

  8. @Epikur

    Stimmt auch wieder ;-)

    Übrigens vor einiger Zeit las ich von einer neuen Art von »Mut«, über die man auch einmal aufklären sollte:

    Eugen Drewermann — Friedensaktivist — wurde von einem »mutigen jungen Mann« bei einer Friedensrede unterbrochen, der »ihm widersprach«...

    Tja, soweit sind wir wieder, und das erinnert mich persönlich an dunkelste deutsche Stunden vor den beiden Weltkriegen....»Lumpenpazifisten« mussten schon damals um ihr Leben, und ihr Ansehen, fürchten während »Kriegstreiber« hofiert wurden....:-(

    Wegen Baerbock, die Umfrage findet man hier:

    »[...]Politbarometer — Umfrage: Baerbock erstmals beliebteste Politikerin[...]«

    Quelle:

    https://www.t‑online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100078822/zdf-politbarometer-annalena-baerbock-erstmals-beliebteste-politikerin.html

    Gruß
    Bernie

  9. @Bernie

    »Für das »Politbarometer« befragte die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen vom 8. bis 10. November insgesamt 1.310 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte

    Was sollen solche Umfragen eigentlich aussagen? Ja klar, es gibt da ganz ganz tolle mathematische Modelle und Methoden, um das irgendwie »repräsentativ« zu machen. Aber da werden 1.300 Menschen »befragt« und die sollen dann das Stimmungsbild von über 80 Millionen Menschen abbilden?

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