Wie die neoliberale Eigenverantwortung auf die Spitze getrieben werden kann, zeigt das Beispiel Japan (jiko sekinin):
»Fast alle Obdachlosen meinen, sie seien selbst für ihr Elend verantwortlich und hätten kein Recht auf staatliche Hilfe [...] Victim Blaming ist bis in die höchsten Ebenen des Staates verbreitet [...] Eine Schande, Unterstützung anzunehmen [...] Im Jahr 2012 verzichteten 85 Prozent der Japaner auf ihren Anspruch auf Sozialhilfe [...] 2003 verzeichnete Japan einen traurigen Rekord von 34.427 Suiziden, das waren 56 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor.«
- Sabine Jainski, Le Monde diplomatique, Mai 2020
Anmerkung: Japan hat die Leistungsgesellschaft, den Neoliberalismus und die Eigenverantwortung tief verinnerlicht. Wer finanziell arm ist, sei selbst schuld. Im Sommer 2019 wollten Bertelsmann und Lauterbach einen Großteil unserer Krankenhäuser noch dicht machen. Aus »ökonomischen Gründen«. Es ist eben völlig bigott und heuchlerisch von »Solidarität« in Corona-Zeiten zu schwadronieren, aber gleichzeitig den menschenverachtenden, profit- und leistungsorientierten Eigenverantwortungs-Neoliberalismus weiterhin als alternativlose Wirtschaftsform hochzuhalten. Denn nichts anderes macht unsere Regierung. Linke sollten sich deshalb nicht von der »Neusprech-Solidarität« einlullen lassen. Denn sie existiert faktisch überhaupt nicht.
Am 18 Februar wurde noch von Spahn verkündet, das er weitere Einsparungen bzg. der KKH’s machen würde.
Die Japaner haben wenigstens noch Anstand.
Leider ist das »Seppuku« mit dem »Wakizashi« nicht mehr so in Mode.
Das leben in Japan war für mich als »Gaijin« trotzdem eine einschneidende Erfahrung.
Aus meiner Sicht auf die Dinge kann ich im Zusammenhang mit kapitalistisch geprägten Gesellschaften keine Leistungsgesellschaft erkennen.
Die größten Belohnungen werden für Eigentum und Besitz verteilt. Also leistungslos.
Mir ist kein wissenschaftlich belegtes Verfahren bekannt, mit dem man menschliche Leistung tatsächlich messen kann.
Der Begriff Leistungsgesellschaft ist in Kombination mit Kapitalismus Teil eines Framings, welches gebetsmühlenartig wiederholt wird, dessen Nachweis nach wie vor fehlt.
Man muss tatsächlich nicht nach Japan schauen, wenn man hier das gleiche Mantra pflegt, nur noch nicht ganz so intensiv verinnerlicht hat.
Leistung im Neoliberalismus heißt nicht Erfolg nach Anstrengung, gar so physikalischen Blödsinn wie Arbeit pro Zeit. Leistung im Neoliberalismus heißt ich habe Geld. Alles andere ist sozialistischer Dummfug.
In der »Verfassung der Freiheit« von einem der Stammväter des Neoliberalismus, Friedrich-August von Hayek, steht, dass man als Liberaler dem Leistungsprinzip nur insofern anhängt, als damit die arbeitenden Schichten in der Fabrik etwa diszipliniert werden können, ansonsten aber anerkennt, dass Leistung nicht messbar ist. Irgendwelche Leistungen objektiv messen zu wollen, könnte sogar laut Hayek einer freien Gesellschaft zuwiderlaufen, weil dann z.B. eine Bürokratie entscheiden würde, wer wieviel leiste etc..
Was soll die Diskussion?
@Publicviewer
Ja, mir ging es jetzt auch nicht explizit um den Begriff »Leistungsgesellschaft«. Auch wenn die Kommentatoren natürlich recht haben. Es geht um Reichtum, Macht und Geld und eben nicht um »Leistung«. Aber ich dachte das wäre unter Linken auch Konsens.
Ich wollte nur aufzeigen, dass gelebter Neoliberalismus und propagierte Solidarität so gut zusammen passen, wie Ölpest und Umweltschutz.
Ja, da hast du sicherlich recht.
Mir »Leistungsgesellschaft« soll uns ja auch vermeintlich nur vermittelt werden, das sich »Leistung« (durch mehr Hubraum) noch lohnt.
Sorry, ich war wieder ganz woanders..kicher... ;-)
Japan kann auch anders.
In den 70ern gab es dort eine besonders radikale Protestbewegung von links (Skurilität am Rande: auch in Japan gab es linksextremen Terror, eine der Gruppen war die RAF).
Für mich riecht die aktuelle Sitation stark nach einer Gemengelage, die im Vorfeld solcher Protestwellen zu finden ist.
Wen interessiert Solidarität, wenn man ein SUV haben kann?