Entgegen sämtlicher Job-Coacher behaupte ich, dass viele Personaler und Chefs unsichere, nervöse und eher schüchterne Bewerber bevorzugen. Sicher, sie müssen schon das Gefühl und den Eindruck haben (wissen können sie es zu diesem Zeitpunkt meist noch nicht), dass der Kandidat die Aufgaben lösen und die entsprechenden Kompetenzen für den Job vorweisen kann. Aber wie oft habe ich es erlebt (und auch von Freunden, Kollegen und Verwandten erzählt bekommen), dass wenn man im Bewerbungsgespräch zu locker, unaufgeregt und selbstbewusst war (einfach weil der Ablauf samt Fragen immer und immer gleich abläuft), man weniger Vitamin S (Sympathie) erhält. Ganz im Gegenteil habe ich es sogar öfters wahrgenommen, dass man im Gespräch irgendwann meinen Blicken ausgewichen ist und nervös mit dem Kugelschreiber gespielt hatte.
In Deutschland ist die Untertanenkultur immer noch sehr ausgeprägt. In der Arbeitswelt herrscht purer Neofeudalismus. Da will und braucht man devote Lohnarbeitsdrohnen, die funktionieren und nicht aufmucken. Mitdenken und ‑Handeln ist zwar erlaubt, aber stets nur im Interesse des Betriebes. Wer da schon im Bewerbungsgepräch zeigt, dass er sich weder von den Psychofragen, noch von der Selbstverliebtheit des Unternehmens (samt seinen Mitarbeitern) großartig verunsichern lässt, wird schon hier zu einer fragwürdigen Persönlichkeit. Denn wenn man den Kandidaten schon im Bewerbungsgespräch nicht steuern und kontrollieren kann (und er somit keinen vorauseilenden Gehorsam zeigt), wie wird er sich wohl dann im Arbeitsalltag verhalten? Ist er womöglich Gewerkschaftsmitglied? Oder wird einen Betriebsrat gründen? :nene:
Vitamin S
»Aber mein Chef braucht mich!«
Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn
Hm, ob explizit unsichere Persönlichkeiten... Auf jeden Fall sind Charaktere gern gesehen, die potentiell nicht rebellieren, wenn ihnen eine Entscheidung nicht passt. (Was meint man, warum gern nur Auszubildende und junge Mitarbeiter gesucht werden? Junge Leute begehren weniger auf, weil ihnen die Erfahrung fehlt, außerdem sind sie noch so gestrickt, sich in der Erwachsenenwelt unbedingt beweisen zu wollen und dadurch 150% zu geben, wenn man es von ihnen fordert.)
»Fragwürdige Persönlichkeiten« scheinen mir diejenigen zu sein, die nicht in das »Profil« der Unternehmensstruktur passen. Je größer die Firma, desto evidenter. Beispiel Facebook oder Google: Da mag man noch so fähig und kompetent sein, wer das »Auditing« nicht übersteht, kann er oder sie einpacken.