Kommerzielle Propaganda

Die eigentliche "Lügenpresse" ist die Vertriebspresse. (gamestar.de vom 6. Februar 2017)

Die eigentliche »Lügenpresse« ist die Vertriebspresse. (gamestar.de vom 6. Februar 2017)

Laut der Bundeszentrale für politische Bildung ist Propaganda „der Versuch der gezielten Beeinflussung des Denkens, Handelns und Fühlens von Menschen.“ Wenn von Propaganda die Rede ist, dann meint man vor allem das Verbreiten von Halbwahrheiten, Falschinformationen oder Lügen durch Politik und Medien. Niemand spricht davon, dass wir täglich und seit Jahrzehnten mit Radio- und TV- Werbespots, Werbe-Plakaten, Zeitungsanzeigen, Advertorials, Product Placement, Schleichwerbung, getarnten PR-Auftragsarbeiten, Internetwerbung und vielem mehr, regelrecht bombardiert werden. Alles im Auftrag von Unternehmen, Banken und Konzernen, die unser Denken, Handeln und Fühlen gezielt beeinflussen wollen, also: kommerzielle Propaganda betreiben.

Alles Müller, oder was?“
Selbst Wikipedia schreibt in ihrer Einleitung: „Dies steht im Gegensatz zu pluralistischen und kritischen Sichtweisen, welche durch unterschiedliche Erfahrungen, Beobachtungen und Bewertungen sowie einen rationalen Diskurs geformt werden.“ Werbung, Reklame und PR-Auftragsarbeiten haben und hatten noch nie ein Interesse an rationalen Diskursen oder differenzierten Auseinandersetzungen mit ihren beworbenen Produkten, Dienstleistungen und Ideen. Es ging und geht stets nur darum, in der Öffentlichkeit ein positives Bild zu erzeugen, um Aufmerksamkeiten, Bedürfnisse und Kaufinteressen zu wecken. Auch die Online-Enzyklopädie verengt den Propaganda-Begriff auf vor allem politisch einseitige Berichterstattungen. Dabei schrieb Edward Bernays ‑der als Vater der Public Relations gilt- bereits im Jahr 1928 ein Buch mit dem Titel: „Propaganda: Die Kunst der Public Relations.“

Propaganda ist ein negativ konnotierter Begriff, der stark mit autoritären Diktaturen verknüpft wird. Deshalb betreiben Propaganda in aller Regel auch immer nur die Anderen. In der DDR hat die BRD und in der BRD die DDR Propaganda betrieben. Und während heute Social-Media-Aktivisten, wahlweise von Lügen- oder Lückenpresse sprechen, so halten die Massenmedien die Legenden von den Populisten, Verschwörungstheoretikern, Social Bots und den Fake News aufrecht. Auch fremde Regierungen, deren politischer und/oder wirtschaftlicher Kurs bestimmten westlichen Interessengruppen nicht in den Kram passen, wird häufig vorgeworfen Propaganda zu betreiben: beispielsweise Nordkorea, Iran, China, Venezuela oder Russland.

Sex sells. (aufgenommen in einem Berliner U-Bahnhof am 10. März 2017)

Sex sells (aufgenommen in einem Berliner U‑Bahnhof am 10. März 2017)

Ich bin doch nicht blöd“
Die Werbung ist das Schmiermittel des Kapitalismus. Große Teile der Medien, der Kultur, des Sports und der Privatwirtschaft sind werbefinanziert. Und da die alte Redensart: „wes Brot ich eß, des Lied ich sing“ weiterhin große Gültigkeit besitzt, so ist fundamentale Werbekritik eher selten zu finden. Niemand will seine Geldgeber verschrecken oder seine Anzeigenkunden verlieren. Also hält man die Klappe, betreibt Selbstzensur und erträgt den aggressiven Dauerbeschuss mit millionenfachen, hirnzersetzenden Werbebotschaften in vorauseilenden Gehorsam. Im Jahr 2015 wurde in Deutschland mehr als 25 Milliarden Euro für Werbung ausgegeben. Allein im Jahr 2014 wurden laut Nielsen Media Research rund 4 Millionen Werbespots im deutschen Fernsehen gezeigt. Das sind mehr als 10.000 Werbeclips pro Tag. Im Durchschnitt konsumiert jeder täglich ‑aktiv oder passiv- mehr als 5.000 Werbebotschaften.

»In der öffentlichen Diskussion werden Kinder gern als Opfer von Werbestrategien dargestellt. Tatsächlich vermittelt Werbung emotionale Orientierung, die Kinder bedürfen, um in der modernen Gesellschaft zurechtzukommen.«

Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW e.V.) am 20. Oktober 2010

Im Kampf um die Währung Aufmerksamkeit ist den Werbetreibenden mittlerweile jedes Mittel und jede Rechtfertigung recht. Da werden beispielsweise getarnte Werbeartikel verfasst (Advertorials), Produktreklame als Produkt-Tests veröffentlicht, Blogbeiträge bezahlt, Verlinkungen entlohnt (Amazon), es wird personalisierte Werbung geschaltet (Facebook) oder Youtube-Letsplayer für Product Placement missbraucht (BibisBeautyPalace). Gleichzeitig werden großflächig Marketing- und PR-Mitarbeiter von Agenturen eingesetzt, die sich als User in Foren, bei amazon, in Bewertungsportalen, wikipedia und Blogs tarnen, um dann ganz gezielt, spezielle Firmen und Produkte zu empfehlen (gutefrage.net) oder in einem positiven Licht zu präsentieren.

Sexismus ist kein Frauen-Privileg. (gesehen und fotografiert am 28. Januar 2016 in Berlin, an einer großen Hauptstraße.)

Sexismus ist kein Frauen-Privileg. (gesehen und fotografiert am 28. Januar 2016 in Berlin, an einer großen Hauptstraße.)

Mann, sind die Dickmann“
Vor einigen Jahren kam beispielsweise ans Licht, das die Agentur mhoch3 in großem Stil Leser in Online-Foren und Social-Media-Kanälen mit bezahlten Auftragspostings massenhaft und gezielt getäuscht hatten. Es folgte weder eine große gesellschaftliche, noch eine politische Debatte oder eine angemessene Sanktion. Stattdessen gab es eine Rüge vom PR-Ethikrat und die Sache war gegessen. Dabei dürfte diese Praxis von Werbe‑, PR- und Marketing-Agenturen heute absoluter PR-Alltag sein. Marketing und Vertrieb haben somit ganz offiziell die Erlaubnis zu täuschen und zu lügen. Es sei ja schließlich nur: Werbung.

Die Bilder werden schon bei ihrer eigenen Produktion nach den Standards des Verstandes vorzensiert, dem gemäß sie nachher angesehen werden sollen. Die Wahrnehmung, durch die das öffentliche Urteil sich bestätigt findet, war von ihm schon zugerichtet, ehe sie noch aufkam.“

Max Horkheimer/Theodor W. Adorno. „Dialektik der Aufklärung“. Fischer 2010. Originalausgabe: New York 1944. S. 91

Wenn man sich beispielsweise bei amazon so manche »Top-Rezensenten« anschaut, bzw. was und wie sie andere Produkte bewertet haben (nicht selten: immer 5 Sterne), dann finde ich das schon sehr verdächtig. Warum sollten Unternehmen auch die Meinungs- und Deutungshoheit ihrer Produkte, den Launen der Kunden überlassen, wenn man da via PR-Agentur effektiv nachhelfen kann? Ob bei wikipedia, amazon, gutefrage.net, yelp.de, ciao.de, kununu.de, holidaycheck.de, jameda.de oder bei den vielen anderen Bewertungsportalen: wer glaubt, dort würden ausschließlich private User kommentieren, der geht der kommerziellen Propaganda sehr schnell auf den Leim.

Im Angesicht dessen, wirkt die fast tägliche Berichterstattung, der Q‑, Vertriebs‑, Leid‑, Lücken‑, Kauf- und Systemmedien, über vermeintliche Social-Media-Fake-News, befremdlich und realitätsfremd. Die kommerzielle Werbung erfüllt jedes Kriterium einer Definition von Propaganda. Sie berichtet niemals über schwierige Arbeits- und Herstellungsbedingungen, über Ressourcenverschwendung, über den eingebauten geplanten Verschleiß, Umweltzerstörung, über die Sinn- oder Nutzlosigkeit eines Produktes oder einer Dienstleistung, kurzum: Werbung lügt und betrügt systematisch. Aber noch nicht einmal innerhalb der politischen Linken spricht man von kommerzieller Propaganda. Stattdessen verbreitet man lieber das Märchen von der »Kreativindustrie«.


Weiterführende Links zum Thema:

»»Boomendes Geschäft mit bezahlten Postings«
»»Guerilla-Marketing bei Amazon«
»»Bezahlte Postings sind Haltungsproblem, kein PR-Problem«

4 Gedanken zu “Kommerzielle Propaganda

  1. »kommerzieller Propaganda« sehr treffend.
    Und »Tatsächlich vermittelt Werbung emotionale Orientierung, die Kinder bedürfen, um in der modernen Gesellschaft zurechtzukommen.“ Das ist ja schon Realsatire bzw. zeigt das die noch Herrschenden/Besitzer der Produktionsmittel die (Mehrzahl) der Menschen offenbar für erfolgreich manipuliert/verblödet hält.

    PS: Auch nach 26 Jahre Kapitalismus verleidet mir die kommerzieller Propaganda Kinobesuche und Sportereignisse im TV.

  2. Pingback: Feynsinn » Werbeblocker sind Kindeswohlgefährdung

  3. Heidi Klums GNTM vermittel folgende Botschaft: »Es genügt, weiblichen Kindern nur das Lesen von Kleiderpreisen und den Satz »Oh mein nGott« beizubringen, um durchs Leben zu kommen.

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