Kinder in Deutschland; Teil 42: Hausaufgaben

Hausaufgaben_Titel

»Hausaufgaben sind Hausfriedensbruch.«

Hans-Peter Vogeler, ehemaliger Vorsitzender des Bundeselternrats am 12. November 2015 auf Spiegel Online

Sobald die Kinder in die Schule gehen, sind Hausaufgaben immer wieder ein großes Konflikt-Thema. In der Schule, mit den Lehrern und vor allem Zuhause. Mit Ausnahme einiger reformpädagogischer Konzepte, Lehrern und Schulen, müssen sich alle Kinder und Eltern irgendwann damit auseinandersetzen. Nicht selten gibt es hier große Probleme.

Lernfabriken
Die Hauptargumente für Hausaufgaben, die immer wieder vorgetragen werden, sind: Sachverhalte vertiefen, selbständiges und strukturiertes Lernen üben, Zeit-Management erlernen sowie das Entwickeln von eigenen Problemlösungsstrategien. Gewollte Nebeneffekte sind stumpfes Auswendiglernen und Bulimie-Wissen antrainieren. Hausaufgaben sind aber primär auch ein Disziplinierungsinstrument, um Kinder daran zu gewöhnen, Aufgaben zu erledigen, die sie womöglich gar nicht mögen.

Denn Tatsache ist: bei Hausaufgaben gibt es regelmäßig Gebrüll, Geschrei und viele Tränen. Kaum ein Kind macht sie gerne. Sie führen immer wieder zu Konflikten innerhalb der Familie und die Eltern sehen sich immer wieder dazu genötigt, ihre Kinder zu disziplinieren. Und gerade weil die Hausaufgaben für fast jede Familie ein großer Krisenherd sind, möchten nicht wenige diesen am liebsten an den Hort oder die Nachmittagsbetreuung delegieren. Also den Konflikt outsourcen. Dabei wird die Sinnhaftigkeit der Hausaufgaben nur selten in Frage gestellt. Noch immer herrscht der Volksglauben vor, sie seien unbedingt notwendig, auch wenn es dafür keine gesicherten Erkenntnisse gibt. Ganz im Gegenteil:

Deutschlandfunk vom 21. Dezember 2015

Deutschlandfunk vom 21. Dezember 2015

Lenkprozesse
Indirekt wird zwar anerkannt, dass Hausaufgaben die Familien ‑und vor allem die Freizeit- der Kinder stark belasten (so gibt es beispielweise an vielen Schulen ein Hausaufgabenverbot über das Wochenende), aber dennoch wird daran rigoros festgehalten. Je nach Konzept, Schule, Lehrer und Bundesland gibt es hierbei auch ganz andere, manchmal sogar sehr eigenwillige oder gar willkürliche Regelungen. Vom regelmäßigen Gedicht auswendig lernen, Sommerferien-Hausaufgaben oder der 20-Minuten-Regelung ist alles dabei. Laut dem deutschen Lehrerverband seien Hausaufgaben wichtig und sinnvoll, denn:

Hausaufgaben sind ein Teil der Erziehung zu Eigenverantwortung.“

lehrerverband.de

Da ist sie wieder, die vielbeschworene Dogma-Formel des Neoliberalismus: die Eigenverantwortung. Das Credo lautet stets, dass es keine strukturellen, staatlichen oder kapital- und machtgeleitete Verantwortlichkeiten mehr geben würde. Ganz sicher auch nicht in der Schule, wo Unternehmer-Lobbygruppen für das Fach »Wirtschaft« gekämpft haben und Kapitalismuskritik garantiert nicht im Lehrplan steht.

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Eine Zusammenfassung der ersten zehn Teile der Kinderserie ist auf www.zeitgeistlos.de zu finden. Alle bisherigen 41 Folgen können im ZG-Blog in der Rubrik Kindheit gefunden werden. Eine Auswahl bisheriger Teile:

» Folge Teil 33: Großeltern
» Folge Teil 28: Alleinerziehend
» Folge Teil 24: Freiräume
» Folge Teil 18: Leistungsdenken

5 Gedanken zu “Kinder in Deutschland; Teil 42: Hausaufgaben

  1. Mein Lebenspartner ist Lehrer an eine Grundschule, an dieser versucht er so wenig wie möglich Hausaufgaben zu erteilen und gerät damit in regelmäßigen Konflikt mit den Eltern. Es möge doch mehr Hausaufgaben geben damit das Kind fleißig lernen könne.
    Das Argument das das Kind lieber spielen und draußen herum tollen solle um sich zu entspannen und Energie aufzubauen wird dabei immer ignoriert bzw. sich herausgeredet. Das zeigt deutlich wie die meisten Eltern den Neoliberalismus und damit den Sozialdarwinismus selbst verinnerlicht haben und fest daran glauben selbst bzw. ihrem Nachwuchs zu einem Herren- also Übermenschen zu machen.
    Damit will ich sagen Lehrer sind nicht an allem Schuld, und wenn man sich die Jungverbeamteten an sieht dann sieht man in der Regel ein Menschliches Wesen ohne Selbstbewusstsein und völlig verunsichert, aber dabei immer die Illusion versucht aufrecht zu erhalten eben Doch Selbstbewusst zu sein der am besten ausgebildete und mit dem neuesten Wissen ausgestattet zu sein und leider dabei der größte Flegel gegenüber älteren Kollegen und anderen Betreuern in den Schulen. Dabei noch nicht einmal in der Lage zu sein Pünktlich am Arbeitsort zu erscheinen!

    Es dauert eben ziemlich lange bis die Einsicht erfolgt, vom brechen der Neoliberalen Konditionierung die im Ausbildungsverfahren von Schule bis UNI erlangt und belohnt wird, reden wir gar nicht! Denn wer sich nicht System-konform verhält wird rigoros aussortiert. Von Lehrern Professoren usw.
    Auch Lehrer sind nur Teil dieser Gesellschaft und Menschen.
    Viele werden sich daran leider erst in einem höheren alter wieder erinnern, wenn sie auf Unterstützung angewiesen sind und dann die Früchte ihres Lebens ernten.

  2. Tja, da leben wir wohl im Paradies. Die Kinder sind auf einer Gesamtschule (8. und 11. Klasse) und bei uns gibt es praktisch NIE Hausaufgaben. Maximal ein klein wenig Unterstützung bei Referaten (wie z.B. Fotos passend ausdrucken) und sonst...nichts!

    Wie heißt das Zauberwort? Dalton-Schule. Und komischerweise wird dort die auch so beliebte Eigenverantwortung besonders gefördert. Denn die Kinder setzen die Schwerpunkte selber und lernen nicht auf Druck der Eltern.

    Und es funktioniert wirklich, selbst bei der schwer pubertierenden 14jährigen.

  3. @Widerstand ist Zwecklos

    Danke für die wichtige Anmerkung! Ja, viele Eltern fordern Hausaufgaben regelrecht ein. »Spielen sei ja nicht lernen«, so die häufig vorgebrachte pädagogisch völlig hirnrissige Eltern-Einstellung. Denn bei Kindern geht fast alles übers spielen. Ganz besonders das Lernen.

  4. Kinder, Kinder, wenn man es darauf anlegt, kann man natürlich alles dem Neoliberalismus in die Schuhe schieben. Wir hatten als Schüler im real existierenden Sozialismus Haushaufgaben bis unters Dach + einem bunten Strauß an »gesellschaftlichen Verpflichtungen«. Meine Woche war als 4. Klässler schon verplant bis zur letzten Minute. Nicht zu vergessen: Samstag war auch Schule. Seid bereit, immer bereit! ;-)

    Was hier kritisiert wird, ist wohl eher das alte preußische Ideal von Fleiß und Pflichterfüllung. Wahrscheinlich wäre es wirklich hilfreich, Haushaufgaben abzuschaffen. Aber dann bitte nicht wundern, wenn das juvenile Gebrüll, Geschrei und die Tränen sich dann einfach andere Anlässe suchen.

  5. Das Üben durch Hausaufgaben könnte man wohl in der Tat lieber in die Schule verlegen und anders gestalten. Wobei...keine Ahnung... Grundschule war bei mir spätestens 13 Uhr und Gymnasium vor Oberstufe spätestens 14:10 Uhr Ende. Wenn man heutzutage länger in der Schule ist UND DANN noch Hausaufgaben bekommt finde ich das schon ziemlich ätzend.

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