Seit einiger Zeit arbeite ich nun in einer Grundschule. Vormittags bin ich in einer Jül-Klasse und Nachmittags im Hortbereich. Es ist die schlechtbezahlteste Lohnarbeit, die ich bisher hatte und gleichzeitig die zufriedenstellendste Tätigkeit, die ich in meinen rund 40 Jahren ausgeübt habe. In aller Regel füllt man eine Funktion aus, die nicht erfüllt. Bei der man eine soziale Maske kultivieren und sich langfristig von sich selbst entfremden muss, damit man auf der Lohnarbeit ordentlich funktionieren kann. Aber, um mal ein Wort zu bemühen, dass leider längst von Marketing-Soldaten gekapert wurde: eine Arbeit, bei der man authentisch sein darf, ist häufig eine erfüllende und befriedigende Tätigkeit.
Kinder sind unsere Gegenwart
Mir gefallen die abwechslungsreichen Aufgaben. An der Schule gibt es über 500 Kinder, mehr als 20 Pädagogen, dutzende Lehrer und Hauswirtschaftskräfte. Jeder Tag verläuft komplett anders. Ich lerne ständig neue Kinder, Kollegen, Lehrer und Eltern kennen. Elterngespräche, Veranstaltungen, Ausflüge, Schulprojekte, Gartenarbeit, Integrationsarbeit, Hausaufgabenhilfe, IT-Unterstützung und vieles mehr gehört hier zum Alltag. Ich bin mir mittlerweile sicher, dass ich es nicht mehr aushalten würde, den ganzen Tag in einem Büro zu hocken, wo man stündlich auf die Uhr schaut und irgendwie versucht, die Zeit tot zu schlagen, weil man endlich von der Arbeit und/oder von seinen Kollegen erlöst werden möchte. Es ist kein Zufall, dass »Stromberg« traurige Realsatire ist. Ich habe das in verschiedenen Büros in meiner Erwerbsbiografie auch selbst erlebt.
Ich empfinde die Flut an Eindrücken, Gesprächen und Aufgaben nicht als Überforderung oder Überreizung, sondern als einen wohltuenden Input. Kinder sind authentisch und lebendig. Wer lieber tote Dinge mag oder um mal Erich Fromm zu bemühen: der Nekrophilie verfallen ist, stört sich natürlich auch an lauten Kindern. In aller Regel ist die Elternarbeit am Nervigsten. Übertriebene Ängste, Hysterie, verkorkste Eltern-Kind-Bindungen, emotionale Abhängigkeit von den eigenen Kindern, Überfürsorge, Wohlstandsverwahrlosung — um nur einige Felder zu nennen. In aller Regel sind nicht die Kinder, sondern die Eltern das Problem. Manchmal gelingt es mit feiner Diplomatie, Eltern zur Selbstreflektion zu bewegen. Aber das ist nicht die Regel. Schließlich haben Pädagogen doch keine Ahnung von Kindern. Auch wenn ihre Kleinen nicht selten mehr Zeit mit ihnen, als mit den eigenen Eltern verbringen.
Empathie ist ein Handelshemmnis
Es ist immer noch ein Skandal in Deutschland, dass jede Arbeit am und mit Menschen so mies bezahlt wird. Erzieher, Pfleger, Hebammen und Pädagogen: mehr als 4 Millionen Menschen arbeiten in den sozialen Berufen. Fast jeder zehnte Erwerbstätige sorgt mit dafür, dass der soziale Frieden aufrecht erhalten wird. Es geht eben nicht nur um fürsorgliche Pflege oder die Möglichkeit, die eigenen Kinder fremdzuparken, damit man lohnarbeiten kann. Sondern auch um die Vermittlung von sozial-emotionalen Grundwerten, wie Empathie, Solidarität und Rücksichtnahme. Ein ethisches Bewusstsein, dass der Neoliberalismus in aller Regel miss- und verachtet, weil es dem Geschäfte machen häufig im Wege steht. Denn wer Karriere und ordentlich Kohle machen will, sollte Konkurrenz‑, Wettbewerbs- und Habendenken verinnerlichen. Empathie hält da nur auf.
»Auch in der Sozialen Arbeit habe sich das Denken in Managementkategorien zunehmend durchgesetzt.«
Boeckler Impuls 09/2017. »Wenn nur noch die Zahlen zählen«. S. 7
In diesem Sinne gibt es meines Erachtens ein ganzes Bündel an Gründen, warum der soziale Bereich, immer noch (und wohl auch weiterhin) beispielsweise im Vergleich zu den Bullshitjobs so schlecht finanziell entlohnt wird. Menschen zu helfen und ihre ehrliche Dankbarkeit zu spüren, ist unheimlich erfüllend. Und für manche eben schon Teil der Bezahlung. Genau das wird immer wieder wirtschaftspolitisch ausgenutzt und ausgebeutet, insbesondere beim Ehrenamt. Die üblichen Narrative, dass der soziale Bereich nichts produziert und aus Geld nicht noch mehr Geld erzeugt wird, dürften auch zu treffen. Hinzu kommt: warum Arbeitskräfte besser bezahlen, die häufig keine marktradikale Lebenseinstellung haben und somit dem Kapital nicht dienen? :nene: