Mir fällt auf, dass ich bei kleineren und/oder größeren familiären Feiern oder Festlichkeiten von Freunden und Bekannten, kaum noch Bock auf Erwachsene habe. In der Regel dreht sich alles immer um das große Fressen Buffet, den Kuchen oder das Essen. Sobald es verteilt oder eröffnet wurde, stürzen sie sich drauf und schlagen sich die Bäuche voll, als gäbe es kein Morgen mehr. Dann verteilen sich die Herrschaften in kleineren Grüppchen und reden über die typischen Themen: Geld, Wohnung, Lohnarbeit, Sozial-Status, Kinder, Smartphones, Urlaub, Haus, Garten, Auto, Fussball... bla bla bla — der übliche kleinbürgerliche Biedermeier-Spießer-Weltverleugnungs-Selbstentfremdungs-Bullshit. Spätestens dann entferne ich mich regelmäßig von den Sitzfleisch-Labergrüppchen und suche die Nähe der mitgebrachten Kinder bzw. meines eigenen Sohnes. Ich muss mich nicht regelmäßig im Kreis und um mich selbst drehen. :nene:
Derweil spielen, lachen, singen und/oder toben die Kinder, ergo: sind am Leben. Ich spiele auf einer Familienfeier viel lieber mit Kindern ein Brett‑, oder anderes Spiel, male oder bastle etwas mit ihnen oder tolle mit ihnen irgendwie herum (ich mache mich auch gerne selbstironisch zum Hampelmann), als mich mit den reifen, bierernsten und fertigen Menschen, über die totalitäre Ökonomisierung aller Lebenswelten, ihren neuesten, heißesten Konsumscheiss, ihre berufliche Karriere oder über irgendwelche anderen Dinge ‑die direkt oder indirekt- den eigenen Sozial-Status betreffen, zu unterhalten.
»Im Übrigen wird nach Aussehen und Ansehen verurteilt. Das unausgebildete Gewissen der Masse ist auf diese Weise befriedigt.«
Gustave le Bon. „Psychologie der Massen“. Nikol Verlag. Hamburg 2009. S. 152
Authentische Unfreiheit
Häufig sind viele Erwachsene und/oder Eltern auch extrem empfindlich sowie in ihrem Glaubens- und Wertesystem völlig festgefahren (Pädagogen, Sozialarbeiter und Lehrer wissen was ich meine). Konstruktive, unvorhergesehene und/oder interessante Gespräche sind so kaum möglich. Jedes Wort muss genau abgewägt werden, wenn man Niemanden verärgern oder Futter für Lästerei liefern will. Und nicht Wenige lauern regelrecht darauf, endlich wieder Nahrung für ihre Lästerfreunde zu haben: »der oder die hat das und das gesagt und getan und/oder nicht gesagt und getan — unglaublich!« Wer auf Nummer Sicher gehen will, bleibt insofern bei völlig unverfänglichen, oberflächlichen, also letztlich belanglosen Themen. Am Ende redet man sehr viel und sagt gar nichts. Heiße Luft, die das eigene erkaltete Herz erwärmen soll.
Entspanntheit und Gelassenheit wird nebenbei als soziale Maske kultiviert, ist aber nur selten wirklich vorhanden. Unter der Oberfläche brodelt es:
»Was die Anderen wohl über mich, meinen Partner und meinen Kindern denken?«
»Ob ich einen guten Eindruck mache?«
»Wie sehe ich in meiner Kleidung aus?«
»Werde ich gemocht und akzeptiert?«
»Wie kann ich mich verhalten, damit ich gemocht werde?«
»Was muss ich sagen? Was will ich gerne hören?«
»Ist das alles ehrlich oder tun die nur so?«
»Ob ich wieder eingeladen werde?«
Die Authentizität ist dem Funktionalismus sowie dutzenden Ängsten gewichen. Stocksteif, verkrampft und selbstentfremdet, quetschen sie ein Lächeln heraus, um sich für das Familienfoto in Szene zu setzen. Derweil spiele ich mit den Kindern an einem Kickertisch, verliere gegen die Kleinen und lache, ohne dass mich ein smartphone dazu auffordert.
....steht ja schon in der Bibel:...»wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, .....etc....
Ja, das kenne ich nur zu gut. Wirklich ernste Themen spricht keiner mehr an. Am besten sind die Salon-Ökos, die sich alle 2 Jahre ein neues Smartphone mit fest verbautem Akku kaufen — alle Öko-Lippenbekenntnisse sind damit ad absurdum geführt.
Was Du hier beschreibst, habe ich auch schon in der NZZ gefunden:
https://www.nzz.ch/meinung/debatte/das-gastmahl-der-geistlosen‑1.18576787
Diesen Artikel lese ich 1 mal/Monat um mich zu erden.
Deinen Blog lese ich auch regelmäßig — macht den Kopf frei vom belanglosen Bla-Bla.
@Holger
Danke für den Artikel-Hinweis. Hätte auch von mir sein können. ;)
»Dass wir reicher werden und innerlich verarmen?«
Genau so ist es. Allerdings würde ich noch weiter gehen. Denn auch das Prekariat hat nicht wirklich etwas zu erzählen, was außerhalb von Sozial-Status-Themen liegt. Es ist wohl eher ein gesamtgesellschaftliches »Phänomen«.
@Holger
Klasse NZZ-Artikel, vor allem dieser Satz:
»Wir haben uns in einen Zustand der Wohlstandsbehinderung hineinpäppeln lassen.«
Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen.
Obiges Post, sowie die Links »Das Gastmahl der Geistlosen« und »Der rosarote Duckblick« sind ein gutes »Paket« zu dem Thema. Nach Lektüre aller drei muss ich das erst mal sacken lassen ...
Nicht dass Smalltalk auf Familienfeiern oder Partys etwas Schlechtes wäre, das ist nun mal so. Auch war es »in früheren Zeiten« schon der Fall, dass einige Leute eine Show um ihre Person abzogen und ihre Eitelkeiten zur Geltung brachten. Das gehört nun mal zur »menschlichen Natur« und zum »Ökosystem« solcher »sozialen Events«. Und auch belanglose Themen lassen sich in anregende Gespräche verwandeln. Selbst wenn oder obwohl der Gesprächsfaden nicht geradlinig verläuft.
Wobei sich die Frage stellt, was eigentlich ein gutes Gespräch ausmacht. Es hängt jedenfalls von der Neugier, Offenheit und Disposition der Teilnehmer ab und — wie Matuschek gekonnt formuliert — wenn etwas »Drittes zwischen Ich und Du« entsteht. Und genau daran scheint es nun wirklich mehr und mehr zu mangeln.
@epikur: Kann ich nachvollziehen. Ich könnte mir das heutzutage nicht mehr geben. Irgendwie bin ich froh drum, ein ausgegrenzter Paria zu sein, der gar kein derartiges kleinbürgerliches Umfeld hat oder in einem Solchen funktionieren müsste. Ich geh den Leuten halt penetrant auf den Sack, indem ich es grade nicht bei Smalltalk belasse, sondern die relevanten Sachen anspreche. Dann erledigt sich das eh recht schnell; auch bei e‑mail-Kontakten. Halte diesen Zombies jaaa nicht den Spiegel vor...!
Das Schlimme daran ist, dass diese Erwachsenen / Eltern diese Kinder ja leider auch immer früher zu »Erwachsenen« werden lassen. Ich finde es da immer wieder erschreckend, wie furchtbar alt junge Menschen heutzutage sein können...! :( Ich meine, derart viele und alte Menschen wie im Umfeld meines ÖD-Studiums hätte ich wohl selbst im nächsten Altersheim nicht gefunden! Und die meisten von denen waren da nicht einmal 20!
Spätestens dann, wenn es in Richtung Berufswahl geht, mutiert die Mehrzahl der Kleinen dann auch sehr schnell in Richtung Selbstentfremdungs-Zombie. Schon bei Teenagern brodelt es dann schnell ähnlich unter der Oberfläche wie du es beim Erwachsenen beschreibst; weil die Mehrzahl der Kinder halt »beliebt« sein will. Materialismus gilt auch im Kinderzimmer oder auf dem Schulhof.
Wohl einiges an Gründen, warum ich als Kind selber nie »erwachsen« werden wollte; es gefiel mir schon damals nichts, was ich an den Älteren beobachten musste. Am wenigsten verstand ich, warum sie das alles als alternativlos akzeptierten. Ich bin jedenfalls froh, dass ich mir meine »Kindsköpfigkeit« bis heute stur bewahrt habe! ;)
@Dennis82
»Ich bin jedenfalls froh, dass ich mir meine „Kindsköpfigkeit“ bis heute stur bewahrt habe!«
Richtig so! Erwachsen sein und/oder werden ist unter den Lohnarbeits-Selbstentfremdungs-Biedermeier-Weltverleugnungs-Mechanismen-und-Rahmenbedingungen auch überhaupt nicht groß erstrebenswert. Auch für Kinder nicht. Die haben sehr feine Antennen und spüren, was das tägliche Hamsterrad mit uns Erwachsenen so anstellt. Aber natürlich werden Kinder mit Konsum und Geld sowie Verantwortungs-Geschwurbel »gelockt«. Andere Argumente, warum »erwachsen sein« auch toll sein könnte, haben viele gar nicht mehr, weil sie selbst die Alternativlosigkeit verinnerlicht haben.
Bei vielen Menschen beginnt der Sterbeprozess in den ersten drei Lebensjahren.
»Dead at thirty, buried at seventy.«
(alter beatnik-Spruch)
»Es gibt 20jährige Greise und 80jährige Jünglinge.«
(Heiner Geißler)
dieser familien-/gruppen- und vernetzungszwang bewirkt, dass sich keiner getraut aus der staatskoppel/hamsterrad/konsum auszuscheren weil er sofort den beschämenden geduldet/mitdurchgefüttert status erhält, wenn er nicht bereit ist sich genauso zu verausgaben wie die obermimer—somit wird gewährleistet, dass die mehrheit spätestens mit der rente kaputtgespielt: medizin-/pflege-/betreuungsabhängig ist und die möglichkeit einer gesundheitlichen unabhängigkeit/gesund altern erst gar nicht in erwägung gezogen wird.