Die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW wollte Ende November das Sozialticket schrittweise abschaffen. Dagegen gab es große Proteste. Nun rudert sie zurück. Vorerst. Interessant ist, wie und was in der Öffentlichkeit ‑abseits von dpa copy and paste- zu diesem Testballon geschrieben wurde. Eine kleine Meinungsblase.
Spiegel Online skandierte:
»Abschaffung des Sozialtickets in NRW: Verkehrspolitik von gestern«
Ja, die schwarz-gelbe-Regierung in Nordrhein-Westfalen wollte angeblich mit dem eingesparten Geld das Verkehrsnetz verbessern. Deshalb die Schlagzeile. Warum Frau Hucko aber nicht »Sozialpolitik von gestern« schreibt, hat womöglich damit zu tun, dass Sozialleistungen kürzen und streichen, Pardon: einsparen, in der neoliberalen Journalisten-Filterblase grundsätzlich nichts verwerfliches mehr ist. Von sozialer Gerechtigkeit wird gar nicht mehr gesprochen. Der Begriff ist in der öffentlichen Debatte weitestgehend verschwunden.
Der WDR springt erstmal ganz devot für die Landesregierung in die Bresche:
»Braucht NRW wirklich ein Sozialticket?«
Seit wann fahren Länder mit Bus und Bahn? Und die rund 300.000 Menschen brauchen das natürlich auch nicht. Sind doch eh alles Globalisierungsverlierer, Schmarotzer, Parasiten, Sozial Schwache, Bildungsferne, Modernisierungsverlierer, Arbeitsscheue, Minderqualifizierte und Abgehängte. Nein, ich polemisiere nicht! Das ist die ganz normale Sprache der radikalen Mitte seit mehr als 15 Jahren.
Auf welt.de gibt es zum Artikel »NRW schafft das Sozialticket ab« vom 23. November 2011 wieder menschenfreundliche Kommentare:
»Es ist völlig Richtig sowas zu machen. von dem Ticket Profitieren nur wenige. Es gibt Hartz 4 und Co und im übrigen kann man ja auch Arbeiten gehen.« (Truckstop T.)
»Wir haben in Deutschland viel zu viele junge Menschen, die schlichtweg keine Lust zum Arbeiten haben. Das darf nicht belohnt werden....« (Hans M.)
Nach den großen Protesten von Grünen, Linkspartei und Sozialverbänden, wird sich die schwarz-gelbe Landesregierung nun eine andere Strategie überlegen, um es den Überflüssigen zu zeigen. Vielleicht war der Zeitpunkt auch ungünstig gewählt. Es ist ja schließlich bald Weihnachten, da haben wieder ganz viele ein Herz für Arme. Zumindest temporär. Wie wäre es mit einem zweiten Versuch im Sommer 2018? Da gibt es die Fußball-WM. Das hat bisher immer gut geklappt, wenn man unbeliebte und fiese Vorhaben und Gesetze durchpeitschen wollte (Mehrwertsteuererhöhung, Autobahnprivatisierung etc.). Denn vor lauter Bierkonsum und »Deutschlaaaand« bekommt keiner auch nur irgendetwas mit. :jaja:
Soll das Pack doch in seiner Hütte hocken bleiben und Hartz IV-Fernsehen glotzen und Kohlehydrate in sich reinstopfen …
Gängige Normalomainstream-Meinung
Oder: wenn sie sich waschen und rasieren, dann können sie sich bald ein Auto kaufen!
Oh ja, für Aufstocker nur Peanuts …
Die eingesparten Mittel können doch sinnvoller investiert werden (in Rüstung und Finanzspekulationen) ;-(
Der Text widerspiegelt, was ich an dieser Stelle schrieb: http://www.zeitgeistlos.de/zgblog/2017/die-wirtschaft-waechst-die-armut-auch/comment-page‑1/#comment-12372
»Otto Normal«, in diesem Fall »Truckstop T.« und »Hans M.«, versteht nicht, dass die Höchsteinkommen der Gesellschaft leistungslos sind. Das steht in keinem Lehrbuch, keiner Zeitung, keinem Parteiprogramm, sieht man nicht in den Nachrichten. Das Thema ist einfach nicht präsent. Dafür streiten sich die »Ottos Normalo« um die »ökonomischen« Krümel, obwohl ihnen der Kuchen gehört.
»Otto« hat nun mehrere Probleme:
Niemand vermittelt ihm den tatsächlichen Istzustand, da die Nutznießer der Situation und deren korrupten Zöglinge gleichzeitig die Kontrolle über Bildungssystem, Medien und die »Demokratie« besitzen.
Der tägliche Kampf um die Krümel, welcher ihn gleichzeitig davor bewahrt, darüber nachzudenken und nach Lösungen zu suchen. Ohne Erfassen des Zustandes und anderen Lösungsansätzen bleibt er hilflos wie ein Vogel mit gebrochenem Flügel.
Die ebenfalls korrupte und/oder unqualifizierte politische Priesterschaft, welche ihn immer wieder zur Erbringung von Höchstleistungen im Kampf (»Wettbewerb«) gegen die anderen »Ottos« ermuntert (natürlich mit feinfühliger Umschreibung). Gleichzeitig überzeugt sie ihn, dass der »Staat«, mit seinen (von Natur aus) leeren Taschen, alles für ihn regelt.
Logische Konsequenz für »Otto«: Abschaffung eines Sozialtickets, weil die »Politik« in Straßen investieren muss, mit Geld, was sie nicht hat. »Otto« begreift nicht, dass man in Straßenbau »investieren« und gleichzeitig den Nahverkehr für alle kostenfrei zur Verfügung stellen könnte. Da brauchte man auch kein Sozialticket. Hat »Otto« nie gelernt, nie gesehen und nie darüber nachgedacht. »Denken« ist ihm so fremd geworden wie seine Mitmenschen. Er urteilt lieber.