Gehe ich in die örtliche Bibliothek zu den Bereichen Soziologie, Psychologie, Philosophie und/oder Politikwissenschaft, so gibt es dort heute primär Lebensratgeber-Bücher, Biografien, Pop-Kultur, emotionale Stellungnahmen, polemische Streitschriften und Trend-Literatur. Schriftliche Werke, die dabei helfen könnten, das große Ganze zu verstehen, Sachverhalte präzise, wissenschaftlich und analytisch zu hinterfragen sowie Strukturen, Verstrickungen und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, sind in öffentlichen Bibliotheken immer seltener, werden in der Schule erst gar nicht und in der Universität ‑wenn überhaupt- nur als »Bulimie-Wissen« gelehrt.
»Bislang hat es noch keine Bevölkerung gegeben, die für ihre Reise in die eigene Unfreiheit auch noch bezahlt hat.«
Harald Welzer. »Die höchste Stufe der Zensur: Das Leben in der Ich-Blase«. Blätter. Ausgabe Juli 2016. S. 62
Die innere Selbstzensur und das absolute Desinteresse an allem, was größer und komplexer ist, als das eigene Lebensumfeld, benötigt keinen Fürsten oder Diktator. Wenn die Massen ihre Lohnknechtschaft für Freiheit halten, den Kapitalismus als Naturzustand deklarieren und Datenschutz als belanglose Kleingeisterei zur Seite wischen, hat das Warum auch keinerlei Bedeutung mehr. Dann sind universelle, moralische Prinzipien, wie Menschenrechte und Nächstenliebe, nur noch subjektive, und damit unrelevante Einzelmeinungen.
Deine Aufgabe, über die Verlogenheit des Systems herauszufinden, ist schließlich auch etwas für die 40er — und da wirst du auch genug Zeit dazu haben, denn deine gewünschte Arbeitsleistung hast du bis dahin eingebracht. Ab 40 will sowieso keiner mehr was von dir, weil du zu alt geworden bist. (So zynisch muss man das sagen.)
@matrixmann das ist nicht Zynisch das ist realistisch und auch meine traurige realität. bin 46 und seit 6 Jahren Arbeitslos und Einkommenslos folglich bin ich Hausmann also die männliche Hausfrau. Das alles nur wegen eines Bandscheibenvorfalls, tja Gesundheit im Arsch und Behandlung wird verweigert. Ich würde gerne arbeiten aber mir wird jede Arbeitsaufnahme verweigert. Für mich ist das Faktisch ein illegalles Arbeitsverbot!
Und niemanden interessiert das auch nur annähernd! Vielen dank an die anderen Menschen in diesem Land, und nein ich nenne euch nicht meine Mitmenschen den ihr verhaltet euch nicht so. hab jetzt ausgeheult.
@matrixmann
Da ist was dran. Und zwar nicht zwingend deshalb ‑wie alle Welt uns immer weismachen will- weil Menschen ab 40 so unglaublich unflexibel, wenig belastbar oder nicht leistungsfähig seien, sondern wohl eher, weil viele mit 40 so langsam verstehen, wie das Schweinesystem so läuft.
Nach unzähligen Jahren lohnknechtschaften womöglich noch mit Mobbing, Burnout, Arbeitsgericht, Lohndumping, Gehaltsverweigerung, Büro-Psychokriegen und und und, hinterfragen Menschen ab 40 vermutlich eher mehr, als gerade fertig Ausgebildete.
Meines Erachtens mit der Hauptgrund, warum viele Personaler eben die jungen Leute wollen: sie halten die Klappe, funktionieren, hinterfragen nichts, haben Angst und gehorchen. Dieser narrative Mythos das Menschen mit 40 auf einmal alle so wackelig auf den Beinen seien, ist gelinde gesagt, Bullshit.
@epikur, bleibt noch die Frage, (ein Trost ist das nicht!), was passiert, wenn die besagten jungen Leute auch irgendwann über 40 sind, also ebenfalls »aussortiert« und mit »jüngerer Konkurrenz« konfrontiert werden.
@ epikur
Ist das eine. Was noch hinzukommt, was ich meine angetroffen zu haben: In den 40ern erlebt mehr oder weniger jeder so was wie seine kleine Midlife Crisis. Ist weniger dramatisch als es sich anhört — man kommt nur an einen Punkt, wo der Verstand anfängt, zu hinterfragen, ob man sein Leben so weitermachen will wie bisher oder ob da Sachen sind, die nicht ausgelebt oder die am eigenen Leben nicht hinterfragt wurden und einen auch in negativer Art und Weise so machen wie man ist.
Unter dem Aspekt kommen viele dann zu der Erkenntnis »nein, so möchte ich nicht weitermachen« — und das schließt mit ein, dass man einige Dinge, wo man kann und wo man muss, plötzlich anders macht als vorher, was mitunter auch einigen Leuten nicht gefallen kann.
Dritter Aspekt, den ich auch noch hinzufügen will: Im Sinne dessen, was die Großkapitalisten von dir verlangen wie du arbeiten sollst, dazu bist du wirklich mit 40 langsam körperlich nicht mehr in der Lage zu. Die Geschwindigkeit, das tägliche unabdingbare Spuren — wenn du 40 bist, bist dazu nicht mehr dazu in der Lage, täglich 200% zu geben. Es sind meinetwegen nur 180% — 180% sind aber zu wenig für die Art wie das die Großkapitalisten brauchen, damit ihre Produktionskette weiterläuft.
Was macht man? Man sucht sich wieder Leute, die 200% geben können...
Manche können das auch in ihren 40ern noch kompensieren, weil der Körper das noch mitmacht — aber, dafür kommt es dann des Öfteren irgendwann zum großen Knall. Und da ist von »gesundheitlichen Problemen« bis »plötzlich mit Herzinfarkt / Schlaganfall tot umfallen« alles dabei.
Soziale Aspekte wie »Frau / Mann läuft weg« (weil man nie Zeit hat) oder »Kind ist missraten und baut nur Scheiße / hat Probleme« sind da noch nicht einmal mitgerechnet.
Mit 20, 30 und 40 sieht man das »Leben« als Solches halt vollständig anders...
@epikur: Da würde ich dir ein wenig widersprechen. Meines Erachtens weniger ein Prozess des »Hinterfragens«, mehr des (sein Schicksal) »Akzeptierens«! Wer schon so lange im Hamsterrad ackert, wird es mit zunehmendem Alter umso weniger hinterfragen. Im Gegenteil — müsste man sich doch selbst eingestehen, sich in der verblichenen (wertvollen) Jugend doch selbst um wahres Glück (freie) Zeit gebracht zu haben (und das tut verdammt weh)... Nach meiner Beobachtung sind es sogar die Älteren, die am intensivsten an diesem Irrsinn festhalten — und ihn unbarmherzig von der (»faulen«) Jugend einfordern... Wenn man selbst sein Leben lang schuften musste, sollen es die Jüngeren doch nicht besser haben! Und dann kommt noch hinzu, dass grade der Ausblick auf Hartz IV in dieser Lebensphase besonders bedrohlich ist — denn dann wäre das, was man sich bislang mühsam erschuftet hat: weg! Also wird gebuckelt bis zum Umfallen!
Ich hatte ja u. a. auch das »Glück«, während meines Studiums Einblick in die Innenwelt eines Amtes zu haben. Und obwohl da niemand von Arbeitslosigkeit bedroht war, hielten auch viele Ältere grundsätzlich immer bei Allem die Klappe. »Warum« hat da auch niemand wirklich gefragt, wenn es um weiteren Stellenabbau, weitere Arbeitsverdichtung oder Ämterschließungen ging. Sie tendierten natürlich eher zu »Dienst nach Vorschrift« — als ein paar jung-naive, die grad frisch aus den Drill-Bootcamp namens FHFin in die Verwaltung strömten. Jene hinterfragten auch nicht, warum sie sich da drei Jahre lang den unwichtigsten Scheiß in die Hirne prügeln mussten... Aber das ist ja in gewisser Weise »normal«, heute. Einzig die »Edeka-Beamten« (am EndederKarriere) in der Endstufe konnten sich dann auch mal etwas »Freigeist« leisten.
Um die 40 rum stumpft man halt auch in der Tretmühle ab; grade in einfachen Jobs jeden Tag die gleiche Scheiße — auf Dauer macht das kein gesunder Geist mit. Körperlich und geistig kann man in Jobs mit höheren Anforderungen oder schnellen Entwicklungen nicht auf ewig mit den Twens mithalten. Man wird öfter krank; daher: teuer. Also fliegt man bei nächster Gelegenheit raus. Das diszipliniert wiederum die übrig Gebliebenen. So ist der Gang der Dinge!
Das »Warum« wird uns ja schon in früher Kindheit abtrainiert. Die Antwort, die ein Kind auf diese (oft sehr schlaue, aber auch ketzerische) Frage erhält, lautet von Seite der Eltern ja in 90 % der Fälle: »DARUM« — notfalls mit 5 Ausrufezeichen. ;)
Dann sind universelle, moralische Prinzipien, wie Menschenrechte und Nächstenliebe, nur noch subjektive, und damit unrelevante Einzelmeinungen.
Das ist im Grunde schon im Programm des Liberalismus angelegt. Das einzig wirklich universelle moralische Prinzip, auf das man sich wirklich verlassen könne, sei der Trieb zum erweiterten Selbsterhalt, vulgo der Egoismus. Darauf baut sein ganzes Staats‑, Rechts- und Wirtschaftssystem auf. Wenn jeder nur stur seine eigenen Ziele, ruhig auch ein bisschen rücksichtslos, vertrete, sei damit ›automatisch‹ (die berühmte ›unsichtbare Hand‹) auch dem ›Gemeinwohl‹ am besten gedient. Auf alle weitergehenden moralischen Prinzipien könne man sich nicht nur nicht verlassen, sie führen sogar — so die unmittelbare Erfahrung zB Hobbes in den damaligen ›Glaubensbürgerkriegen‹ — ganz im Gegenteil erst recht zu Zwist und eben dem berühmten ›Krieg aller gegen alle‹.
Die moralischen Prinzipien wurden also, zusammen mit der Religion, in die Privatsphäre verbannt und öffentlich weitgehend entsorgt. Natürlich geht sowas nicht von heut auf morgen, und zu unserem Glück haben sich viele Prinzipien der Rücksichtnahme und Nächstenliebe, wenn auch immer rudimentärer, noch bis heute erhalten. Wenn wir allerdings insbesondere unsere ›Eliten‹ als Vorreiter und Vorbilder betrachten, dann ist eine sukzessive Verrohung und Rücksichtslosigkeit kaum zu übersehen. Das Programm des Liberalismus zerstört systematisch Gesellschaftlichkeit, die angedachten Ersatzmechanismen Markt und Recht können das nicht auffangen. Und zwar je totaler sie die ›Nicht-Gesellschaften‹ beherrschen, um so weniger.
Neoliberalismus und Ich-Blase (der Artikel von Welzer ist übrigens noch verfügbar) sind nur logische Neuauflagen und Folgen dieses Programms — das paradoxerweise erst wirklich schafft, was es gerade verhindern wollte, eben den ›Krieg aller gegen alle‹. Es sei denn, man könnte uns alle komplett und auf immer in der konsumistischen Ich-Blase einschließen. Sozusagen das letzte ›Friedensaufgebot‹ des Liberalismus. Das wiederum muss aber spätestens an der Endlichkeit der Ressourcen scheitern bzw tut es schon.
Kurz, knapp und treffend. Ein schöner Text.
Wenn man als Mensch die Fähigkeit in Zusammenhängen zu denken nicht verliert oder zu irgendeiner Zeit wiedererlangt, wird man darauf stossen, dass die meisten Probleme so einfach lösbar sind, dass der normale Hausverstand dies selbst nicht glaubt. Sie (die Probleme) lassen sich eben nur nicht mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. (Frei nach A. Einstein)
@Peinhart
Was du beschreibst, ist der Neoliberalismus, nicht der Liberalismus.Letzterer widerspricht den heutigen Verhältnissen fundamental, mehr sogar als linker Kollektivismus.
@Art Vanderley
Im Liberalismus ist tatsächlich bereits das volle Programm angelegt. Die Neoliberalen haben nur einige Illusionen fallen lassen, die sich einige der ’netteren‹ ›Frühliberalen‹ wie zB John Stuart Mill noch gemacht haben mögen. Auch Marx fasste das ja schon treffend zusammen: ›Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham.‹ (Kontext)
Ich weiß, das macht die Baustelle nicht gerade kleiner...
Die Antworten zum »Warum« werden 24⁄7 durch die sytemrelevanten Medien gegeben: Putin, Russland, Islamistischer Terror.
Das muss reichen und es reicht tatsächlich aus, um das gegenwärtig herrschende System unanfechtbar erscheinen zu lassen.
Weil, wie Du es richtig gesagt hast: »Innere Selbstzensur und absolutes Desinteresse an allem, was...«
Die Fesseln, die sich die Menschen freiwillig anlegen, sind keine Fesseln, es ist das Korsett ihres Daseins.
@ Dennis
Stimmt, so würde ich’s auch eher auffassen. — Mit hin auch auf den Aspekt, wenn du in einem gewissen Alter angekommen bist, Nester gebaut und Verträge unterschrieben hast, dann greifen auch mitunter diese Außenfaktoren, dass du so schnell nicht deine Bahnen verlässt.
Im Klartext: Wer schon irgendwelche Familien gegründet und ein paar Autos und Häuser auf seinen Namen zu laufen hat, meinetwegen die Vögel auch kurz davor sind, flügge zu werden, der kann nicht so schnell aus seinem Leben einfach ausbrechen und ab heute alles anders machen, weil diese Verträge ihn binden (zu gewissem Verhalten zwingen -> Geld verdienen, womit man zahlen kann) und weil mitunter ein paar Kinder und eine Frau ankommen, warum plötzlich im Monat 500 Kröten weniger zum Ausgeben da sind. Das bringt dich automatisch wieder zurück in deine alte Fahrrinne. (Bei den meisten passiert das so.)
Wenn du für dein eigenes Leben allein verantwortlich bist, dann ist es noch was anderes — aber wie viele gehen diesen Weg?
@Art Vanderley: Im »Schwarzbuch Kapitalismus« hat Robert Kurz das meiste zusammengefasst und eingeordnet, was von den alten Liberalen kam. Ich will damit sagen, dass @Peinhart Recht hat.
@matrixmann
Deshalb sind Väter auch gerne gesehen bei Bewerbungen und in Unternehmen. Personaler und Unternehmen wissen, dass sie finanzielle Verpflichtungen haben, abhängiger und somit gefügiger sind. Vorausgesetzt, er kümmert sich tatsächlich nicht zu viel um seine Kinder und wird dann wieder zeitlich unflexibel und wenig belastbar. Das darf dann ruhig die Frau/Mutter weiterhin machen. Familiensinn hin oder her, der Profit des Unternehmens sollte schon Priorität haben. Auch und gerade für die Mitarbeiter.
@ epikur
Ist dem wirklich so? Verwundern würde mich nichts, aber ich frage, weil ich das noch nie irgendwo gehört habe.
Nicht nur Väter sind insgeheim gern gesehen, sondern Eltern im Allgemeinen! Denn vor allem Kinder machen erpressbar! Es hat ja seinen Grund, warum fast alle Comic-Superhelden maskiert sind. ;) Es macht schon Eindruck, wenn der Chef zum Gespräch bittet und so ganz nebenbei darauf hinweist, dass sollte man nicht mehr Engagement zeigen, grade die Kinder unter Hartz IV am Ende ja am meisten leiden zu hätten...!
Natürlich hat das Elterndasein durchaus auch seine für das Unternehmen riskanten Nachteile. Aber dafür hat man ja (vor allem flankiert durch unkritischen »Karriere-Feminismus«) den gewaltigen Komplex mit dem neusprechverdächtigen Titel »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« geschaffen! Damit man die Brut immer irgendwo sorgenfrei »parken« kann, wenn man sich im Büro oder im Laden von morgens bis abends abhetzt. Ergänzt von zig »Freizeitangeboten« für die Kinder nach der Schule (Vereine, Musikunterricht, Sport etc.). Ich hab heute generell eh den Eindruck, dass sich ganze »Familien« selbst kaum noch länger sehen als 1 oder 2 Stunden am Tag; davon, sich mit dem anderen auch wirklich zu befassen ganz abgesehen...
Was da dann am Ende in gesellschaftlicher und auf lange Sicht hinten rauskommt...!?
@Dennis82
Ach was. Das sind eben die Kollateralschäden für eine produktive Post-Wachstumsgesellschaft. Was wären wir denn nur ohne Leistung, Produktivität und Exportweltmeister-Titel? Richtig, ein afrikanisches Dorf. Immer diese deutschen Jammerlappen. tzetze. :kicher:
@Epikur
Dazu paßt, dass die Bevölkerungsmehrheit einfach ausblendet, dass alles von Menschen gemacht wird — in den jeweiligen Parlamenten — Politik eben.
Ich hab’s mal außerhalb des Internets versucht mit dem Thema, dass mich derzeit, als direkt Betroffenen, ärgert, dem Mißbrauch der Leiharbeit durch Zeitarbeitsunternehmen.
Aussage das Zuhörers:
»Laß uns nicht über Politik reden«, und weiter Fußball gucken.....
Was daran »Politik« sein soll versteh ich bis heute nicht, denn ich verstehe unter Politik sich über die Politik von SPD, Grünen & anderen Regierungsparteien in Berlin zu ärgern, und nicht ein harmloses Gespräch über den Mißbrauch von Leiharbeit.
Das ist, ergänzend, wohl auch eine Strategie der »Volksverdummung«?
Oder lebe ich in einer anderen Zeit? Früher war Politik eben sich aufregen über Schröder, Kohl, Merkel, Westerwelle, Fischer & Konsorten, aber heute ist alles »Politik«?
Soll heißen:
Man will nicht erörtern, und bezeichnet einfach alles was einem nicht in den persönlichen Kram paßt als »Politik«, sogar eigentlich ganz politikferne Themen werden so zu »Politik«, und über die redet man nicht.....
Das wäre anno 1789 auch leicht gewesen, davon hätte Ludwig XVI, und Marie Antoinette, noch lernen können.
Frei nach dem Motto:
»Das Volk ist am Verhungern?« — ist nicht mein Problem — alles nur »Politik«, und über die reden wir hier nicht in Frankreich....
Zynische Grüße
Bernie
@ Dennis und matrixmann
Wenn man ehrlich zu sich selbst wäre, könnte man es kurz fassen: man ist (war) korrupt und gezwungen seine Komfortzone nicht zu verlassen.
Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Im Prinzip trifft sie alle, die für Geld arbeiten oder arbeiteten. Ich schließe mich da nicht aus.
Ein Nachtrag (etwa 8 Minuten):
https://www.youtube.com/watch?v=8sP27osECUU
@Peinhart
@R@iner
Dann kann man alle anderen Denkrichtungen gleich mit vergessen. Im sozialen Gedanken gibt es Teile, die den späteren Realkommunismus vorwegnehmen, Marx den Marxismus, die Patrioten den Nationalismus, die Frauenbewegten den Radikalfeminismus, die Konservativen den Rechtskonservatismus ....jede Richtung kennt ihre eigene Entgleisung.
»Freiheit darf nie vom Geldbeutel abhängen«
Das ist ein libneraler Kern-und Gründungssatz, der noch aus der Zeit stammt, als das Wahlrecht einigen reichen Bürgern vorbehalten war.
Aber er gilt universell und kann und muß auf die aktuelle Zeit übersetzt werden, es hätte zuerst die FDP sein müssen, die gegen Hartz 4 u.ä. auf die Barrikaden geht.
Der Liberalismus steht für eine skeptische Sicht auf den Staat und heute immer stärker auf die Wirtschaft, auch wenn das viele Liberale immer noch nicht gecheckt haben.
Wenn ihr den Liberalismus reduziert auf seine wirtschaftsideologische Entgleisung, dann tut ihr den Neoliberalen den größten Gefallen, den ihr ihnen tun könnt, weil ihr deren Freiheitsbegriff dann gar nicht mehr in Frage stellt.
»[...]Wenn ihr den Liberalismus reduziert auf seine wirtschaftsideologische Entgleisung, dann tut ihr den Neoliberalen den größten Gefallen, den ihr ihnen tun könnt, weil ihr deren Freiheitsbegriff dann gar nicht mehr in Frage stellt[...]«
Sahra Wagenknecht könnte es nicht besser ausdrücken ;-)
Was den »liberalen Kern« und »Freiheitsgedanken« angeht, da habe ich mein Erweckungserlebnis bei Naomi Kleins neuestem Buch über die Klimawandelthematik gehabt, denn diese kanadische Autorin schreibt etwas, dass man zeitlos gültig auf die globale Menschheit heutzutage übertragen kann:
Nur wer viel Zeit und Geld hat (Naomi Klein beschreibt dies in ihrem Buch an der Geschichte des Naturschutzes, der in den USA z.B. von superreichen Stiftern angeregt wurde) kann sich mit Themen auseinandersetzen, und die dem sogenannten »einfachen Mann/der einfachen Frau« aufdrücken, die im Alltag ganz andere Sorgen haben, als die Politiker/-innen in den jeweiligen Parlamenten.
Fazit:
Kein Wunder, dass unsere Politiker/-innen mit keinem Widerstand rechnen können, denn wir haben andere alltägliche Probleme als die Herren, und Frauen, in Berlin — oder anderen Ortes.
Übrigens, wer Naomi Kleins Buch aufmerksam gelesen hat der wundert sich dann auch nicht mehr darüber, dass die Grünen eine Neo-FDP geworden sind — die waren es schon von Anfang an, eine Öko-FDP.
Nur ist es nie jemand aufgefallen, da wir, wie bereits erwähnt im alltäglichen Überlebenskampf andere Sorgen haben, bzw. hatten, als uns mit der Umweltthematik auseinanderzusetzen....
Außerdem klärt sie, auch anhand des Naturschutzes, darüber auf wie käuflich heutige NGOs sind, am Beispiel von Greenpeace....auch hier gilt wer viel Geld, und Zeit, hat der kann....alles kaufen...sogar NGOs bzw. Nichtregierungsorganisationen, und nicht nur solche, die sich mit Naturschutz beschäftigen...da wundert man sich denn doch weniger über die heutigen NGOs...nur darüber, dass Menschen dies nicht wissen, oder noch schlimmer wissen wollen, was doch schon die Spatzen von den sprichwörtlichen Dächern pfeiffen....
Naomi Kleins Buch »Die Schockstrategie« ist ja auch zeitlos gültig, und wird medial totgeschwiegen, denn ansonsten könnte man ja die Vorgänge in der Ukraine, oder in Deutschland, völlig anders sehen als regierungsamtlich verbreitet...auch die Agenda2010 wurde via Schockstrategie vorbereitet, ebenso wie der Putsch in der Ukraine....und um dies zu sehen man muss sein kein Verschwörungstheoretiker...einfach nur Naomi Klein lesen, was bereits umgesetzt wurde, weiter denken, und voila....man hat es was heute so abgeht in der Welt....
Gruß
Bernie
@Art Vanderley
Wenn ihr den Liberalismus reduziert auf seine wirtschaftsideologische Entgleisung, dann tut ihr den Neoliberalen den größten Gefallen, den ihr ihnen tun könnt, weil ihr deren Freiheitsbegriff dann gar nicht mehr in Frage stellt.
Aber hallo tue ich das. Nur bin ich der Meinung, dass ich dafür eben auch schon den liberalen Freiheitsbegriff in Frage stellen muss. Die ›wirtschaftsideologische Entgleisung‹ ist keine, sondern logische Folge der allzu simplen liberalen Grundannahmen und eines im Kern hohlen und ›antigesellschaftlichen‹ Freiheitsbegriffs. Humanistische Einsprengsel haben den ursprünglichen Liberalismus noch eine ganze Zeit lang abgemildert, im Neoliberalismus hat er sich dann aber endgültig auf seine mE primitiven und höchst inhumanen Grundannahmen zurückgezogen.
@Bernie
»Man will nicht erörtern, und bezeichnet einfach alles was einem nicht in den persönlichen Kram paßt als »Politik«, sogar eigentlich ganz politikferne Themen werden so zu »Politik«, und über die redet man nicht.....
Interessanter Aspekt. Und ja, wenn ich genauer darüber nachdenke, erlebe ich das auch ganz genau so! Also eigentlich will man über alles, was irgendwie dazu veranlassen müsste, das eigene Leben zu reflektieren nicht nach denken. Und sich auch nicht mit Themen beschäftigen, die eben nicht im eigenen kleinen Dunstkreis von Familie, Lohnarbeit und Glotze liegen.
»Naomi Kleins Buch »Die Schockstrategie« ist ja auch zeitlos gültig«
Allerdings! Wer es noch nicht gelesen hat: unbedingt nachholen!
@Bernie
Mit gesellschaftlichen Themen beschäftigen kann sich schon jeder, auch die Armen. Nur können sie sich schlecht wehren, und das ist ja auch so gewollt.Nicht so sehr die Höhe, v.a. aber die Rahmenbedingungen der workfare-Gesetze, bei uns Hartz 4 genannt, nehmen den Menschen gezielt die Luft zum (politischen) Atmen.
Stimme zu, es ist ungeheuer arrogant, mit einem guten Polster auf andere herabzublicken und ihnen zu sagen, was sie zu tun haben. Ist aber auch meist nicht ehrlich gemeint, der Schritt zur klammheimlichen Armen-Verachtung der Bildungsbürger ist da nicht weit.
@Peinhart
Meinungsfreiheit, Respekt vor Andersartigen und Minderheiten, soziale Gerechtigkeit, Freiheit der Kunst und der Medien, Gleichheit vor dem Gesetz, Rechtsstaat, Recht auf Privatsphäre, usw......alles (auch) liberale Werte.
Humanistische »Einsprengsel«?
@Art Vanderley
Stimme dir in einigen Punkten zu, den was die »Armen-Verachtung« betrifft haben die Grünen ja einiges zu bieten — Wie bereits erwähnt, das Buch »Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima« von Naomi Klein ist, nicht nur in dieser Hinsicht, sehr aufschlußreich.
Ich bleib dabei wir »Armen«, auch ich zähle mich dazu, haben andere Sorgen als uns mit Umwelt, oder Klimawandel, zu beschäftigen, und dies ist zeitlos, und global, gültig, und auch auf andere politische, oder gesellschaftliche, Themen übertragbar — so erklärt sich übrigens auch der Aufstieg, nicht nur der derzeitige in der Türkei, von Diktaturen.
Man hat eben andere Sorgen als sich mit »Politik« zu befassen, und wenn es dann soweit ist, ist es zu spät:
Wir Deutschen kennen das ja aus der Ära Brüning/Hitler.....
Gruß
Bernie
»[...]Interessanter Aspekt. Und ja, wenn ich genauer darüber nachdenke, erlebe ich das auch ganz genau so! Also eigentlich will man über alles, was irgendwie dazu veranlassen müsste, das eigene Leben zu reflektieren nicht nach denken. Und sich auch nicht mit Themen beschäftigen, die eben nicht im eigenen kleinen Dunstkreis von Familie, Lohnarbeit und Glotze liegen[...]«
Eben, und wie bereits erwähnt, ich erlebe dies ja im Alltag auch so.
Eine sehr gefährliche Entwicklung, denn man stelle sich vor auch in Deutschland käme ein AfDler als »Erlöser« daher, der Widerstand wäre gleich Null....und die Diktatur vorprogrammiert....
Gruß
Bernie
@Art Vanderley
Stimmt, das alles sind — auch — liberale Werte. Nur ist der Inhalt dieser Wundertüten in der liberalen Wirklichkeit ja doch eher bescheiden, teilweise gar perfid. Die Gleichheit vor dem Gesetz zB stellt sicher, dass Ungleiches, gleich behandelt, auch ungleich bleibt. Dem Millionär und dem Bettler ist es gleichermaßen verboten, unter Brücken zu nächtigen. Soziale Gerechtigkeit, egal was der wohlmeinende Mensch darunter so alles verstehen mag und möchte, ist dem Liberalismus die schlichte ›Leistungsgerechtigkeit‹. Die Forderung, Freiheit dürfe nicht vom Geldbeutel abhängen, erfüllt er dadurch, dass er den Geldbeutel zur Folge der — mehr oder minder gut genutzten — Freiheit erklärt. Genau: selber schuld.
Die Grundkonstruktion ist ja recht simpel: jeder hat zunächst einmal alle Freiheiten dieser Welt, ihr Gebrauch darf nur die Freiheit des anderen nicht einschränken. Die Gerechtigkeit besteht also schlicht darin, in diesem Gebrauch keinen mehr zu beschränken als einen anderen, dazu dient der Rechtsstaat. Aller ›weltanschaulichen‹ Fragen soll der sich aber konsequent enthalten, weshalb die ›Steuerung‹ der Gesellschaft immer mehr in die Hände des Marktes gelegt werden muss. Es ist kein Zufall, dass auch unsere ›Demokratie‹ verblüffend einem Kaufakt ähnelt: alle vier Jahre zwei Stimmen Staatsbürgerlohn, die dann jeweils auf dem Parteienmarkt ausgegeben werden dürfen.
Die Grundannahme, die hinter dieser — zu — kargen Konstruktion steckt: dass, wie oben schon gesagt, das Einzige, was verläßlich über den Menschen gesagt werden kann, sein erweiterter Selbsterhaltungstrieb ist. ›Gesellschaft‹ kommt hier gar nicht vor, jeglicher ›Wertekanon‹ wird mit der Zeit immer mehr durch die reine Schlichtungsinstanz Rechtsstaat ersetzt — zu welchen Forderungen das dann mit der Zeit führt und führen muss, ist hier sehr schön beschrieben.
Zur Ergänzung: der heterogene neoliberale Theorienkomplex bedient sich selbstverständlich bei der klassischen liberalen Tradition, übernimmt die negativen Freiheiten, die Freiheiten von etwas, insbesondere von staatlichem Zwang, lässt die positive Freiheit, die Freiheit zu etwas, aber unter den Tisch fallen. Zentral für den Neoliberalismus ist neben der negativen Freiheit der Markt, der als unüberbietbarer Informationsprozessor allen vernünftigen Planungsverfahren überlegen ist, der dann ganz im Sinne des Darwinismus die kulturelle Evolution vorantreibt. Jeglicher Zweifel am Markt führt mehr oder minder direkt in den Stalinismus/Maoismus.
@andi
»[...] Jeglicher Zweifel am Markt führt mehr oder minder direkt in den Stalinismus/Maoismus[...]«
Wobei eine Ironie der Geschichte ist, dass, mal die unterschiedliche Weltanschauung ausgeklammert, der Neoliberalismus denn doch einiges vom Stalinismus/Maoismus gelernt hat — Kein Wunder, dass die neoliberale Theologie heutzutage perfekt in der »Volksrepublik China«, und den sogenannten »Sonderwirtschaftszonen« in Nordkorea, funktioniert.
Der Neoliberalismus ist m.E. ein Chamäleon, das mit jeder massenmörderischen-menschenverachtenden Ideologie paktiert, Hauptsache »der Profit« stimmt.
Ach übrigens, es sollen ja auch IS-Terroristen überzeugte Marktwirtschaftler sein, die, wie Saudi-Arabien einst, ihre Ölvorräte gegen Cash verkaufen um gegen die USA bzw. »westliche Wertegemeinschaft« Terrorkrieg zu führen — Ja ich weiß, perverser geht es kaum.
Obwohl? Der erklärte Feind aller »Westler« — Herr Putin aus Russland — ist Dutzfreund von Gerhard Schröder, Ex-Kanzler und SPD-Neoliberaler.
Merk(l)e:
Beim sogenannten Neuen Kalten Krieg steht sich nicht Kommunismus/Kapitalismus gegenüber sondern nur 2 Varianten des Neoliberalismus....eine russische und eine us-amerikanische....und zwar so unversöhnlich, dass diese »Brüder im Geiste« nicht einmal vor einem Atomkrieg zurückschrecken....
...da war mir die alte Blockkonfrontation doch tausendmal lieber als diese »Sith«,oder wie sonst die bösen Kapitalisten in der ersten Star-Wars-Folge genannt wurden,
....die den Globus zerstören wollen...auf Profit komm raus....der Heilige Markt lebe hoch, und die Weltbevölkerung kann verrecken...so denken Neoliberaliban, da bin ich mir sicher....und zwar über alle Parteien, und Ideologiegrenzen hinweg...ein Chamäleon eben....
Zynische Grüße
Bernie
@Peinhart
Wie gesagt, Werte, man könnte auch Ziele sagen.
Daß es da schwere Defizite gibt, da stimme ich voll und ganz zu.
Und mehr noch, diese Ziele werden- wie andere auch- gezielt torpediert, wodurch das Recht des Stärkeren entsteht, das du beschreibst.
Wir sind allerdings unterschiedlicher Auffassung, inwieweit das mit der Gesamtidee des Liberalismus zu tun hat oder nicht.
andi nennt das »positive Freiheit« , also die andere Seite der Freiheit, die von Neoliberalen gezielt verweigert wird, auch dazu Zustimmung.
@Art Vanderley
Ich würde gar nicht mal sagen, dass der Neoliberalismus da etwas ›gezielt verweigert‹ — ich würde ihm tatsächlich zugestehen, dass er es konsequenterweise einfach hat fallen lassen, weil es sich sowohl mit den Grundannahmen als auch den propagierten Lösungen Recht/Markt letztlich nicht verträgt. Historisch ist der Liberalismus für mich der entscheidende Baustein, der die Entstehung des Kapitalismus befördert bzw erst ermöglicht hat, seine gesellschaftliche ›Ent-Fesselung‹. Während die materiellen Voraussetzungen — Geld, Markt, Eigentum — bereits mehrfach in der Geschichte gegeben waren, fehlte diese entscheidende ›Lockerung‹ der gesellschaftlichen Einbindung durch ein übergeordnetes Wertesystem, das vom Liberalismus unerbittlich aus der öffentlichen in die private Sphäre abgedrängt wurde.
(Nebenbei bemerkt durchaus auch ein Schlag in’s Kontor der Marx’schen Geschichtsphilosophie — der entscheidende ›Auslöser‹ wäre eben nicht materieller, sondern ideeller Art.)
Nun ist es aber nicht etwa so, dass ich viele ›Errungenschaften‹ des Liberalismus und seiner Spielarten nicht auch durchaus schätzen würde — nur kehrt sich sein eigenes theoretisches Fundament eben letztlich gegen diese. Auch mit dem Kapitalismus verbinden seine Befürworter ja durchaus hehre Ziele — nur lassen sie sich mit diesem Instrument eben überhaupt nicht erreichen, ihre Erfüllung liegt immer in einer Zukunft, die sich noch dazu immer weiter von uns zu entfernen scheint als dass wir ihr näher kommen würden.
Einen Lesetip hätte ich abschließend noch: Jean-Claude Michéa — Das Reich des kleineren Übels. Leider recht schlampig editiert und lektoriert — Beschwerde an den Verlag wäre obligatorisch — aber dennoch lesenswert.
Vielleicht ist auch so etwas erhellend: Gerhard Stapelfeldt — Aufstieg und Fall des Individuums
Die Utopie des aufgeklärten Subjekts ist schon lange tot. Wozu über Liberalismus reden, wenn die atomisierten Individuen nur noch konformistische Ruderbewegungen vollführen, die sie aufgrund äußerer Zwänge vor dem Ausschluss aus dem Kollektiv bewahren, das sie am Leben erhält?
Diese Ideologie ist Bullshit, denn es fehlt ihr das Bezugsobjekt, nämlich der vernunftgesteuerte aufgeklärte Mensch.
Vor allem ist schon seine Konstruktion etwas seltsam. Das gängige westlich-moderne Narrativ geht ja in etwa so, dass da zunächst mal dieses Subjekt auf dieser Welt auftaucht, sich sodann umsieht, feststellt, ah, da sind ja auch noch andere, mit diesen schließlich in Beziehungen tritt und am Ende gar noch einen ›Gesellschaftsvertrag‹ abschließt. Robinson lässt grüßen.
Nur leider stellt diese Sichtweise sowohl die historische wie die individuelle Entwicklung völlig auf den Kopf. Jeder von uns wird immer schon in eine bestehende Gesellschaft hineingeboren, ohne die er keinen Tag überleben könnte. Die erste schmerzhafte Erkenntnis auf dem Weg zum Selbst ist die, dass die ihn versorgende Mutter nicht mit ihm identisch ist, dass es ein eigenes Wesen ist, das auch eigene Wege geht, nicht immer und sofort für ihn da sein kann. Und also auch es selbst ein eigenes Wesen ist. Das Individuum entsteht also viel mehr durch Abspaltung von einer gegebenen Gesellschaft als dass es erst eine (be-)gründen würde.
Ein interessanter Hinweis fand sich in dem og Buch von Michéa, leider nur so mal eben im Nebensatz: in der östlichen Tradition werde weder vom Individuum noch vom Kollektiv gedanklich ausgang genommen, sondern von der bzw den Beziehungen, die beides erst konstituierten. Für westliche Denke wohl wirklich erstmal ein bisschen sperrig — hätte da vielleicht jemand Hinweise auf Weiterführendes?
Ganz recht. Die Ringelspiele im Ichfeld sind endlos. Täglich finden sich neue Varianten. Das ganze Leben kann man damit verbringen. Heute dies, morgen das. Der Quell der endlosen Spiele kann nur gehuldigt werden. Er bringt die jeweilige Freude. Geht die Freude weg, kann eine neue Variante die Freude in Aussicht stellen. Und wer würde sagen, die Freude sei kein Impulsgeber?
So haben wir weiterhin keine Option, die Freudenkaskaden in den Ringelspielen im Ichfeld zu umgehen. Das vernünftige Leben, die verbreitete Gerechtigkeit, die demokratische Regelbildung, unvierselle Absicherung, Frieden, das Zusammenhalten gegen zynische und direkte Herrschaft der Vielbesitzenden, all das sind hehre Ziele, doch scheinen sie für die Freudenkaskaden falsch gepolt zu sein. Wie wenn man einen Magneten verkehrt zum Metall hält.
Vorerst gibt es dagegen kein Rezept. Dies muss man eingestehen. Man braucht sich nichts einzubilden. Erstens sind die faktischen Machtressourcen eindeutig verteilt. Wenn man es aufs Geld reduzieren will, dann ohnehin. Aber auch die ganze Bedeutungswelt ist zweitens eindeutig stabilisiert. Wer heute lebt, dem ist eine solide Rezeptur über den Lebenslang vorgefertigt. Er hat mit sich jedenfalls genug zu tun. Die öffentliche Meinung ist meistens einhellig. Es ist größtenteils alles klar und geregelt. Eins ums andere hat man die neoliberalen Axiome zu Gemeinansichten transformiert. Eins ums andere. Dass der Lohn den Standort schädigt, dass die Rente zu früh ausgezahlt wird, dass die Wirtschaft alles erhält, dass der Staat zäh und bevormundend ist, dass der Export das Merkmal der Besten ist, dass Faulheit und Fleiß über den Individualreichtum richten, dass der Beruf das Wichtigste ist, dass im Beruf gewissen Verhaltensweisen gefragt sind, dass es gut ist, immer das Neueste zu haben, dass Kriege Frieden bringen und was es sonst noch alles gibt.Man muss dem allen schon einen gewissen Respekt zollen. In jeder Hinsicht ist es eine Erfolgsstory. Ein Weltbild derart rasch und tiefreichend zu etablieren macht man nicht so ohne weiteres, wie auch immer es dazu kam. Die Anreger und Umsetzer haben jedenfalls gute Arbeit gemacht. Die Anreger gab und gibt es. Und das ist auch ganz normal und nichts verschwörerisches. Vieles kam ihnen aber entgegen, zu viel, die Zeit war ihnen Freund, vorgefundene Verhältnisse und Tatsachen ließen sich fast interferenzfrei umbauen, neu ausrichten und in eine andere Richtung beschleunigen. Dieser Drall das explodierenden Ichfeldes mit seinen Ringelspielen erschloss unglaublich wuchtig neue Bedeutungen und Welten, die nicht nur bunter als vormalige, sondern auch gleich größer waren. Was es da alles gab und gibt. Da war nur der Funke zu geben und der Brand setzte ein. Egal wo.