Anleitung zur Ausbeutung

knigge_titelGustave Le Bons »Psychologie der Massen« ist aktueller denn je. Die Massen sollen (und wollen!) geführt, gesteuert und gelenkt werden. Schließlich will der Geldadel bei seiner Besitzstandswahrung und Profitvermehrung nicht gestört werden. Auch Unternehmen haben ein Interesse am Betriebsfrieden. Lohnarbeiter sollen funktionieren, nur reden, wenn sie gefragt werden und nicht aufmucken. Um all das zu erreichen, gibt es mittlerweile eine ganze Fülle an Methoden und subversiven Mechanismen. Heute stelle ich zehn beliebte und aktuelle (Um-)Erziehungsmaßnahmen vor.

  1. Mache den Leuten Angst! Wer in ständiger Furcht lebt, unsicher und gehemmt in seinem Handeln ist, der hat auch wenig Mut, seinem Chef die Meinung zu sagen, auf die Straße zu gehen oder zu protestieren. Fatalismus, Ohnmacht und Resignation machen sich breit. Gleichzeitig hat es den hübschen Nebeneffekt, dass eingeschüchterte Menschen generell mehr konsumieren (Frustessen, Sicherheits-Produkte, Vorräte, Versicherungen etc.),  als eher ausgeglichene und sorglose Zeitgenossen.
  2. Fülle ihre Köpfe mit Nichtigkeiten! Damit Niemand auf die Idee kommt, über essentielle Sachverhalte, wie Krieg und Frieden, Reichtum und Armut sowie Freiheit und Zwang nachzudenken, müssen banale Themen zu gesellschaftlich relevanten Diskursen aufgeblasen werden. Hierzu zählen Promi-News, Boulevard-Themen, Sport-Events (EM, WM, Olympia etc.), TV-Sendungen, Wer, Wie, Wo, Wann, Was gesagt haben soll (oder auch nicht) sowie viel Alltags-Gedöns abseits von kritischer Berichterstattung.
  3. Teile und Herrsche! Spalte die Menschen in viele unterschiedliche Gruppen und hetze sie gegeneinander auf (Raucher gegen Nichtraucher, Frauen gegen Männer, Gesunde gegen Alte, Eltern gegen Erzieher, Vegetarier gegen Fleischesser, Deutsche gegen Ausländer etc. — und umgekehrt!). Eröffne gleichzeitig viele Nebenkriegsschauplätze (beispielsweise »Gender Pay Gap« statt Managergehälter), werfe Nebelkerzen und entsolidarisiere, isoliere und atomisiere die Menschen. Dadurch sind sie alle so sehr mit sich selbst und ihren Nachbarn beschäftigt, so dass der Geldadel in Ruhe die Menschen weiter ausbeuten und seine Pfründe genießen kann.
  4. Bespaße Deine Untertanen! Zwar gibt es heute keine Gladiatoren-Arena-Kämpfe mehr, dafür aber Gewinn-Shows, Casting-Sendungen, Videospiele, Konzerte, Filme, Musik-Wettbewerbe, vermeintlich lustige Internet-Videos, Mobile-Spielchen, Fussball-Events und vieles vieles mehr. Wer stets in der Unterhaltungsblase lebt, entwickelt auch keine Wut auf die herrschenden Verhältnisse.
  5. Lasse Ihnen keine Zeit zum Nachdenken! Sie müssen stets berieselt werden, ständig beschäftigt sowie Opfer und Getriebene von Strukturzwängen sein. Wer von morgens bis abends schuftet, Kinder, Haushalt, Familie und Hobbys vereinbaren will, wird keine Zeit zum Nachdenken haben. Und das ist auch gut so!

     

    »Die Verbrechen der Massen sind in der Regel die Folge einer starken Suggestion, und die einzelnen, die daran teilnahmen, sind hinterher davon überzeugt, einer Pflicht gehorcht zu haben.«

    Gustave le Bon. »Psychologie der Massen«. Nikol Verlag. Hamburg 2009. S. 150

     

  6. Forme die Sprache nach Deinen Interessen um! Betreibe semantische Enteignung. Bullshit-Bingo, (Halb-)Lügen, Werbesprache, Versprechungen, Verzerrungen, Begriffe besetzen, Euphemismen, Oxymorone, Zwiesprech, Neusprech, Plastik-und-Lego-Wörter, Emotionalisierungen, Gummibegriffe, Wortverdrehungen und so weiter. Bediene Dich sämtlicher Methoden, um die Sprache nach Deinen Bedürfnissen anzupassen. Denn sobald die Untertanen die Sprache der Herrschenden verinnerlicht haben, verfolgen sie auch deren Interessen.
  7. Halte die Menschen dumm! Gibt es zu viele Menschen, die politische Sachverhalte, wirtschaftliche Methoden, Manipulations-Verfahren und Herrschafts-Mechanismen verstehen, ist deine Macht bedroht. Insofern wird die Masse nur zum konsumieren und lohnarbeiten gebraucht.
  8. Verunglimpfe alle Alternativen! Jede Sichtweise, Perspektive und Analyse, jenseits des von Politik, Medien und Wirtschaft öffentlich Gesagten, sollte diskreditiert werden als: Verschwörungstheorie, Antiamerikanismus, Populismus, Antisemitismus, Spinnerei, Übertreibung, Extremismus, Hassbeitrag und so weiter. So kann gewährleistet werden, dass die Hofberichterstattung bei den Bürgern als die absolute Wahrheit verinnerlicht wird.
  9. Bringe sie dazu, ihre Sklaverei zu lieben! Wer glaubt, in Freiheit und Autonomie zu leben, hat keinen Grund zu protestieren. Verkaufe den Zwang zur Lohnarbeit als »Selbstverwirklichung«, den Abbau von Bürgerrechten, verfassungswidrige Gesetze, übertriebene Polizeimaßnahmen, die Ausweitung der Überwachung, Waffenexporte in Diktaturen, rechtsfreie Geheimdienste und so weiter, als Freiheit und Demokratie sowie Angriffskriege als »humanitäre Intervention«.
  10. Kaufe, erpresse oder bedrohe die Opposition! Sollte es dennoch zu ernsthaften Gegnern kommen, welche die Besitzstandswahrung und ‑Vermehrung gefährden könnten, so kaufe, erpresse oder bedrohe sie. In der Reihenfolge. Die SPD sowie der DGB sind ein gutes Beispiel, wie man hier vorgehen sollte. Oft genügt bereits der Wink mit dem Geldschein.

Welche Methoden zur Kontrolle der Massen heute außerdem sehr effektiv sind, erklärt wunderbar der Psychologe Rainer Mausfeld:

Alle diese Methoden zur Kontrolle und Steuerung der Massen sind ein Zusammenspiel und eine Gemengelage von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Es ist unwahrscheinlich, dass dahinter ein Mastermind steckt. Dennoch haben Abgeordnete und Vermögende oft die gleichen Ziele: die Konsumenten sollen ruhig gehalten werden, jedoch zugleich im Sinne von Unternehmen und Gross-Kapital funktionieren: als Steuerzahler, Konsument und Lohnarbeiter.

Die Unterwanderung der Opposition sowie die Einschüchterung des Widerstandes sind in einer Mediendemokratie nicht mehr zwingend erforderlich. Zwar gibt es hin und wieder auch einen Agent Provocateur bei großen Demonstrationen (wie beispielsweise beim G‑8 Protest in Heiligendamm 2007) oder auch verdeckte Ermittler in linken Kreisen, aber die Massenmedien und der Lohnarbeits-Zwang halten die Bevölkerung in aller Regel sehr viel effektiver bei »Laune«.

24 Gedanken zu “Anleitung zur Ausbeutung

  1. Das sprachlos machende Thema. Sich beim Unterworfensein selbst zu schauen. Im Nachhinein kann man daran das Positive sehen: ganz nahtlos ist das Unterworfensein in der Ordnung nicht mehr. Langsam langsam kommen die ersten Resultate des unvermeidlichen Durcharbeitens dessen, was ist, damit wieder etwa ist, zum Vorschein. Das Schicksal einer jeden Ordnung ist die Durcharbeitung. Der Mensch ist nicht festgestellt. Man sagt, das heiße, er sei frei. Nun, das mag er sein oder nicht. Das Durcharbeiten ist aber nichts freies, denn man kann es nicht anhalten. Die Sukzession des Erlebens arbeitet alles durch, man weiß nicht wie, aber jedenfalls. Was heute ist, ist morgen anders oder nicht mehr. Was heute sieht was heute ist, sieht morgen anders und anderes. Unsere Sicht ist nie die gleiche und das was wir zu sehen bekommen, auch nicht. Jede festgestellte Ordnung geht daran zugrunde, die schlechten und die Guten. Zugegeben, die zeitliche Dimension ist bei gesellschaftlichen Ordnungen frustrierend lang, auch länger als ein Leben.

  2. Deswegen rede ich seit Jahr und Tag, wenn man die Massen dazu kriegen will, sich zu wehren und was anders zu machen, muss Psychologie ganz vorn auf die Tagesordnung. Weil vieles von dem, welchem sie bedingungslos und ohne nachzudenken hinterherlaufen, erst einmal etwas ist, was in ihrem Kopf stattfindet. Sie glauben daran, dass es wichtig ist — faktisch ist es aber bedeutungslos oder hat einen ganz anderen Stellenwert im Bezug darauf, ob es für das eigene tägliche Überleben wichtig ist.
    Da sind sich Teenager mit Markenklamotten und den neuesten Handys im Geiste gar nicht mal so unähnlich mit Erwachsenen, die meinen, sie müssten alle 2 Jahre einen neuen Fernseher haben und gleich die Wohnung neu einrichten, auf bestimmte Veranstaltungen gehen, um gesehen zu werden, in bestimmten Clubs sein, um zur Gesellschaft dazuzugehören, jedes Jahr in den Urlaub fahren, einen Neuwagen fahren statt eines guten Gebrauchtwagens oder sie müssten sich ein Haus kaufen, weil das zur Familienplanung dazugehört (geschweigedenn die Familienplanung überhaupt gehört zum Leben dazu — Leute ohne Kinder sind ja griesgrämig, selbstsüchtig, viel zu beschäftigt und sterben irgendwann mal allein — Kinder kriegt ja noch jeder Neandertaler erzogen (Irrtum!)).

  3. Durch deine gute Zusammenfassung der Nebenkerzen angeregt, versuche ich mal aufzuschreiben, über welche Entwicklungen nicht nachgedacht werden soll:

    1. Die Armut nimmt zu.
    Die ungerechte Verteilung des Wohlstandes wird zwar relativ häufig angesprochen, aber fast immer mit dem Focus auf die Reichen und wie diese immer reicher werden.
    Die Folgen der Armut finden in der veröffentlichen Meinung nicht statt. Keine Berichte über die Hungersnöte, Slumbildung, wie in London, Obdachlosigkeit, mehrere Jobs zum Leben nötig etc. Diese Dinge tauchen allenfalls auf, um Wohltätigkeit zu zeigen.

    2. Seit dem 2. Weltkrieg war das letzte Jahr (2015) das Jahr mit den meisten Toten in kriegerischen Auseinandersetzungen.
    Die Toten, die direkt durch Wirken der »westlichen« Staaten verursacht werden, finden gar nicht statt. Aber auch das Ausmaß der bekannten Auseinandersetzungen wird regelmäßig heruntergespielt (Syrien, Irak, Mali) und hinzu kommen die Konflikte, die mehr oder weniger vollständig ignoriert werden (z.B. Mexiko, Brasilien, Bahrein, Kongo, Nigeria, Algerien, Angola, Jemen)

    3. Nach mehreren gescheiterten Revolutionen und Protesten wurden die Strukturen und der Zusammenhalt der arabischen (und türkischen) Gesellschaften zerstört.
    Dies taucht natürlich in den Medien auf, aber nur im Zerrspiegel. Als »Erfolgsgeschichte« des arabischen Frühlings, als Flüchtlingsproblematik, Islambashing, Terrorismus, Erdogan ...

    4. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen wird durch eine Regelungswut und immer neue Repressionsmittel weltweit mehr und mehr eingeschränkt.
    So deutlich dies in den »westlichen« Ländern spürbar ist, Hauptlast tragen die Menschen in der sog. Dritten Welt, hier sind die Repressionsmittel auch deutlich direkter.
    Dennoch möchte ich ein banales Beispiel aufführen:
    Seit ich 1983 das erste Mal auf dem Trafalgar Square war, wurden die folgenden Handlungen dort verboten:
    — Das Verkaufen von Taubenfutter
    — Das Füttern von Tauben
    — Das Verkaufen von irgendetwas
    — Das Klettern auf den Brunnen
    (seit diesem Zeitpunkt werden auf dem Platz private Sicherheitsleute eingesetzt, um die Verbote durchzusetzen)
    — Das Betreten der Brunnen
    — Das Klettern auf den Löwen
    Die Entwicklung ist sicher noch nicht abgeschlossen, es kann noch verboten werden:
    — Das Rauchen
    — Das Klettern auf den Sockeln der Löwen (damit Klettern insgesamt)
    — Das Rennen
    — Das Fotografieren

    Insgesamt erleben wir in den letzten vierzig Jahren einen deutlichen Anstieg der Unterdrückung und Ausbeutung.

  4. Bei der Aufzählung »Unterwandere die Opposition« habe ich die V‑Männer des VS bei rechten Gruppen vermisst. Diese waren ja nicht nur zum Beobachten da sondern selbst in solch führenden Positionen, so daß man gar nicht mehr wußte wer nun die potentielle Verfassungsfeindlichkeit einer bekannten Rechtspartei hergestellt und zu vertreten hatte und somit der Verbotsantrag scheiterte.

  5. zur armen unterschicht/niedriglöhner gehören vielleicht 30ig% der deutschen bevölkerung und die mehrheit des deutschen volkes wiegt sich in sicherheit und glaubt, wenn sie alles erdulden dann wird es ihnen nie so schlecht ergehen wie den unterschichtler und das funktioniert, solange wie die mehrheit mehr als 12€/stunde bekommt wird sich in deutschland nichts ändern

  6. Vielen Dank für diesen Artikel. Es macht Mut zu erfahren, dass es noch Mitmenschen gibt, die Bücher lesen und reflektieren.
    Für mich habe ich erkannt: entferne die Angst aus der Gleichung und Veränderung wird möglich.
    Ich habe mir erlaubt, den Beitrag auf einer Facebook-Seite zu verlinken. Bitte kurze Nachricht, falls dieses nicht gewünscht ist.
    Ich werde zeitgeistlos.de nun regelmäßig besuchen.
    Danke und weiter so.

  7. Angst schüren — heißt Menschen abhängig zu machen. Angst verbreiten — heißt angebliche Sicherheiten zuzulassen die man sonst niemals zulassen würde. ANGST- einhauchen vor der Zukunft, vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und mehr. Das ist die Waffe die wirksam ist um gezielt Pläne umsetzen zu können. Begierden wecken, sich von der Technik abhängig zu machen das ist Zukunftsmusik der Dirigenten an den Schalthebeln der Macht. Schöne neue digitale Welt die da kommt über uns und nimmt uns mehr und mehr die Freiheit, oder das was wir noch Freiheit nennen.

  8. @Piotr56

    Ja, ein sehr guter Vortrag! Habe ich bereits gesehen. Aber Achtung: KenFM aka Ken Jebsen hat den Vortrag aufgenommen! Ganz ganz ganz schlimm, diese antisemitischen-Querfront-Nazi-Socken. ;)

  9. Was ist eigentlich Ausbeutung aus ökonomischer Sicht? Die Antwort lesen wir bei Karl Marx in Das Kapital.

    Kurz gesagt: Wenn der Lohn für eine Arbeit niedriger ist als der Wert der Arbeit, dann ist das Ausbeutung.

    Genau hier entstehen Profite, also nicht etwa erst wenn eine Ware verkauft wird. Es ist gerade die Propaganda, die versucht diese Tatsache umzudrehen. Beispielsweise die Behauptung, daß wir für einen T‑Shirt zuwenig bezahlen und die Menschen deswegen nur einen Hungerlohn bekommen.

    Schönes Wochenende!

    PS, Hausaufgabe: Denken Sie über den Unterschied nach der sich aus den Zielen der Produktion ergibt, welche sind:

    1) Profite in private Taschen,
    2) Befriedigung materieller und kultureller Bedürfnisse.

    Aus diesen unterschiedlichen Zielen ergibt sich erstens der Grundwiderspruch des Kapitalismus der darin besteht, daß Mehrwert infolge gesellschaftlich eingebrachter Arbeit entsteht aber nicht in die Gesellschaft zurückfließt sondern in privaten Taschen landet. Zweitens zeigt dieser nach Lösung schreiende Widerspuch gleichermaßen den einzigen Weg zu Lösung desselben. Nämlich: Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln (PM)!

    Zusatzaufgabe: Überlegen Sie, warum unter dem Privateigentum an PM eine Planwirtschaft, also eine gezielte Befriedigung von Bedürfnissen (Essen, Wohnen, Arbeit) nicht möglich ist.

    Schönes Wochenende ;)

  10. @Erfurt

    Wenn der Lohn für eine Arbeit niedriger ist als der Wert der Arbeit, dann ist das Ausbeutung.

    Bei Marx steht das bissl anders und ist m.E. daher auch bissl anders zu begreifen. Die Voraussetzung der ganzen Angelegenheit ist
    1) dass das Resultat der Produktion nicht unmittelbar der »Befriedigung materieller und kultureller Bedürfnisse« dient, sondern eben als Ware hergestellt wurde.
    2) dass daher nicht die Arbeit einen irgendwie bestimmbaren Wert hat, sondern eben die Arbeitskraft, die der Arbeiter gezwungenermaßen an den Eigentümer der Produktionsmittel verkaufen muss.

    Marx erklärt das, wie’s jemand mal formulierte, mit nervtötender Akribie. Diese Voraussetzungen als gegeben gesetzt, sind bei Marx die Produktionsmittel konstantes Kapital und die Arbeitskraft variables, aber beide sind Elemente von Kapital. Und zwar weil beide »auf dem dafür zuständigen Markt als Ware gekauft werden« (Marx)

    Der Wert einer Ware bestimmt sich aber nach dem zu seiner Produktion durchschnittlich notwendigen Aufwand. Beim Arbeiter sind das halt die »Lebensmittel«, und was darunter zu verstehen sein soll, ist aus der Perspektive bspw. der Kapitalisten und des bürgerlichen Staates sehr »flexibel« und kommt je nach Interessenlage mal als »Lebensstandard« oder als »Kaufkraft« daher.

    Was aber aus dieser (gerade bei Marx) sehr schematischen Darstellung nicht erklärbar ist, das sind die Krisen, die als oberflächliche Erscheinung gleichzeitig auftreten, also bspw. Überproduktion (unverkäufliche Waren) und anlagesuchendes Geldkapital (»Finanzblasen«) und der Drang zum »Kapitalexport« bei gleichzeitig steigender Arbeitslosigkeit etc. pp.

    Deswegen ist die Kritik der politischen Ökonomie, wie das »Kapital« nicht umsonst im Untertitel heißt, auch so ein elend dicker Wälzer und kulminiert in der (unter »akademischen« Ökonomen höchst umstrittenen) These vom tendenziellen Fall der Profitrate. Wie alles bei Marx, ist aber auch diese These nur dialektisch zu begreifen, und das heißt halt, ohne die »entgegenwirkenden Ursachen« ist sie nicht zu haben.
    Diese »entgegenwirkenden Ursachen« enthalten aber alles, was Staaten bzw. Regierungen tun können, um die Anwendung kapitalistischer Methoden, also die Anwendung von Lohnarbeit schlechthin zur Produktion brauchbarer Sachen, überhaupt zu ermöglich bzw. aufrecht zu erhalten.

  11. Mit Arbeit und Arbeitskraft meinte ich dasselbe. Im Kapitalismus ist alles eine Ware und dadurch handelbar was den Wechsel des Besitzers ermöglicht. Letzteres ist, neben der Ausbeutung die zweite Art und weise wie Profite generiert werden: Durch Spekulationsgeschäfte.

    Somit spekuliert ein Privatunternehmer also auch beim Bezahlen der Arbeit, wodurch die Arbeit selbst keinen Bezug mehr zum Produkt hat. Der Unterschied zwichen den beiden Arten, Profit zu erzeugen ist lediglich der, daß infolge Arbeit Mehrwert entsteht, bei reinen Speklulationsgeschäften hingegen nicht.

    Der wahre Wert einer Arbeit ergibt sich aus dem gesellschaftlichen Nutzen, vorausgesetzt natürlich, daß der durch Arbeit erzeugte Mehrwert zurück in die Gesellschaft fließt. Genau das ist aber im Kapitalismus eben nicht der Fall, hier landet der Mehrwert in privaten Taschen.

    Und ja, Du hast Recht, Marx liest sich schwer. Aber nimm mal eine Lutherbibel zur Hand und lese Matthäus Kapitel 20 von den Arbeitern im Weinberg.

    1) Der Lohn ist eine Vereinbarung zwischen Unternehmer und Arbeiter, hat also keinen Bezug zum Produkt bzw Mehrwert

    2) Der Arbeiter bekommt nur soviel wie er zur Reproduktion seiner Arbeitskraft (sich selbst) benötigt

    3) Arbeiter die mehr Stunden am Tag arbeiten bekommen denselben Lohn wie Arbeiter die weniger Stunden am Tag arbeiten (hier ergibt sich die Spanne für den Profit).

    Man kann es auch so sagen: Kapitalismus ist Betrug. Aber anders funktioniert Kapitalismus eben nicht.

    Schönen Sonntag.

  12. @Erfurt

    Ich weiß selbstverständlich, worauf du hinaus willst, aber du vermengst einerseits, was Marx mit Grund getrennt hat (wofür er zuweilen auch der Metaphysik gescholten wurde). Andererseits versuchst du Begriffe zu verallgemeinern, die nur in der Darstellung der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise einen Sinn ergeben.

    Ausbeutung von Arbeitskraft in dem Sinn, dass jemand die Arbeit verrichtet und jemand anderes das Resultat kassiert, gab es wohl immer schon. Ebenso gab es bereits Märkte, wo Waren für Geld gehandelt werden, als noch niemand auf die Idee gekommen wäre, von Gleichheit der Menschen oder gar von »universellen Menschenrechten« zu reden, oder etwa Grundrechte einzufordern.

    Die Evangelisten mögen die Arbeiter bedauert und Luther gegen den Ablasshandel gewettert und die »Gleichheit vor Gott« betont haben. Aber gegen die Eigentumsverhältnisse hatte er nichts einzuwenden. Die daraus resultierenden Unterschiede zwischen den Menschen hat er vielleicht bemerkt, aber im Gegensatz bspw. zu Thomas Müntzer für »Gottes Willen« ausgegeben. Deshalb standen beide in den Bauernkriegen auf verschiedenen Seiten und wird einer immer noch als »Reformator« gefeiert und geehrt, während der andere, der wirkliche Revolutionär heute kaum noch erwähnt wird.

    Man muss also unterscheiden zwischen kapitalistischer Ausbeutung und anderer. Das Wesen der bürgerlichen Epoche besteht halt in der formalen »Gleichheit vor dem (weltlichen) Gesetz« von Arbeiter und »Arbeitgeber« und der Unterschied zu meinetwegen vorkapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen ist der, dass beide, also Arbeiter ebenso wie ihre Ausbeuter das formale Recht zur Kündigung haben. Die wichtigste der sog. bürgerlichen Freiheiten ist die Vertragsfreiheit. Deren Voraussetzung ist wiederum die formale Gleichheit der »Vertragspartner«.

    Praktisch sieht die Sache, eben aufgrund der Eigentumsverhältnisse, halt so aus, dass der Ausbeuter sich entweder andere Arbeiter sucht und der Arbeiter einen »netteren« Ausbeuter, dem er seine Arbeitskraft verkauft.

    Den Mehrwert als Begriff hat Marx quasi erfunden und in die Debatte eingeführt, um daran die Unterscheidung darstellen zu können zwischen der Ware Arbeitskraft, deren »Gebrauchswert« für seine Zwecke eben darin besteht, mehr zu produzieren als zu ihrer eigenen Reproduktion notwendig ist, und den meinetwegen »Gesamtkosten« für alles Kapital, inkl. Gebäude, Maschinerie, Material etc. pp.

    Profit ist dagegen der sog Mehrwert eben nicht im Verhältnis zu den »Reproduktionskosten« der Ware Arbeitskraft, sondern im Verhältnis zu den »Gesamtkosten« der Kapitalisten. Der Mehrwert ist also zwar die Grundlage des Profits, aber zu sagen, der Profit wandere in »private Taschen«, erklärt die Angelegenheit nicht wirklich.

    Würde man etwa die von Marx zur Erklärung der kapitalistische Produktionsweise verwendeten Begriffe auf nichtkapitalistische Ausbeutungsverhältnisse übertragen, dann gehörte bspw. die »Reproduktion der Arbeitskraft« zu den »Fixkosten« von Sklavenhaltern etc. pp.

    Es ist daher der Sache nach falsch zu sagen, durch Spekulationsgeschäfte (meinetwegen Aktien, Immobilien, Staatsanleihen etc. pp.) würden Profite »generiert«. Bezogen meinetwegen auf die »Gesellschaft«, die sich ökonomisch als »Volkswirtschaft« darstellt, werden tatsächlich Profite spekulativ nur umverteilt. Und zwar dehalb, weil auf dem Markt der Warentausch stattfindet und daher die Einnahme des Verkäufers die Ausgabe des Käufers und umgekehrt ist.

    Wenn, wie du selbst richtig sagst, der Warentausch eine Angelegenheit zwischen den Eigentümern der Waren ist, dann ist im Äquivalent (Preis) die Unterscheidung zwischen Wert und »Mehrwert« gar nicht fixierbar, und wenn einer dabei seinen »Schnitt macht«, dann hat das nix mit Ausbeutung zu tun. Andererseits lassen sich »Wachstum« ebensowenig wie Pleiten durch Preisunterschiede auf dem Markt oder durch »zu riskante Spekulationen« erklären.

    Alles andere würde hier zu weit führen ;)

  13. Man muss also unterscheiden zwischen kapitalistischer Ausbeutung und anderer.

    Nein. Man kann bestenfalls noch feststellen, daß sich mancher Einzelunternehmer selbst ausbeutet. aber gerade daran sehen wir wie Ausbeutung funktioniert: Er arbeitet rund um die Uhr obwohl die Kosten bereits nach wenigen Stunden gedeckt sind (hier ist der Wert der Arbeit erreicht und es entsteht Mehrwert ab diesem Zeitpunkt).

    Aber auch dieser Vergleich hinkt, denn die Produktionsmittel sind ja auch schon das Ergebnis einer gesellschaftlich eingebrachten Arbeit. Das Ziel jedoch besteht auch hier darin, den Mehrwert nicht in die Gesellschaft zurückzuführen. So kann sich eben nur das Individuum reproduzieren und nicht die Gesellschaft.

    Der Vollständigkeit halber die sozialistische Produktionsweise. Die Produktionsmittel befanden sich nicht in Privatbesitz sondern in den Händen des Volkes, Stichwort VEB. Nur so kann ein Volk erstens die Macht ausüben und zweitens ist es nur so möglich, daß der Mehrwert zurück in die Gesellschaft fließt. Somit sind die Ziele der sozialistischen Produktionsweise eben nicht der Profit, sondern die Befriedigung von Bedürfnissen.

    Und: Diese Ergebnisse waren sichtbar! Bezahlbare Mieten, keine Arbeitslosigkeit, keine Obdachlosigkeit, keine weiteren Behandlungkosten bei Krankheiten usw.

    MFG, schönen Sonntag.

  14. ... hier ist der Wert der Arbeit erreicht und es entsteht Mehrwert ab diesem Zeitpunkt ...

    Das musst du mal dem »selbständigen« Bio-Bauern erklären, der wegen zu geringer Produktivität nicht gegen die Argrar-Industrie konkurrenzfähig ist. Oder erklär’s meinetwegen dem Schnitzer von Weihnachts-Schnickschnack, der auf seine Wichtel oder Räuchermänner Etiketten mit »Heimat« oder »echt Erzgebirge« oder sonstwas drauf pappt, weil er weiß, dass der Gebrauchswert der gleiche ist wie bei der billigeren Konkurrenz aus Fernost.

    Gleiches gilt für alle Branchen, in denen sog. »Handwerk« inzwischen nur noch mit Installation, Wartung und ggf Reparatur industriell produzierter Sachen beschäftigt ist. Selbst und gerade im sog. Lebensmittel-»Handwerk« gilt das, oder denkst du wirklich, Bäcker oder Fleischer »deines Vertrauens« würden ihre »Zutaten« woanders als beim Großhandel ordern, der wiederum von industrieellen Produzenten beliefert wird.

    ... denn die Produktionsmittel sind ja auch schon das Ergebnis einer gesellschaftlich eingebrachten Arbeit ...

    Ja und, was heißt denn das nun? Oder anders gesagt, weshalb beginnt Marx die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise nicht mit den Produktionsmitteln oder der notwendigen Arbeit, sondern mit der Ware?

    Noch anders, worin besteht der Unterschied zwischen einfacher (meinetwegen vorkapitalistischer) und erweiterter Warenproduktion? Gesellschaftliche und gleichzeitig private Produktion sind beide Formen.

    Was die sozialistische Produktionsweise betrifft: nach (nicht nur) meiner unmaßgeblichen Ansicht besteht zwischen Sozialismus (Produktion nach einem Plan, wer immer den auch macht) und Wertgesetz ein unauflösbarer Widerspruch, der sich auf verschiedenen Ebenen darstellen lässt, die ich aber hier nicht diskutieren wollen würde.

  15. Moin Samson,

    die Planwirtschaft ist der einzige Weg, Bedürfnisse zu befriedigen. Wir hatten in der DDR alle bezahlbare Wohnungen, Arbeit und bezahlbare Nahrungsmittel, Wasser und Strom. Das kann man nicht ignorieren, das sind Fakten!

    Ein Brötschen 5 Pfennige, ein Bier (Grundnahrungsmitte)l 40 Pfennige, eine Fahrt mit der Straßenbahn kostete in Erfurt 15 Pfennige und meine 2‑Zimmer-Wohnung kostete 40 Mark im Monat.

    Mehr dazu: https://rolfrost.de/blankenhain.html

    Widersprüche sind Triebkräfte der Entwicklung. Unterscheide zwischen unlösbaren und lösbaren Widersprüchen. Der Grundwiderspruch des Kapitalismus ist antagonistisch, d.h., er ist nur lösbar wenn der Kapitalismus beseitigt ist.

    Ich kenne viel Westdeutsche die auch das erkannt haben. Und das ist die gute Nachricht. MFG

  16. Moin Erfurt,

    mir musst du nicht erzählen, wie die DDR war, ich hab das selber erlebt ;)

    Alles was »wir« hatten, bzw. was du darüber schreibst, stimmt. Und es stimmt auch, dass es Planwirtschaft war. Nur passen halt Plan und Produktion für den Markt von vornherein nicht zusammen (Marx würde hier von einem Antagonismus sprechen). Anders gesagt, wenn der Plan ist, Sachen bezahlbar für die (Lohn)Arbeiter zu produzieren, dann spielt eben der »Wert« keine Rolle.

    Damit der Bäcker bspw. Brötchen für 5 Pfennige oder Brot für 52 verkauft, bedarf es nicht nur administrativ festgelegter Preise, sondern die Zutaten bekommt der Bäcker eben unterhalb deren Herstellungs»kosten«. Zwingend notwendig hierfür ist freilich eine quasi »übergeordnete« politische Instanz, die das in einer Marktwirtschaft herrschende Wertgesetz aus eben politischen Gründen suspendiert. Der sog. Festpreis für »Konsumgüter« aller Art ist halt die politische Methode.

    In den frühen 70ern hat ein Berufsschullehrer versucht, mir das zu vertickern. Der Mann hatte Recht, nur war ich zu blöd, um das zu begreifen. Seit Honneckers Antritt hieß die offizielle Devise Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Lehrer meinte bspw. das Wohnungsbauprogamm sei Sozialpolitik und die zinslosen Kredite für Jungverheiratete seien Wirtschaftspolitik, und zwar nicht nur weil sie zweckgebunden waren, sondern weil es Kredite »für den Konsum« waren. Derlei Kredite sind aber grundsätzlich was anderes als bspw. Kredite fürs Kapital, deren Zinsen einen Teil des Profits ausmachen.

    Und ob diese Spekulation aufgeht, hängt nicht von der Planerfüllung ab, sondern ob das Einzelkapital sich auf dem Markt gegen die Konkurrenz durchsetzen und seinen Krempel verkaufen kann. Gelingt das der Mehrheit der Kapitalisten, sprechen die akademischen Ökonomen von »Prosperität«, und das GeldKapital, das Banken verwalten, findet willkommene »Anlage«, weil die produzierenden Kapitalisten die Produktion ausweiten wollen. Das geht dann halt solange, bis die Profite, infolge Produktivitätssteigerung tendenziell fallen ...

    Dagegen basierten die sog »Umlaufkredite« der VEB’s (nicht nur) in der DDR auf »Kennziffern«, die einen »Gewinn« einkalkulierten, der höchstens auf dem Papier existierte. Der Wirtschaft »mangelte« es an allem möglichen, hauptsächlich an Material und Arbeitskräften, aber niemals wurden Projekte nicht realisiert oder mittendrin abgebrochen, weil es an Geld fehlte ...

    Das ist aber jetzt genau die Art Diskussion, die ich hier nicht haben wollte, weil m.E. die Alternative »Sozialismus oder Barberei« (R. Luxemburg) nichts mit dem »Lebensstandard« der (Lohn)Arbeiter zu tun hat.

  17. Hi Samson, liebe Mitleser,

    zum Verständnis der Politischen Ökonomoe des Sozialismus ist es wichtig, die Ziele der Planwirtschaft zu kennen: Die Befriedigung materieller und kultureller Bedürfnisse. Dabei geht es weder um Profite noch darum, daß sich ein Krankenhaus rechnet. In Fakt gab es in der DDR nicht ein Krankenhaus und nicht eine Arztpraxis die sich gerechnet hat. Wie das!?

    Nun, die Lösung ist ganz einfach, es wurde subventioniert! Und genau diese Aufgabe, das war die Aufgabe der Planwirtschaft die der Staat mit seinen Organen umgesetzt hat.

    Hinzuzufügen ist, daß der Anteil am Gesamtsteueraufkommen für einen Arbeiter in der DDR nur etwa 5% betrug. D.h., daß für 95% des Staatshaushaltes die Volkseigenen Betriebe aufkamen. LPG-Mitglieder und Angehörige der bewaffneten Organe zahlten gar keine Steuern, ansonsten waren die Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträge nicht der Rede wert. Es sei denn, man hatte ein Privatunternehmen, die gab es natürlich auch in der DDR.

    Freundschaft!

  18. Beispiel für Ausbeutung:

    Ein Spargelstecher sticht 40 kg Spargel in einer Stunde. Der Marktwert liegt bei 600 Euro. Für die geleistete Arbeit hingegen bekommt der Spargelstecher nur 12 Euro.

    Und dann protzt der Spargelbauer damit rum, er würde Mindestlohn zahlen und die Propaganda verbreitet den Unsinn, daß wir uns den Spargel nicht mehr leisten könnten, wenn die Spargelstecher höhere Löhne bekommen würden.

    In Fakt ist der Wert der eingebrachten Arbeit viel höher als der Wert des Lohns der dafür gezahlt wird. Die Differenz landet in den privaten Taschen der Spargelbauer.

    MFG

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