Als smalltalk bezeichnet man (laut Wikipedia) eine »beiläufige Konversation ohne Tiefgang« Wenn man Menschen neu kennenlernt, ist es durchaus nachvollziehbar und verständlich, sich zunächst einmal über eher belanglose und oberflächliche Themen zu unterhalten: das Wetter, die Lohnarbeit, der Wohnort, Verwandtschaftsverhältnisse. Leider erlebe ich es in den letzten Monaten und Jahren immer wieder, dass –selbst wenn man Menschen schon länger kennt und sich schon öfters getroffen hat- die Gespräche auf einem unverfänglichen und eher unverbindlichen Niveau bleiben.
Um nicht falsch verstanden zu werden: weder forciere ich zwanghaft Gespräche über unser Wirtschaftssystem, über Medien- und Gesellschaftskritik, noch gibt es für mich nur smalltalk oder nur tiefgründige Debatten über Politik, Medien und Wirtschaft. Dazwischen gibt es noch eine ganze Menge anderer interessanter Aspekte des Lebens, über die ich mich gerne unterhalte: beispielsweise über gute Serien, Musik, Literatur, Sport, Kultur, PC-Games, Ernährung, Reisen oder Pädagogik. Auch gibt es durchaus Menschen, mit denen ich sehr anregende Diskussionen führen kann.
Das Universum bin ich
Dennoch fällt mir auf, dass alle Themen, die nicht ganz konkret und unmittelbar mit dem eigenen kleinen Mikrokosmos (Kinder, Familie, Wetter, Lohnarbeit, Verwandtschaft, Geld, Liebesbeziehungen, Krankheiten, smartphone-Gesabbel) zu tun haben, in der Regel vehement abgelehnt werden. Und wenn man doch tatsächlich ein Nicht-Alltags-Thema durchsetzen kann, so wird es schnell in einen persönlichen Bezug gebracht oder persönlich genommen: »Also bei mir ist das ja so und so.« Egal, ob Verwandte, Familienangehörige, Kollegen oder Bekannte dritten Grades: man kann im Vorfeld zu 95 Prozent vorhersagen, wie das Treffen und die Kommunikation ablaufen werden. Selbst wenn man versucht, das Gespräch bewusst in eine andere Richtung zu lenken (und man dann für den Rest des Tages der komische Typ/Spinner/Querulant/Laberkopf ist), wird man der vermeintlich, alternativlosen Berechenbarkeit nicht entkommen.
»Alles Mitmachen, alle Menschlichkeit von Umgang und Teilhabe ist bloße Maske fürs stillschweigende Akzeptieren des Unmenschlichen.«
- Theodor W. Adorno. Minima Moralia. Suhrkamp Verlag. 8. Auflage 2012. S. 27
Mich langweilt das zusehends und ich komme häufig aus dem sprichwörtlichen Gähnen nicht mehr heraus. Ich kann da meine Körpersprache auch nicht überlisten. Womöglich klingt das ein wenig überheblich, aber solche Gespräche bleiben weder an mir kleben, noch berühren sie mich. Immer nur über die ewig gleichen Lebensbereiche plaudern, ohne dass dabei irgendetwas Substantielles, Neues, Erfrischendes oder Interessantes dabei heraus kommt. Man bleibt stets auf der Stelle stehen, dreht sich dabei um die eigene Achse, macht dabei viel lautes Getöse und nennt das Ganze dann Charakter, Individualität und Entwicklung. Dabei ist die Konformität und die Gleichschaltung der Lebensentwürfe unübersehbar: Kinder‑, Familien- und Partyfotos auf Facebook. Haben-Denken. Smartphone-Gedaddel. Trash-TV. Konsumgier.
Ich denke nicht, dass die soziale Konditionierung zwingend nur von Politik und Wirtschaft ausgeht. Das Pendel schlägt in beide Richtungen. Das Sein kann zwar das Bewusstsein bestimmen, der (klein-)geistigen Ignoranz-Haltung ist aber auch wirtschaftlich und politisch nur schwer beizukommen. Und solange es keinen Mut in der Bevölkerung gibt, den eigenen mentalen Glasbunker zu verlassen, ist jede Art von tiefgreifender politischer oder wirtschaftlicher Veränderung zum Scheitern verurteilt. Mit den Biedermeier-Weltverleugner-Mittelstands-Narzisten ist keine Revolution zu machen.
Das kann ich verstehen. Mir geht es oft so, wenn ich die Menschen eher unregelmäßig sehe. In der Familie ist es zum Glück eher selten so, aber wenn nervt mich das auch.
In der Falle, die es in Amerika gibt: Durch den finanziellen Überlebenskampf dazu gezwungen, sich im höchsten Maße zuerst um seinen Job zu kümmern, erschöpft nach der Arbeit gibt es nur noch leichte Kost (anspruchsloses TV-Programm), dieses verschmälert nur noch weiter die Weltsicht — sei es, weil es Entertainment ist, oder nur so tut, als ob es wichtige Informationen herausgibt, und faktisch eine Aneinanderreihung von Manipulationen darstellt -, kommt es dann zu einer Debatte, offenbart sich dieses Falschwissen, und wollte man dieses Falschwissen von außen korrigieren, so muss man sich eingestehen »die Leute sind zu müde, um das mit ihnen durchzuführen«.
@matrixmann: Vielleicht sind zu müde, aber sie wollen auch nicht. Sie haben resigniert und sagen, das man sowieso nichts ändere. Dabei wird übersehen, dass man Einstellungen, Blickwinkel sehr wohl ändern kann, aber das würde ja in eigenes Denken ausarten. Ich sage immer böse: Solange es keine App zum eigenen Denken gibt, wird in dieser Richtung wenig bis nichts geschehen.
Meist bleibe ich bei solchen Gesprächen nur stumm und schüttle innerlich den Kopf darüber, weil sich beim besten Willen kein Punkt finden lässt, über mehr als pillepalle zu sprechen.
Man ertappt sich gerade im beruflichen Umfeld oft selbst beim Verflachen und denkt hinterher: Scheiße — was weißt Du von diesem Kollegen wirklich?
Das geht schon bei den Nachbarn los, über die man viel weiß, ohne darüber je geredet zu haben. Es steckt meines Erachtens hinter der aufrecht zu erhaltenden Fassade der heilen Wohlstandswelt ein Gutteil suggestiver Angst, einfach die Hosen herunterzulassen und dann »nackt« seine tatsächlichen Verhältnisse zu offenbaren (die durch die Blume schon jeder kennt). Ab dem Punkt muß man nicht mehr mit beliebigem Gelaber mauern, sondern kann freien Geistes mit seinem gegenüber diskutieren.
»Mit den Biedermeier-Weltverleugner-Mittelstands-Narzisten ist keine Revolution zu machen.«
Das bringt es sehr gut auf den Punkt. Mehr braucht man auch eigentlich nicht dazu zu sagen.
Albert Einstein: »Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.«
Introvertierte können mit SmallTalk ebenfalls nichts anfangen. Schlimmer noch, SmallTalk ist für Intros ein Energieräuber, der sie ermüdet. Vielleicht solltet Ihr mal in diese Richtung schauen.
Aversion gegen andere. Das ist doch völlig normal. Die Aversion veranlasst, dass man den anderen auf Distanz hält, man einerseits von ihm nichts wissen will und man andererseits ihm nichts preis geben will. Das ist der Normalbetrieb des Vereinzelten. Der andere ist ihm bekanntluch als Konkorrent angedichtet worden und vor dessen Ellbogenradius schützt man sich präventiv. Dem Eigendünkel bieten sich zudem heute derart viele Möglichkeiten, dass ohnehin 90% aller Möglichkeiten zur Ausstaffierung seiner selbst nicht einmal wahrgenommen werden können. Bei sich selbst wießman zumindest woran man ist. Der Smalltalk scheint mir also wie eine Auslaufzone. Darin läuft man aus in den Interferenzraum der Vielen. Aber er ist schön eingezäunt. Am Zaunrand stehend kann man allerhand erahnen über die heimeligen Wohnräume in den angrenzenden Selbsten.
Mit Smalltalk habe ich gar kein Problem. Gehört einfach zum Alltag. Ist meistens auch angenehm und sorgt für Ablenkung. Sich gut mit anderen Menschen unterhalten zu können ist eine wichtige Voraussetzung, um im Leben erfolgreich zu sein.
Gruß
Wolfgang