Der Medienjournalist Steffen Grimberg schreibt in den aktuellen »Blättern« (Ausgabe September 2015) über »das Ende der Deutungshoheit« und meint damit primär die Massenmedien. Er wehrt sich gegen den Vorwurf der »Lügenpresse« vom rechten Rand der Pegida-Freunde sowie von linken »biederen Familienvätern«. Zwar sei das Vertrauen in die Massenmedien »empfindlich gestört«, die Ursache sei jedoch nicht »eine Art von Einheitsmeinung« in den Leitmedien oder Journalisten die ideologisch von der Atlantikbrücke konditioniert seien, sondern –wie könnte es auch anders sein- überspannte Verschwörungstheoretiker, die glauben, Aliens würden an den Schalthebeln der Macht sitzen (S. 103).
Der Grundhaltungsdefekt
Grimberg konstatiert, die Medienverdrossenheit habe ihren Ursprung, in einer »ritualisierten, langweiligen und monotonen Berichterstattung«. Beim Publikum würde, bei den ständigen Inszenierungen via Pressemitteilungen oder Pressekonferenzen, »nicht mehr viel ankommen«, weil nicht mehr viel drin sei. Das trifft jedoch nur zum Teil zu. Es stimmt zwar, dass bei Politiker-Statements, Advertorials und PR-Artikeln vor allem Bullshit-Bingo mit den üblichen Phrasen und Plastikwörtern betrieben wird, dennoch sind auch die nicht frei von ideologischen Botschaften. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel sich zur Flüchtlingsfrage äußert oder auf einer Veranstaltung der Deutschen Bank spricht, und diese Reden von den Massenmedien kritik- und kommentarlos übernommen werden, dann betreiben sie keine Aufklärung oder journalistische (Recherche-)Arbeit, sondern Hofberichterstattung. Sie machen sich zu Komplizen der herrschenden Ideologie. Ob die entsprechenden Journalisten diese wirklich teilen oder nicht, spielt dabei erst einmal keine Rolle.
»Die erste Freiheit der Presse ist es, kein Gewerbe zu sein«
— Karl Marx
Außerdem würden die etablierten Medien keine gezielten »Hirnwaschungen« (er führt das Beispiel Ukraine an) betreiben oder seien besonders parteiisch, sondern es handele sich um »handwerkliche Ungenauigkeiten, Zuspitzungen und Fehler im hektischen Geschäft«. Sicher, niemand ist frei von Fehlern. Erst recht keine Redaktionen, die gnadenlos zusammengekürzt werden und in der Journalisten nun in der gleichen Zeit doppelt soviel abliefern sollen wie vorher (Copy&Paste von Agenturmeldungen). Dennoch ist gerade die Berichterstattung beispielsweise über Putin und Russland, die Griechenland-Krise, Weselsky und den Streik der GdL oder eben auch über den Ukraine-Konflikt mehr als einseitig. Das kann jeder, jenseits aller politischen Vorlieben und Lager, beobachten. Ob dahinter redaktionelle Vorgaben (beispielsweise die Leitlinien des Axel-Springer-Verlages), ideologisch konditionierte Journalisten (Atlantikbrücke), Selbstzensur und Kopfscheren oder ökonomischer Anpassungsdruck stehen, sei erst einmal dahin gestellt. Fakt ist, dass es bei immer mehr Themen eine zunehmende Gleichschaltung der Berichterstattung gibt. Diesen offensichtlichen Vorgang als »handwerklichen Fehler« zu bezeichnen, ist pure Verharmlosung der Tatsachen.
Marktkonformität als Wirklichkeitsargument
Weiterhin hält er »die Abkopplung von den Mainstreammedien« für keine gute Entwicklung. Schließlich würden die Menschen dann Opfer von »Extremisten, ideologisch gefärbten Kampagnen und Verschwörungstheoretikern«. Der große Befreiungsschlag durch das Internet sei eben auch eine große Gefahr, so Grimberg. Die Lobhudelei auf die eigene Zunft hält auch hier keiner realistischen Betrachtung stand. Auch wenn noch so oft, die sog. »vierte Gewalt« oder die Aufklärungs- und Vermittlertätigkeit von Leitmedien und Journalisten beschworen wird, sie selbst sind und können auch niemals frei sein von Subjektivität, Überzeugungen, ökonomischen Abhängigkeiten, redaktionellen Vorgaben und von Anpassungsdruck. Und nebenbei ist und bleibt die wohl größte Verschwörungstheorie, dass der freie Markt weltweit für Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit sorgen würde.
»Es ist halt ein fruchtbarer Boden für die Zensur, wenn man als Journalist eine Familie mit zwei Kindern ernähren muß und auf Basis von Zeitverträgen arbeitet. Irgendwann ertappt man sich bei der Selbstzensur – weil man seinen Job behalten will.«
- Anonymer Redakteur des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle (DW) im Interview mit der Jungen Welt am 15. Mai 2014
Wer im journalistischen Geschäft Karriere machen will, so berichten es immer wieder Mitarbeiter, die jahrelang in Redaktionen beschäftigt waren, muss sich marktkonforme Verhaltensweisen und einen vorauseilenden Gehorsam aneignen. Oder anders ausgedrückt: wer allzu kritisch gegenüber Interviewpartnern, dem Chefredakteur oder der Regierung ist, der fliegt raus. Welche deutschen Journalisten verdienen denn heute noch das Attribut »investigativ«? Das übernehmen heute Whistleblower und Blogger, wie Snowden, Assange, Deltour (#luxleaks) und netzpolitik.org, die dafür verklagt und verfolgt werden. Grimberg sieht sie jedoch nur als »Kooperationspartner« der Leitmedien. Dabei erledigen die Whistleblower heute die Hauptarbeit, gerade weil sie weniger ökonomischen und politischen Abhängigkeiten ausgesetzt sind, wie die angestellten Journalisten.
Die Grenzen der Meinungsfreiheit bestimmen wir!
Es ist auch bezeichnend, dass mit keinem Wort inhaltlich auf die Argumente von Bloggern eingegangen wird, sie aber im gleichen Atemzug (mit wenigen Ausnahmen wie netzpolitik.org) als »Verschwörungstheoretiker« diffamiert werden, weil sie häufig nicht im Mainstream-Konsens (mit-)schwimmen wollen. Letztere seien dann auch dafür verantwortlich, warum die großen Online-Ausgaben der überregionalen Tageszeitungen ihre Kommentarfunktion deaktiviert hätten. Die uneinsichtigen Leser seien schuld daran und nicht die einseitige Berichterstattung zum Thema Russland/Ukraine und die vielen Gegenargumente der User im Kommentarbereich. Denn genau in dieser Zeit wurde die Kommentarfunktion, beispielsweise von der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung, gesperrt.
Gleichzeitig würden die etablierten Medien umdenken und »ihre Nutzer ernst nehmen« so der ZAPP-Medienjournalist. Indem sie als Trolle, Putinversteher, Verschwörungstheoretiker, Halbwissende und Extremisten beschimpft werden? Indem man die Kommentare abschaltet? Ist es nicht eher so, dass Journalisten jahrzehntelang in der komfortablen Situation der Welterklärer waren und sich dabei keinen Deut um andere Thesen und Argumente scheren mussten? Und sie nun mit der gelebten Meinungsfreiheit, von Usern, Kommentierern und Bloggen völlig überfordert sind? Wer hat eigentlich den Mythos in die Welt gesetzt, Journalisten seien die uneingeschränkt, parteilosen Wächter der absoluten Wahrheit?
P:S: Übrigens würde es den »Blättern« auch gut stehen, wenn sie in ihrer Printausgabe gelegentlich Leserbriefe veröffentlichen und/oder eine Kommentarfunktion in ihrer Online-Ausgabe einrichten.
Beiträge zum Thema:
-» Personalisierung ist Entpolitisierung
-» Gemietete Blogjournalisten
-» Das Medium ist die Botschaft
Moin, schöner hätte ich es nicht auszudrücken vermocht, eine gute und prägnante Zusammenfassung des selbstgeschafften Dilemmas.
Immer schneller, effizienter, kostengünstiger als die anderen zu sein hat seinen Preis. Wenn das die Leitlinie ist, selber schuld.
Dumm nur, das sie damit auch ein wichtiges Attribut im Geschäftsfeld (saubere Recherche) aufgeben, nämlich das der Qualität, ist halt ebay Journalismus, immer billiger sein als der Rest. Nun rum zu heulen ist unredlich, aber es ist ja noch Zeit um zu steuern, sofern man denn Verantwortung übernehmen will. (Damit meine ich nicht gegenüber den Aktionären und der persönlichen Bereicherung, nicht wahr liebe Zeitungsbesitzter) Ich persönlich lasse mich nicht als Blödleser abstempeln. Zu einer gelebten Demokratie gehört die Meinungsvielfallt, um mittels Diskurs, gemeinsam festzustellen ob und wo der richtige Weg ist. Selbst bei 80 Millionen Hirnen können gem. Gausscher Normalverteilungskurve ein paar schlauere dabei sein. Es lohnt sich.
...naja...irgendeine Ausrede müssen sich diese Schreiberlinge ja ausdenken......eigentlich können sie sich ja nicht morgens im Spiegel sehen ohne kotzen zu müssen.....
Etwas wäre dabei anzumerken: Wenn man eine Weile den deutschen Bloggerwald beobachtet, gibt es dort bereits ähnliche Entwicklungen wie in der offiziellen Presse. Insbesondere erlebt man dies in diesen Tagen beim Flüchtlingsthema. Es gibt gefühlt nur die Meinung »nehmt alle auf, der Westen hat es vedient mit seiner Kriegstreiberei«. Selbst wenn man diese Grundposition »der Westen hat es verdient« seine eigene nennt, und sonst nicht weiter zu denjenigen gehört oder gehören will, die ihren Hass bei diesem Thema ausbreiten, aber auf Tatsachen hinweist, weshalb Teile der Bevölkerung damit nicht einverstanden sind, sieht man sich schnell verbal in die Ecke gedrängt und auf das Bild des »deutschen Michels« (dieser Begriff allein ist schon eine Zumutung) reduziert, der geizig und ängstlich um die Erhaltung seines Bisschen Wohlstandes besorgt ist. Selbst wenn man dabei sogar mit Dingen argumentiert, die nichts mit diesen viel diskutierten negativen deutschen Eigenarten zu tun haben.
Wenn sich solche Zustände entwickeln, sollte man dies als Makel sehen.
@matrixmann — seh ich anders. In Sachen »Flüchtlinge« gibt es sehr wohl Grautöne. Das Problem ist, dass ein Hinweis auf die »Urheberschaft« des Problems absolut kein(!) Grund ist, den Menschen in Not dann auch nicht zu helfen und sie ihrem Schicksal zu überlassen. Anhand der Flüchlingsproblematik, offenbart sich jedoch ganz schonunglos, wie egoistisch und fremdenfeindlich diese Gesellschaft (immer noch) ist. Das beste Beispiel ist für mich das Telepolis-Forum — welches bei sonstigen Themen eigentlich in der Summe eine recht humane Weltsicht vertritt — aber in Sachen Flüchtlinge könnte man meinen, man sei bei PI gelandet...
Wenn der Michel meint, er könne mit fiskalisch-ökomomischen Gründen seine Ignoranz und ablehndene Haltung begründen, zeugt dies im Grunde nämlich auch nur davon, dass er wirklich doch nur um sein »bisschen Wohlstand« (zumindest, was er dafür hält) besorgt ist — und trägt daher den Titel »Michel« meiner Meinung nach zurecht. Den Witz mit dem Banker, dem Asylanten und dem »besorgten Bürger« am Tisch mit dem 20 Keksen dürfte ja inzw. bekannt sein. Und der zeigt die Relationen, um die es geht. Über um ein zigfaches »teurere« Bankenrettungen regt(e) sich aber seltsamerweise keiner auf...
Anhand der Flüchtlingsthematik erkennt man, wie gut das massenmediale Agenda Setting, eingebettet in spezifische Deutungsmuster (Framing), seit Jahrzehnten funktioniert. Es geht ja nicht nur darum, worüber wir nachdenken/uns unterhalten sollen, sondern auch wie wir darüber denken sollen.
Begriffe wie Flüchtlingsflut, Schwemme, Massenwanderung etc. in Verbindung mit finanziellen Aspekten/Ausnutzung des Sozialstaates sowie bestimmten Bildern (Flüchtlinge mit smartphone) die gezeigt werden, sollen ganz spezifische Emotionen beim Zuschauer erzeugt werden.
Die Meisten denken immer noch, dass das was berichtet wird, die uneingeschränkte Wahrheit ist.