Nur wer ein regelmäßiges und ausreichendes Einkommen besitzt, ist in der Lage, sich in die Gesellschaft einzubringen und am kulturellen Leben teilzuhaben.
Eine immer wiederkehrende Erzählung in Politik und Gesellschaft, ist die Redewendung von der »gesellschaftlichen Teilhabe«. Besonders Gewerkschaften, Parteien und linke Organisationen verwenden dieses Narrativ gerne, um auf existenzielle Armut und die immer größer werdende Schere zwischen Armut und Reichtum aufmerksam zu machen. Wer an Politik, Kultur und Gesellschaft teilnehmen will, so die Erklärung, braucht ein Mindestmaß an finanzieller Sicherheit. Wer nicht über ausreichend monetäre Mittel bzw. ein regelmäßiges Einkommen verfüge, der würde ausgegrenzt werden. Diese Argumentation ist im (links-)politischen Diskurs weit verbreitet. Mir stellen sich hierzu jedoch einige Fragen.
Zunächst definiert sich die Teilhabe an der Gesellschaft, bei vielen Organisationen, vor allem an der individuellen Höhe des zur Verfügung stehenden Geldes. Das Prinzip ist hier denkbar einfach: wer genug Kohle hat, ist ein produktives und wertvolles Mitglied der Gemeinschaft; wer zu wenig Geldmittel zur Verfügung hat ‑Erwerbslose, Obdachlose, Asylanten, Rentner, Behinderte, von Armut Betroffene- wird ausgegrenzt. Zwar orientieren sich gerade auch in Deutschland (fast) alle zwischenmenschlichen Verhaltensweisen –auch und vor allem- anhand von ökonomischen Verwertungskriterien (Eigennutz, Sozial Status, Vertragsdenken, Konsum), aber auch diese sind nicht völlig frei vom eigenen Wertesystem oder persönlichen Überzeugungen.
Wenn ich mich beispielsweise bewusst gegen die Anschaffung eines smartphones oder TV-Gerätes entscheide, auch wenn ich die Finanzen dazu hätte, grenze ich mich dann gesellschaftlich nicht auch aus? Bin ich dann noch dabei? Nun könnte man sagen, dies sei eine Art freiwilliger Ausgrenzung, aber ist nicht genau das »Selbstbestimmung«? Bedeutet Teilhabe immer und zwangsläufig, so zu sein wie alle sind? Mit dem finanziellen Mindest-Standard genau das zu machen, was alle machen? Massenkonsum bei Mcdonalds? Smartphone-Gedaller? Was soll beispielsweise die vielbeschworene Teilhabe am kulturellen Leben bedeuten? Mal ins Theater, ins Kino oder in ein Restaurant gehen zu können? In den Urlaub nach Mallorca fahren? Deutsche Kultur? Was soll das bitte sein?
Premiumexistenzen und Markthelden
Nehmen Reiche und Vermögende etwa an der Gesellschaft teil, wenn sie sich ausschließlich in elitären Zirkeln treffen, mit abgedunkelten Fensterscheiben durch die Straße fahren und abgeschottet in »Gated Communities« leben? Nimmt also im Umkehrschluss automatisch jeder Vermögende an der Gesellschaft teil, weil er ja über ausreichend monetäre Mittel verfügt? Auch wenn er die Gemeinschaft verachtet, Steuern hinterzieht und dubiose Geschäfte betreibt? Was soll »die Gesellschaft« eigentlich sein? Die Steuerzahler?
Nicht, dass ich missverstanden werde: natürlich ist es gut, wenn die Mechanismen der Armut sichtbar gemacht und bekämpft werden. Doch wenn das Narrativ der »gesellschaftlichen Teilhabe« und der Umverteilung mitunter auch bedeuten soll, sich stets der (Massen-)Konformität zu beugen, dem Konsumdenken zu frönen und immer so zu sein, wie alle sein wollen und andere es fordern, dann ist die Erzählung der sogenannten »Teilhabe an der Gesellschaft« nur ein Euphemismus für die (Lohnarbeits-)Massenkonditionierung aus linkspolitischer Perspektive. Erstrebsamer als unbedingtes Mitmachen-und-Haben-Wollen, wäre der (Komplett-)Ausstieg aus dem »Idiotenspiel« der kapitalistischen Steigerungslogik, wie Prof. Hartmut Rosa es treffend formuliert hat:
»Erst wenn die Linke die Frage nach der Entfremdung und ihrem Gegenteil, dem gelingenden Leben, zu ihrem ureigentlichen Thema macht, löst sie sich aus dem unheilvollen Pakt mit dem Neoliberalismus und zieht den Stecker für dessen selbstzerstörerisches Steigerungsspiel.«
Es geht nicht um doofe Smartphones oder Smart-TVs, sondern um ganz einfache Dinge, wie Lebensmittel, Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke für Kinder. Es geht darum, dass ein Kind auch in den Sportverein gehen kann, ohne dass die Kosten für Sportkleidung, Sportschuhe und Vereinsbeiträge das Kind ausbremsen. Klassenausflüge sind auch recht problematisch für arme Eltern. Es geht auch darum, dass arme Menschen es schwer haben, einem Hobby zu frönen. Man sollte sich auch einmal die Preise von Spielzeug anschauen, Schuhe für Kinder ... Der H4-Satz reicht dafür nicht. Und was machen Kinder, wenn sie von Schulfreunden zum Geburtstag eingeladen werden? Nicht für umsonst gibt es beim Discounter öfters einmal etwas für ein Hobby. Dort ist es dann billiger als im Fachgeschäft, aber auch das können sich viele nicht leisten. Dazu dieser Blog meines Blogfreundes: http://frei-blog.blogspot.de/. Es geht um grundsätzliche Dinge, die arme Menschen sich vom Mund absparen müssen. Auch eine simple Straßenbahnfahrt kann dabei ein Problem sein. Das ist vor allem die gesellschaftliche Teilhabe und genau diese ist kaum noch gewährleistet bei Tausenden von Menschen in Deutschland. Sicherlich kommt dann dazu, dass man auch mal in die Eisdiele gehen möchte u.ä. Freiwilliger Verzicht zum Nichtkonsum ist etwas völlig anderes. Man könnte, wenn man wollte. Nur arme Menschen können kaum, auch wenn sie wollten.
@Pewi
»Freiwilliger Verzicht zum Nichtkonsum ist etwas völlig anderes. Man könnte, wenn man wollte. Nur arme Menschen können kaum, auch wenn sie wollten.«
Dem stimme ich zu.
In meinem Beitrag gehe ich jedoch einen Schritt weiter. »Gesellschaftliche Teilhabe«, so wie der Begriff verwendet wird, thematisiert nur die finanzielle Situation der Menschen. Das kann doch nicht das alleinige Merkmal einer »Teilhabe« sein? Deshalb nochmal meine Frage:
»Nimmt also im Umkehrschluss automatisch jeder Vermögende an der Gesellschaft teil, weil er ja über ausreichend monetäre Mittel verfügt? Auch wenn er die Gemeinschaft verachtet, Steuern hinterzieht und dubiose Geschäfte betreibt?
In dem Fall sind eben nicht die ganz oben oder die ganz unten gemeint, sondern die sog. Mitte.
Natürlich braucht es einen Mindeststandard , aber der Artikel hat trotzdem Recht , die einseitige Ausrichtung aufs Materielle findet sich häufig auch bei der Linken , insbesondere der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen , es geht zuwenig um Sinn , Arbeitsbedingungen und Ähnliches.
40 Jahre, 40 Stunden , am besten noch im selben Betrieb , das war schon früher mehr Drohung als Verheißung , trotzdem halten Teile der Linken am Ziel der Vollbeschäftigung fest und akzeptieren die vorherrschende Form der Arbeitswelt damit als erstebenswert.
Was dann wieder beiträgt zu sinkenden Mindeststandards und ebenso zu fragwürdigen Rahmenbedingungen , unter denen Sozialleistungen »gewährt« werden.
Wer nicht die Grundsatzfrage stellt , schwächt die eigene Schlagkraft , das alte Streikprinzip eben.
Zur Gesellschaftlichen Teilhabe, gehört sich auch mal einen Kaffee oder ein Eis leisten zu können. Der Zugang zur Information, und ja auch Theater und mal Kino. Mal einen Ausflug machen zu dürfen, n den Zoo gehen zu können usw.usw. Jeder der Alg 2 bekommt und in diesem Sumpf länger steckt weiß wie verdammt schwer genau das dann wird.
Gesellschaft? Mit wem soll ich denn gesellig sein wollen? Intelligenz ist wie ein freies WiFi oder WLAN. Je dichter die Leute aufeinander hocken, um so weniger kommt bei dem Einzelnen an.
Ich lebe finanziell eher im unteren Bereich, eigentlich auch Hartz IV oder SGB2. Ich sehe das als sportliche Herausforderung. Mein Lebensstil ist effizient: Maximaler Spaß bei minimalem Aufwand. In den 1980ern habe ich einiges Geld in Musikinstrumente investiert. Die haben sich schon 10x amortisiert. Für 20€ kann ich mit meiner Frau 1x zur Pizzeria. Oder ich investiere die 20 Tacken in einen Zeichenblock und passendes Zubehör, erstelle geile Grafiken und verkaufe die pro Blatt für 20€.
Das Prinzip der Wertschöpfung scheint hier nicht verstanden worden zu sein.
Die »Gesellschaft« ist doch nur ein blöder Haufen »BILD«-lesender Verbraucher, die nicht in der Lage sind, etwas zu produzieren. Da schneiden sogar Schweine besser ab. Die werden zu 100% verwertet. Der sterbliche Rest des Menschen wird vergraben.
Gesellschaft. Ha!
Gebt mir genug Geld und ich baue mir eine Insel, ganz weit weg von den Deppen, die jedem Mainstream den Sc****z lutschen.
Ich habe hohe Achtung vor den Leuten, die die Infrastrukturen am Laufen halten. Danke! Aber Gesellschaft? Was ist das eigentlich?
An die Hartz4-Kolleginnen und Kollegen:
Besinnt Euch doch mal auf die Lebensbasis! Für einen Sack Kartoffeln wurde früher mal Gold getauscht. Wer kochen kann ist klar im Vorteil. Wer bei MacBurgerDonald Geld für den Dreck ausgibt, der da angeboten wird ist selber schuld. Der Betrag, den ich da aufwenden muss, um mich 1x satt zu essen reicht aus, um zu Hause 4 Leuten eine leckere Pasta zu servieren. Zwar nicht vegan, aber vegetarisch ist kein Problem.
Teilhabe. Pah. Gesellschaft. Brech.
@p3t3r:
Offenbar ist es auch Teil Ihres effizienten Lebensstils, sich die Empathie mit Ihren Mitmenschen zu sparen. Mich nervt der Konsumismus auch, aber ich sehe das als Symptom für einen seelischen Mangel, den diese Menschen verspüren.
Die Menschenverachtung, die aus Ihren Zeilen tropft, ist mitnichten besser als die der sog. »Eliten«. Die sehen das genauso wie sie und würden Ihre Zeilen vermutlich jederzeit hohnlachend unterschreiben.
Oder um es mit Brecht zu sagen: »Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser.
Ach wir, die wir den Weg bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein.«
Schwierig, Zwiespältiges Thema... Das Meiste wurde schon gesagt. Es birgt gewisse Widersprüche, auf der einen Seite die Armut und Ausgrenzung vieler Menschen aus der Gesellschaft zu kritisieren — aber auf der anderen Seite das etwas vereinfachend wieder dem »Konsumismus« unterzuordnen und wie in der Kirche oder von Seiten der Unternehmerverbände Gütel-enger-schnallen, Calvinismus, Genügsamkeit und Enthaltsamkeit zu predigen. ;) Denn da überschneidet sich dann überraschenderweise der ein oder andere Gedankenansatz mit der neoliberalen Ideologie, die sich dies auch systematisch zunutze macht.
Mir begegnet oft grade aus der ängstlich nach unten blickenden, aber noch einigermaßen versorgten Mittelschicht der gehässige Neid nach unten, wenn der Hartzer sich erdreistet, auch wie er Unterhaltungselektronik ein Iphone zu besitzen. Das schmälert nämlich den Wert des eigenen Statussymbols. Dann kritisiert der materialistische Mittelschichtler ganz frech den Unterschichtler für dessen »Materialismus«, ohne den eigenen infrage zu stellen. Siehe auf den Beitrag letztens bei ad sinistram. Dann entscheidet irgendwer, was man zu brauchen habe, was »guter« Konsum ist — und was »schlechter«. Natürlich — aus einer objektiven Lage heraus ist das meiste, was man uns heute verkaufen will an sich überflüssig. Aber so lange das System, die Gesellschaft so funktioniert, wie sie funktioniert, darf ich von denen am untersten Rande am Allerwenigsten erwarten, dass eine Änderung von dort ausginge!