Als ich vor einigen Tagen zufällig bei der Buchhandlung »Hugendubel« war, ist mir aufgefallen, dass die Abteilung zum Bereich »Philosophie« nun innerhalb von einem Jahr schon wieder kleiner geworden ist. Ganze zwei Ebenen eines Bücherregals werden hierfür nur gebraucht. Mehr nicht. Es gibt dort zwar ein paar Klassiker von Platon, Schopenhauer, Arendt oder sogar Adorno, aber auch den nervigen Hirschhausen.
Gleichzeitig nehmen die Bereiche »Spiritualität« und »Lebensratgeber« kontinuierlich zu. Zusammen nehmen sie im ersten Stock mittlerweile einen recht großen Bereich ein. Dort stehen dann Wegweiser-Bücher von C‑Promis, die billige Seelenklempnerei (»So werden Sie glücklich!«), statt authentisches Selbstdenken propagieren. Die Menschen scheinen nicht mehr auf der Suche nach Weisheit oder echter Horizont-Erweiterung zu sein, sondern nach Götzen, die ihnen die Sinnsuche und die eigene Vernunft abnehmen.
Schon vor Jahrzehnten musste ich über die inflationäre
Menge an Esoterikbüchern hämisch grinsen, die den Begriff
Esoterik an sich ad absurdum führen mussten: das Innere der
Weisheit, der innere Kreis Wissende , einst nur wenigen Adepten zugänglich, jetzt auf die Wissens-Peripherie aufgebläht.
Aber vielleicht hat ja eine Begriffsumstülpung stattgefunden,
die wirkliche Philosophie zur wahren Esoterik (statt der Waren-Esoterik) sich entwickeln lässt.
Kurzer prägnanter Beitrag,in dem schon alles drin steht,wo es lang geht.Das erlebt man überall,in jeder Branche.Selbstständiges Denken,um Gottes Willen das geht gar nicht.
Wie ich schon immer zu sagen pflege: Wir leben in einem Land,in dem es von nur so wimmelt von Experten,Fachleuten,Ratgebern,Erklärbären,Koryphäen,Professoren,
Doktoren,Professor-Doktor,das ist dann die ultimative Form des Genies.Etc...pp..... Wenn ich die dann immer höre und sehe,frage ich mich ernsthaft,warum ich das nicht auch mache und vor allem was mir dazu fehlt.Wird wohl einiges sein.......
Was Esoteriker ausmacht, ist es schlechthin, — dass »könnte«, — als »ist« zu verkaufen .Deshalb nennt man das Geheimwissenschaft, — also die Wissenschaft im Geheimen. (Geheimwissen von auch nichts anderen als Drüberstehern, ‑und so.) Koppelt man das mit »Lebensberatung«, — hat man die geheime Wissenschaft, sich solange glücklich zu fühlen, bis die Praxis eben dagegen spricht. Manchmal bin ich allerdings nicht sicher, ob es tatsächlich Unterschiede zwischen Philosophie und Esoterik gibt. Ich ziehe deshalb in Betracht, dass @Kevin_Sondermüller ein Brücke anbieten kann, die uns allen weiter helfen könnte. Nur , — zu. Wir brauchen, — Ideen.
Also, ich erkenne (oder halluziniere) durchaus einen Unterschied
zwischen Esoterik (nach marktgängigem Verständnis) und Philosophie (qua Geisteswissenschaft), und der ist gewaltig.
E. gibt sich leutselig, biedert sich an, etwas besseres Stammtischniveau, setzt blinde Anwendung ihrer Postulate
voraus – gerne positives Denken genannt. Wenns nicht klappt,
selber schuld, persönliches Defizit.
P. macht keinen Hehl aus ihren zugegeben oft sehr anspruchsvollen Teilnahmevoraussetzungen, setzt
Auseinandersetzung mit ihr voraus, wie eigentlich jeder
Wissensaneignungsprozess. Egal, ob wir eine Sprache,
eine Wissenschaft oder eine Kunst erlernen wollen:
nur Teilnahme hat Teilhabe zur Folge, ansonsten GIGO.
Eigentlich trivial, oder? Frühere Zeiten waren da treuherziger:
»Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt« oder
»Der Mensch, der sich nicht schindet, wird nicht erzogen«
(Aristoteles).
E. tritt als Nürnberger Trichter auf, P. – falls ehrlich – nie.
E. als easy, P. als Problem(Stellung).
An P. ist nichts geheim oder obskur, an E. so gut wie Alles.
In Zeiten allgemeinen Niedergangs können sich beide
bis zur Ununterscheidbarkeit vermengen – Darreichungsform
marktgängiger Konsumartikel. Wohl den P.-Bemühten, wehe den
E.-Konsumenten.
Nur eine Eselsbrücke …
Eine Klassenfrage ist das. Die Philosopie wird das, was sie vormarxistisch war: eine Elitenveranstaltung. Eine gewisse philosophische Infrastruktur wird ja erhalten und diese wird zusehend elitär besetzt. Tiefe und alte abhebende Dispositionen kommen zur Geltung. Dass die Philosophie ausrangiert wird, das hat sie sich größtenteils selbst zuzuschreiben. Zweifellos war sie schon immer ein schwieriges Fach. Im Mittelalter durfte sie nicht weiter als bis zum Gott denken, in der Neuzeit errang sie einiges an Freiheit, die letztlich dazu führte, dass sie sich selbst relativierte (in Relationen versetzt wurde).
Was hat sie sich nun selbst zuzuschreiben? Ihre Inkonsequenz. Aus ihrer inneren Richtung her, müßte sie heute lebensnah sein, praktisch-pragmatisch. Sie muss nicht eine Verdoppelung des Bestehenden sein, aber sie sollte von da aus starten und, und das ist die Erbsünde seit Platons Höhlengleichnis, wieder dort hin zurück kommen. Dagegen hat man es sich anders eingerichtet: man lebt in akademischen Schutzwelten. Teilweise ist man extrem belesen und denkagil, was natürlich entweder Talent und/oder viel Zeit und Geld voraussetzt, verfällt aber trotzdem den banalsten Anrufungen des Neoliberalismus. Eine Art Schöngeisterei im Kielwasser der herrschenden Ideologie. Die philosophische Denkarbeit setzt heute dort ein, wo Denkgegenden Brach liegen gelassen wurden, die niemanden interessieren. Bekanntlich sind das nicht sehr viele, denn die meisten werden ökonomisch integriert. Daher bleibt es wie gehabt: Der größte Block ist die Geschichte der Philosophie. Natürlich. Entweder hat man ein intrinsisches Interesse daran, ansonsten kann nicht weiter erklärt werden, was sie bringen soll. Nicht dass sie nichts bringen würde, nein, nein, aber man versteht es nicht zu erklären.
Stichwort Neoliberalismus: dieser ist bis dato philosophisch unaufgearbeitet. Er ist zwar extrem wirksam, ubiquitär, aber philosophisch inexistent. Höchstens ab und an ein paar höhnische Bemerkungen über die Formen in den Niederungen des Alltags. Es gibt ihn ansonsten nicht. Man wird 1000e Reflexionen über einige einzelne Philosophen finden, die niemand alle lesen kann, aber in Relation dazu so gut wie keine Zugänge auf die Gegenwart. Man könnte sagen, vielleicht 5–10% der philosophischen Veröffentlichungen sollten irgendwie mit den Denkformen des Alltags zu tun haben, was heutzutage eine gewisse Aufarbeitung des Neoliberalismus und seiner bedeutungschwangeren Begriffe bedeuten würde. Dies könnte auch dem Fach eine gewisse Frischluft zuführen, aber jedenfalls nicht schaden. Denn ob nun der 1000 Aufsatz über die Differance geschrieben wird oder nicht oder etwa ein Denkpartikel aus der Lebenswelt aufgregriffen und bedacht wird, das kann dem Fach kaum schaden. Nur ist dem nicht so. Überhaupt ist man in den philosophischen Denkstuben extrem machtängstlich geworden und balsamiert sich schon gerne ein mit hinreichend viel Konformität. Nicht dass ein Rektor noch eine Massregelung gegen einen Gedankengang erläßt.
Man braucht sich also nicht wundern, wenn ein heutiger Mensch sich abwendet, wenn er sich auf Ratsuche macht und mitunter leider im Blendwerk der Esoterik landet.
@flavo
Überhaupt ist man in den philosophischen Denkstuben extrem machtängstlich geworden und balsamiert sich schon gerne ein mit hinreichend viel Konformität.
Wohl wahr! Und das ist mehr als traurig. Schließlich waren sie in der Geschichte der Menschheit oft auch diejenigen, die mutig genug waren, die vermeintlich natürliche Ordnung in Frage zu stellen. Nicht selten wurden sie dafür verfolgt oder landeten gar auf dem Scheiterhaufen. Heute debattieren sie gemütlich in der Universität oder in elitären Lesezirkeln, wo es niemanden interessiert und keinem Herrschenden weh tut.
Ergänzung (2. Juli 2016):
Nachdem ich gestern im örtlichen »Thalia — Buchgeschäft« im hiesigen Einkaufszentrum war, musste ich feststellen, dass es gar keine Philosophie-Abteilung mehr gibt. Der Laden war groß, aber es gab keinerlei Bücher von Hegel, Schopenhauer, Wittgenstein, Sokrates, Platon, der Frankfurter Schule und so weiter. Stattdessen: Lebensratgeber, Spiritualität und Pädagogik. Natürlich kann man sich die etwaigen Bücher schon woanders kaufen/besorgen, dennoch ist es auffällig, dass die großen Buchketten diese Sparte einfach gar nicht mehr im Sortiment haben. Vermutlich kauft/liest das auch niemand mehr und die Betreiber wollen so wenig wie möglich Ladenhüter stehen haben.
Aktionistischer Pragmatismus statt Selbstdenken scheint angesagt zu sein. Irgendwie erschreckend.
Ich habe meine Buchhändlerausbildung in der ehemals größten europäischen Buchhandlung in Düsseldorf gemacht und war auch zeitweise in der Philosophieabteilung. Dort gab es eine ganze Wand für Philosophie und Antike Kultur, doch gegen Ende war diese nur noch notdürftig bestückt (mir war es regelrecht peinlich, Kunden Auskunft über die Vorrätigkeit von Titeln in dem Bereich zu geben). Wichtige Klassiker waren nur vereinzelt vorrätig und der Großteil war der Pop.-Philo zuzurechnen, also Precht und Hirschhausen etc. Grund: die Rentabilität war wichtiger als das Ideal eines ausgewogenen, vielseitigen Sortiments. Wie du schon richtig vermutet hast, werden Philosophie-Bücher immer weniger gekauft. Und die »Penner«, wie z.B. eine edle, gebundene Ausgabe von »Sein und Zeit«, die max. einmal im Jahr verkauft wird, fliegen halt raus.
@Pasota
Danke für die Bestätigung meiner Vermutung. Trotzdem: traurig sowas. Philosophie scheint für viele nun endgültig »labern ohne Sinn und Zweck« zu sein. Dabei ist und war es die Liebe zur Weisheit, die Meta-Wissenschaft der Wissenschaften, das kritische Infragestellen von Selbstverständlichkeiten, Nach- und Selbstdenken. Aber all das ist heute eben überhaupt nicht mehr wichtig. Ganz im Gegenteil: es stört den reibungslosen Betriebsablauf in Schule, Universität und Lohnarbeit.
Nur züchtet man sich damit nicht nur eine völlig unkritische Masse heran, sondern kommt in der menschlichen Entwicklung auch keinen Schritt weiter. Genau das sehen wir ja überall derzeit: es gibt überall Rückschritte und überwunden geglaubte Zeiten, Zustände und Denkweisen kehren plötzlich wieder mit voller Wucht zurück.