Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Großeltern, ihre Enkel materiell und emotional verwöhnen dürfen. Es werden den Kindern wenig bis keine Grenzen gesetzt, sie dürfen überdurchschnittlich viele Süßigkeiten futtern und sie werden mit allerlei Kram beschenkt. Viele Großeltern entschuldigen ihr Verhalten mit dem Argument, dass sie nicht anders »könnten«, sie würden ihre Enkel doch so selten sehen und wollen ihnen dann doch »etwas Gutes« tun. Dabei ist dieses Verhalten der Großeltern alles andere als ein Kavaliersdelikt, denn es geht ihnen vor allem darum, von den Enkeln unbedingt geliebt zu werden. Diese egoistische Einstellung so mancher Großeltern, erzeugt häufig nicht nur viele Konflikte mit den Eltern, sondern schädigt langfristig auch der kindlichen Entwicklung der Enkel.
Die vergessenen Alten
Als erstes stellt sich natürlich die Frage, warum sind viele Großeltern eigentlich so? Weshalb verwöhnen sie ihre Enkel, obwohl sie wissen sollten, dass es nicht folgenlos bleibt? Schließlich haben sie selbst Kinder in die Welt gesetzt und dürften zumindest eine ungefähre Ahnung davon haben, dass es ohne gelegentliche Grenzsetzungen, Konflikte und Disharmonien nicht geht. Meine These hierbei ist, dass sich viele Großeltern nicht mehr gebraucht und geliebt fühlen und nun versuchen diesen Mangel über die Enkel auszugleichen. Zum Beispiel weil sie alleinstehend sind, die Ehe in die Brüche gegangen, der Partner zu früh verstorben ist oder vielleicht weil die Ehe bzw. Beziehung seit Jahrzehnten keine gelebte Leidenschaft oder Liebe mehr beinhaltet, die eigenen Kinder aus dem Haus sind und so weiter. Hier gibt es viele Szenarien.
Hinzu kommt, dass wir gerade in Deutschland einen starken Altersrassismus haben. In der Berufswelt gilt man mit 50 Jahren als alt und verbraucht. Ist man mit Mitte 50 aus der Arbeitswelt raus, weil beispielsweise die Firma pleite gegangen oder ihren Standort verlegt hat, dann gleicht es einem Wunder noch eine neue Erwerbsarbeit zu finden. In der Medienwelt wird der Jugendfetischismus zelebriert und in der Öffentlichkeit, in Bus und Bahn, werden alte Menschen häufig ignoriert oder übersehen, so als wären sie gar nicht existent. Nur die Enkel strahlen und lächeln sie noch an, vor allem wenn sie beschenkt oder verwöhnt werden.
Verwöhnt und Verzogen
Das Problem ist, dass die Enkel viel zu oft als kurzfristige Zuneigungs-Objekte und Liebes-Abhol-Automaten betrachtet werden. Hier steht nicht die kindliche Entwicklung, also das Kind-Subjekt im Mittelpunkt, wie dies bei den eigenen Kindern noch der Fall war, sondern vor allem die eigene Angst, nicht mehr geliebt oder gar ignoriert zu werden. Deshalb gehen viele Großeltern Konflikten mit ihren Enkeln auch konsequent aus dem Weg. Da den meisten Eltern aber hauptsächlich daran gelegen ist, ihre Kinder zu selbst- und wertebewussten Menschen zu erziehen, also langfristig denken, bleiben Konflikte mit den Großeltern nicht aus. Regeln, welche die Eltern aufgestellt haben, gelten dann bei Oma und Opa auf einmal nicht mehr. Grundsätze, Erziehungsmethoden und pädagogische Ansichten der Eltern, werden dann nicht ernst genommen oder übergangen. Gleichzeitig sind viele Eltern ihren Eltern natürlich auch sehr dankbar, wenn sie sie unterstützen. Insbesondere alleinerziehende Mütter und Väter wissen die Hilfe sehr zu schätzen.
Je nachdem wie stark die Großeltern ihre Enkel materiell und emotional verwöhnen (und wie stark ihr pädagogischer Einfluss ist), ob sie wirklich jedem Konflikt mit ihnen aus dem Weg gehen und sie immer gleich alle Bedürfnisse ihrer Enkel erfüllen, werden Kinder aufgedreht, übermütig, unselbstständig, wehleidig, frech, ungezogen oder gar tyrannisch. Sie bekommen von den Großeltern das Gefühl vermittelt, der Mittelpunkt des Universums zu sein, keine Rücksicht auf andere nehmen zu müssen und alles sofort zu bekommen, was sie wollen. Oft verstehen viele Omas und Opas nicht, warum sie durch dieses Verhalten kleine Despoten heranzüchten. Sie haben doch »immer nur das Beste« für ihre Enkel gewollt.
Autoritäre Selbstentfaltung?
Sobald die Enkel Schulkinder werden, lässt häufig auch das Interesse der Großeltern nach. Die Kleinen sind dann meist eben keine leicht zugänglichen Teddy-Knuddel-Abknutsch-Liebesquellen mehr. Ab einem gewissen Alter ist Schmusen einfach uncool. Besonders, wenn die (für Eltern oft sehr anstrengende) pubertäre Phase kommt, also das wesentliche Element der Selbstentfaltung, ziehen sich die Großeltern gerne zurück.
Während zu recht die streng-autoritären Gewalt-Erziehungsmethoden unserer Eltern (Rohrstock in der Schule, Hintern versohlen etc.) heute verpönt und als Kindeswohlgefährdung gebrandmarkt werden, so ist das Laissez-faire Modell aber auch nicht sinnvoll. Wer seine Kinder und Enkel wie Götter behandelt, ihnen jeden Wunsch erfüllt und keine angemessenen Grenzen setzen kann und will, der erzieht sich kleine Diktatoren heran. Und zwar selbstverschuldet, dafür ist weder die Kita, die Schule, noch sonst wer für verantwortlich. Und leider spielen hier die Großeltern oft eine sehr unrühmliche Rolle.
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Eine Zusammenfassung der ersten zehn Teile der Kinderserie ist auf www.zeitgeistlos.de zu finden. Alle bisherigen 32 Folgen können im ZG-Blog in der Rubrik Kindheit gefunden werden. Eine Auswahl bisheriger Teile:
» Folge 27: Kontaktabbruch
» Folge 22: Umerziehung
» Folge 16: Kindergarten
» Folge 1: Kinderfeindlichkeit
Guter Artikel. Ich glaube, dass die großelterischen Verwöhnorgien auch mit dem Bild, was Frau von sich denkt, zu tun hat. Frauen waren früher und sehr viel länger noch in der alten Bundesrepublik vor allem Hausfrauen und für die Kindererziehung zuständig. Als die Kinder aus den Haus gingen, tat sich ein riesengroßes Emotionsloch für die Frauen auf. Mein Mann und ich waren glücklich, als das Kind aus dem Haus war und eine eigene Familie gründete. Jetzt konnten wir, da nun auch Deutschland vereint war, unseren Interessen nachkommen, da wir junge Eltern und Großeltern waren. Was die Juniorfamilie mit ihren Kindern machte, da haben wir uns ganz galant ausgeklammert, auch wenn wir es nicht gut fanden. Die junge Familie musste damit klarkommen. Wir nicht. Ich sehe es auch nicht ein, Enkeln alles vorne und hinten hineinzustopfen. Warum auch. Wir sind nicht für die Kinder unserer Juniorfamilie zuständig. Das wir ihnen finanziell unter die Arme greifen, wenn sie größere Anschaffungen haben oder auch ein paar Tage in den Urlaub fahren, ist für uns Solidarität. Wenn sie Rat wollen, sollen sie kommen. Auch mir ist es aufgefallen, dass Senioren im öffentlichen Nahverkehr Luft sind. Ich habe Zuvorkommenheit bisher nur von Menschen mit ausländischen Wurzeln (vornehmlich islamischen) in Deutschland kennengelernt sowie bei Reisen in islamische Länder. So, dass es mir sogar peinlich war, weil man Zuvorkommenheit in Deutschland nicht mehr kennt.