Viele Eltern in Deutschland setzen sich selbst, und besonders ihre Kinder, nicht nur wegen der beruflichen Zukunft unter Druck, sondern auch wegen ihrer eigenen Ängste und dem Anspruch, die perfekten Eltern sein zu wollen. Gierig saugen sie alle Erziehungsratgeber auf und beglücken ihre Umwelt ungefragt mit Ratschlägen, wie man mit Kindern umzugehen habe. Wann und in welcher Form man konsequent sein darf, welche Medien pädagogisch wertvoll seien und wie man sein Kind am besten ernähren solle. Doch je unreflektierter der eigene Perfektionismus hierbei ist, desto weiter entfernen sich die Eltern von der Ebene des Kindes. Einige Beispiele.
Da gibt es beispielsweise Eltern, die sich regelmäßig vor der eigenen Verwandtschaft, den Freunden und der Familie sowie auf Facebook, als harmonische Vorzeige-Familie inszenieren. Jegliches »wild sein« oder »toben« der Kinder (besonders von Jungen), wird schnell unterdrückt, denn es könnte ja sein, dass die Verwandtschaft einen falschen Eindruck bekommen oder die Kinder aggressiv werden könnten. Sie haben sich bis ins Detail bei Familienbesuchen so zu verhalten, wie die Eltern es vorschreiben. Einen »Freiraum« haben die Kleinen hier kaum. Bei Gesprächen über die eigenen Kinder wird stets nur über positive Verhaltensweisen gesprochen, Kritik- und Konfliktthemen tauchen eher selten auf.
Oder es gibt die dogmatischen Bio‑, Öko- oder Vegetarier-Besser-Esser-Eltern, die ihre Kinder schon im Kleinkindalter indoktrinieren. Da wollen dann Fünfjährige im Kindergarten auf einmal nur noch Bio-Brot essen oder verweigern Fleisch. Natürlich nur, weil die Kleinen das komplett alleine entschieden und mit fünf Jahren schon den ökologisch-politisch-wirtschaftlichen Zusammenhang erkannt haben. Die Eltern haben es ihnen nicht eingeimpft, dass wer sich Bio und/oder vegan ernährt, einfach der bessere Mensch sei. Natürlich nicht.
Manche Eltern sind beispielsweise so voller Perfektionismus-Ängste, sodass sie ihren Kindern fast alles verbieten. Sie dürfen weder ein Klettergerüst bis nach oben klettern (sie könnten ja herunter fallen und/oder sich das Genick brechen), sie dürfen nicht mit fremden Menschen sprechen (besonders Männer sind hier potentiell alle Kinderschänder), sie müssen unter Androhung ständig Wasser trinken (sie könnten dehydrieren) oder sie dürfen an jedem Wochentag entweder einen Sport‑, Musik‑, Sprach- und/oder Nachhilfekurs (zwangs-)besuchen. Schließlich könnte das eigene Kind im Vergleich zu anderen Kindern ja in der Leistung hinterherhinken.
Fast am Schlimmsten sind dann die Erziehungsberechtigten, welche ihre Kinder in ein sehr engmaschiges, dogmatisches und starres Werte‑, Moral- und Verhaltensnetz einwickeln. Es ist richtig und wichtig, seinen Kindern ein entsprechendes Sozialverhalten, Empathie und Werte beizubringen. Es erstickt Kinder jedoch, wenn jede Äußerung, jedes Spiel und jede Verhaltensweise der Kleinen daraufhin überprüft und kontrolliert wird. Es gibt Eltern die dann so stockernst, streng und humorlos werden, sodass Kinder nur noch wenig Freude in ihrer Kindheit haben.
Nicht wenige Eltern sind von sich, ihrer Lebensweise und ihren Erziehungsmethoden derart überzeugt, sodass sich jegliche Zusammenarbeit mit ihnen als eher schwierig gestaltet. Für auffälliges und/oder ungewöhnliches Verhalten ihrer Kinder können dann eigentlich nur die Kita, die Erzieher bzw. die anderen Kinder oder die Schule bzw. der Lehrer verantwortlich sein. Man selbst will doch immer nur das Beste für seine Kinder.
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Eine Zusammenfassung der ersten zehn Teile der Kinderserie ist auf www.zeitgeistlos.de zu finden. Alle bisherigen 31 Folgen können im ZG-Blog in der Rubrik Kindheit gefunden werden.
Dazu gibt es auch ein schönes Beispiel von extra3.
Hey!
»Oder es gibt die dogmatischen Bio‑, Öko– oder Vegetarier-Besser-Esser-Eltern, die ihre Kinder schon im Kleinkindalter indoktrinieren.«
Ich denke, es geht hier nicht um »indoktrinieren«, sondern darum, den Kindern auzuzeigen, woher das Fleisch und die Wurst, der Fisch kommt.
Das für den Kosum Lebewesen getötet werden, darum geht es.
Kein Kind möchte Tiere essen und raffen den Zusammenhang natürlich nicht, zwischen einer Scheibe Wurst und dem Kälbchen. Wenn man es ihnen aber aufzeigt, das es so ist, reagieren viele mit Ekel und Unverständnis. Die meisten Eltern verschweigen diese Tatsache aber und lassen das Thema unter den Tisch fallen.
Ich habe mit meiner Frau unsere beiden Kindern komplett Biovegan »erzogen«. Beide sind jetzt sechs Jahre alt und gehen ganz selbstverständlich damit um. Locker, könnte man es auch beschreiben.Wir kommunizieren viel über dieses Thema. Ich finde es enorm wichtig, das die Kinder nicht in der Fleisch & Milch »Matrix« aufwachsen und die Ausbeutung von Lebewesen für selbstverständlich halten. Ich bin auch immer wieder überrascht, so auch hier, mit was für einem herablassenden Ton darüber geschrieben wird. Ich bin weder reich, noch ein »Besser — Esser«, aber die Ernährung ist ein großer Schritt, sich aus diesem System Schritt für schritt unabhängiger zu machen. Die Konzerne nicht mehr zu unterstützen, die Fleischindustrie, die den gesamten Planeten zerstört, links liegen zu lassen und »bewußter«, denn darum geht es, mit den Resourcen umzugehen. Darum lebe ich nicht besser, sondern »bewußter«.
Denn warum haben Kinder Katzen und Hunde so lieb, essen aber Rinder und Schweine? Antrainiert, von Anfang an.
Denn es gibt keinen Unterschied zwischen Lebewesen.
@Daniel Schwitt
In welchem Bio‑, Öko- oder Veganhaushalt würden die Eltern es ernsthaft akzeptieren, tolerieren oder respektieren, wenn die eigenen Kinder (vielleicht sogar gerne) Fleisch essen wollen würden?
Natürlich lernen die Kinder ziemlich schnell, dass die Salami auf dem Teller mal ein Tier war. Und ich würde auch nicht behaupten, dass Eltern lügen oder es verschweigen, wenn die eigenen Kinder danach fragen. Der Schritt von der Erkenntnis zur veganen Ernährung, machen Kleinkinder aber nicht aus dem Wissen heraus alleine. Das drücken die Eltern den Kindern schon auf. Keine dogmatischen Veganer-Eltern würden es jemals akzeptieren oder tolerieren, wenn die eigenen (Klein-)Kinder gerne Fleisch essen wollen würden. Erzähl mir keine Märchen.
Davon abgesehen, bin ich nicht der Überzeugung, dass eine »bewusste« oder »fleischlose« Ernährung die wirklichen Probleme unserer Erde/Welt/Gesellschaft effektiv bekämpfen kann. Das ist, in meinen Augen, nur ein Alibi-Eigenverantwortungs-Moral-Kriegsschauplatz. Solange wir ein Wirtschaftssystem haben, dass auf Ausbeutung, Krieg und endlosem Wachstum beruht, sind es eben die Bioprodukte, die für wirtschaftliches Wachstum sorgen, aber im Grunde nichts verändern. Aber Ihr dürft gerne an der Illusion festhalten, dass Bio, regional, Nachhaltigkeit etc. die Welt besser machen würden. Die Bio-Unternehmen freuen sich.
Und nebenbei: auch ich esse höchstens einmal die Woche Fleisch. Ich mache darum aber kein Terz, rede nicht ständig und überall darüber und fühle mich auch nicht als Besser-Esser. Mein Wohlbefinden ist einfach besser, weil ich weniger furzen muss ;)
Hypochondrie. Formales Kennzeichen: Überbewertung. Kinder wachsen all zu oft in Überbewertungssystemen auf. Zu viele Elemente werden in diesen Systemen überbewertet. Du zählst ja schon viele Beispiele auf. Es sind Überbewertungsphänomene. Wenn man heute den Prozess der Kindesaufzucht anschaut, muß man zuallererst völlig ins Staunen geraten angesichts der Tatsache, dass es die Menschheit bis heute gsschafft hat, sich zu reproduzieren. Im Grunde müßte die erste Menschengeneration bereits ausgestorben sein angesichts der Ermangelung hypochondrischer Erziehung.
Unter anderem ist dies wohl auch eine Folge der Narzissisierung der Individuen. Jedes vernehmbare Regung im Innenleben wird zur Schicksalsfrage, jeder Lustimpuls zum unbedingten Trieb und die Phantasie ist dauerhaft damit zu beschäftigt, im Innenleben Raum zu gewinnen für neue Narzissisierung. Hast du schon mal das probiert? Was könnte ich mal probieren? Man muß dies nicht bedingungslos ablehnen, nur die Problematik wächst, da diese Ausstaffierungen des Innenlebens großteils an Konsumakte gebunden sind respektive den vorhergehenden Lohnarbeitskaskaden. Konsum und Arbeit, die Ausstaffierungsprinzipien des Innenlebens. Dass dies auf die Kinder abfärbt, braucht niemand zu wundern. Die übersteigerten Überzeugungen in belanglosen Sachen werden unreflektiert auf die Kinder projiziert: das Kind bekommt nur diese und nicht jene Marke, wir gehen auf Nummer sicher und kaufen nur das hier und nicht dieses dort. Das Kind soll diesen und nicht jenen Geschmack haben. Denn unser Geschmack ist auch der beste. Die horrible Arbeitswelt ist daneben Anlass absonderlicher Planungen für die Sprösslinge. Was Vati nicht geschafft hat, muss das Kind schaffen. Das kennt schon jeder. Selbstsicher quasseln Eltern oft: ich will dass man Kind mal das und jenes macht. Oder: ich schicke es jetzt schon dort hin, damit es später einmal das und jenes machen kann. Offensichtlich baut man kollektiv am erfolgreichen Marktheld. Wie die Hamster, jeder in seiner Höhle mit seinem Nachwuchs. Das eigene Kind soll der Triumphator über alle anderen werden. Ein Multitalent, ein Alleswisser und Alleskönner der mit großen Ellbogen und stets instrumentell und strategisch denkend voranpirscht, dem die Vorplanungen der Eltern einmal eine fette Geldtasche einbringen sollen und ermöglichen fern aller sozialökonomischen Tümpel existieren zu können. Eine Premiumexistenz soll erbaut werden für den Sprössling.
Die perfekten Eltern werden den Nachwuchs immer anschieben. Damit er keine Umwege machen muss und direkt ins Heil gelangt. Nein, da nicht, Nein Jonathan, nicht auf die Stiege. Komm gehen wir auf die Schaummatte, schau was da ist, ja was ist denn das? Das Kind kann nicht alleine sein. Nur in der Unterschicht tritt solche Verwahrlosung auf. Das Kind muß immer beaufsichtigt sein. Die Aufsicht sind die Leitplanken der Existenz. Es gibt in der Tat Eltern, die in der Unterkunft sämtliche Ecken mit Schaumstoff abkleben, sobald der Nachwuchs erste Schritte versucht. Er könnte ja mit dem Kopf wo anrennen. Selbstredend Spielzeug anschaffen aus Bioholz mit Biofarbe. Nein, Rashid-Ron schreit, hörst du! Ich geh ma gleich schauen. Ach lass den mal, sagt Opa Ernst, der hört schon wieder auf. Nein, nein, das geht nicht, ich schau jetzt mal, was er hat. Das geht so nicht. Opa Ernst schüttelt den Kopf: was ihr auch immer habt, lasst den Kleinen mal. Ihr müßt ihn doch nicht dauernd bemuttern. Nein, Vater, rede uns da nicht drein. Heute macht man das so, wir kümmern uns halt um Rashid-Ron. Der Anne ist das wichtig und mir auch, ja.
Ist es nicht so, dass ALLE Eltern ihre moralischen Überzeugungen und sonstigen Werte mehr oder weniger an ihre Kinder weitergeben?
@Melanie
Völlig richtig! Das relativiert aber nicht den Grad des Dogmatismus, den Kontrollwahn und den pädagogischen Würgegriff, den manche Eltern dabei gegenüber ihren Kindern an den Tag legen ;)