Der Gratis-Schwindel

gratis_titelIst man noch relativ jung, sagen wir, so unter 10 Jahren, spielt das Thema Geld nicht zwingend die Hauptrolle im Alltag. Familie, Freundschaften, gemeinsame Spiele und Unternehmungen, Schule und Hobbys sind meist deutlich wichtiger. Mit zunehmendem Alter ändert sich das radikal. Partys, Kino- und Restaurantbesuche im Jugendalter erfordern Kohle. Sobald man das Elternhaus verlassen hat, sieht man dann das Leben vor lauter Kosten nicht mehr: Miete, Strom und Gas, Lebensmittel, Telefon und Internet, Kleidung, Kosmetik, Haushaltsgeräte und Möbel, Versicherungen, Bus- und Bahnfahrkarte oder Auto, Rundfunkgebühr und so weiter. Die Geldbeschaffung wird zum zentralen Thema der eigenen Existenz. Umso verführerischer werden dann die ständigen Versprechungen von: kostenlos, gratis und umsonst.

Facebook, Google und viele Smartphone App´s werben damit, unentgeltlich zu sein. Schokoriegel-Produkte geben einen elften Riegel kostenlos dazu. Nutella wirbt mit 100 Gramm gratis mehr pro Glas. Die digitale Spiele-Vertriebsplattform »steam« behauptet: »Melden Sie sich ganz einfach kostenlos an.« Auch viele Zeitschriften und Magazine werben mit Gratis-Beilagen, sofern man ein Abonnement abgeschlossen hat. Newsletter und Kataloge darf man sich unentgeltlich zuschicken lassen. Zudem gibt es eine ganze Reihe kostenloser Programme und Tools. Auch gibt es immer mehr Events und Veranstaltungen, für die man keinen Eintritt bezahlen muss, wie beispielsweise gratis-in-berlin.de veranschaulicht.

Kommen Unternehmen also nur der Gratismentalität und dem »Geiz ist geil – Denken« nach? Wissen sie um die immer größer werdende finanzielle Armut der Menschen und zeigen hier Mitgefühl? Und wie machen Unternehmen dann überhaupt noch Gewinn?

Heuchelei. Verlogenheit. Täuschung.
Die meisten Menschen haben sich daran gewöhnt, dass sie von der kommerziellen Propaganda, also der Werbung, belogen und betrogen werden. Werbe‑, PR- und Marketingagenturen wissen um das wenige Werbe-Vertrauen der Verbraucher und setzen zunehmend auf getarnte Reklame-Artikel (»Advertorials«) und PR-U-Boote, die gezielt Inhalte in den Massenmedien platzieren sollen. Es werden zudem riesige Summen für Marketing und Public Relation ausgegeben (in der Regel weit mehr als für die Produktentwicklung), Hypes werden initialisiert, großspurige Ankündigungen und Versprechungen gemacht. Für den Konsumenten bleibt am Ende vor allem eines: das leere Versprechen und die Lüge. So auch bei der Gratis-Formel, die uns überall um die Ohren gehauen wird.

Denn häufig hat sich nur die Währung geändert mit der man bezahlen muss. Bei Facebook, Google, Steam, Skype, den Smartphone-App´s und bei vielen anderen digitalen Produkten zahlt man vor allem mit seinen persönlichen Daten, die in einer Informations- und Wissensgesellschaft in der Regel auch deutlich mehr wert sind, als ein monetärer Beitrag. Diese Daten werden von den Anbietern dann wiederum gewinnträchtig verwendet oder verkauft. Ganz abgesehen davon, dass die Bezeichnung »gratis« oft nur ein Köderadjektiv ist. Denn wer einmal in einer Gratis-Veranstaltung gelandet oder sich ein Gratis-Tool beziehungsweise ein »Free to Play-Spiel« heruntergeladen hat, wird durch allerlei Hintertürchen schnell die gierige Hand zu spüren bekommen, die ständig an der eigenen Brieftasche fummelt.

Nichts ist umsonst
In einem kapitalistischen Verwertungssystem ‑in dem alles und jeder zu Geld gemacht wird, in dem weder die Geburt noch der Tod kostenlos sind- gibt es rein gar nichts ohne Bezahlung. Auch dass die eigenen Daten heute eine gängige Währung sind, ist immer noch nicht bei allen angekommen. Stattdessen freuen sich die Smartphone-Junkies über jede »kostenlose« Anwendungssoftware und beschweren sich zugleich über die immer stärker werdende Zunahme von personalisierter Werbung und Daten-Überwachung. Denn wer heute seine IP-Adresse verschleiern oder sich nicht bei Facebook oder WhatsApp anmelden will, gilt nicht nur in den Augen der Behörden als verdächtig, sondern auch im sozialen Umfeld schnell als exotischer Kauz.

6 Gedanken zu “Der Gratis-Schwindel

  1. Super beschrieben. Die ständig verdruckste Tatsache, dass eine gigantische Werbewelt zur realen und auch immer mehr verinnerlichten Welt geworden ist, kann man gar nicht oft genug auf den Punkt bringen. Vielen wird bei endlosen Gesprächen an Schreibtischen, in U‑Bahnen, beim Kochen, — über dieses oder jene Highlight der Werbung, gar nicht mehr bewusst, — was sie da eigentlich tun.

    Zum exotischen Kauz, würde ich übrigens auch den Comic-liebenden Sonderling zählen. Nicht weil er Comics mag, — sondern weil er sich das »Kindskopf« von Leuten anhören muss, die gerade mal eben, und dies ohne jeden Kommentar, vier Werbeunterbrechungen in einem Film angesehen haben, gegen die jeder Comic geradezu als Schulhefte taugen könnte. Smarties schei.... Giraffen mit blöde grinsenden Rastafaries, gehören da wahrscheinlich noch zu den Ergüssen, die sich selber anscheinend witzig finden.

  2. Die Macht der Werbung mag auch darauf beruhen, dass nicht wenige Menschen sich für immun halten, was die Einflüsterungen der Branche angeht und glauben, sie blickten schon durch, wenn sie übers Ohr hauen will — und laden sich die nächste kostenlose App runter (fürs Protokoll: Ich behaupte nicht, frei davon zu sein!).

    Ach ja, zum Thema umsonst vs. kostenlos gäbe es noch diesen Klassiker:
    *klick*

  3. Vor Jahren hatte ich in einem Kaufhaus eine Art Déjà-vu-Erlebnis, als ich im oberen Bereich einer dekorierten Wand deutlich die Worte:
    »Kostenlos, zu fairen Konditionen!« gewahrte.
    Als ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal in die Richtung sah, war die Schrift bzw. der Spruch verschwunden.
    In Zeiten überbordender Gratis-Angebote müsste die Botschaft nur marginal erweitert werden:
    »Kostenlos, zu unfairen Konditionen!«

  4. Nachtrag: Auf kress.de wird Kai Diekmann (Chefredakteur der BILD) mit den Worten zitiert: »Daten sind das neue Öl« . Wir werden alle irgendwann unsere Rechnung dafür bekommen, unsere Daten leichtfertig verschenkt zu haben.

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