Vor einiger Zeit habe ich einen Artikel mit dem Titel »Alles ist Meinung« verfasst. Meine Intention war nicht, einer anständigen Recherche oder der Bemühung um Sachlichkeit das Wort zu reden, sondern darauf hinzuweisen, dass Wertung und Weltanschauung in faktisch jedem Text enthalten sind.
Es mag banal klingen, wenn man sich jedoch die täglichen Artikel, Debatten und Formulierungen in den Massenmedien anschaut, dann wird exakt zwischen Artikel und Meinungsbeitrag bzw. der Kolumne getrennt. In vermeintlichen Sachbeiträgen, Polit-Talks und Interviews wird Politikern Polemik und Populismus vorgeworfen. Blogs gelten als Meinungsmedien während die großen Tageszeitungen sachliche Beiträge liefern würden. Studien, Umfragen, Statistiken und Forschungsergebnisse werden als »neutrale Argumente« instrumentalisiert und sollen die Objektivität der Berichterstattung unterstreichen helfen. Dies alles trägt dazu bei, den Glauben aufrecht zu erhalten, es gebe eine scharfe Trennlinie zwischen Meinung, Sachbeitrag und Fakten.
Jeder hat heutzutage eine Meinung, oft ohne einen eigenen Denkprozess dahinter. Ansichten werden aus den Massenmedien, der Schule, der Ausbildung, der Universität, aus Büchern und aus dem Berufsleben übernommen. Meinung ist eine Art Franchise, eine Marke, die verkauft wird und die eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einer Idee symbolisieren soll. Die eigene Meinung wird als ein ganz persönlicher Besitz betrachtet, den niemand stehlen kann. Wie intensiv man sich dabei mit einem Thema auseinandergesetzt hat, ist oft weniger wichtig.
Der Wissenschaft, als vermeintlicher Hort der Sachlichkeit, der Wertneutralität und Objektivität, kann wohl nur selten vorgeworfen werden, sie hätte sich mit einem Thema nicht intensiv genug auseinandergesetzt. Zumindest im Vergleich zu einem Journalisten, einem Blogger oder einem Stammtisch-Gesellen. In der Wissenschaft werden umfangreiche Studien in Auftrag (!) gegeben, Drittmittel eingeworben und anschließend öffentlichkeitswirksam die Ergebnisse präsentiert. Gerne werden diese Forschungen von Politikern, Journalisten und Ökonomen dazu verwendet, ihre eigenen Theorien und Ansichten zu unterstreichen. Nun könnte man behaupten, dies liege ja nicht in der Verantwortung der Wissenschaft, für bestimmte Ideologien instrumentalisiert zu werden, denn sie wollen ja nur der Wahrheit dienen. Vergessen wird hierbei, dass Forschungsinstitute und Forschungsaufträge von Banken, Unternehmen, Gewerkschaften, Parteien, Stiftungen usw. mit- oder sogar komplett finanziert werden. Oft sagen z.B. Gewerkschaftsstudien genau das Gegenteil von Forschungen, die aus arbeitgebernahen Instituten kommen (Beispiel: Mindestlohn). Von einer Wertneutralität wissenschaftlicher Ergebnisse kann also nur selten die Rede sein.
»Der eine ist links, der andere ist rechts. Aber vergleichbare Populisten sind Lafontaine und Le Pen schon«
- Altkanzler Helmut Schmidt vom 14. September 2008 in der Frankfurter Rundschau
Absurd wird der bigotte Versuch, sich wertfrei zu etikettieren, bei dem Vorwurf der Polemik oder des Populismus. Populismus bezeichnet eine Politik bzw. eine Rede oder einen Text, der sich nach den Bedürfnissen des Volkes richtet. Die Gunst und das Wohlwollen der Massen soll durch das Anknüpfen an Emotionen und Vorurteilen erreicht werden. Die Polemik bezeichnet den scharfen Wettstreit, bei dem jeder nur seine Ansicht durchbringen will. Beiden Schreib- und Redensarten wird vorgeworfen, sie würden nicht sachlich argumentieren, sie seien nicht objektiv und wertfrei. Dies wiederum suggeriert, als gäbe es eine tatsächliche ideologiefreie Diskussion, Debatte oder Berichterstattung, derer man sich aus eigennützigen Gründen nur nicht bedienen würde. Zu behaupten, man sei ideologie- oder wertfrei ist jedoch schon pure Ideologie.
Jeder Journalist, jeder Chefredakteur und jeder Verlag hat Normen und Werte, richtet sich nach internen Richtlinien und dem selbst aufgestellten Leitbild (Beispiel: Axel Springer Verlag). Indem anderen Populismus, Polemik und eine einseitige Weltanschauung vorgeworfen wird, lenkt man von der eigenen Kopfschere ab. Zudem wird »die politische Mitte« immer das politisch-technokratische Konstrukt sein, das systemstabilisierend wirken soll und ist damit hochgradig ideologisch, weil herrschaftskonform.
Objektive und ideologiefreie Berichterstattung ist und bleibt ein Mythos. Die herrschende Meinung ist immer die Meinung der Herrschenden. Meinung und Fakten in den Massenmedien sind stets eng miteinander verzahnt. Artikel sind Meinung, weil die Auswahl der Zitate, der Fokus der Berichterstattung und die Selektion der Studien eine gezielte Wertigkeit enthalten. Reportagen sind Meinung, weil die Auswahl der Bilder und die Beschreibung des Gesehenen den Normen des Journalisten entsprechen. Interviews sind Meinung, weil die Auswahl des Interviewpartners sowie die Art und Form der Fragen eine bestimmte Weltanschauung transportieren.
Dies alles wäre jedoch nicht weiter verwerflich, sondern durchaus menschlich-subjektiv, wenn man nicht ständig den bigotten Mythos von ideologiefreien Lebenswelten konstruieren und aufrecht erhalten würde.
EDIT: Die aktuelle Berichterstattung über den Tod von Hugo Chavez zeigt deutlich, wie wertend die deutschen Leitmedien sind.
Der Autor hat massive Probleme mit dem Verwenden von Begriffen wie Populismus etc. und sollte erst mal seine humanistische Bildung überprüfen; Beispiel wäre das Wort »Ideologie«, vielleicht mal damit anfangen. Natürlich gibt es auch wertfreie Aussagen; nur weil man jede Aussage in einem Wertekontext stellen aber sie so aussehen lassen kann als ob sie wertfrei wäre heißt noch lange nicht, dass das allgemein gültig ist und genau so verhält es sich auch mit Untersuchungen, Studien etc.
@MacPaul
Ich frage mich gerade was das jetzt mit humanistischer Bildung zu tun haben soll. Und vermisse auch ein wenig aequevalente eigene Untermauerungen etwaiger Kritik außerhalb des populistischen »überprüfe mal deine Bildung«. Wenn du dir das Zitat von Hellmut Schmidt nochmals durch liest, wird dir vielleicht was dämmern.
Technokratische Ideologien, die bis tief hinein in selbst noch die Doppelmoral humanistischer Gymnasien reichen, können dem zudem kaum noch gerecht werden. Ich sehe den Text innerhalb des herrschenden Meinungsbildes einer Ideologie, aber darüber schreibend. (Subjektiv-objektiv von innen darüber, — nicht kalt objektiv technokratisch von außen darüber. Eine schöne Art)
Und die Anzahl der zumindest soziologischen Studien (Bertelsmann, Insm, Cap, Shell .... ) des letzten Jahrzehnts lassen in ihrer Quantität, (und leider auch Qualität), absolut den Schluss zu, dass man dies erst mal so richtig in Frage stellen sollte, bevor man wieder relativiert, — weil es natürlich nicht überall so ist. In der momentan ideologisierten Mitte, herrscht zudem auch das politisch forcierte Stimmungsbild einer Ideologielosen Mitte der Objektivität. Und das kritisiert hier Epikur nun mal, weil es einfach nicht stimmt. Ideologielosigkeit generell, sehe ich durchaus als Möglichkeit an, — - eben mittels Humanismus. Menschen beruhen de facto auf keiner Idee, — sondern sind pure Existenz, — die mit der Unmöglichkeit der absoluten Objektivität überhaupt erst mal wieder erneut umzugehen zu lernen haben. Diese viel gepriesene Objektivität, wird nämlich auch an bundesdeutschen humanistischen Gymnasien, vollkommen, — und zudem technokratisch über-rhetorisiert. Auch das gilt es zu kritisieren, um ein wahres »humanes« Bild von Menschen überhaupt erst mal wieder erlangen zu können. Humanismus selber, muss sich natürlich ebenfalls einige Begradigungen gefallen lassen, wenn er sich selber gerecht werden will. Dies beträfe z.B. die Universitalität des Menschen. Aber daran kann man arbeiten. Ideologien dagegen, — bearbeiten einen. Medial, — wissenschaftlich, — propagandistisch.
›Natürlich gibt es auch wertfreie Aussagen‹. Dies ist zweifellos einer der großen Mythen des Abendlandes. Relikt der Metaphysik und jene, die meinen, sich von ihr abzustoßen mit einer neuen, gar noch aus einer Evidenzorientierung entspringenden Wertfreiheit, denen ermangelt es ganz offensichtlich an Konsequenz im Denken.
Häufig wird Wertfreiheit auch einfach mit Inhibition einer Wirkung oder Handlung verwechselt bzw. dem Verharren vor den potentiellen, dann wertgeladenen Folgen (Wirkungen, Handlungen, Urteilen, Schlüssen). Aber es ist auch ein jeder Sprechakt eine Handlung, auch wenn die Wirkung nicht so gut sichtbar ist wie ein Schlag oder eine Atombombe.
Es kommt immer darauf an, wieweit man die Bezugsradien zu ziehen vermag und will. Schaut man aber, wie weit sie sich ziehen lassen, wird man wenig Wertfreies ersehen.