Der soziale Sektor bzw. der ehrenamtliche Bereich in Deutschland, ist ein Dschungel von Tausenden Projekten, Förderstellen und Sponsoren. Es gibt Projekte für Integration, Kinder- und Tierpatenschaften, Umweltschutz, Inklusion, Aidsaufklärung- und Prävention, Bildung, Engagement für mehr Toleranz, gegen Ausgrenzung, Diskriminierung, Rassismus und viele mehr. In der Regel handelt es sich nur um zeitlich befristete Projektförderung mit Leuchtturmprinzip, statt um eine echte Infrastrukturförderung. Politik und Wirtschaft unterstützen soziale Projekte, um Sozialausgaben zu sparen und um Imagepflege zu betreiben.
Das Ehrenamt
In Europa gibt es schätzungsweise 100 Millionen Freiwillige, die unbezahlte Tätigkeiten ausführen. In Deutschland sind es ca. 20 Millionen. Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert das Ehrenamt als ein unter Aufwandsentschädigung nebenberuflich wahrgenommenes öffentliches Amt, wozu der Bürger gesetzlich verpflichtet werden kann. Die Aktion Mensch hat in ihrer Freiwilligendatenbank über 10.000 Stellen für Ehrenamtliche gesammelt. Als Ersatz für den ausgesetzten Zivilidienst wurde 2011 der Bundesfreiwilligendienst eingeführt. Dort kann man sich für 6 bis 24 Monaten verpflichten, im sozialen, ökologischen oder im kulturellen Bereich tätig zu werden. Bezahlt wird ein Taschengeld bis maximal 330 Euro pro Monat. Seit dem Februar 2012 gibt es 35.000 sogenannte »Bundesfreiwillige«. Deutschlandweit gibt es tausende Projekte, Initiativen, Vereine und Institutionen, die freiwillige Tätigkeiten anbieten.
Engagiert im Alter:
Sozialökonomie
Der Neoliberalismus hat den sozialen Sektor zunehmend vergiftet. Als allumfassende Ideologie baut er nicht nur die Arbeitswelt, den Bildungs- und Kulturbereich sowie die Sprache nach seinen Vorstellungen um, sondern auch den sozialen Sektor. Hier gibt es Begriffe wie: das Sozialmanagement, Sozial-Franchising, Sozial-Unternehmer (Social Entrepreneurship), Corporate Citizenships, Fundraising, Private Public Partnerships (PPP), Sozialmarketing und so weiter. Behinderte Menschen (lohn)arbeiten in Werkstätten und Obdachlose verkaufen Straßenzeitungen. Es geht um die Förderung von Pragmatismus, Technokratie und Marktgläubigkeit.
Auch wenn viele Ehrenamtliche mit Herz und Liebe bei der Arbeit sind und sie dem Menschen dienen wollen, so werden sie doch zunehmend von Geldgebern, Sponsoren und Förderern in ein marktkonformes Korsett gequetscht. Auf Dauer widersprechen und beißen sich jedoch privatwirtschaftliche Ideale des Leistungsgedanken, des Wettbewerbs, der Konkurrenz, des Eigennutzes und des Profitstrebens mit dem sozialen Gedanken der Integration und Inklusion, der Solidarität, der Gemeinnützigkeit, der demokratischen Teilhabe und der Empathie.
Die Wirtschaft ist nicht mehr in die sozialen Beziehungen eingebettet, sondern die sozialen Beziehungen sind in das Wirtschaftssystem eingebettet.
- Robert Kurz, »Vater Staat und Mutter Krieg: Die Geburt des Geldes«, Blätter Ausgabe September 2012, S. 109
In Zeiten der digitalen Aufklärung, in der Affären, Skandale, Betrügereien und Korruptionen von Unternehmen schneller auffliegen, wird die Image-Pflege, also das »Corporate Social Responsibility« (Kurz: CSR) von Unternehmen immer wichtiger. In dem man soziale Projekte finanziell unterstützt und laut darüber spricht, möchte man der eigenen Firma ein soziales Gesicht verleihen.
Wie bigott das werden kann, erkennt man an Konzernen wie der Deutschen Bank oder der Allianz-Versicherung. Sie unterstützen großzügig Projekte gegen beispielsweise Armut, Depressionen oder Ausgrenzung. Phänomene — welche Banken und Konzerne durch Massenentlassungen, durch Politikberatung und ihren Einfluss auf die Sozialgesetzgebung, durch die Unterstützung von neoliberalen Denkfabriken (wie der INSM), der Förderung von prekären Beschäftigungsformen, befristeten Arbeitsverträgen, Leistungsdruck, der Beteiligung an der Wirtschaftskrise, postkoloniales Unternehmerhandeln und so weiter — mit begünstigt oder gar mit verursacht haben.
Fazit
Unter der rot-grünen Schröder-Regierung, und auch jetzt unter der schwarz-gelben Merkel-Regierung, wurde und wird radikaler Sozialabbau betrieben. Viele soziale Projekte werden eingestampft, Fördergelder gekürzt oder gestrichen. Armut wird per Gesetz verordnet (ALG 2 und neue Rentenformel), Mini-Jobs, sog. »Aufstocker«, Leiharbeit, Praktikas und Ein-Euro-Jobs werden großflächig befürwortet und der gesetzliche Mindestlohn wird weiterhin abgelehnt. Unternehmen bauen Arbeitsplätze ab und verlagern ihre Produktionen in Billig-Lohnländer, stellen massenhaft Mini-Jobber und Praktikanten ein und sind kaum noch bereit sozialversicherungspflichtige Stellen zu schaffen, von der Menschen in Würde leben können. Banken verschleudern Hunderte Milliarden Euro und verstaatlichen ihre Verluste, für die dann die europäischen Steuerzahler in Form von Kürzungen, Einsparungen, Steuererhöhungen und so weiter aufkommen müssen.
Die gleichen Akteure, die für all das mit verantwortlich sind, präsentieren sich als Schirmherren und/oder Sponsoren von sozialen Projekten, Integrationspreisen sowie Förderwettbewerben und klopfen sich, wegen ihrer Menschenfreundlichkeit, gegenseitig auf die Schulter. Die sozialen Projekte dürfen sich dann, meist ehrenamtlich, mit den Folgen, der von Politik und Wirtschaft verursachten gesellschaftlichen Katastrophen, herumschlagen. Freilich nur im Mikrokosmos, denn unsere Wirtschaftsordnung darf dabei nicht angetastet werden. Sie ist und bleibt alternativlos.
Das Ehrenamt. Rumstätte der Reichen und Mächtigen. Es einer Gemeinde wurde mir einst berichtet: eine Frau adeliger Herkunft trieb isch seit Jahr und Tag niemals im Dorf herum. Sie blieb mit ihrer Familie jenseits des Gemeindelebens. Wenige hatten eine Ahnung vom Leben dieser Herrschaften. In den letzten 15 Jahren änderte sich dies jedoch. Zunächst wurde auf den eigenen Ländereien ein Golfplatz errichtet, welcher für die Ansässigen natürlich finanziell nicht barrierefrei war. Sodann wurde ein alter Schuppen zu einer rustikalen Gaststätte umgebaut, in welcher man als einer der ersten kostenorientiert wirtschaftete: nur Mitarbeiter aus Osteuropa und dass die Überstunden nicht entlohnt wurden, sprach sich alsbald im Dorf herum. Die neue Verstrickung in das Dorfleben wuchs weiter. Nebst dem alten Grafen und dem Sohnemann, der gut geschult aus den schweizer Bildungsjahren zurückgekehrt war, wurde auch die Gräfin wurde alsbald umtriebig und zwar durch Aktivierung eines alten Bundes: im Pfarrgemeinderat. Hier wurde sie zum leuchtenden Stern durch ihre Vorliebe für ehrenamtliche Tätigkeiten. Im fünften Jahr stand sie dem Rat schon vor. Sie gerierte Medienpräsenz, sie war als Vertreterin des Pfarrgemeinderates fortan bei den meisten dörflichen Veranstaltungen präsent, bekam eine Kolumne im Gemeindeblatt, sprach vor zur Bedeutung des Ehrenamtes und monierte den laschen Vollzug desselben im Dorf.
@flavo
Dem Kommentar kann man wirklich nur schwer folgen, irgendwie wirr. :mad:
@Andreas
Seh ich nicht so. Wenn man sich rein denkt, ist das die perfekte Beschreibung aus dem Leben der Doppelmoral eines Gemeindelebens, welches sich der Mammon greift. Ein gutes Stimmungsbild, — wie es geschieht.
Ein weiteres Beispiel für die unheilvolle Symbiose zwischen Marktwirtschaft und sozialem Sektor:
Warum kann man den Armen, Ausgegrenzten, Hungernden und Notleidenden nicht aus Nächstenliebe helfen?