»Letztlich wirkt ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital politisierend und schafft so eine lebendige Demokratie«.
-Mohssen Massarrat, »Der Skandal der Massenarbeitslosigkeit«, Blätter, Ausgabe Oktober 2013, S. 33
Anmerkung: Wann hat es das je gegeben? Ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis? Große Teile der politischen Linken glauben nach wie vor daran, den Kapitalismus im Sinne der sozialen Gerechtigkeit zähmen zu können. Auch lange vor dem Fall der Mauer und in den sog. goldenen Jahren von Willy Brandt gab es vielleicht für die Bevölkerung ein paar Brotkrumen mehr, dass alles hat aber nie etwas am »Idiotenspiel« (Hartmut Rosa) vom endlosen Wachstums, der Profitorientierung sowie an der ungerechten Verteilung vom gesellschaftlichen Eigentum etwas geändert. Der Kapitalismus ist nicht zu zähmen, man kann ihn nur überwinden.
»Der Kapitalismus ist nicht zu zähmen, man kann ihn nur überwinden.«
Wie ist die große Frage. Ich habe bisher noch keine guten realistischen Konzepte gehört oder gelesen. Das ist das Problem. Erst wenn man von den romantischen Utopien wegkommt und Alternativen anbietet, kann man gegen das herrschende System kämpfen.
@chriwi
Das große Problem ist doch, dass alle Alternativen als romantische, unrealistische und nicht umsetzbare Utopien diffamiert werden. Und das von allen politischen Lagern.
Lebenslügen trifft es ganz gut. ;) Den »Markt« oder den Kapitalismus wird man jedoch wahrscheinlich niemals vollständig überwinden können (weil es Märkte und eine Form von Geld immer oder jedenfalls noch seeeehr lange geben wird) — und ich persönlich wäre wie viele andere auch über »ein paar (rechtliche oder materielle) Brotkrumen« heute schon mehr als froh... es sagt sich leichter daher als es ist. Oder hat man nix dagegen Menschen leiden zu lassen, wenn es einem irgendwie politisch nützt...? Bei vielen Linken darf es ja irgendwie der Logik nach keine punktuellen Verbesserungen geben — es muss immer gleich die große Revolution sein, mit kleinen Sachen gibt man sich halt nicht zufrieden; drunter macht man’s nicht. ;) Ohne jedenfalls zu wissen, was genau danach eigentlich im Detail kommen soll...
Und es gibt grds. und ganz nüchtern betrachtet eben doch Möglichkeiten, das dreckige Biest zu zähmen — seine Macht und Bedeutung zu minimieren; das hat die Vergangenheit ja gezeigt und ist auch aktuell in Südamerika zu beobachten. Erlegen kann man es im Zwinger dann immer noch, sobald sich ein besseres System etablieren lässt. In Sachen Zähmung kommen wir ja in der Folge dann auch zu einem Begriffsproblem — jede Einschränkung eines ungezügelten Kapitalismus, jeder Eingriff in den »freien Markt« entspricht halt doch irgendwie dem Gegenstück, einer Form von wie auch immer geprägten »Sozialismus«. Es ist doch immer ein Nebeneinander dieser (un)reinen Lehren — und mir wäre eben grds. lieber, die letztgenannte Komponente wäre deutlich stärker ausgeprägt als derzeit.
In der Tat, das Ablehnen der Utopie hat sich in den Köpfen vieler „realistisch denkender Linker” (RDL) hierzulande genauso eingenistet wie in die der Konservativen/Wirtschaftsliberalen. Gegen die Marktevolution der Gegenseite haben die RDL nicht viel mehr anzubieten als einen bevormundenden Wohlfahrtsstaat. Wie der jedoch gegen die Macht des Kapitals reinstalliert werden soll ohne Systemkonkurrenz und den Schrecken eines Weltkrieges in den Knochen, darüber schweigen sich die RDL meist geflissentlich aus. Letztlich wirkt das Projekt „zurück zu Willy Brandts Zeiten” auf mich ebenso unrealistisch wie eine Utopie, wenn auch die Rückwärtsgewandtheit zur geistigen Vergreisung dieses Landes passt.
@chriwi: Wo liegt denn der objektive Unterschied zwischen »romantischen Utopien« und »realistischen Alternativen«? Auch die meisten der politischen Konzepten, die heute (größtenteils) umgesetzt sind, wie parlamentarische Demokratie, Liberalismus, allgemeine Menschenrechte, wurden einmal von der Mehrheit als unrealistisch, utopisch, nicht durchsetzbar weil gegen die Natur des Menschen etc. verschriehen, bis die Geschichte das Gegenteil bewiesen hat.
Jede politische Alternative erscheint als Utopie bis sie durchgesetzt wird. Das alleine ist kein Argument.
@Dennis82: Den Markt abschaffen geht natürlich nicht, so ein Blödsinn. Wer will das denn?
Es ist aber auch ein typischer Trick (oder ist es Unmwissenheit?) der Liberalen, Kapitalismus und Marktwirtschaft gleichzusetzen.
Beim Markt geht es um die Verteilung von Waren nach dem Prinzipien von Angebot und Nachfrage.
Beim Kapitalismus geht es um die Produktion von Waren, oder vielmehr die Besitzverhältnisse, unter denen sie produziert werden.
Das sind zwei unterschiedliche Sachen, die in keinen zwangsläufigen Zusammenhang stehen.
In der Geschichte gibt es genug Beispiele für einen Kapitalismus ohne Marktwirtschaft (DDR, VR China) oder eine Martkwirtschaft ohne Kapitalismus (die Hanse).
»Der Kapitalismus ist nicht zu zähmen, man kann ihn nur überwinden.«
Dem ist nichts hinzuzufügen!
@P.M.
In der DDR gab’s keinen Kapitalismus, soweit ich weiß!
Wenn ich meine BILDgebildeten Nachbarn so betrachte, fänd ich keinen anderen Weg, den Kapitalismus zu überwinden, als mit Gewalt. Leider bin ich nicht gewaltttätig. Ich hab also ein Problem. Dsugashwili hat’s auf seine Art gelöst. Dessen Art ist nicht meine, auch wenn ich manchmal denke, dass 1% Menschheitsverlust zu verkraften wäre, wenn ich nur dran denke, wieviele Prozente das Eine auf dem Gewissen hat.
In der ökonomischen Theorie des allgemeinen Gleichgewichts nach Arrow/Debreu wird der marktwirtschaftliche Idealzustand mathematisch formuliert. Die Voraussetzungen sind derart gewählt, dass eine steigende Betriebsgröße keinen Einfluss auf die Kostenstruktur von Unternehmen hat. Seit der industriellen Revolution scheinen mir aber erhebliche Zweifel an dieser und anderen Prämissen zu bestehen, die aber dennoch die Grundlage vieler weiser Sprüche von Wirtschaftswissenschaftlern darstellen. Vor dem Hintergrund der real existierenden Wirtschaftswissenschaft erscheint mir ein Gleichheitszeichen zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus deshalb durchaus angebracht.
Massarat irrt , Wohlstand schafft keine Demokratie , er ist im Idealfall Ergebnis derselben.
Zuerst kommt die Moral und dann das Fressen .
Das große Problem ist doch, dass alle Alternativen als romantische, unrealistische und nicht umsetzbare Utopien diffamiert werden. Und das von allen politischen Lagern.
So ist das. Die größten Ideologen erklären sich letztendlich immer zu Pragmatikern, Realisten, Vernünftige, — und zentrieren dann das Denken auf sich selber, ‑bzw. lassen anderen Ideen keinen Platz mehr. Und dann werden sie schlicht und einfach, — denkfaul. Das ist der Zustand, den die sogenannten Realisten am meisten lieben. Den dort, kennen sie sich aus.
Wenn ich den »ollen Marx« richtig verstanden habe, so war er ein strikter Gegner von Konzepten und Utopien für eine Zukunft nach dem Kapitalismus.
Ihm kam es wohl eher darauf an, diesen zu überwinden und darauf zu setzen, dass die Menschen in dem Sinne agieren werden, aus dem geknechteten, erniedrigten und würdelosen Menschen ein freies , selbstbestimmtes und mit all seinen Möglichkeiten entfaltendes Individium zu schaffen.
Und selbst wenn sich die Menschen nichts mehr wünschen würden als unter dem Kapitalismus weiterzuleben wie bisher, so würde ihnen das wenig nützen, weil der Kapitalismus unweigerlich an seine innere Schranke stossen werde, wenn die mehrwertschaffende Arbeitskraft immer mehr durch die wissenschaftlichen Agenzien ersetzt wird. Dan hört auch der Kapitalismus auf zu existieren und mit ihm die Lohnarbeit.
Nicht Befreiung der Arbeit, sondern Befreiung von der Arbeit hat er gefordert.
Ganz ohne Zweifel sind Forderungen nach Verbesserungen für die Lohnarbeitenden voll berechtigt.
Aber was eine Linke in erster Linie betreiben müsste ist Aufklärung über die Verhältnisse in denen wir Leben und nicht dabei stehen zu bleiben, den Kapitalismus noch einigermassen erträglich (mit)organisieren zu wollen.
Deshalb zum letzten Satz: Volle Zustimmung!
Was hilft die Demokratie, wenn das Volk (der »Souverän«) einfach zu dumm ist... Wahlen werden nicht durch mündige Bürger entschieden, sondern durch Schafe, die nachsingen, was ihnen der manipulierte »Wahlkampf« vorspielt. Und solange die Mehrzahl »Brot, Wein und Spiele« hat, ändert sich an der Politikverdrossenheit und Trägheit auch nichts!
»Dessen Art ist nicht meine, auch wenn ich manchmal denke, dass 1% Menschheitsverlust zu verkraften wäre, wenn ich nur dran denke, wieviele Prozente das Eine auf dem Gewissen hat«
Wow, krass. Da sieht man doch hübsch, welche Gedanken am Anfang z.B. von Massenmorden der Roten Khmer standen. Eine Bevölkerungsgruppe ist böse und muss leider ausgerottet werden, damit das Land genesen kann.
@epikur
»Das große Problem ist doch, dass alle Alternativen als romantische, unrealistische und nicht umsetzbare Utopien diffamiert werden. Und das von allen politischen Lagern.«
Teilweise sind sie es auch. Man will die Marktwirtschaft bändigen. Wir leben aber im Kapitalismus. Man will Zinsen verbieten, warum?
Das sind keine Alternativen. Selten hört man die Forderung nach unbedingter Transparenz der Macht, nach einer Zerschlagung von Machtkonzentrationen, nach alternativen Wahlkonzepten (nur eine Wahlperiode darf man MdB sein, oder Losverfahren statt Wahl, oder, oder). In meinen Augen ist es zielführender das aktuelle System deutlich zu verbessern, anstatt es umzuwerfen.
@pm
»Wo liegt denn der objektive Unterschied zwischen »romantischen Utopien« und »realistischen Alternativen«? «
In der Umsetzbarkeit und der Schlüssigkeit. Viele Ideen haben einen sehr esoterischen Anstrich. Vorne Weg die Zinskritiker, welche in Zinsen das Grundübel sehen und dabei nicht einmal das Geldsystem verstehen.
Die meisten Forderungen der Linken würde bedeuten, dass man gegen die Mächtigen regiert. Die Macht soll mehr oder weniger gleichmäßig verteilt werden. Das hat, wenn man sich die Geschichte ansieht, nie funktioniert. Es kam nur zu einem Austausch der Mächtigen, nicht zu deren Abschaffung.
»Auch die meisten der politischen Konzepten, die heute (größtenteils) umgesetzt sind, wie parlamentarische Demokratie, Liberalismus, allgemeine Menschenrechte, wurden einmal von der Mehrheit als unrealistisch, utopisch, nicht durchsetzbar weil gegen die Natur des Menschen etc. verschriehen, bis die Geschichte das Gegenteil bewiesen hat.«
Noch hat die Geschichte nichts bewiesen. Menschenrechte werden regelmäßig missachtet. Es ist zu hoffen, dass es nicht nur ein Ausreißer in der Geschichte ist.
»Jede politische Alternative erscheint als Utopie bis sie durchgesetzt wird. Das alleine ist kein Argument.«
Das stimmt schon. Aber wer setzt die Utopie letztenendes durch. Die Sozialgesetzgebung basiert auf Bismark, der die Interessen der Mächtigen schützen wollte. Demokratie wurde von den reichen Bürgern durchgesetzt, welche ihre eigenen Interessen wahren wollten, indem sie politischen Einfluss gewinnen.
@Franki: Doch, natürlich gab es in der DDR Kapitalismus. Nur war der Staat monopolisierter Kapitalbesitzer. Nur darauf kommt es nicht an, sondern auf die Produktionsweise. Das war ja gerade mein Argument.
@ernte23: Ich fürchte, ich verstehe deine Argumentation nicht. Weil die alten Prämissen der Wirtschaftswissenschaft überholt sind, kann man Kapitalismus und Marktwirtschaft gleichsetzen? Das ist doch blanke Logik, dass sie nicht dasselbe sind, wie ich oben beschrieben habe.
@chriwi:
>Es kam nur zu einem Austausch der Mächtigen, nicht zu deren Abschaffung.
Ich würde das Gegenteil behaupten. Schlüsselmomente für die Durchsetzung der derzeitigen Ordnung waren Französische und Amerikanische Revolution. Und die sind nicht durch einen Austausch mit den alten Mächtigen (König und so) durchgesetzt worden, im Gegenteil.
>Menschenrechte werden regelmäßig missachtet.
Klar. Aber darum geht es bei denen auch nicht. Dass wir deren Verletzung überhaupt beklagen können, dass sie als allgemeiner Standart existieren, ist schon ein gewaltiger Fortschritt. Im Mittelalter hätte kein Schwein danach gepfiffen, wie ein Staat seine Bürger behandelt. Die durften machen, was sie wollen und es gab nicht mal wirklich Möglichkeiten, das anzuklagen.
>Demokratie wurde von den reichen Bürgern durchgesetzt, welche ihre eigenen Interessen wahren wollten, indem sie politischen Einfluss gewinnen.
Stimmt, aber diese Option haben sie sich durch Revolution u.ä. mühsam erkämpfen müssen. Vorher hat ihnen all das Geld der Welt wenig gebracht, weil die gesellschaftliche Macht anhand des Geburtsstandes festgelegt war.
Ok, hätte mich klarer ausdrücken sollen. Meine Grundthese ist, dass Marktwirtschaft unter industriellen Produktionsbedingungen zwangsläufig zu ungleichen ökonomischen Machtverhältnissen, zum Kapitalismus, führen wird. Wer billiger produzieren kann, verdrängt Konkurrenten vom Markt, so dass sich meistens entweder eine monopolistische oder eine oligopolistische Marktstruktur ergibt. Außerdem gibt die gängige Managementliteratur in ihren Tips zur Unternehmensgründung gerade den Rat, möglichst eine Nische ohne Konkurrenten zu suchen. Wettbewerb schmälert den Gewinn. Die Ordoliberalen zogen daraus übrigens den Schluss, den Wettbewerb quasi staatlich zu veranstalten.
Ich frage mich, ob Menschen tatsächlich ständig auf Wettbewerb aus sind, wie das die ökonomische Theorie nahelegt, oder ob es nicht doch eher so ist, dass man ihn als Dauerzustand tunlichst zu vermeiden trachtet. Menschen, die in abgesicherten Verhältnissen leben, wie Apotheker, Ärzte etc. fordern sehr gern mehr Wettbewerb für andere, aber nicht für sich. (War in diesem Blog auch schon Thema.)
Daher kann ich das Lamento, „Ach hätten wir doch bloß echte Marktwirtschaft.”, nicht so recht verstehen.
Hm, wenn du das so formulierst, will ich dir gar nicht grundsätzlich widersprechen. Auch wenn ich das »zwangsläufig« in deinen ersten Satz so nicht unterstreichen würde. Es ist immernoch ein menschengemachter (und zum gewissen Grad auch vorsätzlicher) Prozess, auch wenn eine Verbindung zwischen den beiden schon besteht, das möchte ich gar nicht bestreiten.
Mir ging es auch mehr um diesen Umgang mit Kapitalismuskritik, der ihr eine Verteidigung der Martkwirtschaft entgegensetzt als wäre das das gleiche. In der Geschichte sind die beiden halt auch einzeln vorgekommen. Ob das jetzt anzustreben ist, ist noch einmal eine ganz andere Frage, zu der ich mich gar nicht äußern wollte.
Zwangsläufig nicht im Sinne von naturwissenschaftlich notwendig, sondern schon im Sinne einer durchökonomisierten Gesellschaft mit all ihren hässlichen Facetten, der ständigen Sorge übers Ohr gehauen zu werden usw. usf..
es ist nicht möglich alle Menschen davon zu überzeugen dass es ihnen besser ginge, wenn sie Gier, Neid und Eitelkeit aufgäben, um in einer besseren Welt leben zu können . Die Angst davor, dass es einem Anderen besser gehen könnte als einem selbst, verhindert eine sozial angemessene Gesellschaft. Die Medien tragen heute die Hauptverantwortung dafür, dass notwendige evolutionäre Anpassungschritte verhindert werden. Sie hetzten die Menschen gegeneinander auf, wo sie nur können, denn sie sind ja in der Hand des Kapitals. Ich denke das ist das Schicksal der Menschheit und ein notwendiges Umdenken wird noch Generationen von Intellektuellen beschäftigen, falls sie nicht vorzeitig aussterben.
Die Vorraussetzung für notwendige Prozesse, wären in einer
funktionierenden Demokratie gerade zu optimal.
In Deutschland erleben wir gerade, dass sie nicht funktioniert. Hier scheinen die Meisten demokratieressistent zu sein.
@kailox
Was hilft die Demokratie, wenn das Volk (der »Souverän«) einfach zu dumm ist.
Das ist Elitarismus von der anderen Seite. Das Volk ist nicht dumm. Es ist doppelmoralin, schizophren, individualistisch überegoistisch, — wie immer man dies nennen will.
@kailox
Was hilft die Demokratie, wenn das Volk (der »Souverän«) einfach zu dumm ist.
Das ist Elitarismus von der anderen Seite. Das Volk ist nicht dumm. Es ist bequem, doppelmoralin, schizophren, individualistisch überegoistisch, — wie immer man dies nennen will. Und man hat ihm beigebracht, dies individuell strategisch für sich selbst zu verwenden. In dem Rahmen, der ihm zugänglich ist.
Öhmm, — wieso kommt das Ding jetzt zweimal? Eigentlich, hatte ich nur den ursprünglichen Text über »Bearbeiten« etwas nach gebessert.
Ich finde Deutschland sollte einfach den 3. Weltkrieg anfangen. Dann haben zumindest einige noch eine Chance und die Welt wird garantiert etwas anders werden.
Die Gretchenfrage. Jedenfalls ist sie Ort gigantischer Phantasien. Welcher es gelingt, Wirkungskraft zu entfalten, ist bislang offen. Das erste Problem entsteht noch bevor man sich für eine Perspektive entschieden hat: wie ist der status quo zu verstehen? Das Verständnis des status quo kann als Voraussetzung verstanden werden, wo und wie ein Angelpunkt oder mehrere wären, die dann einer Phantasie Wirkungskraft zu erzeugen ermöglichten.
Jedenfalls ist der klassische Marxismus daran kläglich gescheitert. 100 Jahre lang hat man Phantasieblüten gezeichnet über das Proletariat und dessen Wesen, bis man am Ende darauf kam, dass es dieses Proletariat so nicht gibt. Sodann war man beleidigt, scherte in die herrschende Optik ein und vernahm fortan abfällig nur mehr Proleten. Es ist heute ein Leichtes zu sehen, dass die ganze kritische, linke usw. Theoriebildung rein gar keine Bänder zu Otto Normal mehr hat. Bei Marx schillert wenigstens noch an, dass es darum geht, dass die Betroffenen selbst etwas machen. Ein solcher Ansatz ist heute inexistent. Die heutige kapitalismuskritische Denke ist ein Strang im internationalen Debattensalon und sitzt dort gewiss nur auf einem kleinen Tischchen. Man mokkiert sich eher, dass Otto Normal nicht richtig sich verhält und stattdessen den erstbesten Rattenfängern hinter her rennt, während da doch auf dem kleinen Tischchen, die Wahrheit vorfindlich wäre.
Als Beispiel schaue man sich das Erstaunen der Intellektuellen an, auch solche die große Bücher über den Marxisten Althusser schreiben, als in Österreich der rechtsradikale Stracke so viele Stimmen bekam. Man war erstaunt und man tat Empörung kund. Hingegen berichtete ein Bekannter, welcher in den Kreisen von Otto Normal verkehrt, dass das überhaupt nicht überraschend war. Otto Normal hat die Nase voll und braucht einen Schreihals.
Es ist die Gegenwart, die man nicht kennt. Und wenn man die nicht kennt, was will man dann erwarten? Natürlich nichts. Aber um der intellektuellen Schaumschlägerei willen erwartet man freilich die Revolution. Es macht sich gut im Debattensalon, wenn man die Revolution erblickt hat und theoretisch begründet.
Es mag schon sein, dass der Brotkrumen für Otto Normal keine Revolution ist, die wie ein großer Knall alles aufräumt. Aber wo der Bortkrumen fehlt, da verändert er mit einem Schlag sehr viel. Ich will mich gar nicht herablassen auf die naive Vorstellung, dass es für das Politischsein Zeit braucht, was konkret bedeutet, dass von den 24 Tagesstunden ein zwei Stunden genommen werden müssen dafür und diese sonst nirgendwo herumliegen. Wenn des herrschende System aber auf Vollzeiteinbindung ausgelegt ist, dann wird das inkludieren, dass sämtliche erhaltenden Sinnflüsse ebenso darauf gepolt sind. Das gehört zur inneren Kohärenz des Bestehenden. Wer davon ausbrechen will, wird in irgendeiner Weise Zeit brauchen, den Sinnfluss unterbrechen zu können, um anfangen denken zu können. Arbeit, Familie, Konsum. Daneben bräuchte es noch Zeit. Es wird kaum so sein, dass von außen plötzlich eine mentale Rekalibrierung Einzug hält und am nächsten morgen alle kommunistisch sind.
Mit diesem zusätzlichen Raum, könnte vermutlich ein Prozess beginnen, der manches verändern könnte. Vielleicht auch nicht. Vielleicht wird stattdessen mehr gesoffen und gevögelt. Wohl bekomms! Der Prozess könnte aber auch demokratisch sein. Und eine demokratische Theorie hervorbringen, etwas, was es bislang in der ganzen Geschichte noch nicht gab. Eine Theorie, die ohne metaphysische Zensorhierarchie auskommt, sondern wird was sie wird durch die, die sie mitbilden, was ohnehin der Fall ist, nur bilden generell sehr wenige an Theorien mit. Stattdessen bilden einige wenige Theorien und erklären das Mitbildungsdefizit als obsolet, weil die Theorie in Produktion und Produkt konform mit Vernunft, Wahrheit etc. gesetzt wird. Ob einer oder viele, es käme auf das selbe hinaus, weswegen einer reicht, so der Glaube. Von daher kann man die heutige Alternativlosigkeit auch besser verstehen.
@flavo: Tut mir leid, ich werd‹ daraus nicht schlau, wie eine neue Theoriebildung vonstatten gehen sollte. Woher soll denn der besagte Raum kommen, bzw. wer soll den öffnen?