»Nein« zu sagen, Dinge zu hinterfragen und sich von vorgegebenen Ansichten und Meinungen abzugrenzen, ist im Kleinkindalter und in der Pubertät ein wichtiger Entwicklungsprozess zur Autonomie und Charakterbildung. Für die Eltern sind diese Phasen oft nicht einfach, aber sie wissen, dass sie notwendig und wichtig sind, weil ein Kind dadurch seine Individualität und sein selbstbestimmtes Handeln entdeckt. Außerdem bringen wir unseren Kindern wichtige Werte wie Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Fairness bei.
Im Erwachsenenalter werden wir wieder zu Ja-Sagern gemacht, Anpassung und Konformität wird gefordert und wer Dinge in Frage stellt, hinterfragt oder kritisiert, gilt als Miesmacher, Pessismist und allgemein als Spielverderber. Und uns wird wieder beigebracht, dass wer ehrlich, aufrichtig und fair ist, nicht selten benachteiligt wird.
Ich habe schon öfters in meinem privaten Umfeld, die Forderung nach mehr positivem Denken vernommen. Ich sei immer zu negativ, zu kritisch. Die Welt habe doch auch seine schönen Seiten, warum immer alles so negativ sehen? Ich antworte darauf, dass ich gar keinen »anderen« oder einen »besonders negativen« Blick einnehme, sondern die Welt so sehen will, wie sie ist. Es ist umgekehrt: wer sich nicht mit weltweiten Kriegen, Hungersnöten, Armut, Gewalt oder auch mit der Korruption in Deutschland beschäftigen will, ja sie verdrängen und ignorieren will, der hat einen »besonderen Blick«: die Perspektive der Verdrängung. Oder um es mit einem indischen Philosophen zu sagen:
Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
- Jiddu Krishnamurti
Außerdem entgegne ich immer, dass wir doch vom vermeintlich positiven Denken (eigentlich: Verdrängung), von Konformität, von Ja-Sagern und von einer alles-ist-toll-Ansicht regelrecht erschlagen werden. In der Werbung geht es um eine rein zustimmende Perspektive, das Produkt, die Dienstleistung ist toll, bitte kauft es, sagt Ja, denn das Leben ist schön, wenn ihr konsumiert. Party machen, »immer gut drauf sein« ist angesagt. Öffentlichkeitsarbeit, PR und Marketing gehen auch in diese Richtung, immer geht es darum, Zustimmung, Aufmerksamkeit und Bestätigung zu erheischen. In der Lohnarbeitswelt geht es in der Regel um Anpassung, Konformität und Gehorsam. Lohnarbeiter sollen funktionieren und sich möglichst nicht gewerkschaftlich organisieren oder gar den Chef kritisieren. Bei facebook gibt es nur einen »like« aber keinen »dislike« button. Man will Zustimmung, Belohnung, positives feedback, Aufmerksamkeit, Motivation für sein Handeln und die dreckige Welt in ein warm-sauber-steriles Licht tauchen. Wer diese Illusionen durch Kritik in Frage stellt, gilt als Zerstörer der bieder-heimeligen Weltverleugnung.
Was wir brauchen sind eben nicht noch mehr Ja-Sager, nicht noch mehr Konformisten oder angepasste Duckmäuser, sondern Kritiker und Aufklärer. Meinungsfreiheit, eine demokratische Haltung sowie Sachverhalte und Ansichten in Frage zu stellen gehen stets mit Kritik einher. Wer nur nachplappert, andere für sich denken lässt oder gar nicht mehr nachdenken will, ist der wahre Pessimist, denn er hat die Vorstellung von einer besseren Welt bereits aufgegeben. Dinge so zu akzeptieren wie sie sind, sie als alternativlos und naturwüchsig zu erachten, ist im Kern anti-demokratisch und totalitär. In diesem Sinne handeln und denken viele Kleinkinder, aber auch manche Pubertierende selbstbestimmter, autonomer und reifer als viele Erwachsene.
Ich glaube ja, dieser allgegenwärtige Zwangsoptimismus ist eine sehr erfolgreiche Herrschaftstechnik. Würden alle offen und ehrlich, frei ihr Missfallen über die sie umgebenden Verhältnisse zum Ausdruck bringen — wir hätten schon morgen wohl Revolution! Aber nein, wir blenden alles negative aus, passen uns an die Gegebenheiten an und sind verpflichtet, nur über die wenigen, vermeintlich schönen Dinge zu reden. Ja keinen Streit. Nur nichts mal tiefgehender ausdiskutieren. Immer gute Miene zum bösen Spiel machen. Gerade hier begegnet einem auch letzten Endes immer das Sprichwort vom Glückes Schmied. Optimismus sei schon die Grundvoraussetzung dafür, dass einem etwas gelingen könne; wer nicht grds. optimistisch denke (also alles kritisierenswerte einfach gänzlich ausblendet, verdrängt; es delegitmiert) und aufgrund dessen (und eben nur daran — und nicht den kritisierten Verhältnissen!) verliere, sei auch selbst Schuld daran...!
Ich muss mich auch ständig dafür rechtfertigen, Dinge eben nicht pessimistisch, sondern realistisch zu sehen.
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Da es hier in der Rubrik „Gedanken“ wohl um eben diese geht, stellt sich erneut die (uralte) Frage wer denn wohl (seine) vorgestellte(n) Gedanken irgendwie auch nur ein klitzekleines bisschen steuern könnte…auch wenn die Gedanken „ich will…ich kann es doch“ fast unentwegt auftauchen…(;-)
„Wenn Du verstehst sind die Dinge wie sie sind.
Wenn Du nicht verstehst sind die Dinge wie sie sind.“
Dogen Zenji
Freundliche Grüße
Rolf
gemäß Zizek ist die heutige Aufgabe der Psychanalyse die Befreiung vom Zwang zum Glücklichsein. Früher war hatte sie die Befreiung vom Zwang zum Unglücklichsein.
Es ist teilweise so: die herrschenden Verhältnisse werden intensiv positiv konnotiert: sie seien Resultat von und zielen auf freie/r Selbstunternehmung/en, ihr Gehalt und ihre Stoßrichtung ist Freiheit, sie brächten umfassend und nachhaltig Wohlbefinden, Selbstverwirklichung, Anerkennung und Frieden, Sicherheit. Die ganze palette möglicher positiver Anstreichung bildet andauernd einen multiperspektivisch sensuellen Schirm über die herrschenden Verhätlnisse. Diese sind die allgemeinen Glücksverhältnisse.
Wer daran etwas aus zu setzen hat, setzt am Glückszustand etwas aus. Die faltenglättende Creme und der erlebte Effekt des Sich-Schön-Fühlens wird plötzlich anrüchig gemacht sowie das demokratisch legitimierte, nett vorgebrachte, ernst gemeinte Volkswirtschaftsprogramm, dass dem, der gut verdient, seinen schönen Lebensstil serviert. Usw. usf.
Es ist dies alles sehr in die Individualisierungspotentiale der MEnschen eingreifende Tendenzen. Darin verwoben, ist man in so viele positive Besetzungsvarianten eingebunden und man ist schließlich diese und nichts anderes. Sich davon zu lösen ist nicht leicht und macht eines: Angst. Freiheit steht immer mit Angst in Zusammenhang. Es ging noch nie anders. Und Angst mögen die wenigsten. Nichts desto trotz: etwas aus Freiheit zu tun ist das einzige, das den Menschen zur Realisierung seiner ureigensten Möglichkeit führt. Immer Wieder, insgesamt wohl nicht sehr oft wird es sich ausgehen in einem Leben, aber immerhin, die Handlungen, die ihre Wurzel größtenteils im eigenen Freiheitsstreben haben, befriedigen ungemein. Eine solche Handlung wird im hohen Alter noch Stolz und Zufriedenheit zeitigen, während der Großteil des Alltags, der Konformität, völlig entschwunden sein wird.
Im Erwachsenenalter??
Fängt doch schon in der Schule bzw. Kindergarten an, wenn kleinen Kindern alte frustrierte — pardon — Schachteln als »Erzieher« vorgesetzt werden, die keinen Draht zu den Jungs finden und dann hagelt es wieder schlechte Noten und zack hockt man auf der Hauptschule.
So war das bei mir z.B.