ZG-Rückblick: Beim Doktorspielen erwischt

(Titel aus unbekannter Quelle übernommen)

Baron zu Guttenberg ist Deutschlands beliebtester Politiker, nun hat sein Image Kratzer bekommen. Seit Tagen wird in den Massenmedien berichtet, dass die Doktorarbeit unseres Verteidigungsministers ein Plagiat besonderer Güte sein soll. Er habe in über 50 Fällen falsch zitiert, die Quelle nicht angegeben und sogar ganze Passagen ohne Nennung des Autors kopiert. Nachdem Guttenberg offensichtlich versucht hatte, die Sache auszusitzen, die Medien aber nicht locker ließen, sagte er nun in einer Presseerklärung, dass er auf  seinen Doktortitel verzichte. Wie auch immer diese Geschichte enden wird, mir stellen sich dazu folgende Überlegungen:

Gehört der Doktortitel in vermögenden Kreisen zum guten Ton und wird quasi eingekauft? Ist die wochenlange Medienpräsenz ein Zeichen dafür, welch großes Untertanenvolk die Deutschen sind, wenn ihnen soviel an Adel, Titel und Vermögen liegt? Oder müssen wir uns im Zeitalter des Internets an copy+paste bei Autoren, akademischen Arbeiten, Büchern usw. gewöhnen?

jtheripper:
Ich halte nicht viel von Titeln. Ob es nun Doktor- oder Adelstitel sind. Beim Guttenberg trifft nun beides zu und vielleicht ist er mir deswegen so unsympathisch. Wobei ein Titel ist ja nun weg. Vielleicht muss er ja auch bald sein »zu« abgeben, da er ja so viel Schande über seine Familie gebracht hat. Aber ernsthaft, wenn in Deutschland die Dr. und Prof. nicht so wichtig wären und nicht gleich ein riesen Fass aufgemacht wird, wenn auf einem Namensschild oder einer brieflichen Anrede mal ein Dr. zu wenig steht, dann müssten sich die Adligen auch nicht für viel Geld so billige Plagiate kaufen.

todesglupsch:
Die Frage nach einer Schuld Guttenbergs scheint unstrittig zu sein, wobei die schwere scheinbar versucht wird zu kaschieren. Guttenberg  bestreitet offenbar wissentlich oder gezielt sonst wie direkt ein Plagiat angefertigt zu haben. Ich verstehe nicht wie bei angeblich großen annähernd unverändert übertragenen Passagen diese unwillentlich oder ungezielt kopiert sein sollen und ich frage mich warum das so wenig öffentlich thematisiert wird. Auch stellt sich Guttenberg bereits wieder hin und proklamiert noch sein Umgang, bezüglich auf den Verzicht des Titels, wäre nachahmenswert. Guttenbergs konkretes Vergehen ist die eine Seite, interessanter finde ich den Umgang und die Bewertung durch die Bevölkerung. Auch wenn das im Nachhinein jeder behaupten kann, ich hatte eigentlich immer das Gefühl das Guttenberg vor allem eines ist: ein Blender — gut darin den Schein zu wahren, eloquent und immer überzeugend auftretend. Die tatsächliche Kompetenz Guttenbergs war etwas was wenig thematisiert wurde und auch jetzt nicht genauer betrachtet wird. Wenn man »den Medien« trauen kann oder will, scheint der Rückhalt für Guttenberg in der Bevölkerung groß zu sein und das allgemeine Bild Guttenbergs durchweg das eines guten Verteidigungministers. Ich habe die Befürchtung das Bild der Kompetenz könnte Folge seiner eigenen Inszenierung sein und dieses Bild verhielft ihm nun gegebenenfalls sich an entsprechenden Konsequenzen vorbeizuschummeln. Ich fände es bedenklich, wenn so jemand im Amt bliebe, aber noch beunruhigender finde ich die Vorstellung, dass dies der Fall ist, weil die Mehrheit der Bevölkerung dies unterstützt. Ich denke dies bedeutet, dass die Integrität einer in der Öffentlichkeit stehenden Person ab sofort von ihr selbst definiert wird und die sachliche Kompetenz, hinter der Kompetenz der Selbstinszenierung, einer Person weitestgehend irrelvant ist (nennt mich ruhig alle naiv).

epikur:
Ich muss jtheripper zustimmen, ich gebe auch nicht viel auf Titel und Konventionen. Das hat für mich den miesen Stallgeruch von Feudalismus, Stände- und Klassengesellschaft. Was mir bei dem ganzen Theater wieder  mal auffällt, ist, wie oberflächlich Politik in Deutschland doch beurteilt und bewertet wird. Angela Merkel sei zu dick und unattraktiv, Baron zu Guttenberg hat einen feinen Adelstitel usw. Über politische Inhalte wird in  der Öffentlichkeit eher wenig diskutiert. Mir ist es nach wie vor, völlig wurscht wie ein Politiker aussieht, was für Titel er hat oder wie er sich medial inszeniert. Für mich zählen politische Inhalte und die konkrete politische Arbeit, die ein Politiker verrichtet. Danach sollte er gemessen werden und nicht an Figur, Aussehen oder Titel.

Interessant ist auch, dass die Plagiatsaffäre mehr Raum, Platz und Zeit in den Medien einnimmt, als die Kunduz-Affäre von zu Guttenberg im September 2009. Damals sind über 140 Menschen, darunter viele Zivilisten auf Befehl eines Bundeswehroffiziers, umgebracht worden. Guttenberg kommentierte den Angriff damals als »militärisch angemessen« bevor er Monate später die Aussage zurücknahm. Ein Doktortitel ist wohl wichtiger als afghanische Zivilisten.

10 Gedanken zu “ZG-Rückblick: Beim Doktorspielen erwischt

  1. Einen guten Artikel zum Thema hat der Kollege Markus Weber vom »Guardian of the Blind« geschrieben. Er stellt die These auf, dass die latente Intellektuellenfeindlichkeit in der Bevölkerung, durch die Plagiatsaffäre noch verstärkt wird. Guttenberg gelte damit als »anti-elitärer« Populist, der es dem wissenschaftlichen Schnösel mal so richtig gezeigt hat.

    http://guardianoftheblind.de/blog/2011/02/27/guttenbergs-plagiat-und-die-kleinburgerliche-intellektuellenfeindlichkeit/

  2. Mein großes Problem besteht darin, daß er wie auch seine Verteidiger Grundprinzipien unseres Staates angreifen, Vertrauen und Wissenschaft. Hier liegt meiner Ansicht nach das Hauptproblem. Guttenberg hat vor allem das Vertrauen seiner Universität, seines Doktorvaters und auch in die Wissenschaft vorsätzlich und massiv beschädigt.

    Er und vor allem Frau Merkel als Verteidigerin haben im Grund das deutlich gezeigt, was viele Bürger schon immer meinten: die Wissenschaftler sind nichts weiter als abgehobene Spinner, die man nicht so ernst nehmen muß — es gibt wichtigeres. Das ist die Kernaussage von Frau Merkel und den Guttenberg-Verteidigern! Die Bedeutung von Forschung und Entwicklung, Wissenschaft und Technik wird zwar gern in öffentlichen Reden hervorgehoben, aber gleichzeitig durch die Praxis immer weiter vernachlässigt. Wissenschaft wird nicht mehr respektiert und das in einer Welt, die größtenteils auf Wissenschaft basiert — fatal!

    Wenn diese Regierung nur einen Bruchteil der Gelder, die sie für sinnloses Zocken von Banken locker gemacht hat, für die Bildung, Forschung und Entwicklung ausgeben würde, brauchte man sich langfristig über den Standort Deutschland keine Gedanken machen.

    Aber Merkel und Co., wie auch alle Parteien, haben noch nicht begriffen, das Investmentbanking und Spekulation keinen wirtschaftlichen Mehrwert erzeugt — es hat keine Nachhaltigkeit.

    Wir kommen leider immer mehr zu us-amerikanischen Verhältnissen, wo ein Politiker ein gewisses Maß an erwiesener Dummheit haben muß, um gewählt zu werden (Busch, Palin). Gleichzeitig wird unsere Welt immer komplexer, so daß die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit immer größer wird.

  3. Hier noch ein Artikel in den »gutbürgerlichen« Medien: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,748079,00.html

    Besteht zwar eigentlich mehr aus Spekulationen, klingt aber nach einem Al Capone’schen Szenario und damit einem was in den Zeitgeist passt: Guttenberg kann nicht von moralisch/ethischen Erwägungen zum Rücktritt gezwungen werden, womöglich aber von dem gebündelten Interesse einer Gesellschaftsschicht die mit den Mitteln ausgestattet ist diese auch durchzusetzen.
    Würde die »latente Intellektuellenfeindlichkeit« wohl nur noch verstärken, aber mit so nichtigen Argumenten wie persönlicher Integrität und Aufrichtigkeit kann man wohl heutzutage wenig gegen ein etabliertes Image ausrichten.

  4. Unabhängig davon, was ich von Doktor- oder Adelstiteln halte steht doch fest, der Mann hat betrogen. Wissentlich. Das kann kein Versehen sein bei der menge und all den bekanntgewordenen Details. Wenn gegen den nicht ermittelt wird und er im Amt bleibt, haben sämtliche Leute in der Regierung ihrerseits das Recht verloren, sich über 14jährige MP3-Downloader in Tauschbörsen zu mokieren.
    Und die Politikerfatzkes, die ihn jetzt immer noch in Schutz nehmen, verraten mir damit ein derart gestörtes Verhältnis zu Recht und Gesetz, daß sie ebenfalls das Recht verwirken, sich auch nur noch ein einziges Mal über »Raubkopierer« und ähnlichen »Straftätern« echauffieren zu dürfen. Die Politik wird nicht dadurch gewinnen, sie zeigt doch herrlich deutlich auf, wie geistig verwahrlost viele ihrer Protagonisten inzwischen sind.

  5. Tja. Sowas kann Hoffnung vermitteln. Es zeigt die Grenzen der Mediendemokratur auf. Gemachte Idole aufgrund von Public-Relation, haben tatsächlich immer noch Grenzen. Alleine schon die Streitereien im privaten Sektor, unter Kontrahenten verschiedener Ansichten, waren ein Genuss. Es ist nicht alles verloren.

  6. zum Artikel der Redaktion: Nicht die Medien haben bei der Zerstückelung Gutenbergs nicht locker gelassen sondern die SPD, welcher in Form von Gabriel bei Bundestagsdebatten der Schaum aus dem Mund lief. Es ist wahr, daß es bei uns Gesetze gibt und Gutenberg falsch gehandelt hat. Fakt ist aber auch (und das sollten sich Pispers und Richling mal reinziehen), daß es von Gutenberg zu etlichen Abgeordneten hin ein straffes Bildungsgefälle gibt bis hin zu Allgemeinbildungsneulingen. Ich schaue gerne Pispers und Richling. Aber auch die können noch lernen. Es gibt sogar eine Vizepräsidentin des deutschen Bundestages ohne Ausbildung. Erinnert euch bitte an die Schröder-Zeit! Im Politikforum haben die meisten zu Fischer und der damaligen Politik einiges geschrieben. Da fehlen noch 70 Prozent. Was die damalige Gesundheitsministerin verzapft hat, wird gar nicht erwähnt. Der Bericht der Wirtschaftsweisen wurde von Schröder abgewiesen und Trittin wollte Turbane einführen usw.! Hellau ! Also, mit einem Gutenberg (Mehrsprachler) fühle ich mich wohler wie mit 20 ungebildeten ZeitGenossen. Gebt mir Macht und ich werde sie mißbrauchen. Leider steht in den Satzungen des deutschen Bundestages singemäß, daß Amt und Würden nicht an einen beruflichen Abschluß gebunden sind. Armes Deutschland !

  7. Pingback: Caritas-Studie belegt massives Bildungsgefälle in Deutschland

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