Das Wort zum Sonntag

Im August 2009 schrieb ich einen Beitrag über Einsamkeit und Stille. Meine Gedanken zu diesem Thema möchte ich an dieser Stelle etwas vertiefen. Alleine zu sein setzen viele mit einsam sein gleich, was z.B. bedeutet keine Liebesbeziehung zu führen. Für mich gibt es zunächst eine grundlegende Unterscheidung zwischen allein sein und einsam sein. Wer allein ist, also z.B. kaum oder wenig soziale Kontakte pflegt, wenig mit Menschen zu tun hat oder eben alleine wohnt, ist nicht zwingend einsam. Sich einsam fühlen können auch Menschen, die in einer Beziehung sind oder in einer großen Familie leben. Als allein sein bezeichne ich den Zustand einer temporären oder dauerhaften sozialen Isolation und als einsam sein, ein inneres Befinden, sich nicht verstanden, akzeptiert oder geborgen zu fühlen. Zwischen beiden Sachverhalten wird oft ein Zusammenhang hergestellt, der meiner Meinung nach zu Missverständnissen und zu zweifelhaften Entscheidungen führen kann.

In dem Hollywoodfilm »Heat« aus dem Jahre 1995 wird der Gangster Neil (Robert de Niro) von einer Frau, die er gerade in einer Bar kennengelernt hat, auf seinem Balkon gefragt, ob er einsam sei? Neil antwortet daraufhin, dass er allein, aber nicht einsam sei. Dieses Zitat verdeutlicht, dass Einsamkeit nicht zwingend eine Frage von Beziehungen oder sozialen Kontakten ist, sondern vielmehr eine Frage der inneren Ruhe, der Selbstgenügsamkeit, des Selbstbewusstseins und der mentalen sowie emotionalen Stabilität. Zur Verdeutlichung meiner Gedanken bin ich mal so frei und zitiere mich selbst aus meinem Beitrag vom August 2009:

Dennoch kann es kaum eine größere Einsamkeit geben, als inmitten einer großen Menschenmasse. Und der einsame Wanderer im australischen Outback, der sich in einer 100km weiten Menschenleere befindet, kann sich mit der Natur, der Welt und allen Menschen auf eine einzigartige Weise verbunden fühlen.

Oder anders ausgedrückt: wer mit sich selbst halbwegs im Reinen ist, wird von einem temporären Zustand des allein seins nicht erdrückt und erschlagen. Vielmehr zeigt die Unfähigkeit,  für einige Minuten oder Stunden nicht ohne Fernseher, Musik, Menschen, PC, Haustieren oder einer sonstigen Ablenkung oder Berieselung sein zu können, auf, dass wir Angst haben. Angst vor uns selbst. Angst vor den eigenen Gedanken und Gefühlen.

Diese Neurose ist wohl weit verbreitet in Deutschland. Ich kenne viele Menschen, die nur noch deshalb in einer unglücklichen Beziehung sind, weil sie Angst vorm allein sein haben. Weil sie allein sein mit einsam sein gleichsetzen. Ebenso kenne ich auch viele, bei denen eine ständige Berieselung vorherrscht. Da ist der Fernseher den halben Tag an, Musik läuft, der PC ist an, etliche Haustiere machen es sich gemütlich oder es ist ständig Besuch da.

Dabei kann eine temporäre soziale Isolation viel Kraft, Ruhe und Energie geben. In einer Zeit der Dauerhektik sowieso.  Viele berühmte Philosophen, Dichter und Denker haben sich für eine gewisse Zeit gezielt sozial isoliert, um sich auf das Wesentliche zu besinnen. Sich ernsthaft mit sich selbst beschäftigen, sich reflektieren, es sich gemütlich machen, unterdrückte Gedanken und Gefühle zu lassen, die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ängste hinterfragen sind wichtige Vorraussetzungen für die eigene Unabhängigkeit.

9 Gedanken zu “Das Wort zum Sonntag

  1. Vor langer Zeit habe ich einmal einen Spruch gelesen, der sinngemäß lautet: »Er nahm einen langen Anlauf in die Einsamkeit um zur Zweisamkeit fähig zu sein.«
    Ich hatte vor meiner Ehe eine wirklich langen Anlauf genommen. Nun ja, ob es damit zusammenhängt, weiß ich nicht, aber ich bin seit 25 Jahren glücklich verheiratet. Ich muß auch sagen, daß Ruhe und Einsamkeit wirklich Kraft geben können, die Gedanken werden klarer und man wird toleranter. Und, was wichtig ist, man lernt sich zu lieben und zwar so, wie man ist.
    Wir haben bei uns in der Nähe ein Nonnenkloster und es ist sehr interessant zu sehen, wie alt diese Nonnen werden. Das geordnete Leben mit innerer Einkehr scheint sich positiv auf die Lebenserwartung auszuwirken.

  2. Da spricht der wahre Epikurärer, der immerhin noch eine »Beziehung« zur Liebe besitzt. (Kleiner Scherz ;-)
    Die Sicht des Menschen von außen auf sich selber, war immer schon ein gefährlich Ding, und erwartet unbewusst die gesteigerte Selbstkontrolle von jedem einzelnen. Bringt allerdings ein kleines logisches Problem mit sich; Auf der einen Seite Ataraxie anzustreben, aber auf der anderen den Moment zu empfinden, erfordert eine Selbstkonditionierung, die dem perfekten Zustand eines Computerprogrammes ähnelt, welches letzteres nicht mehr zulässt um ersteres zu ermöglichen. Der feine Unterschied zwischen dem »lebenden« und dem, der sein »Leben« beobachtet. Und letzterer erklärt dem ersteren immer, dass es Möglichkeiten gibt, die Einsamkeit zur Nichteinsamkeit zu erklären. Der Urwunsch, seit Heraklit und Parmenides, beides gleichzeitig zu können, — der sich durch alle großen, nicht mehr rudimentärer aufschlüsselbarer Widersprüche zieht.
    Werden und Sein. Aktiva und Passiva. Der Witz dabei ist, die »seienden«, sind die aktiven. Nur wer einsam ist, und dies auch als echtes Gefühl empfindet, bringt Bewegung ins Spiel, um den Zustand zu ändern.
    (Ok, ok, ich gebs zu, — ich hab so meine Schwierigkeiten mit den Weisen. — Die sind i.d.R. so gruselig untätig, leben in Klöstern, Tonnen, oder sonstigen separaten Wohungseinheiten, um genau an diesem Widerspruch zu scheitern ;-) Und im schlimmsten Fall zu ignorieren.

  3. @antiferengi

    Wohl wahr! Ataraxie anzustreben und sich gleichzeitig dabei zu beobachten ist die Krux an der Sache. Vielleicht sollte man als Kompromiss die Wochentage aufteilen: Montags: das innere Gleichgewicht leben Dienstags: sich stundenlang selbst beobachten usw. usf.

    Eigentlich habe ich ja nur die Neujahrsansprache von Merkel verpasst und wollte selbst eine halten ;)

  4. Die Angst vor der Einsamkeit ist wie der Artikel m.E. korrekt anführt zumeist die Angst vor dem Alleinsein, dem daraus zwingenden Kontakt zu sich selbst. Viele unserer technischen Schöpfungen sind dafür da, die innere Stimme mundtot zu machen unser Leiden nicht mehr erkennen zu können, weil wir uns durch Aussenreize beschäftigt halten. So kann die totale Einsamkeit vor dem Fernseher zu einem Erlebniss werden, aber der geistige Dämmerzustand in dem der Fernsehzuschauer sich befindet, so angenehm wie er sein mag, basiert auf der Erlahmung des Denkens. Tranceartig nimmt man wahr, beschäftigt das Gehirn, wird beknallt, bedudelt berieselt.
    Dazu noch ein bischen Alkohol, noch ein bischen KiffKiff, oder auch mehr. Die Zigarette und das Essen, alles betörend bedudelnd und der Porno als Liebeslüge oben drauf. Fluchtreaktionen vor dem Konflikt mit dem Selbst.

    Der einsame Mensch ist abgeschnitten von sich selbst, von seiner eigenen Innenwelt. Abgeschnitten wegen der schmerzhaften Erfahrungen die verborgen und verdrängt sind, mit denen jede Erinnerung behaftet ist.
    Sei es die Einfalt vieler Männer, die dem bestraften Denken zuschulden kam, weil der Vater ein wißbegieriges Kind nicht ertrug. Das Kind für jeden Denkansatz bestrafte, wie es sogar in unseren Schulen mit ihrer Dreigliedrigkeit institutionalisiert ist. Der Lernbetrieb wird zum Schaffott des Denkens.
    Die fehlenden körperlichen Zärtlichkeiten der Kindheit, das fehlende Eingeständniss nach körperlicher Nähe und Zuwendung oder gar das Erleben von Gewalteinwirkungen auf den Körper durch die, die einen doch lieben sollten.
    Diese Beispiele sollen die Natur der Verletzungen aufzeigen, die Haltungen, die so reproduziert werden und den Menschen einengen, einzäunen, seine geistige-emotionale Entwicklung minimieren, beschneiden. Gewalt in dieser Sphäre begegnet uns in jeder Minute unseres Alltags, sie ist brutalstgegenwärtig und unsere Kinder lernen diesen Kriegszustand der Unterdrückung jeden Tag schon ab dem Kindergarten. Damit es nicht mehr schmerzt unterdrückt man den Schmerz in dem man durch die ständige Malträtierung abstumpft, gleichzeitig lernt man den Umstand, das man ein Stück Schmutz sei, lernt man das man Mangelhaft sei, das man nichts könnte, das man hässlich ist und sich selbst hassen solle. Spätestens an der Stelle, an der das betroffene Individuum diese Schmerzen nicht mehr erträgt, stirbt ein Teil seines inneren Selbst und der Draht reißt ab. Nicht im Sinne männlich-soldatischem stoischen unhinterfragtem Ertragen, sondern das Denken an sich. Es spalten sich Teile des Selbst ab, sie werden unterdrückt, unterversorgt, nicht mehr abgerufen und verkümmern vermutlich sogar buchstäblich neurologisch.

    Es sind vielfältige Ängste, die hier aufkeimen. Philosophisches Gewäsch sollte draussen bleiben. Es taugt oft nicht viel und geht an den Kernen der Dinge vorbei. Belebt euer eigenes Denken, schafft eigene Begriffe und lernt nicht die anderer auswendig, nur das ist wirkliches Denken. Übersetzt das Denken der anderen in eure Modelle, schafft und schöpft in geistiger Aktivität und erlebt den feingliedrigen Erlebnisshorizont von gewachsener Erkenntniss und nicht von auswendig gelerntem Wissen. Einzelnes Wissen ist nicht mehr als ein Samenkorn einer schönen Blume, das noch begossen und gepflegt werden will, es gedeiht in der Zahl der Gedanken dazu, wächst und blüht auf. Das ganze Wissen im Kopf kann sich zu einem enormen Wucherdickicht entfalten, Irrungen Wirrungen und Klarheiten und Unklarheiten aneinandergereiht an Ketten von Assoziationen, die wir im Moment der Wahrnehmung zusammenlegen mit den gewordenen Erkenntnissen über das was uns Menschen ausmacht und was wir sind, wie wir im Bilde Gottes auf geschaffen tatsächlich mehr sind als nur zufällige Tiere mit zufälligem Geist. Ein Band, das die Liebe, das die Wirklichkeit knüpft, ein Weltbild das uns nie einsam werden läßt, weil wir immer fühlen das wir Teil von einem Ganzen sind, selbst dann wenn wir völlig isoliert wären.

    In totaler Stille nachzudenken, einfach den Gedanken zu lauschen, gerade wenn es auch oft erschreckende oder anstrengende Gedanken sind, die sich in Anbetracht heutiger Katastrophenszenarien aufdrängeln, ist schwer. Sehr schwer. Darum sind ja auch soviele lieber betäubt oder haben das Denken aufgegeben.

    Aber auch das ist nicht alles. Es geht hier wieder um den Geist der pathologischen Normalität, die Unfähigkeit zur Autonomie des Menschen, die ja auf Selbstliebe und den Beziehungen zu anderen Menschen, der Nächstenliebe gründen müssen! Erst der Mensch der Eins ist mit sich und zur wirklichen bedingungslosen Selbstliebe ohne Übertreibungen fähig ist, genauso aber zur bedingungslosen Nächstenliebe fähig ist, hat diese Fähigkeiten bestmöglich ausgebaut. Er ist Eins mit seinen Bedürfnissen, kennt sie, kann von ihnen Abstand nehmen, wenn es äußere Umstände erfordern. Auch weiß er um die Bedürfnisse anderer Menschen und kann sich in sie hineinversetzen. Er braucht keine Ersatzbefriedigung und keinen Realitätsflucht mehr. Es ist nicht alleine eine geistige Leistung, sondern auch eine emotionale Leistung. Das Fühlen erstetzt irgendwann das Denken und wenn wir von einer Welt des negativen geprägt werden, dann werden wir negative Gefühle entwickeln. Dann verlernen wir diese Selbstliebe und Nächstenliebe, wir verlieren uns Selbst und dann auch unsere Mitmenschen aus dem Blickwinkel und setzen an diese Stelle kurzlebige Interessen, aber nicht mehr das, worum es uns immer und immer und immer wieder geht: Das bedingungslose Geliebt werden und das bedingungslose Lieben. Wir sind so verängstigt und so elend negativ geprägt das uns irgendwann nur noch negative Haltungen entspringen. Dem gegenüber kann man das Denken, den Geist setzen, hinterfragen, bewußt machen aber ohne die Gefühle abzuspalten. In der Fähigkeit das Leiden zu ertragen liegt auch die tiefe Freude authentischen Seins. Das ist absolut notwendig um in sich selbst zu Ruhen, sich selbst ohne Vorbehalte und Schuldgewissen begegnen zu können und dann ist Alleine Sein kein Prozess von Einsamkeit mehr, wobei auch Einsamkeit jederzeit auftreten kann als eigenständiges berechtigtes Gefühl, das uns gemahnt, unsere sozialen Bedürfnisse nicht zu unterdrücken.

    Das klingt alles ein bischen wie ein religiöser Vortrag, das ist mir klar. Es ist letzten Endes auch einiges an christlich religiös gewachsenen Erkenntnissen darin enthalten (RELIGIÖS nicht KIRCHE!). Es mag auch etwas konfus wirken, was daran liegt das ich wirklich versucht habe einen Teil Weltbild einzuflechten, Lebenshaltung, Wissen uvm.
    In den Werken Arno Gruens, Erich Fromms, Fritz Riemanns, in der Bibel uvam kann man diese Dinge nachlesen.

    MFG

  5. Kunst ist die Apotheose des Alleinseins, schreibt Beckett in seinem Essay über Proust.
    Ohne Stille, Ruhe und Ferne von aller Betriebsamkeit wäre manches literarische Kunstwerk nie entstanden.

  6. @Hannzi

    Interesannter Bericht. Danke für den Link!

    Die Jugendlichen und Studenten heute, wachsen tatsächlich unter einer Medienglocke auf, die sie als soziale Eingebundenheit empfinden. Die Abhängigkeit von Technik und Medien ist heute auf einem exorbitant hohem Level.

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