Der französische Soziologe Pierre Bourdieu entwickelte in seiner Kulturtheorie vier Kapital-Begriffe: das ökonomische Kapital, das kulturelle Kapital, das soziale Kapital und das symbolische Kapital. Jeder Mensch besitzt und verinnerlicht diese Kapitalarten. Sie zeigen sich in individuellen Denk- und Verhaltensmustern, Wahrnehmung und Auftreten oder kurz: im Habitus. Dieser Habitus verdeutlicht eine real existierende Klassengesellschaft, die sich eben nicht nur in feudalen Kriterien offenbaren. Erweitert man nun die Kapitalarten Bourdieus mit den Werken des Psychoanalytikers Erich Fromm und den Thesen des französischen Skandalautors Michel Houellebecq, so ergibt sich eine fünfte Komponente: das sexuelle Kapital.
Bourdieus Differenzierungssystem zeigt auf, dass eine Klassengesellschaft eben nicht nur durch ihre materiellen Verhältnisse fundiert wird, sondern sich auch im zwischenmenschlichen Bereich verfestigen. Die Kapitalarten im Einzelnen sind:
Das ökonomische Kapital bezeichnet, laut Bourdieu, die Form, die direkt in Geld konvertierbar ist. Meist im Sinne von individuellen Eigentumsverhältnissen. Umso mehr also jemand besitzt, umso höher ist sein ökonomisches Kapital. Der Begriff und seine Deutung haben ihren Ursprung in den Wirtschaftswissenschaften. Der Terminus verfolgt einen ausschließlich materiellen Ansatz.
Mit dem kulturellen Kapital ist vor allem die Bildung und der individuelle Wissensstand gemeint. Bildung kann institutionalisiert, erlernt oder in individueller Begabung verankert sein. Umso mehr kulturelles Kapital jemand besitzt, umso höher ist der jeweils persönliche Nutzen im sozialen Miteinander, aber eben auch im beruflichen Leben.
Das soziale Kapital wiederum zeigt sich im Zugang zu Ressourcen, gesellschaftliche, politische und persönliche Teilhabe sowie im sozialen Geflecht. Über ein hohes soziales Kapital verfügt, wer über viele Freunde, viel Unterstützung, viele Verbindungen, Beziehungen usw. verfügt.
Das symbolische Kapital drückt sich durch gesellschaftliche Anerkennung, Titel, Glaubwürdigkeit, Prestige und Ruhm aus. Berühmte Hollywood-Stars besitzen demnach mehr symbolisches Kapital als ein deutscher C‑Promi, der sich auf neunlive seine Sporen verdient.
Erich Fromm hat in zahlreichen Werken seine These bekräftigt, dass Menschen in der Marktwirtschaft vor allem marktwirtschaftlich lieben. Der Persönlichkeitsmarkt bestimmt Nachfrage und Angebot, Freundschaften werden gekündigt, Liebesbeziehungen als Vertrag empfunden, es wird sich dargeboten und verkauft, Menschen als Besitz gesehen, Liebe als Haben-Denken und Konsum empfunden. Die Sprache der Liebe verdeutlicht seine These.
Der Sex stellt in unserer Gesellschaft eindeutig ein zweites Differenzierungssystem dar, dass vom Geld völlig unabhängig ist, und es funktioniert auf ebenso erbarmungslose Weise.
- Michel Houellebecq, Ausweitung der Kampfzone, Seite 108
Somit gibt es eine fünfte Form der Aneignung: das sexuelle Kapital. Wer über viele sexuelle Erfahrungen verfügt, im Sinne des Schönheitsfaschismus und der medialen Gleichmacherei attraktiv aussieht, sich sexuell gut verkaufen kann usw., verfügt über ein hohes sexuelles Kapital. Die sexualisierte Gesellschaft produziert und reproduziert individuelles sexuelles Kapital. Wer indessen über wenig kulturelles, soziales, ökonomisches, symbolisches oder sexuelles Kapital verfügt, der darf auch gerne Konsumsklave sein.
Yup. Da ist noch eine Menge Potential drinne :jaja:
Hast du kein Sex, biste nix :o)
Als vollständig gelungen gilt nur, wer öfters mal zum Kuscheln »kommt«.
Die Fachliteratur und Paarberatungen, anonyme Umfragen sprechen allerdings von einer Flaute im Bett. Mißverständnisse, Leistungsanspruch, fehlende Liebe und mangelnde Partnerschaft, ungelenke Empathie, pornofizierte Denke, die von Technik, Wissen und sportlicher Leistung ausgeht all dies stört das Sexleben der Menschen und überspielt wird es mit viel Gerede.
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Interessant ist auch auch, das Gerede von Intelligenzen einzupflegen in obiges Konzept. Diese setzten die Messbarkeit oben genannter Kapitale um. Soziale Intelligenz, Bildungs Intelligenz. Ökonomische Intelligenz. So bekommt man einen WERT vermittelt, der diese Kapitale mißt.
MFG
Es ist tatsächlich so, dass wir überall mit Sex, Erotik und Pornografie konfrontiert werden. Demzufolge müsste man davon ausgehen, dass wir in einer sexuell befreiten Gesellschaft leben, in der alles erlaubt und toleriert werde. Und in der vor allem jeder sein sexuelles Glück findet.
Alle Untersuchungen weisen aber, wie Hannzi zu Recht anmerkt, darauf hin, dass im Jahre 2011 in deutschen Betten »tote Hose« ist. Es wird zuviel Trubel darum gemacht, statt sich einfach seiner »Geilheit« zu ergeben, sich fallen zu lassen und zu entspannen. Frust, Druck, Leistungsdenken, Minderwertigkeitskomplexe, Erwartungshaltungen, Verbohrtheit, gestörte Kommunikation usw. führen letztlich zu sexueller Enthaltsamkeit oder zu Seitensprüngen.
@Hannzi
Die »emotionale Intelligenz« gibts ja auch schon ;)
Für mich ist die Flaute im Bett im Kern ihres Wesens ein Beleg für die Beziehungsprobleme der modernen Gesellschaft. Denn Sex ist nicht gleich Sex. Fragt man langjährig liierte Paare, die sich als glücklich einschätzen, dann ist weniger aber von Liebe geprägter Sex ein vielfaches mehr Wert als die durch mangelnde Beziehungen im Wesen einer Ersatzbefriedigung angestrebte, angepriesene sexuelle Vielgelüsterei. Da verkommt der tiefsinnige Beweis innigster Zweisamkeit zu einer aussagelosen hilflosen Hackerei der eigenen Lustgier entspringenden Handlung. Kein Verschmelzen mehr, nicht mehr der symbolische Verschmelzungsdarstellung unbändiger Liebe zueinander, sondern der eigene und möglich vielzählige Orgasmus steht im Mittelpunkt.
Die Befreiiung des Sexuellen von aller klassischen Norm, von jeder ethischen und moralischen Grenze, die Geschlechtsgrenzen negierend, hauptsache Reibungsfläche mit Stöhngarantie, das sind am Ende nur Folgen der tiefer liegenden Ursachen.
Auf diesem Niveau funktioniert der Mensch aber offensichtlich nicht sehr zuverlässig. Anders sind die Folgen kaum mehr zu erklären.
Es ist zu veranschaulichen durch einen Kaffee ohne Genuß.
Man kennt die Bohne nicht, die ist irgendein fast Abfallprodukt aus industrieller Massenfertigung. Man kennt den Hersteller nicht, den Bauern, den Ernter, den Weiterverarbeiter ja nicht einmal der Kontinent ist bekannt, der die Bohne ausgespuckt hat. Genauso weiß man nicht wer den Kaffee transportierte, die Bohnen gebrannt und gehandelt hat. Wer diese Plörre aufgebrüht hat weiß man auch nicht, nur das der Kaffee da in der Kanne ist, nebenher wird er eingegossen, weggeschluckt aus Gewohnheit, ohne innere Regung, ohne Reflexionsfläche, ohne darüber nachzudenken. Es gibt kein Geschmackserlebniss, was in diesen Fällen wünschenswert ist, keine »geistige« Verdauung durch ein bewußtes Genußerleben, es wird wie weggeschüttet so reingekippt.
Verglichen mit der wirklichen Genußfähigkeit, die gelernt sein will, die sich für das Produkt in allen Facetten seiner Entstehung interessiert, die den besten Genuß sucht, sich seiner annähert. Von Bauern und Herstellung bescheid weiß, oft sogar die Anbauweise und Herstellungsprozesse der Bohnen genau kennt, den Röster persönlich spricht um den höchsten Genuß zu finden oder sogar selbst Röster wird, um selbst das Produkt beeinflussen zu können. Der Genuß an sich wird dann zu einer sinnlichen Party, man ist konzentriert, fein auf den Moment abgestimmt, wenn die Geschmacksreize über die Zunge gleiten, konzentriert sich auf seine Sinne, schon während der Zubereitung wird jeder Schritt als wichtig beachtet und sehr genau befolgt um dann im richtigen Moment alle Sinne beisammen zu haben.
Auf diese Weise könnte man den heutigen vorherrschenden Geist sexueller Massen-Konsumgesellschaft verdeutlichen, wie er sich doch vom tieferen Sinn des Menschseins, der Freude an der bewußten Lebhaftigkeit eigenen Tuns, unterscheidet.
interessante Überlegung!