Status-Denken

Mein Gott, wie mich das nervt! Die Frage nach Beruf und Abschluss sind fast immer die ersten Fragen, wenn man einen Menschen neu kennenlernt. Auf dem Arbeitsplatz, in der Kneipe, auf Partys, bei Freunden, in der Öffentlichkeit. Egal wo. Menschen werden abgecheckt, eingeordnet und dann kategorisiert. Abschließend folgt, in Kombination mit Aussehen und Kleidung, eine Erstbewertung. Hat man studiert, sein Diplom gemacht und verdient ganz gut, gibt es aufschauende Blicke und »Ohh-Floskeln«. Ist man erwerbslos, darf  man sich schämen und gleich rechtfertigen, warum man denn keine Lohnarbeit habe. Mit viel Glück wird die Rechtfertigung angenommen werden. Meistens wird aber heimlich abschätzig über die Person gedacht werden: »hmmm...ein Arbeitsloser, ein fauler Sack, jemand ohne Geld und Ansehen«.

Wieso fällt es Menschen so schwer, den Menschen an sich zu sehen? Stattdessen wird immer und immer wieder der Sozialstatus abgefragt. Wenn Lohnarbeit den Menschen von sich selbst entfremdet, ist es absurd, nach genau der Lohnarbeit zu fragen, um einen Menschen einschätzen zu können. Menschen sind nicht ihre zum Zwang erhobene Lohnarbeit, sondern ihre Bedürfnisse, ihre Leidenschaften, ihre Neigungen,  ihre Stärken und Schwächen, ihre Ängste und ihre Wünsche. Das machen Charakter und Persönlichkeit aus.

12 Gedanken zu “Status-Denken

  1. Ich gebe dir ja recht — aber ich habe leider die Erfahrung gemacht, daß unglaublich viele Menschen sich mangels eigener Persönlichkeit selbst hauptsächlich über ihren Sozialstatus (und ihr damit verbundeenes Einkommen bzw. dem Besitzstand) definieren, arme Würstchen, gewiß, aber leider nicht gerade die Minderheit.

  2. Na ja, wenn die Persönlichkeit und der Wert von Menschen über, jetzt mittlerweile fast 15 Jahre hinweg, ununterbrochen darüber definiert wird, dann zieht das seine Kreise. Man kann mich ja auslachen, aber ich kenne tatsächlich bessere Zeiten. Jedenfalls, welche, wo es nicht gar so schlimm war. @Frank hat durchaus teilweise recht. Wenn die Menschen das so ungefiltert übernehmen, dann sind sie irgendwo selber schuld. Und es spricht tatsächlich für bereitwillig angenommenes Statusdenken. Auf der anderen Seite, ... bekommen sie es ja auch ununterbrochen vorgespielt, ... und eingetrichtert.

    Wie heißt es so schön, — ein kluger König kennt die Schwächen seiner Untertanen....... Und das Volk wird zum König.

  3. Die Frage nach dem Sozialstatus steht üblicherweise nach der Begrüßung an zweiter Stelle. Viele wüssten vermutlich nicht, was sie sonst fragen sollten.
    @Antiferengi: Dass dieses Denken so bereitwillig aufgenommen wird, ist wohl auch eine Folge langfristiger Indoktrination, daher würde ich den Menschen nur eingeschränkt eigene Schuld vorwerfen, wenn sie das einfach so übernehmen — fast die gesamte Sozialisation ist dem Leistungsgedanken und einer Existenzweise des Habens unterworfen, die heutige Erziehung lehrt nichts als Wettbewerb. Wenig verwunderlich also, dass entprechende Persönlichkeiten dabei herauskommen. Wenn du tatsächlich bessere Zeiten kennst, ist das doch ein Beweis dafür, dass im Prinzip eine andere Gesellschaft möglich ist.

  4. Warscheinlich sollte man hier die Frage viel weiter zurückverfolgen. Denn Beruf und Berufung hingen viele Jahrhunderte und sogar heute noch tatsächlich auch mit der Person und damit korrelierend mit der Persönlichkeit zusammen.
    Vergegenwärtigen wir uns nur, wie ein Handwerker typischerweise drauf ist und wie sich ein Anwalt typischerweise gibt.

    Wir können also auch, in begrenzter Tiefe, über den Menschen vor uns etwas über seinen Beruf oder seine Persönlichkeit erfahren.

    Das Problem, das der Artikelschreiber hat, warum er auch so wütend ist, wenn er mit dieser Sitte konfrontiert ist, ist, daß er das selbst schon vergessen hat, das auch der Beruf mit bestimmten Anforderungen einen bestimmten Menschen erfordert. Unsere Gesellschaftsform pervertiert das natürlich gerade, damit hat er Recht. Aber der Ärger ist überflüssig, weil die Frage durchaus auch mit menschlicher Tiefe aufgefasst bzw. beantwortet werden kann.

  5. Sicherlich prägt und beeinflusst der Beruf auch die Persönlichkeit, keine Frage. Auch werden gewisse Anforderungen an gewisse Berufe gestellt: handwerkliches Können, räumliches Sehen etc. bei Handwerkern, Analyse- und Kommunikationsfähigkeit bei journalistischen Berufen usw. Das stelle ich auch gar nicht in Frage. Vielleicht habe ich mich da falsch ausgedrückt.

    Mir geht es zum Einen um die Abfrage nach dem Sozialstatus, die häufig genug als Charaktereinschätzung fungiert. In einer Zeit, in der Millionen erwerbslos sind und weitere Millionen prekäre Arbeit ausführen und fast alle eine Lohnarbeit verrichten, die ihnen keinen Raum lässt, sich selbst zu entfalten — wird der Sozialstatus völlig überschätzt.

    Vielmehr findet eine flächendeckende »Selbstentfremdung« durch Lohnarbeit statt: Corporate behaviour, Freundlichkeitszwang, Unternehmensanweisungen, monotone Arbeiten, Mobbing, Burnout usw.

    Insofern sind Menschen für mich eben nicht ihre Lohnarbeit. Charakter=Lohnarbeit oder Lohnarbeit=Charakter sind für mich Kategorisierungen mit einem sozialdarwinistischen Stallgeruch. Prägung ja, Selbstdefinition durch Lohnarbeit nein.

  6. Ich antworte fast immer, daß ich Künstler bin. Das ist im Grunde immer richtig, denn unabhängig von meiner wirtschaftlichen Situation bin ich eins immer — ein Lebenskünstler und ich schreibe gerade an einem Roman.

    Wenn ich mit neuen Menschen zu tun habe, versuche ich immer, etwas Interessantes an ihnen zu finden — etwas was fasziniert. Dieser Trick verhindert, daß ich in sozialen Schubladen denke. Ich habe einen Hausmeister kennengelernt, der begeisterter Taubenzüchter ist. Von dem konnte ich Sachen lernen, es war einfach unglaublich. Das Schlimmste für mich sind jedoch Menschen, die keine Besonderheiten oder Interessen haben, teflonbeschichtete Heiße-Luft-Produzierer ohne Ecken und Kanten, die ihr Mäntelchen in jeden kleinen Windhauch hängen. Diese Menschen öden mich an, egal über wieviel Geld oder Macht sie verfügen.

    Jeder Mensch ist einzigartig. Manchmal muß man nur lange und tief genug bohren, um die Einzigartigkeit freizulegen.

  7. @Maxim
    Da bin ich ganz bei dir.

    @Hannzi.
    Keiner erwartet, dass er jetzt nicht mehr stolz auf sich selber, oder auf dass was er erreicht hat sein darf. Es geht ja auch nicht um den Beruf, oder wieviel Intension jemand darein legt, — sondern den Status der damit verbunden ist. So ein einfacher Müller ist ja z.B. nicht mehr Müller, sondern Verfahrenstechnologe in der Mühlen- und Futtermittelwirtschaft. Es gibt allgemein ein Bestreben, auch noch der simpelsten Tätigkeit ein elitäres Ding zu verpassen, mit dem jeder seinen zeitgemäßen Status beim romantischen Dinner erhöhen kann. Dabei ist das nur passiert, weil »Müller« nun mal als handwerklicher Beruf keinen Aha-Effekt auslöst, der einen ins elitäre Establishment versetzen kann. Wo, — jeder fernsehgerecht hin will. Das ist das Denken dahinter. Mit menschlicher Tiefe, können kaum Dinge beantwortet werden, denen diese Tiefe fehlt. Da knallt man besser den Leuten ihre Eitelkeiten vor den Latz. Das hilft mehr.

  8. Man kann das ganze aber auch andersherum definieren. Wenn es dem Gegenüber nicht möglich ist über eine oberflächliche Beurteilung über meinen offensichtlichen Sozialstatus hinaus eine Kommunikation aufzubauen, ist es seine Schwäche und gegebenenfalls sein Verlust, nicht meiner. Wenn es mich also persönlich affektiert, wenn Leute mich nicht wahrnehmen wollen, weil ich nicht einen bestimmten sozialen Status repräsentieren kann, dann ist es ein Problem meines Selbstbewußtseins und wie und worüber ich mich definiere.
    Natürlich kann man gewisse Vorteile eines gewissen Sozialstatus nicht verleugnen, aber die Frage ist, ob der Preis den man dafür zahlt die Nachteile aufwiegt.
    Da ist nämlich z.B. der Punkt des Berufs und der Berufung. Trotz des gleichen Wortstamms haben die beide Begriffe wenig gemeinsam. Sie können zwar (teilweise) Deckungsgleichheit aufweisen, aber häufig genug ist dies kaum bis gar nicht der Fall. Der Beruf bezeichnet heutzutage meist eine Lohnarbeit, die Berufung hat damit erstmal Nichts zu tun. Wenn man auf den sozialen Status wert legt (und meist auch finazielle Vorrausetzungen) ist die Frage inwieweit man seiner Berufung nachgehen kann. Sozialer Status geht auch meist mit gewissen gesellschaftlichen Verpflichtungen daher, über deren Sinn man geteilter Meinung sein kann.

    Ein guter Rcihtwert nach der Überschneidung der eigenen Lohnarbeit mit der Berufung ist, ob man diesen Beruf weiterhin nachgehen würde, wenn er nicht bezahlt oder unzureichend zum Halten des gegenwärtigen Lebensstils.
    Der Lebenskünstler ist deshalb der, der bei maximaler Auslebung der Berufung minimalen Verzicht in anderen Bereichen erreicht.

  9. Manche sachen muss man einfach hinnehmen. Andere kann man ändern. Es liegt an jedem selber zu entscheiden welche Sache man ändern oder hinehmen kann/ muss.

  10. @todesglupsch
    Gefällt mir gut, dass du dem Thema ›Sozialstatus-Abfrageritis‹ einen anderen Dreh gegeben hast (»...ist es seine Schwäche und gegebenenfalls sein Verlust, nicht meiner.«). Auf den Punkt!

    »Wenn es mich also persönlich affektiert, wenn Leute mich nicht wahrnehmen wollen, weil ich nicht einen bestimmten sozialen Status repräsentieren kann, dann ist es ein Problem meines Selbstbewußtseins und wie und worüber ich mich definiere.«
    Absolut richtig, und meiner (inzwischen reichhaltigen!) Erfahrung nach der einzige Weg, erhobenen Hauptes und aufrechten Rückgrates aus jenen leidigen Schubladisierungs-Konversationen hervorzugehen.

    Einfach ist das nicht. Es ist eine harte Lehre für die Person im niederen sozialen Status. Es ist eine permanente Prüfung. Aber es lohnt sich. Es stählt. Es macht stark. Es verändert. Es bewegt. Und nur darauf kommt es an im Leben, letztlich.

  11. Ein tolles Thema! Allseits bekannt, in allen Varianten. Die Frage des Selbstbewusstseins und der Stählung ist zweifellos eine Richtung in die man sich entwicklen kann. Nur muss man aber auch sehen, dass dieser Vorschlag aus jener Sensopraxis stammt, der er zu entfliehen meint. Der Leistungsindividualismus: die Selbstgründung des Individuums aus dem Nichts. Wie auch immer, es mag gelingen, nichtsdestotrotz ändert das nichts an dem kollektiven Bewussten, dass der Arbeitsmarktstatus Bewertungsgrundlage eines Menschen ist. Und da wir nur anteilig selbstgründend sind und ebenso anteilig kollektive Senseme in uns reproduzieren, die wir als Einzelne nicht gemacht haben und sie aber am Leben erhalten, liegt das Problem grundsätzlich nicht im Einzelnen und dessen Selbstbewusstsein. On the long run kann ich mir auch nicht vorstellen, dass diese Individualtherapien irgendwas bewirken, strukturell meine ich. Es ist mehr ein Verschiebungsmechansimus, der Scham und Stolz im sozialen Raum herumschiebt. Die Relation Scham-Stolz. Wo die Scham zum Problem wird, ist es der Stolz nicht weniger, nur rückt die Neigungslinie der Macht den Blick auf die eine Seite der Relation. Wir sind eine Scham-Stolz-Gesellschaft.
    Muss man sich schämen also? Nein, aber wenn es einem gelingt davon zu entfliehen oder es betrifft einen gar nicht, ist man dann stolz? Wo Stolz, da auch Scham. Der Mensch hat nicht stolz zu sein, wenn er nicht will, dass sich jemand schämen soll. Die Relation verschwindet nicht, wenn man alle sich Schämenden zu Stolzen therapiert. Wo der Stolz bleibt, wird er sich die Scham suchen.

  12. Selbstredend ist und bleibt »der Arbeitsmarktstatus Bewertungsgrundlage eines Menschen« im kollektiven Bewusstsein, und ebenso hast du vollkommen recht, wenn du dir nicht vorstellen kannst, »dass diese Individualtherapien irgendwas bewirken, strukturell meine ich«.
    Nur war zumindest mein Kommentar bzw. meine Selbstaussage in keiner Weise gemeint als Perspektive irgendwelcher struktureller Veränderung. Vielmehr als ein individuell von mir beschrittener Weg, im tagtäglichen Leben den ganz individuellen Kopf über Wasser zu halten und mich nicht von blödem Statussmalltalk tunken zu lassen.

    Es ist nämlich (aus meiner Sicht) ganz einfach so: Wenn dir letztgenanntes als Individuum nicht gelingt, kannst du den großen strukturellen Veränderungswurf gleich ganz vergessen. Der gelingt nämlich nur (nach allem, was ich weiß) mit starken Individuen, die sich auch bei systemischen Bedrohungen nicht wegducken.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.