»Sie haben doch auch Wünsche, oder?«

Als ich letztens bei meiner Freundin war, besuchte uns unverhofft ein Vermögensberater. Durch einen eher ungeschickten Zufall, den ich hier nicht näher erläutern möchte, landete der Finanz-BWL-Schnösel mit Krawatte und Anzug tatsächlich auf unserer Couch. Eine  rhetorische Frage, die jeder Finanzdienstleister, Versicherungsvertreter und Vermögensberater in seinen Seminaren und Kursen lernen dürfte, wird wohl folgende sein:

Sie haben doch auch Wünsche, Träume und Ziele, die sie verwirklichen wollen, oder?

»Natürlich habe ich die«, antwortete ich dem Finanzmarktsklaven, »sie sind aber nicht zwingend materieller Natur!«. Mit diesem Satz hatte ich ihn bei den Eiern. Er ging nämlich davon aus, wie übrigens alle diese Fuzzis (und wie leider auch die Mehrheit der Bevölkerung), dass Wünsche, Träume und Ziele gleichzusetzen seien mit Geld, Konsum und materiellem Reichtum (Auto, Häuschen, Garten, Urlaub machen usw.). Als ich ihm widersprach, musste ich wohl seine Weltordnung erschüttert haben. Auch die Werbung pflegt und hegt diesen Satz ja. Und wie selbstverständlich wird dieses Synonym übernommen.

Vielleicht habe ich ja das Ziel, ein ausgeglichener, in mich ruhender Mensch zu werden? Vielleicht habe ich ja den Wunsch, die Welt, mich und meine Mitmenschen besser verstehen zu lernen? Vielleicht habe ich ja den Traum, bis ans Ende meiner Tage, hinter all meinen Entscheidungen stehen zu können? Und nicht zu vergessen, die Ziele, Wünsche und Träume, die da lauten könnten: die eigenen Kinder gut zu erziehen, mit Liebe durchs Leben zu gehen und mich stets selbst zu hinterfragen.

Am Ende meinte er noch, dass in seinen 13 Jahren Berufserfahrung ich der Erste gewesen wäre, dem er nicht »helfen«, also nichts verkaufen könnte: eine Lebensversicherung, Riester-Rente, einen Bausparvertrag — was auch immer. Ich muss aber auch bockig sein, oder?  Der gute Schnösel wollte doch nur mein bestes, mein Geld.

 

11 Gedanken zu “»Sie haben doch auch Wünsche, oder?«

  1. Ich wurde auch schon gefragt, ob ich das Thema Altersvorsorge nicht richtig ernst nehme. Die Berechnungen die vorgelegt werden sind mit vorsicht zu gneißen. Sie sagen die Zukunft rosig für die privaten Produkte und schwarz für die gesetzlichen vorraus. Das hat sich trotz Finanzkrise nicht geändert. Immer wieder wird wiederholt wie wichtig das alles sei. Das Problem in meinen Augen ist, dass viele Menschen tatsächlich glaube, dass wenn wir alle Aktien hätten und die 8% Rendite bekommen, dann gäbe es keine Armut mehr. Für sie haben Aktien und Geld in dem Moment nichts mit Häusern, Autos, Lebensmitteln zu tun. Ich habe auch das Gefühl, dass es den Beratern da ähnlich geht.

  2. Pingback: Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen (Jesaja 11,6)

  3. Genau das gleiche ist mir auch schon passiert: einer dieser armen Strukkis legte mir eine Liste mit materiellen Zielen vor, und ich sollte die wichtigsten aussuchen. Meine Antwort war: »Die sind mir eigentlich alle gleich unwichtig.« Darauf war die Person nicht vorbereitet, ihr kippte wirklich und wahrhaftig erst mal die Kinnlade nach unten. Danach kam irgendwie keine rechte Verkaufsstimmung mehr auf.

    Das kommt halt davon, wenn man sein Geschäftsmodell auf Gier aufbaut.

  4. Nun ja, sind wir aber auch so ehrlich, und geben zu, dass wir deshalb leicht reden können, weil wir Kleidung, Essen, Trinken, und ein Dach über dem Kopf haben — da ist es recht bequem dem Materialismus zu entsagen. Und wie man es dreht und wendet, das verdanken wir dem Kapitalismus.

  5. @metepsilonema
    Die Ziele die ein Versicherungsvertreter verfolgt sind nicht diejenigen mir ein schönes Leben zu bereiten. Sie sollen ihm ein schönes Leben bereiten. Darum entsage ich solchen Dingen. Wir leben nicht im Schlaraffenland und weil eben so viele Menschen durch Luft reich geworden sind muss ich das doch nicht auch.

  6. @metepsilonema, beim Finanzvertreter geht es ja nicht um Kleidung, Essen und Trinken. Er kommt nicht zu armen Leuten, die nichts mehr haben. Und wir anderen, die ein paar Euronen mehr haben, sollten endlich damit anfangen, unser Leben nicht nach Dingen auszurichten. Sie machen aus uns keine besseren Menschen, keine zufriedeneren und auch keine glücklicheren. Konsum und Statussymbole, auf die Konsum irgendwann immer hinausläuft, sind nichts gegenüber dem Leben in Ruhe, Zufriedenheit und innerer Ausgeglichenheit. Man kann auf sehr viel verzichten, wenn man denn erkannt hat, dass vieles nur nutzlose Dinge sind. Ich habe mir auch mal ein paar Gedanken darüber gemacht: http://heut-schon-gedacht.blogspot.com/2010/08/ein-paar-gedanken.html

  7. @chriwi & PeWi
    Vielleicht habe ich etwas missverstanden, aber ich meinte einen systemkritischen Unterton zu vernehmen. Falls dem so ist, kann ja jeder selbst urteilen, ob das obige Lamento nicht ein wenig selbstgefällig ist: Wir wie der Versicherungsvertreter profitieren und leben im und vom Kapitalismus, und das nicht einmal schlecht.

    Das geht nicht gegen Kritik im Allgemeinen, mir ist der Tonfall manchmal nur völlig unverständlich...

    Zu den Dingen: Auf den Umgang mit ihnen kommt es an, nicht darauf ob etwas ein Ding ist oder nicht. Ein »Musiker« liebt sein Instrument, ein »Maler« Farbe und Leinwand, und ein dritter seine Breifmarkensammlung — daran kann ich nichts Schlechtes entdecken! Sicher: Die Notwendigkeit hilft eine Überfülle an Dingen zu vermeiden, und es lebt sich um vieles freier.

  8. Ich hätte da mal ´ ne Frage?? Darf man eigentlich nur noch systemkritisch sein wenn man nichts mehr zu beissen hat?? Oder ist nicht eigentlich der , der in »sicheren« Verhältnissen lebt dazu aufgerufen etwas zur Verbesserung beizutragen?? Aber zum Thema....Die armen Strukis haben es auch wirklich nicht leicht. Und das mein ich ernst. Sie bescheissen andere so, wie sie auch von diesem System beschissen wurden. Dazu gab es auch mal vor ein paar Jahren ein gutes Buch vonTill Freiberg mit dem Titel »Die Abzocker«. Denn schliesslich wollen die Konzerne dochnur unser »BESTES«!!
    Grundsätzlich seh ich das Problem allerdings »unseres« Landes eher in einer verterrten Wahrnehmung der Realität. Guckst du auch hier: http://tuisto.wordpress.com/2010/07/15/irrenhaus-deutschland-eine-situationsbeschreibung/#more-497

  9. Geld zu haben bedeutet Möglichkeiten zu haben. Für manche sachen braucht man Geld, aber man könnte die Möglichkeiten auch anders erlangen. Z.B. durch Freunde, Familie oder Bekannte.

    Meine Ma ist schon seit Jahrzehnten bei einem Versicherungsvertreter, der auch auf mich irgendwann zugegangen war. Da ich aber etwas kritischer als meine Ma bin hat er es aufgegeben. Jetzt habe ich mir ein Auto geholt und habe es online versichert, als mir meine Ma riet mich mit dem Versicherungsvertreter hinzusetzen. Natürlich will er das ich anständig abgesichert bin, deswegen noch ein bis zwei Versicherungen extra abschließe. Das klang alles recht logisch und gut, aber ich hatte schon eine Versicherung online abgeschlossen.

    Bin am überlegen ob ich die Chance von Ihm nutze oder bei meinem Online Vertrag bleibe. Meine Mama und mein Bruder (Selbständig) vertrauen dem und haben ihre Versicherungen bei ihm abgeschlossen.

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