Marktkonformer Habitus

In der Blätter-Ausgabe vom September 2010, schreibt der Publizist Robert Misik über Weltverbesserung und linke Reformen. Misik spricht sich gegen Ohnmacht, Resignation und Zynismus aus. Denn: es waren immer die Optimisten, die die Welt verändert haben, niemals die Pessimisten, so Misik. Er beschwört eine ökonomische Fairness und fordert progressive Reformen, eine progressive Wirtschaftspolitik. Progressiv meint hier vor allem dem Fortschritt zugewandt. Misik möchte den Vorwurf der linken, vermeintlich rückwärtsgewandten, Wirtschaftspolitik begegnen, indem er Vorschläge zu einer neuen Wirtschaftspolitik macht.

In seinem Gedankenexperiment fasst er es folgendermaßen zusammen:

Eine Wirtschaftspolitik, die eine gerechtere und fairere Gesellschaft im Auge hat. [...] Eine Gesellschaft , die alle Bürger am Wohlstand beteiligt, ist auch wirtschaftlich funktionstüchtiger. [...] Ökonomische Fairness löst eine Reihe von Win-Win-Folgewirkungen aus. [...] Ein guter Kapitalismus ist möglich.

Misik´s Intention ist sicher edel. Wie ein guter Kapitalismus (ist für mich schon ein Paradoxon) ohne finanzielle Verlierer, Ausgebeutete, Umwelt- und Klimazerstörung möglich sein soll, weiß ich nicht. Begriffe wie progressiv, gerecht und fair klingen zwar toll, es fehlt jedoch an konkreten Inhalten. Eine gerechte Gesellschaft als anstrebsam zu formulieren, weil sie wirtschaftlich produktiver sei, ist lediglich eine neoliberale Verteidigungshaltung. Eine gerechte Gesellschaft sollte anzustreben sein, weil sie an sich erstrebenswert ist!  Oder anders gesagt: kann es eine gerechte Gesellschaft nur mit produktiver Wirtschaftlichkeit geben? Das wirtschaftliche System sollte dem Menschen dienen. Nicht umgekehrt.

Warum können progressive linke Denker, jenseits eines ökonomischen Diskurses und einer ökonomischen Dimension, nicht mal vom Menschenbild sprechen? Die Frage aufwerfen, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen? Normen und Werte zum Thema machen? Wer sich als Linker ständig den ökonomischen Diskurs der Marktradikalen aufzwingen lässt, wird sich immer in Kategorien wie Kosten-Nutzen-Denken, Ressourcennutzung, Rational-Choice, wirtschaftlicher Verwertbarkeit usw. bewegen. Linke sollten wieder den Menschen selbst in den Mittelpunkt aller Überlegungen stellen und nicht den Ökonomie-Fetisch als vermeintlich »moderne Linke« neu zu definieren versuchen.

6 Gedanken zu “Marktkonformer Habitus

  1. Wer sich als Linker ständig den ökonomischen Diskurs der Marktradikalen aufzwingen lässt, wird sich immer in Kategorien wie Kosten-Nutzen-Denken, Ressourcennutzung, Rational-Choice, wirtschaftlicher Verwertbarkeit usw. bewegen. Linke sollten wieder den Menschen selbst in den Mittelpunkt aller Überlegungen stellen und nicht den Ökonomie-Fetisch als vermeintlich »moderne Linke« neu zu definieren versuchen.

    Ich liege auf den Knien vor dir. Ich sehe, noch ist nicht alles umsonst ;-)

  2. Nein, zu einem Kniefall kann ich mich nicht mehr hinunter beugen (machen meine Knochen nicht mehr mit), aber ich kann mir einen Hut aufsetzen und den lüpfe ich dann vor »Hochachtung«.

    Das Fazit zu dem Text von Misik kann ich nur wärmstens empfehlen. Entspricht es doch genau dem, was mich seit Wochen (oder sind es schon Jahrzehnte?) umtreibt.

    Nur — schaut man sich die momentane »Realität« an, dann sind »Linke« davon leider noch sehr weit entfernt. Mein Problem: Ich will einfach nicht mehr so lange warten, bis es einige von denen geschnallt haben . . . und dem Wirtschaftsfetichismus entgegen treten . . . und schwups, ist das Dilemma wieder da.

  3. Hab‹ den Text gerade gelesen, sehe das im Prinzip genaus wie Du:
    Der Kapitalismus als eierlegende Wollmilchsau so kommt mir das vor: freie Märkte ja, so frei wie jetzt nein, aber nicht so »unfrei« wie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten. Wenn man so handzahme Kritik am Bestehenden übt, wie dies in dem letzten Abschnitt anklingt, kann man sich fast wieder darauf zurückziehen, dass der Markt es schon richten werde.

    Diese Art Weltverbesserung begreift nicht, dass die Prägungen der bürgerlichen Gesellschaft selbst schon problematisch sind. Wenn beispielsweise manche Südostasiaten aus Geltungssucht Burger futtern, obwohl sie für einen Asiatenmagen nicht erfunden wurden...

  4. Das Paradoxe an dem Text ist, dass viele der dort formulierten Forderungen Misiks durchaus gegen den herrschenden Zeitgeist stehen, aber sich in den ökonomistischen Diskurs einpassen. So möchte er genügende soziale Sicherheit für alle, die dazu führe, dass »die Wirtschaft« besser funktionieren werde als mit geringerer sozialer Sicherheit.

  5. [In der Blätter-Ausgabe vom September 2010, schreibt der Publizist Robert Misik über Weltverbesserung und linke Reformen. Misik spricht sich gegen Ohnmacht, Resignation und Zynismus aus. Denn: es waren immer die Optimisten, die die Welt verändert haben, niemals die Pessimisten, so Misik.]

    WELTVERBESSERUNG klingt nicht schlecht, linke Reformen fallen in den Bereich der Politik, und ohne alle Parteien über einen Kamm zu scheren, an den entscheidenden Dingen haben sie NICHTS geändert.

    Wenn nun über Veränderungen in der Wirtschaft gesprochen wird, verschweigt man, meiner Meinung nach, das eigentliche Problem.

    Wenn wir über Lobbyarbeit, Kontrolle der Medien, ALGI & ALGII, die Wirtschaft an sich sprechen, reden wir vor allem über Geld.

    Und da liegt der Hund begraben
    Geld regiert die Welt!
    Gebt euch einen Ruck und informiert euch auf diesem Link über etwas das wenn ihr es verstanden habt, einiges an eurer Sicht der Dinge ändern dürfte.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Geldschöpfung

    Ein aktuelles Beispiel wie Geld die Welt regiert/beeinflußt?
    Die in dieser Woche verliehenden Nobelpreise an den chinesischen Dissidenten und an die drei Herren, die uns nun mal ganz genau erklären warum wir eine so hohe Arbeitslosenzahl haben :D, dienen meiner Meinung nach primär wirschaftlichen Interessen des Westens.

    DENN

    der Nobelpreis wird von der Schwedischen Reichsbank finanziert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.