Das demographische Gespenst wird in Deutschland immer wieder beschworen: wir werden älter und sterben aus! Männer treten in den Zeugungsstreik und Frauen in den Gebärstreik. In Diskursen, Debatten und Talkshows diskutieren und streiten sie über Hintergründe, Ursachen und Lösungskonzepte. Einig sind sich fast alle: wir brauchen mehr Kinder. Was das Kind-Sein ausmacht und was Kindheit eigentlich bedeutet, wird dagegen kaum thematisiert. Kindern wird das Kind-Sein kaum noch gestattet. Ob die weit um sich greifende Kinderfeindlichkeit oder die Forderung nach einer frühen marktkonformen staatlichen Erziehung — die Kindheit wird zum Verschwinden gebracht.
Vielen Kindern wird in der elterlichen Erziehung folgendes beigebracht:
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Sag immer die Wahrheit und lüge nicht.
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Nimm Rücksicht auf andere Menschen.
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Menschen sind von Natur aus gut und jeder Mensch hat es verdient, geliebt zu werden.
Sobald Kinder zu Jugendlichen heranwachsen, bekommen sie durch die Arbeitswelt folgendes vermittelt:
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Der Ehrliche ist der Dumme.
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Wenn ich nicht an mich denke, wer denn dann?
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Menschen sind von Natur aus schlecht und faul. Jeder Mensch muss es sich erst »verdienen«, geliebt zu werden.
Die Kindheit wird zum Verschwinden gebracht. An ihre Stelle tritt der desillusionierte, abgeklärte, resignierte, eigennützige und konsumorientierte Erwachsene. In einer marktradikalen Gesellschaft wie Deutschland werden Kinder als indirekte Konsumenten betrachtet und nicht als kleine und eigenständige Menschen.
Ist euch schon mal aufgefallen, dass wenn über Kinder gesprochen wird, immer in der Zukunftsform geredet wird? »Kinder sind unsere Zukunft...Sie werden später unsere Renten bezahlen...Wenn Kinder älter werden, dann...« usw.
Der Jugend gehört die Zukunft — aber eben erst die Zukunft.
- Kurt Sontheimer, deutscher Politologe
Jugend ist unsere Zukunft. Das ist ein Versprechen für morgen. Wer es einlösen will, muss heute handeln.
Wieso thematisiert niemand die Gegenwart von Kindern und Jugendlichen?
Eigentlich will man doch gar nicht mehr Kinder, sondern mehr zukünftige Erwachsene, mehr Steuerzahler und mehr funktionierende Rädchen im Getriebe! Denn Kinder werden vielfach als Störung in der eigenen beruflichen Karriere und im wirtschaftspolitischen Betriebsablauf angesehen. Frauen sollten in Deutschland am besten gleich Erwachsene gebären, das wäre wohl am produktivsten.
Es ist nicht vorstellbar, dass unsere Kultur vergisst, dass sie Kinder braucht. Aber dass Kinder eine Kindheit brauchen, hat sie schon halbwegs vergessen.
- Neil Postman, das Verschwinden der Kindheit, Seite 171
Ich hatte mich schon öfter gefragt, ob unsere Eliten ihre Kinder genauso erziehen wie sie sich selbst verhalten. Eigentlich müssten sie den Sohn belohnen wenn er der kleineren schwächeren Tochter die Süssigkeiten wegnimmt. Das ist das Gesetz der Marktwirtschaft. Der Starke beutet den Schwachen aus. Aus Sicht des Liberalismus müssten die Eltern nun warten bis die Tochter so stark ist, dass sie sich zu wehr setzen kann. Einmischung durch die elterliche Gewalt von außen ist nicht förderlich. Niemand würde auf solch kranke Erziehungsmethoden kommen. Denn obwohl viele Wirtschaftsführe den Liberalismus fordern sind ihre Unternehmen Totalitär geführt. Irgendwie schon ein Widerspruch.
Ein Satz, den ich meinen Kindern immer wieder mit auf den Weg gegeben habe: »Wenn Dir erwachsene Menschen doof kommen, sag einfach nur: Wie gut, dass Sie als Erwachsener auf die Welt gekommen sind! und geh Deines Weges.« Traurig, dass so viele Menschen daran immer wieder erinnert werden müssen und noch trauriger, wie wenig ernst Kinder genommen werden. Sie sind der Spiegel unserer Gesellschaft.
»Kinder können grausam sein — aber erst mal müssen sie’s lernen!«
Jörn Pfennig
Eigentlich will man doch gar nicht mehr Kinder, sondern mehr zukünftige Erwachsene, mehr Steuerzahler und mehr funktionierende Rädchen im Getriebe!
Trifft es auf den Punkt. Irgendwo in diesem Systemdenken, — des alles steuerbaren, — ist der Sinn für das Wesentliche verloren gegangen. Will heißen, wofür das eigentlich mal gedacht war. Heute, muss es nur noch funktionieren, und wenn es irgendwie geht, — besser funktionieren.