»Der Parteichef kündigte an, die FDP werde sich im Fall von Regierungsbeteiligungen stärker um die Leistungsträger in der Gesellschaft kümmern«
- Meldung des Abendblatt vom 7. Januar 2009
Der »Leistungsträger« wird heute als quasi anzustrebendes Idealbild eines Menschen präsentiert und beschworen. Ein solches Individuum zeichnet sich vor allem durch seinen sozialen Status und sein Eigentum aus, häufig sind es sog »Eliten«. Arbeitsplätze zu schaffen, Vermögen anzuhäufen und in der sozialen Gesellschaftsskala zu den oberen Reihen zu gehören, wird in der politischen und ökonomischen Debatte als »Leistung« angesehen.
Zwar gibt es öffentliche Bewunderungsfloskeln (z.B. in politischen Talkshows), wenn sich z.B. eine Putzfrau dazu bekennt, dass sie lieber arbeitet, statt von ALG 2 zu leben (im Sinne eines vorauseilenden Gehorsams) — doch die Gesetzgebung der letzten Jahre hat vor allem die Vermögenden und Reichen unserer Gesellschaft genutzt. In diesem Sinne wird »Leistung« mit Vermögen, sozialem Status und Eigentum gleich gesetzt und nicht mit »harter Arbeit«.
Dabei verwerten die sog. »Leistungsträger« häufig die Arbeit, die andere für sie erbringen: ihre Buchhaltung, ihre Arbeitskräfte, ihre Steuerberater und so weiter. Auch besteht die »Leistung« der Eliten häufig nur im Verwalten des Vermögens — wenn überhaupt. Misserfolge werden mit Abfindungen und Aktienoptionen belohnt, Fehlverhalten mit kaum vorhandenen Konsequenzen geadelt und kriminelle Machenschaften mit Freisprüchen vor Gericht vergütet. Somit taugen diese Individuen selten als gesellschaftliche Vorbilder — sie werden bisweilen um ihr Vermögen und ihre Einflussnahme beneidet. Vermögen zu haben ist heutzutage selten eine Leistung, sondern eher eine Kette krimineller, egoistischer und unmoralischer Entscheidungen.
»Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die — und nur um sie — muss sich Politik kümmern«
- Peer Steinbrück in der Zeit vom 13. November 2003
Die wirklichen »Leistungsträger« werden in dieser Gesellschaft regelrecht verachtet. Das sind die, die für ihr Geld arbeiten, die kreative Leistungen erbringen und die in den vielen kleinen und mittelständischen Betrieben beschäftigt sind.
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß diejenigen, die neu anfangen wollen, die Arbeitsplätze schaffen wollen und innovativ sein wollen, in dieser Gesellschaft ein Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine geworfen wird. Das fängt an bei den Genehmigungen, geht über das Steuerrecht und Arbeitsrecht bis hin zur Ächtung als Unternehmer. Nein, heute wird man Beamter oder ist zumindest im öffentlichen Dienst beschäftigt.
Das Problem ist doch, dass man die Leistung in einer arbeitsteiligen Gesellschaft nicht messen kann. Irgendwie sind alle wichtig. Es nehmen sich nur ettliche heraus unglaublich wichtig zu sein.
Die Frage ist wann bringt jemand gute Leistung? Wenn er gut bezahlt wird. Warum wird er gut bezahlt? Weil er gute Leistung bringt. Das heißt man dreht sich im Kreis. Unsere Pleitebanker bringen gute Leistung weil sie gut bezahlt werden und nicht weil sie langfristige Konzepte haben oder wissen was sie tun. So lange sich dieses Denken nicht abwandelt und jeder sich als Experte und Elite bezeichnen kann, sobald er ein bestimmtes Gehalt bekommt wird sich nichts ändern. Ich habe nichts gegen clevere, fleißige Leute die Unternehmen gründen und somit ihr Geld verdienen wollen. Aber Leute die sich selbst als Elite bezeichnen hatten wir in der Vergangenheit oft genug. Wo hin so etwas führen kann, zeigt die Geschichte. Immer wenn sich ein kleiner Teil der Gesellschaft für die Krone der Schöpfung hielt wurde der Rest unterdrückt, ausgebeutet und klein Gehalten. Neu ist, dass alle Unterdrückten mitmachen und weiter nach unten treten, da sie dem blinden Glauben folgen nach oben kommen zu können.
Warum heißen die »Leistungsträger«?
Weil in Deutschland die Einteilung der Gesellschaft in soziale Klassen nicht politisch korrekt ist. (Wartet ab, das wird sich ändern.)
In Großbritannien und den USA kennt jeder seine Klasse und die meisten wollen oder geben vor, zur »middle class« zu gehören. Dieses wird vorgegeben, eben weil man die »working class« dann doch ganz schön verachtet.
Da Konzepte in der Regel 3–5 Jahre brauchen, um aus den USA bis nach Deutschland herüberzuschwappen, dürfen wir dann wohl demnächst auch erwarten, entsprechend eingeteilt zu werden.
Von der Arbeitsleistung her gesehen die Arbeitenden in »Leistungsträger« und .. ja was denn eigentlich(?), »Nicht-Leistungsträger«[?] oder doch gleich »faule Säcke« oder vielleicht »Arbeitsscheue« [Nazi-Sprech lässt grüßen] einzuteilen, ist sowas von Blödsinn, das man sich fragen muss, wer darauf gekommen ist.
Der Begriff »Leistungsträger« rechtfertigt die Vorstellungen einer Gesellschaft, dass einige wichtiger eben weil leistungsstärker seien, während demzufolge andere eben unwichtiger eben weil leistungsschwächer seien.
Wie mein Vorredner schon richtig ausführte, ist es Blödsinn, in einer arbeitsteiligen Gesellschaft die angeblich leistungstragenden und die nicht-leistungstragenden Teilnehmer zu identifizieren.
»Leistungsträger« ist neoliberales Neusprech und dient der Scheinrechtfertigung nicht mehr zu rechtfertigender Gehaltsunterschiede.
Sind Hausfrauen, die Kinder oder Alte pflegen, etwa keine Leistungsträger?
Sind Ehrenamtliche keine Leistungsträger?
Sind Raumpfleger, Verkäufer und Hilfsarbeiter keine Leistungsträger?
Vielleicht sollte man »Leistungsträger« stärker physikalisch definieren: derjenige, der nach seinem Arbeitspensum ein ordentliches Maß an Kalorien verbraucht hat, ist ein Leistungsträger, denn hoher Kalorienverbrauch bedeutet Muskelarbeit und Muskelarbeit ist Arbeit, oder nicht?
Vielleicht sollte man wirklich einfach mal die Menschen nach ihrem Kalorienverbrauch bezahlen!!!
Bezahlung nach Kalorienverbrauch statt nach sozialem Status, würde vielleicht auch mehr »in den oberen Etagen« zu mehr Arbeit bewegen ;)
Schade,hier fehlt es wohl ein wenig an Kapitalismus- und Arbeitskritik. Was ist denn hier allen wichtig? Einigermaßen nicht zu »ungerecht bezahlte« Arbeitsplätze, natürlich nur im deutschen Rahmen. Das heißt, unabhängig ob Arbeitnehmer oder Arbeit»geber«, alle freuen sich ob der Arbeit und Streitigkeiten bilden sich nur da, wo Kapitalisten »Arbeitsplätze« ins Ausland verlagern oder »schlecht« bezahlen. Es gibt nur Interessensgegensätze, die sich alle innerhalb des selben kapitalistischen Rahmens bewegen. Dann gibt es auch noch den Staat, der es schätzt, wenn er Steuern kriegt, also wenn in Deutschland Wert geschöpft wird. Da viele Leute in D sich mit »ihrem Staat« identifizieren, übernehmen sie also auch dieses Ziel.
Leistungsträger sind also für die meisten, die Leute die DEUTSCHE Arbeit schaffen und in Deutschland Wert für die NATION produzieren, die also entscheidend für das Erreichen dieses Ziels sind, die ›Träger‹ halt.
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